Anerkennung einer Berufskrankheit nach BKV Anl. 1 Nr. 1318 in der gesetzlichen Unfallversicherung bei Benzol-Exposition
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer akuten myeloischen Leukämie als Berufskrankheit (BK).
Die Klägerin ist die Ehefrau des 1949 geborenen und 2006 verstorbenen Versicherten AY. Der Versicherte absolvierte von 1963
bis 1967 eine Berufsausbildung zum Chemielaboranten bei der Firma D. in E ... Dort war er mit Stahlanalysen zur Qualitätsüberwachung,
fotometrischen und graphimetrischen Analysen betraut und hatte Umgang mit Äther und Säuren. Einer Exposition gegenüber Benzol,
Xylol, Toluol oder ionisierenden Strahlen war er nicht ausgesetzt. Ab 1967 arbeitete er bei der Firma G. GmbH in F. als Chemielaborant.
Im Entwicklungs- und Kontrolllabor des Unternehmens bestanden seine Aufgaben im Wesentlichen in der Entwicklung von PVC-Mischungen
für die Rohrproduktion und in der Qualitätskontrolle von PVC-Mischungen aus dem Produktionsbetrieb (Dryblends) vor der Extrusionsverarbeitung.
Im Januar 1998 wurde bei dem Versicherten eine akute myeloische Leukämie diagnostiziert. Der Versicherte nahm seine frühere
Beschäftigung als Chemielaborant im November 1998 wieder auf und musste seine berufliche Tätigkeit nach einer Wiedererkrankung
im August 1999 einstellen. Ab Juli 2002 bezog er eine Dauerrente.
Im April 2000 erstatteten die Ärzte für Allgemeinmedizin Dres. H. und I. eine ärztliche BK Verdachtsanzeige. Die Beklagte
holte daraufhin Befundunterlagen der behandelnden Ärzte ein und zog die Bescheinigungen über die arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen
bei. Aus Letzteren ergab sich, dass bei dem Versicherten regelmäßig Bleikonzentrationen im Blut festgestellt worden waren,
die unter den zulässigen Grenzwerten lagen.
Am 4. Juli 2000 nahm der Technische Aufsichtsbeamte (TAB) Dr. J. bei der Firma G. GmbH Ermittlungen auf. Neben dem Versicherten
waren als Sicherheitsfachkraft Herr K., der technische Werkleiter IA. und der Betriebsratsvorsitzende Herr L. anwesend. Der
TAB führte hierzu in seinem Bericht vom 17. Juli 2000 aus, der Versicherte habe für die Entwicklung von PVC-Mischungen einen
kleinen Heißmischer benutzt, in den das PVC-Pulver und Zuschlagsstoffe wie Farben, Wachse, Kreide und Stabilisatoren von Hand
eingefügt worden seien. Als Stabilisatoren seien Bleisulfate und Bleistearate, bis in die 70er Jahre auch Cadmiumstearate
eingesetzt worden. Die Versuchsmischungen hätten jeweils etwa 2,5 kg gewogen. Etwa zehn Versuchsmischungen seien in der Vergangenheit
täglich hergestellt worden. Nach Ende des Mischvorgangs habe der Versicherte die Mischung von Hand aus dem Mischer in einen
Kunststoffbeutel ausräumen und im Nachbarraum mit einem Laborextruder zu verarbeiten gehabt. Ebenso seien die Dryblends für
Kontrollzwecke mit dem Laborextruder verarbeitet worden, die Proben habe der Versicherte zuvor aus den Produktionsanlagen
des Unternehmens gezogen. Bei seiner Tätigkeit habe der Versicherte Umgang mit Bleiverbindungen gehabt. Über den Emissionsquellen
hätten mobile Punktabsauganlagen zur Verfügung gestanden, die jedoch nicht immer benutzt worden seien. Etwa ab Mitte der 70er
Jahre sei beim Umgang mit Staub eine Atemschutzhaube (Air-stream-Helm) getragen worden. Über die Luftkonzentration von Bleiverbindungen
im Arbeitsbereich des Versicherten lägen keine Messungen vor. Die verarbeiteten Mengen hätten in laborüblicher Größenordnung
gelegen und ließen eine MAK-Wert-Überschreitung nicht erwarten. Eine nachträgliche Messung könne keinen Aufschluss über die
Expositionshöhe in der Vergangenheit geben, weil die Arbeiten nun seltener durchgeführt würden und unter verbesserten technischen
Bedingungen. Gegenüber Xylol im Sinne der BK-Nr. 1303 sei der Versicherte nur selten exponiert gewesen, wenn er die Arbeitskollegen
im benachbarten Kontrolllabor gelegentlich unterstützt habe. Xylol sei nur in laborüblichem Umfang zur Extraktion verwendet
worden, um den Polymerisationsgrad von Polyethylen als Rohstoff festzustellen. Eine Überschreitung des MAK-Wertes von Xylol
habe bei der Tätigkeit des Versicherten aufgrund des seltenen Umgangs mit geringen Mengen unter einem Laborabzug nicht bestanden.
Die Polyethylenrohre seien vorher durch Elektronenstrahlhärtung vernetzt worden. Diese Art der Behandlung werde nicht bei
Alphacan durchgeführt und sei keine radioaktive Bestrahlung. Eine Gefährdung im Sinne der BK-Nr. 2402 habe nicht bestanden.
Der TAD der Süddeutschen Metall-Berufsgenossenschaft (Süddeutschen Metall-BG) führte in einer Stellungnahme vom 21. September
2000 aus, in der Firma Edelstahlwerke D. AG seien Nassanalysen bezüglich der Zusammensetzung von Stahl durchgeführt worden.
