SGB-XII-Leistungen
Zuschuss für Essen auf Rädern
Vorliegen und Prüfung der Prozessfähigkeit
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf einen Zuschuss in Höhe von 2,30 Euro kalendertäglich für "Essen
auf Rädern" nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - SGB XII im Zeitraum vom 12. Juli 2007 bis 26. September 2009.
Der Kläger bezieht laufende Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII. Am 12. Juli 2007 beantragte er einen Zuschuss für die Möglichkeit, Essen auf Rädern in Anspruch zu nehmen. Zur Begründung
legte er eine Kopie seines Schwerbehindertenausweises sowie ein Attest seines Hausarztes Dr. C. vom 5. Juli 2007 vor. Hierin
bestätigt der Facharzt für Allgemeinmedizin, dass die deutschen Leitlinien zur arteriellen Hypotonie eine Natriumreduktion
als wichtige nicht-medikamentöse Maßnahme zur Besserung des Blutdruckes enthielten.
Mit Bescheid vom 2. August 2007 lehnte der Beklagten den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger gehöre nicht zum anspruchsberechtigten
Personenkreis. Hiergegen legte der Kläger am 13. August 2007 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, er beziehe eine
Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer und zähle zu dem Personenkreis schwerbehinderter Menschen mit erheblicher Geh-
und Stehbehinderung nach dem
SGB IX. Aus dem ohnehin zu niedrig bemessenen Regelsatz sei er nicht in der Lage, die Kosten in Höhe von 5,00 Euro täglich für das
Essen auf Rädern aufzubringen. Es sei zu berücksichtigen, dass er auch wegen seiner weiteren Erkrankungen (Diabetes mellitus
und Hypotonie) aus medizinischer Sicht natriumverminderte Diabeteskost benötige. Ihn allein infolge einer noch nicht erreichten
Altersgrenze von der beantragten Leistung ausschließen zu wollen, sei rechtsmissbräulich.
Am 22. November 2007 hat der Kläger Untätigkeitsklage, gerichtet auf die Bescheidung seines Widerspruchs zum Sozialgericht
Gießen erhoben (Az.: S 18 SO 245/07).
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2007 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, Essen
auf Rädern stelle eine Dienstleistung dar, die ihren Bezieher das Beschaffen und Zubereiten einer warmen Mahlzeit abnehme.
Einen Anspruch auf einen Zuschuss zum Bezug dieser Dienstleistung könne bei Vorliegen sonstiger Voraussetzungen nur dann bestehen,
wenn es dem Antragsteller nicht möglich oder zumutbar sei, seine Nahrung selbst zu beschaffen und zuzubereiten. Der Kläger
habe jedoch nicht nachgewiesen, dass ihm dies nicht möglich sei. Er habe auf den bei ihm festgestellten Grad der Behinderung
mit Merkzeichen "G" hingewiesen, daraus folge jedoch nicht, dass ihm eine eigenständige Zubereitung von Mahlzeiten unmöglich
oder unzumutbar sei. Soweit der Kläger auf den Bedarf an einer besonderen Kostform aus medizinischen Gründen verweise, sei
diese Kostform nicht an die Zubereitung der Mahlzeiten durch einen Anbieter von "Essen auf Rädern" gebunden. Daher könne auch
aus diesem Bedarf an einer besonderen Kostform kein Anspruch auf einen Zuschuss für den Bezug von Essen auf Rädern bestehen.
Die Bewilligung einer Leistung für Essen auf Rädern erfolge im Allgemeinen im Rahmen der Altenhilfe nach § 71 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII. Der Kläger sei jedoch nach diesen Vorschriften nicht anspruchsberechtigt. Er sei zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids
erst 49 Jahre alt. Die Gewährung von Altenhilfe setze nicht zwangsläufig die Vollendung des 65. Lebensjahres voraus, sondern
könne in begründeten Fällen auch schon ab dem 60. Lebensjahr einsetzen. Diese Altersgrenze habe der Kläger jedoch nicht erreicht.