U.a. seien Silizium, Mangan, Chrom, Nickel, Molybdän, Schwefel und Kohlenstoff analysiert worden. Ein Mitarbeiter habe sich
immer auf die Analyse eines der Elemente spezialisiert. Nach bestimmten Zeitabständen hätten die Zuständigkeiten gewechselt.
Der Versicherte könne sich nicht mehr daran erinnern, welche Analysen er durchgeführt habe. Der Versicherte habe glaubhaft
Kontakt zu Salzsäure, Salpetersäure, Königswasser, Schwefelsäure, Phosphorsäure, Chlorsäure und Flusssäure sowie gegenüber
Brom, Azeton und Trichlormethan gehabt. Mit Trichlormethan sei der Versicherte seinen Angaben zufolge nur kurzzeitig in Kontakt
gekommen.
Nachdem dem Versicherten die Berichte der Technischen Aufsichtsdienste (TAD) vorgelegt worden waren, machte er ergänzende
Angaben zu seiner Tätigkeit bei der Firma G ... Er gab an, in den Anfangsjahren der Beschäftigung seien Versuchsreihen zur
Optimierung von Produkt und Produktionsverfahren mit verschiedenen PVC-Mischungen durchgeführt worden. Diese Testungen hätten
häufig zu thermischen Überbelastungen des PVC-Materials geführt, wobei es zur Zersetzung des Materials gekommen sei. Zwangsläufig
hätten Extruder und Spritzmaschine, möglichst unter Bedingungen nahe der Betriebstemperatur, gereinigt werden müssen. An schwer
zugänglichen Bereichen hätten die Anlagenteile nur im abgekühlten Zustand entfernt werden können, dies sei mit einer Messingbürste
geschehen. Der Versicherte machte darauf aufmerksam, dass Zersetzungsdämpfe auch Dioxin enthalten könnten. Hierzu führte der
TAB Dr. J. aus, es sei richtig, dass bei der thermoplastischen Verarbeitung von PVC durch Extrusion polychlorierte Dibenzodioxine/Dibenzofurane
entstehen könnten. Bei Messungen des BIA an Arbeitsplätzen mit thermoplastischer Verarbeitung von PVC und einem Drucksatz
bis zu 100 kg pro Stunde seien Dioxinkonzentrationen gemessen worden, die etwa den Konzentrationen in der Außenluft großstädtischer
Ballungsräume entsprochen hätten. Nehme man für den Arbeitsplatz des Versicherten als "worst-case" an, dass er dort täglich
einer Belastung von 1 pg/m³ TE in der Luft ausgesetzt gewesen sei, habe er bei einem Gesamtatemvolumen von 10 m3 Luft je Arbeitsschicht
maximal 10 pg TE aufgenommen, der Grenzwert liege bei 50 pg/m3 TE.
In seiner Stellungnahme vom 13. Dezember 2000 führte der Landesgewerbearzt Priv. Doz. Dr. M. aus, den Zusammenhang zwischen
der beruflichen Tätigkeit des Versicherten und der bei ihm diagnostizierten myeloischen Leukämie im Sinne einer BK nach Nr.
1303 oder 2402
Berufskrankheitenverordnung (
BKV) nehme er nicht mit Wahrscheinlichkeit an. Dies begründe sich aus dem Umstand, dass der Versicherte während seiner beruflichen
Tätigkeit weder einer Einwirkung von Benzol noch von ionisierender Strahlung ausgesetzt gewesen sei. Benzol und ionisierende
Strahlung seien die beiden einzigen bekannten beruflichen Einwirkungen, die zu einer Leukämie führen könnten. Hinweise, dass
die übrigen beruflichen Einwirkungen, denen der Versicherte ausgesetzt war, d.h. Bleiverbindungen oder Lösungsmittel, ebenfalls
eine krebserzeugende Wirkung auf die blutbildenden Organe besäßen, lägen nicht vor.
Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 25. Januar 2001 und Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2001 die Anerkennung einer
BK nach den Nrn. 1101, 1303 sowie 2402 der Anlage zur
BKV ab.
Der Versicherte hat dagegen am 11. Mai 2001 beim Sozialgericht Gießen (Sozialgericht) Klage erhoben und geltend gemacht, viele
seiner ehemaligen Arbeitskollegen seien an Krebs erkrankt, dies belege, dass auch die bei ihm ausgebrochene akute myeloische
Leukämie auf seine Tätigkeit als Chemielaborant bei der Firma G. zurückzuführen sei. Bei der Firma G. habe seine Tätigkeit
in dem Herstellen von PVC-Dry-blend-Mischungen im Technikumsmaßstab und deren Erprobung in der Produktion (Spritzguss und
Extrusion) bestanden. Die Mischungen seien bis 130 Grad erhitzt worden, dabei seien gasförmige Stoffe entwichen. Diese hätten
freies Vinylchlorid enthalten. Es sei keine Absaugung vorhanden gewesen. Zum Schutz seien nur Atemmasken aus Papier getragen
worden. Bei den Versuchen habe erreicht werden sollen, die Rezepturen im qualitativen wie auch im wirtschaftlichen Sinne zu
optimieren. Bei der Erprobung in der Produktion sei es deshalb fast täglich zur thermischen Zersetzungen des plastizierten
PVC gekommen. Die Produktionsmaschinen hätten dann von den Zersetzungsprodukten gereinigt werden müssen. Dabei seien weiter
gasförmige Stoffe entwichen. Im Jahre 1975 sei ein Extrusiometer angeschafft worden. Ab diesem Zeitpunkt seien fast nur noch
Mischungen im Labormaßstab (2,5 kg) hergestellt worden. Diese seien dann mit dem Extrusiometer auf ihre rheologischen Eigenschaften
überprüft worden. Die Ausgasungen des Extrudats, das ca. 200 Grad Celsius (C) heiß gewesen sei, seien in das Laboratorium
entwichen. In den 80er Jahren sei ein umluftabhängiger Air-stream-Helm beschafft worden, der nur vor Schwebestoffen geschützt
habe. Anfang der 90er Jahre sei dann erst eine wirksame Absauganlage installiert worden. Er sei bei seiner Tätigkeit auch
gegenüber Benzol exponiert gewesen. Schon beim Aufarbeiten des Roh-PVC's zu Dry-blend trete freies Vinylchlorid aus. Bei der
Verarbeitung des Dry-blend könne es schon ab 140 Grad C zum thermischen Abbau kommen. Es würden karzinogene Stoffe gebildet
und freigesetzt. Dies seien bei einer Abbautemperatur bis 350 Grad C Chlorwasserstoff 96,1 mol-%, Benzol 2,8 mol-%, Toluol
0,3 mol-% und sonstige Kohlenwasserstoffe mit 0,8 mol-%. Dieser Vorgang nenne sich Diels-Alder-Reaktion. Der Versicherte legte
hierzu eine wissenschaftliche Abhandlung von Kemper und Menzel, Abbau von PVC, veröffentlicht in dem Kunststoffhandbuch 2/3,
S. 503 bis 508 vor. Des Weiteren verwies er auf eine Studie von Bassmer und Zwick, Universität Karlsruhe über "Messung des
Giftgascocktails bei Bränden".
Das Sozialgericht hat auf Antrag des Versicherten nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ein hämatologisches, onkologisches und immunologisches Gutachten bei Prof. Dr. GH., Klinikum der VW.Universität in ZX.,
eingeholt. Der Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 11. Januar 2004 zu dem Ergebnis gelangt, dass die bei dem Versicherten
bestehende akute myeloische Leukämie nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sei. Die Erkrankungshäufigkeit
der akuten myeloischen Leukämie betrage in etwa drei bis vier Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr bis zu einem
Alter von 45 Jahren. Darüber finde man einen steilen altersabhängigen Anstieg der Erkrankungsfrequenz von 15 bis 35 Neuerkrankungen
pro 100.000 Einwohner pro Jahr. Die akute myeloische Leukämie trete bei Männern etwas häufiger als bei Frauen auf und mache
etwa 80 % der Leukämien im Erwachsenenalter aus. Die Entstehungsursache der Erkrankung sei medizinisch wissenschaftlich in
der Mehrzahl der Fälle letztendlich ungeklärt. Es seien jedoch Risikofaktoren bekannt, die zur Entstehung der Erkrankung beitragen
könnten. Hierbei spielten vor allem Chemikalien, radioaktive Strahlung und einige zytostatische Chemotherapeutika eine Rolle.
Der Versicherte sei im Verlauf seiner langen beruflichen Tätigkeit als Chemielaborant mehreren chemischen Noxen ausgesetzt
gewesen, die bei der Entstehung bösartiger Erkrankungen eine ursächliche Rolle spielen könnten. Dabei sei er auch Noxen ausgesetzt
gewesen, die teilweise zweifelsfrei eine nachgewiesene Kanzerogenität besäßen. Die einzelnen Noxen könnten jedoch nach bisherigem
wissenschaftlichem Kenntnisstand nicht in direkter Kausalität mit der Entstehung der akuten myeloischen Leukämie beim Versicherten
gesehen werden. Das Zusammenwirken der verschiedenen chemischen Noxen im Verlauf von mehreren Jahrzehnten der beruflichen
Tätigkeit könne jedoch in seiner Endwirkung (z.B. Promotor-Funktion einer einzelnen Substanz im Zusammenwirken von mehreren
Noxen für die Kanzerogenese) für die ursächliche Entstehung der akuten myeloischen Leukämie medizinisch nicht als sicher ausgeschlossen
werden. Somit könne die krankheitsauslösende Ursache der akuten myeloischen Leukämie in diesem Kontext des langjährigen Zusammenwirkens
mehrerer potenzieller chemischer Noxen möglicherweise doch als berufsbedingt angesehen werden.
Das Sozialgericht hat den Personalleiter des Arbeitgebers des Versicherten N. in der mündlichen Verhandlung am 22. Juli 2005
als Zeugen vernommen und durch Urteil vom 12. August 2005 die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat das Gericht
im Wesentlichen ausgeführt, der Nachweis einer beruflichen Belastung gegenüber Benzol sei dem Versicherten nicht gelungen.