Am 9. Januar 2008 hat der Kläger hiergegen Klage zum Sozialgericht Gießen (Az.: S 20 SO 9/08) erhoben. Mit Beschluss vom 12.
Februar 2008 hat das Sozialgericht die Streitsachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung gemäß §
113 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz verbunden.
Der Kläger hat vorgetragen, es komme ihm im Wesentlichen darauf an, sich entsprechend der bei ihm vorliegenden Erkrankung,
Diabetes mellitus und natriumdefiniert ernähren zu können und einmal täglich eine gesunde, ausgewogene warme Mahlzeit zu sich
nehmen zu können. Dies sei aus den Regelsatz nicht möglich.
Mit Urteil vom 27. März 2012 hat das Sozialgericht die Klagen abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es bestehe kein Anspruch
auf die Gewährung von Zuschüssen für Essen auf Rädern. Anspruchsgrundlage für eine derartige Leistung seien insbesondere §§
71, 30, 31 und 34 SGB XII. Voraussetzung aller genannten Anspruchsgrundlagen sei, dass die Gewährung der Leistung notwendig sei, um die regelmäßige
Versorgung des Leistungsbeziehers mit gekochten Nahrungsmitteln sicherzustellen. Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen
lägen bei dem Kläger eindeutig nicht vor. Insbesondere aus den von ihm vorgelegten Schwerbehindertenausweis und den ärztlichen
Attesten seines Hausarztes ergebe sich in keiner Weise, dass es ihm nicht möglich sei, sich selbst Mahlzeiten zuzubereiten.
Die vom Hausarzt erwähnte Tatsache, dass der Kläger insbesondere wegen des bei ihm bestehenden Diabetes mellitus nicht jede
Kost zu sich nehmen könne, beeinflusse die Tatsache, ob er sich Mahlzeiten selbst zubereiten könne, in keiner Weise. Auch
die Tatsache, dass bei ihm das Merkzeichen "G" nach dem Schwerbehindertenrecht anerkannt sei, führe zu keiner anderen Beurteilung.
Dieses Merkzeichen werde nämlich schon dann anerkannt, wenn es dem Antragsteller nicht möglich ist, eine Fußstrecke von 1500
Metern innerhalb einer halben Stunde zurückzulegen. In diesem Grenzbereich sei aber die Besorgung und Zubereitung von Lebensmitteln
jederzeit möglich. Seine ausreichende Mobilität habe der Kläger selbst durch seine zahlreichen Gerichtsbesuche nachgewiesen.
Mit am 28. April 2012 beim Sozialgericht eingegangenen Schriftsatz vom 27. April 2012 hat der Kläger den Bescheid der Beklagten
vom 15. Oktober 2009 über die Ablehnung des Antrags vom 27. September 2009 auf Gewährung eines Essenszuschusses für "Essen
auf Rädern" sowie einen weiteren diesbezüglichen Ablehnungsbescheid vom 19. Januar 2012 vorgelegt. Er hatte gleichzeitig ein
ärztliches Attest des Internisten Dr. D. vom 4. Dezember 2009 vorgelegt, wonach bei ihm eine koronare Herzkrankheit, arterielle
Hypertonie, periphere arterielle Verschlusskrankheit und eine chronische Depression vorliege. Er sei aufgrund dieser Erkrankungen
nicht in der Lage, die für ihn dringend notwendige Diabetesdiät einzuhalten, so dass auf Dauer das Auftreten von Diabetesfolgeschäden
zu befürworten (gemeint wohl: befürchten) sei. Gebe man ihm die Möglichkeit, Essen auf Rädern zu bekommen, könne man diese
Folgeschäden voraussichtlich vermeiden. Weiterhin hat der Kläger ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß
dem
SGB XI des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Hessen, Geschäftsbereich Pflege vom 14. Dezember 2009 vorgelegt.
Gegen das ihm am 3. Mai 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 12. Mai 2012 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht
eingelegt.