Nach Überzeugung des Gerichts stehe nicht mit der geforderten Wahrscheinlichkeit fest, dass einer der genannten chemischen
Stoffe, mit denen der Kläger während seines Berufslebens in Kontakt gekommen ist, ursächlich für die bei ihm aufgetretene
akute myeloische Leukämie sei. Der Sachverständige Prof. Dr. GH. sei zu der Beurteilung gelangt, dass keine der chemischen
Noxen, gegenüber denen der Versicherte exponiert gewesen sei, mit Wahrscheinlichkeit für die Erkrankung des Versicherten verantwortlich
gemacht werden könnten. Es könne auch nicht mit Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass durch das Zusammenwirken mehrerer
Noxen die Erkrankung des Versicherten verursacht worden sei. Insoweit bestehe nur eine gute Möglichkeit des Zusammenhanges,
die erforderliche Wahrscheinlichkeit könne jedoch nicht nachgewiesen werden. Es sei auch nicht der Nachweis erbracht, dass
eine nennenswerte Anzahl von Arbeitnehmern bei dem Arbeitgeber des Versicherten an einer akuten myeloischen Leukämie erkrankt
sei. Insoweit habe der Personalleiter der Firma G. als Zeuge ausgesagt, dass er außer dem Versicherten keinen Beschäftigten
oder ehemaligen Beschäftigten der Firma kenne, der an einer Leukämie erkrankt sei. Die von dem Versicherten aufgelisteten
Fälle beträfen andere Krebserkrankungen, wie Darm-, Brustkrebs oder andere Krebsformen.
Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 22. September 2005 zugestellte Urteil hat der Versicherte mit Schriftsatz vom
17. Oktober 2005 am gleichen Tage per Telefax beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Nach dem Tod des Versicherten
hat seine Ehefrau als seine Rechtsnachfolgerin und Sonderrechtsnachfolgerin das Verfahren fortgeführt. Zu der Behauptung des
Versicherten, Benzol trete als Zersetzungsprodukt von PVC ab einer Temperatur von 140 °C auf, hat der Senat die Beklagte um
Stellungnahme gebeten. Dabei sollten die Empfehlungen des ärztlichen Sachverständigenbeirats "Berufskrankheiten" zur Aufnahme
einer neuen BK "Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphathischen Systems durch Benzol" (veröffentlicht in
GMBl 2007, S. 974 ff.) berücksichtigt werden.
Der TAB Dr. O. hat hierzu zunächst ausgeführt, der Sachverhalt, dass Benzol sich durch eine Diels-Alder-Reaktion nach Abspaltung
von HCI (Chlorwasserstoff) im polymeren PVC bilde, werde in den vom Versicherten vorgelegten Buchauszügen vorgestellt. Dies
scheine jedoch ein Reaktionsweg zu sein, der bei den Verarbeitungstemperaturen und den zu erwartenden Temperaturen bei Störungen
nicht oder in absolut untergeordnetem Maße eintrete. Bei den üblichen Verarbeitungstemperaturen resorbierten als erstes die
eingesetzten Weichmacher und Verarbeitungshilfsmittel. Eine Abspaltung von HCI sei die nächste Reaktion, die dann entstehenden
polymeren Verknüpfungen führten zu einer Querverlinkung der PVC-Ketten. Der komplette Abbau bis zum Benzol erscheine aus seiner
Sicht bei den üblichen Verarbeitungstemperaturen als unbedeutend. Dr. P., Mitarbeiter im Fachbereich II - chemische und biologische
Einwirkungen - am Institut für Arbeitsschutz der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung (BGIA), führte hierzu aus, die
Ausführungen des Dr. O. könnten bestätigt werden: Bei Temperaturen von einigen 100 °C, die zu einer Zersetzung des PVC führten,
könne Benzol nachgewiesen werden. Diese Aussage beziehe sich allerdings auf Laborversuche und nicht auf Praxismessungen. Bei
Verarbeitung von PVC würden dem PVC Wärmestabilisatoren zugemischt, die den Abbau verhindern sollen. Die üblichen Verarbeitungstemperaturen
lägen zwischen 150 und 200 °C. Bei ansteigenden Temperaturen würden zunächst die im PVC enthaltenen Additive freigesetzt,
bei weiterer Energiezuführung erfolge zunehmend eine Zersetzung unter Abspaltung von Chlorwasserstoff und Bildung von Benzol
und anderen Produkten. Die Übergänge seien fließend. Eine genaue Festlegung, bei welchen Temperaturen welche Prozesse einsetzen,
sei nicht möglich. Bei eigenen Pyrolyseversuchen sei Benzol bei 300 °C qualitativ nachweisbar gewesen. Quantitative Aussagen
könnten aufgrund der Versuche nicht gemacht werden. Dem BGIA seien keine systematischen Untersuchungen über das Auftreten
von Benzol als Zersetzungsprodukt an Arbeitsplätzen der PVC-Verarbeitung bekannt. Bei vereinzelten Messungen der Luftkonzentrationen
durch die Berufsgenossenschaften habe die Benzolkonzentration unterhalb der Bestimmungsgrenze gelegen. Die Beklagte legte
außerdem Messprotokolle der PVC-Hersteller QU. und R. AG und einen Artikel von RT. und OA. "Gefährdung durch Vinylchlorid
bei der PVC-Weiterverarbeitung" vor. Unter Bezugnahme darauf führte sie aus, aufgrund dessen gäbe es keine Hinweise auf eine
Gefährdung durch Benzol bei der Bearbeitung von PVC. Auch Dr. S., der mehrere PVC-Hersteller betreue, habe keine andere Auskunft
geben können. Die übersandten Messberichte belegten, dass bei betrieblichen Messungen die Grenzwerte von Arbeitsstoffen, welche
bei thermischer Zersetzung von PVC am leichtesten freigesetzt werden, dauerhaft sicher eingehalten worden seien. Ein weitergehender,
kompletter Abbau bis zum Benzol erscheine deshalb ausgeschlossen, auch im Hinblick auf die von dem Versicherten seit 1967
verrichteten Tätigkeiten.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die überreichten Berichte der Beklagten stammten aus dem Jahre 1974 und 1992. Zum damaligen
Zeitpunkt hätten andere maximale Arbeitsplatzkonzentrationen als heute gegolten. In dem Bericht aus 1992 sei die Rede von
Feinstaub, Cadmium, Blei, Antimontrioxid, Methylmethacrylat, Di-(2-ethylhexyl)-phthalat, Vinylchlorid und Chlorwasserstoff.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 12. August 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 2001 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2001 aufzuheben, die Erkrankung des verstorbenen Versicherten an einer akuten myeloischen
Leukämie als Berufskrankheit nach Nrn. 1101, 1303 bzw. 1318 oder 2402 der Anlage zur
BKV festzustellen,
hilfsweise,
von Amts wegen die Betriebsakte, welche der Technische Aufsichtsdienst für das Mitgliedsunternehmen führt, beizuziehen,
hilfsweise,
von Amts wegen ein unabhängiges arbeitstechnisches Sachverständigengutachten einzuholen,
hilfsweise,
Prof. Dr. NZ. von Amts wegen,
hilfsweise,
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die von der Klägerin aufgezählten Substanzen seien nicht geeignet, eine akute myeloische Leukämie zu verursachen. Dass der
Versicherte gegenüber Benzol exponiert gewesen sei, sei nicht wahrscheinlich.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogene Verwaltungsakte
der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte trotz Abwesenheit der Klägerin und ihres Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung verhandeln
und entscheiden, da der Prozessbevollmächtigte zum Senatstermin ordnungsgemäß geladen und auf die Folgen seines Ausbleibens
hingewiesen worden ist (§
153 Abs.
1 SGG i.V.m. §§
110 Abs.
1 und
126 SGG). Mit Schriftsatz vom 29. November 2010 hatte der Prozessbevollmächtigte im Übrigen ausdrücklich mitgeteilt, er mache von
dem Hinweis in der Ladung Gebrauch, dass auch im Falle seines Ausbleibens verhandelt und entschieden werden könne. Die Berufung
der Klägerin ist zulässig. Dies gilt auch für die von der Klägerin als Rechtsnachfolgerin und Sonderrechtsnachfolgerin des
Versicherten fortgeführte kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage. Nach §
55 Abs.
1 Nr.
3 SGG kann mit der Klage die Feststellung begehrt werden, ob eine Gesundheitsstörung Folge einer BK ist. Eine solche Klage ist
zulässig, wenn ein Beteiligter für die begehrte Feststellung ein Feststellungsinteresse hat. Die Klägerin hat hier als Sonderrechtsnachfolgerin
des Versicherten ein Feststellungsinteresse, weil als Folge der begehrten Feststellung einer BK ein Anspruch auf Geldleistungen,
z.B. in Form einer Lebzeitenrente des Versicherten, bestehen kann, der durch Sonderrechtsnachfolge (§
56 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil -
SGB I) auf sie übergegangen ist. Ein solcher Anspruch ist nach §
59 SGB I nicht erloschen, weil mit dem Verwaltungsverfahren zur Feststellung einer BK auch ein Verfahren über diese Geldleistungen
anhängig geworden ist, das im Zeitpunkt des Todes des Versicherten noch nicht beendet war.
Die Berufung der Klägerin ist jedoch unbegründet, weil sie den von ihr geltend gemachten Feststellungsanspruch nicht hat.
Denn es kann nicht festgestellt werden, dass der Versicherte an einer BK gelitten hat.
Nach §
9 Abs.
1 Sozialgesetzbuch - Siebtes Buch Gesetzliche Unfallversicherung -
SGB VII - sind BKen Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet
und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung
wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen
Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit
in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Das Vorliegen der rechtserheblichen Tatsachen, d.h.
die versicherte Tätigkeit, die Einwirkungen und der BK-typische Körperschaden bedürfen des vollen Beweises, d.h. diese Tatsachen
müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Für die kausale Verknüpfung zwischen diesen Gliedern
reicht hingegen eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, d.h. es müssen mehr Gründe für als gegen den Kausalzusammenhang sprechen
(vgl. hierzu Lauterbach-Koch, Unfallversicherung -
SGB VII, §
9 Rdnr. 143 f.).
Der Versicherte ist im Jahre 1998 an einer akuten myeloischen Leukämie erkrankt. Diese Erkrankung kann nach gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen
Erkenntnissen durch die Einwirkung von ionisierenden Strahlen und von Benzol verursacht werden.
Eine BK nach Nr. 2402 der Anlage zur
BKV - Erkrankung durch ionisierende Strahlen - kommt hier nicht in Betracht, weil der Versicherte nicht einer Gefährdung im Sinne
der BK-Nr. 2402 ausgesetzt war. Die Vernetzung der Polyethylenrohre durch Elektronenstrahlhärtung stellt keine radioaktive
Behandlung dar. Außerdem wurde diese Elektronenstrahlhärtung nicht bei der Firma G. durchgeführt.
Auch eine BK im Sinne der Nr. 1318 der Anlage zur
BKV - Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol - lag bei dem Versicherten nicht
vor. Diese Erkrankungen wurden bis zur Einführung der BK-Nr. 1318 (Bekanntmachung des BMAS vom 30. Dezember 2009 im Gemeinsamen
Ministerialblatt - GMBL - Nr. 5/6 2010) neben anderen Erkrankungen unter der BK-Nr.
1303 entschädigt. §
6 Abs.
1 BKV enthält hierzu folgende Rückwirkungsregelung: Leiden Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit nach Nr. 1318 der Anlage
1, ist die Krankheit auf Antrag als BK anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall vor diesem Tag eingetreten ist. Hinsichtlich
dieser Erkrankung besteht diese besondere Rückwirkungsregel, weil die BK-Nr. 1318 keine neue BK ist. Die besonderen benzolverursachten
Erkrankungen des Blutes wurden aus der bisherigen BK-Nr. 1303 herausgenommen und in einer eigenständigen BK-Nr. definiert.
Aus diesen Gründen ist eine zeitliche Begrenzung der rückwirkenden Anwendung bereits bestehender Erkrankungsfälle nicht gerechtfertigt
(vgl. Mehrtens/Brandenburg,
Berufskrankheitenverordnung, §
6 Rdnr. 5).
Im vorliegenden Fall kann nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der verstorbene
Versicherte während seiner beruflichen Tätigkeit im Entwicklungs- und Kontrolllabor der Firma G. GmbH gegenüber Benzol exponiert
war. Konkrete, das Entwicklungs- und Kontrolllabor oder die Produktionsstätten der Firma G. GmbH betreffende Erkenntnisse
liegen nicht vor. Nach Auskunft des Sicherheitsingenieurs der Firma K. vom 10. Mai 2000 wurden im Unternehmen keine Konzentrationsmessungen
bzw. Arbeitsbereichsanalysen zur Ermittlung der Arbeitsstoffkonzentration bzw. von Gefahrstoffen in der Luft durchgeführt.
Es existieren nach Auskunft der Beklagten auch keine Praxismessungen, die eine Freisetzung von Benzol bei der Verarbeitung
von PVC belegen. Dem BGIA sind keine systemischen Untersuchungen über das Auftreten von Benzol als Zersetzungsprodukt an Arbeitsplätzen
der PVC-Verarbeitung bekannt. Vereinzelte Messungen der Luftkonzentration durch die Berufsgenossenschaften haben lediglich
Benzolkonzentrationen unterhalb der Bestimmungsgrenze gezeigt. Es gibt, wie die Beklagte versichert hat, auch keine anderen
Hinweise auf eine Gefährdung durch Benzol bei der Bearbeitung von PVC. Im Ärztlichen Merkblatt der Bundesregierung zur BK-Nr.
1318, das am 30. Dezember 2009 bekannt gemacht wurde, finden sich unter "Vorkommen und Gefahrenquellen" keine Informationen,
die eine Benzolexposition bei der PVC-Verarbeitung betreffen. Das Merkblatt enthält nur den Hinweis: "Bei der Verbrennung
von organischen Verbindungen und Polymeren kann es zur unerwünschten Bildung von Benzol kommen, z.B. in Gießereien beim Abgießen
von Formen (aus org. Bindemitteln), in Motoren und Auspuffsystemen (aus Alkylbenzolen oder Acetylen), beim Laserschneiden
von speziellen Kunststoffen." Auch der Versicherte hat anhand der von ihm vorgelegten Literatur, der wissenschaftlichen Abhandlung
von Kemper und Menzel über den thermischen Abbau von PVC und einer Studie von Bassmer und Zwick über "Messungen des Giftgascocktails
bei Bränden", nur dargelegt, dass im Rahmen des thermischen Abbaus von PVC als abgespaltenes flüchtiges Produkt auch Benzol
zwar frei werden kann. Laut den Ausführungen in dem von dem Versicherten vorgelegten Aufsatz von Kemper und Menzel kann im
weiteren Ablauf des thermischen Abbaus Benzol zwar frei werden, wenn eine Diels-Alder-Reaktion auftritt und diese intramolekular
verläuft. Diese Reaktion, bei der neben der Bildung von Benzol eine Verkürzung der Polymerketten eintritt, soll bei Temperaturen
oberhalb von 160º Grad C zu beobachten sein. Das Ergebnis und die Erkenntnisse dieser Laborversuche können jedoch nicht zweifelsfrei
belegen, dass der Versicherte während seiner beruflichen Tätigkeit gegenüber Benzol exponiert war. Der TAD-Beamte der Beklagten
Dr. O. und Dr. P. vom BGIA haben für den Senat überzeugend dargelegt, dass diese Erkenntnisse nicht auf die Verhältnisse in
der PVC verarbeitenden Industrie übertragen werden können und sie deshalb nicht geeignet sind, eine Gefährdung des Versicherten
durch Benzol zu belegen. Denn bei der industriellen Verarbeitung werden dem PVC Wärmestabilisatoren beigemischt, wie dies
auch bei der Firma G. GmbH der Fall war, wo Bleisulfat, Bleistearate und Cadmiumstearate für diesen Zweck verwandt wurden.
Die Beimischung der Wärmestabilisatoren soll Abbauerscheinungen des PVC, die sich sonst schon ab 100 bis 120 Grad C in einer
kontinuierlichen Dunkelfärbung bis hin zur völligen Schwärzung und schließlich in einer allmählichen Versprödung äußern (so
die Ausführungen von Kemper und Menzel, aaO.), bei den üblichen Verarbeitungstemperaturen, die zwischen 150 und 200 Grad C
liegen, verhindern, damit eine Be- und Verarbeitung des PVC möglich ist. Bei ansteigenden Temperaturen werden nach Aussage
des Dr. P. zuerst die eingesetzten Weichmacher und Verarbeitungshilfsmittel freigesetzt, erst danach - bei weiter ansteigenden
Temperaturen - findet eine Abspaltung von Chlorwasserstoff statt, die dann entstehenden polymeren Verknüpfungen führen zu
einer Querverlinkung der PVC-Ketten, bei der sich Benzol bilden kann. Es erscheint deshalb, wie Dr. P. dargelegt hat, unwahrscheinlich,
dass sich schon bei den üblichen Verarbeitungstemperaturen ein kompletter Abbau bis zum Benzol vollzieht. Hierfür sprechen
auch die vorliegenden Mess-Berichte aus der PVC-Herstellung, die belegen, dass bei betrieblichen Messungen die Grenzwerte
von Arbeitsstoffen, welche bei thermischer Zersetzung von PVC am leichtesten freigesetzt werden, dauerhaft sicher eingehalten
wurden, und die Ergebnisse anderer Pyrolyseversuche. Bei diesen Versuchen mit PVC wurde erst bei sehr hohen Temperaturen von
um die 300 Grad C Benzol freigesetzt. So berichten Bassmer und Zwick, die bei ihren Versuchen Hart-PVC-Stäbe auf einer Heizplatte
für 50 Minuten bis auf 400 Grad C erhitzt haben, dass die Entwicklung von Gas und Rauch bei einer Temperatur der Heizplatte
von etwa 300 Grad C eingesetzt hat. Bei dieser Pyrolyse von Hart-PVC entstanden bei zunehmender Temperatur ab 300 Grad C zunehmende
Konzentrationen an Chlorwasserstoff (HCL), die ausweichenden Gase enthielten neben anderen Stoffen auch Benzol. Nach Auskunft
des Dr. P. wurden auch beim BGIA Pyrolyseversuche mit PVC durchgeführt. Bei diesen Versuchen war Benzol ebenfalls erst ab
300 Grad C qualitativ nachweisbar. Es kann folglich keinesfalls als gesichert gelten, dass bei den üblichen Verarbeitungstemperaturen
sich ein weitergehender, kompletter Abbauprozess des PVC bis zum Benzol vollzieht. Dies gilt auch für den konkreten hier zu
beurteilenden Fall. Zwar hat der Versicherte vorgetragen, dass es in den Anfangsjahren seiner Tätigkeit, als er zur Optimierung
von Produkt und Produktionsverfahren Versuchsreihen mit verschiedenen PVC-Mischungen durchgeführt hat, in der Produktion häufig
zur thermischen Überbelastung des PVC-Materials gekommen ist. Jedoch hat er auch angegeben, dass in dieser Zeit die Mischungen
des PVC (nur) bis 130 Grad C erhitzt wurden. Dass schon in diesem relativ niedrigen Temperaturbereich Benzol freigesetzt worden
ist, lässt sich unter Berücksichtigung der Untersuchungsergebnisse von Kemper und Menzel schon nicht mit Wahrscheinlichkeit
feststellen.
Es ist auch nicht nachgewiesen, dass der Versicherte im Rahmen seiner anderen Tätigkeiten gegenüber Benzol exponiert war.
Der Versicherte hatte Umgang mit Xylol, wenn er Arbeitskollegen im benachbarten Kontrolllabor gelegentlich als Urlaubsvertretung
unterstützt hat. Xylol wurde dort im laborüblichen Umfang zur Extraktion verwendet, um den Polymerisationsgrad von Polyethylen
als Rohstoff festzustellen. Dies fand unter einem Laborabzug statt. Grundsätzlich konnte früher Xylol auch nicht deklarierte
Anteile von Benzol enthalten (vgl. Merkblatt zur BK-Nr. 1318). So wird in der Empfehlung des ärztlichen Sachverständigenbeirats
"Berufskrankheiten" (GMBl. 2007, S. 995) ausgeführt, dass Xylol in den 1950er Jahren 0,2 bis 5,4 % undeklariertes Benzol enthalten
konnte. Ob das im Kontrolllabor verwandte Xylol Benzol in der Zeit nach 1967 enthalten hat, ist nicht bekannt. Nach Aussage
des TAD wurde bei der Tätigkeit des Versicherten der MAK-Wert von Xylol nicht überschritten, weil der Versicherte nur selten
mit diesem Stoff Umfang hatte, Xylol nur in geringen Mengen und unter einem Laborabzug verwandt wurde. Es gibt keine Hinweise
darauf, dass der Versicherte über Xylol gegenüber Benzol exponiert war.
Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Versicherte während seiner Tätigkeit mit Benzol oder Gemischen, die
Benzol enthalten haben, Hautkontakt hatte, weil er Reinigungsarbeiten mit in Benzol getränkten Lappen ausgeführt oder die
Körperreinigung mangels Wasser mit Benzol erfolgt ist. Für diese im erstinstanzlichen Verfahren im Schriftsatz vom 18. Juni
2004 aufgestellte Behauptung der ehemaligen Prozessbevollmächtigten des Versicherten findet sich weder in den Feststellungen
des TAD noch in den ausführlichen Tätigkeitsbeschreibungen des Versicherten selbst eine Stütze. Dem Versicherten lag die Stellungnahme
des TAD der Beklagten vor. Er hat hierzu ergänzende Angaben gemacht und im Übrigen während des gesamten Verfahrens seine beruflichen
Tätigkeiten bei der Firma G. GmbH detailliert geschildert. Dass der Versicherte dabei auch direkten Hautkontakt mit Benzol
hatte, wird an keiner Stelle von ihm erwähnt.
Da nicht festgestellt werden kann, dass der Versicherte bei seiner beruflichen Tätigkeit gegenüber Benzol exponiert war, konnte
dem Antrag der Klägerin, die Erkrankung des Versicherten an einer akuten myeloischen Leukämie als BK nach Nr. 1303 bzw. 1318
festzustellen, nicht entsprochen werden.
Die Erkrankung des Versicherten ist auch keine Erkrankung durch Blei oder seine Verbindungen im Sinne der BK-Nr. 1101 der
Anlage zur
BKV. Zwar war der Versicherte gegenüber Blei exponiert. Diese Exposition war jedoch nach Aussage des Sachverständigen Prof. Dr.
GH. nicht geeignet, die bei dem Versicherten festgestellte akute myeloische Leukämie zu verursachen.
Die Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden keine Entscheidung getroffen, ob die Erkrankung des Versicherten wie eine
BK nach §
9 Abs.
2 SGB VII anerkannt werden kann. Eine solche Feststellung hat auch die Klägerin nicht beantragt. Auch sie ist der Auffassung, dass
die Beklagte diesbezüglich noch keine Entscheidung getroffen hat (Schriftsatz der Klägerin vom 11. Februar 2006, Bl. 176 GA).
Das Vorliegen einer BK im Sinne des §
9 Abs.
2 SGB VII war folglich nicht Streitgegenstand, so dass diesbezügliche Ermittlungen des Senats nicht durchzuführen waren. Dennoch hat
sich der Sachverständige Prof. Dr. GH. mit dieser Frage befasst und mitgeteilt, dass keine medizinisch wissenschaftlichen
Erkenntnisse vorliegen, ob ein langjähriges Zusammenwirken mehrerer chemischer Noxen krankheitsauslösende Ursache der akuten
myeloischen Leukämie sein kann.
Da folglich nicht nachgewiesen werden konnte, dass der verstorbene Versicherte unter einer BK nach den Nrn. 1101, 1303 bzw.
1318 oder 2402 der Anlage zur BK gelitten hat, war die erstinstanzliche Entscheidung zu bestätigen und die Berufung der Klägerin
zurückzuweisen.
Den Hilfsanträgen der Klägerin musste der Senat nicht folgen: Es bestand keine Veranlassung, die Betriebsakten des TAD der
Beklagten, die Firma G. GmbH betreffend, beizuziehen. Nach Aussage des Sicherheitsingenieurs der Firma wurden keine Messungen
von Gefahrstoffen in der Luft bei der Firma G. GmbH durchgeführt. Auch der Versicherte hat in seinen eigenen Ausführungen
nicht die Behauptung aufgestellt, dass Messdaten über Gefahrstoffemissionen bei seinem ehemaligen Arbeitgeber vorliegen. Es
gibt auch keine anderen Anhaltspunkte oder Hinweise dafür, dass in den Betriebsakten innerbetriebliche Messdaten vorliegen,
die über die Exposition des Versicherten gegenüber Gefahrstoffen Auskunft geben könnten. Soweit es sich um BK-Verdachtsanzeigen
oder BK-Krankheitsanzeigen handelt, hat der Zeuge N. als Personalleiter der Firma bereits in seiner Vernehmung vor dem Sozialgericht
mitgeteilt, dass seines Wissens nur der Kläger aus dem Kreis der Beschäftigten an Leukämie erkrankt ist und das Unternehmen
in anderen von ihm genannten Fällen von Krebserkrankungen keine Unternehmeranzeige erstattet hat. Die Klägerin hat zu ihrem
Antrag keine Angaben gemacht, über welche konkreten Fragen oder Sachverhalte die Betriebsakten Auskunft geben können. Sie
hat nur den allgemeinen Hinweis gegeben, dass die Betriebsakten Berichte über Betriebsbegehungen, Messberichte, Einzelanordnungen
des TAD, Häufungen von Verdachtsanzeigen bzw. BK-Krankheitsanzeigen u.ä. enthalten können.
Der Senat sah sich auch nicht veranlasst, ein arbeitstechnisches Gutachten einzuholen. Es liegen der Ermittlungsbericht des
TAD der Beklagten und ausführliche Tätigkeitsbeschreibungen des Versicherten selbst vor. Zu der in Frage stehenden Exposition
des Versicherten gegenüber Benzol haben der TAD der Beklagten und das BGIA, dessen Sachkompetenz bekannt ist, Auskünfte gegeben
und ihre Beurteilung mitgeteilt. Der Senat hatte keine Veranlassung, die Richtigkeit dieser Auskünfte, Aussagen und Beurteilungen
anzuzweifeln. Im Übrigen hat die Klägerin nicht angegeben, zu welchen noch offenen Fragen oder ungeklärten Sachverhalten ein
arbeitstechnisches Gutachten eingeholt werden soll.
Dies gilt auch für ihren Antrag, Prof. Dr. NZ., der ein erfahrener arbeitsmedizinischer Sachverständiger ist, zu hören. Zu
der Frage, ob die bei dem Versicherten bestehende akute myeloische Leukämie mit Wahrscheinlichkeit auf die versicherte Tätigkeit
des Versicherten zurückzuführen ist, hat das Sozialgericht auf Antrag des Versicherten ein hämatologisches, onkologisches
und immunologisches Gutachten bei Prof. Dr. GH. eingeholt. Die Frage, ob ein langjähriges Zusammenwirken mehrerer chemischer
Noxen krankheitsauslösende Ursache der akuten myeloischen Leukämie sein kann, d.h. ob ein Fall von Synkanzerogenese hier vorliegt
und eine BK im Sinne des §
9 Abs.
2 SGB VII in Betracht kommt, war hier, wie bereits ausgeführt, nicht Streitgegenstand. Der Senat musste deshalb den Antrag der Klägerin,
Prof. Dr. NZ. hierzu von Amts wegen oder hilfsweise nach §
109 SGG zu hören, nicht folgen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG, die über die Nichtzulassung der Revision aus §
160 SGG.