Der Kläger trägt unter Vorlage einer aus dem Verfahren vor dem Sozialgericht Gießen, Az. S 18 SO 11/10 VR, eingeholten Stellungnahme
des MDK Hessen vom 19. Juni 2012 vor, eine ausgewogene und vor allem gesunde Ernährung im Rahmen einer Diabetes Diät von ca.
2000 kcal verteilt auf sechs Mahlzeiten täglich sei in dem im Regelsatz der Grundsicherung enthaltenen Ernährungsanteil nicht
ansatzweise finanzierbar.
Mit Schriftsatz vom 19. September 2012 teilt der Kläger auf entsprechende gerichtliche Anfrage mit, er könne selbstverständlich
keinerlei Rechnungen, Zahlungsbelege oder ähnliches für "Essen auf Rädern" für den Zeitraum vom 12. Juli 2007 bis 26. September
2009 vorlegen, da er mittellos sei und ihm eine Krankenkostzulage bislang stets rechtswidrig verweigert worden sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 27. März 2012 aufzuheben, und den Beklagten zu verurteilen, über seinen Widerspruch
gegen den Bescheid vom 2. August 2007 zu entscheiden, sowie
den Bescheid des Beklagten vom 2. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Dezember 2007 aufzuheben und
den Beklagten zu verurteilen, ihm ein kalendertäglichen Zuschuss von 2,30 € für Essen auf Rädern zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Beklagtenakte, welche Gegenstand
der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Gründe
Die Berufung ist bereits unzulässig, weil bei dem Kläger die Prozessfähigkeit, die Voraussetzung für die wirksame Abgabe einer
prozessualen Erklärung wie der Erhebung einer Berufung ist, nicht vorliegt.
Ein Beteiligter ist gemäß §
71 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) prozessfähig, soweit er sich durch Verträge verpflichten kann. Prozessfähigkeit ist die Fähigkeit, einen Prozess selbst
oder durch einen selbst bestellten Prozessbevollmächtigten zu führen, Verfahrenshandlungen (Prozesshandlungen) selbst oder
durch einen selbst bestellten Vertreter wirksam vorzunehmen und entgegenzunehmen (vgl. Leitherer in Meyer Ladewig/Keller/Leitherer,
Kommentar zum
SGG, 9. Auflage, §
71 Rn. 1a, 3). Die Prozessfähigkeit ist eine Prozessvoraussetzung und in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen
(§
71 Abs.
6 in Verbindung mit §
56 Abs.
1 Zivilprozessordnung ZPO). Ist der Kläger prozessunfähig, muss die Klage als unzulässig abgewiesen werden. Dies gilt entsprechend für Antrags- und
Beschwerdeverfahren, weil sich bei der Prozessfähigkeit quasi um die prozessuale Geschäftsfähigkeit handelt (vgl. Leitherer
a. a. O; Rosenberg in Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Auflage, § 44 I). Im Hinblick auf die Durchführung
sozialgerichtlicher Streitverfahren gegen den Sozialhilfeträger ist die zumindest seit April 2008 bestehende partielle Prozessunfähigkeit
des Antragstellers festgestellt. Diesbezüglich wird auf den Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 23. Februar
2011 (Az.: L 9 SO 58/09 B) und die Beschlussgründe Bezug genommen Der erkennende Senats hat sich im Rahmen der persönlichen
Anhörung des Klägers am heutigen Tage im Verfahren mit dem Az. L 4 SO 81/12 B nochmals von dem Fortbestehen der partiellen
Prozessunfähigkeit des Klägers überzeugt, auf die Gründe des Beschlusses des Senats vom heutigen Tage (Az. L 4 SO 81/12 B)
Bezug genommen.
Der Bestellung eines besonderen Vertreters für den Antragsteller bedurfte es im vorliegenden Verfahren nicht. Nach §
72 Abs.
1 SGG kann der Vorsitzende für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter bis zum Eintritt eines Vormundes,
Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen,
zustehen. Die Bestellung ist nicht notwendig, wenn das Anliegen offensichtlich haltlos, das Rechtsmittel unzulässig oder offensichtlich
unbegründet ist (vgl. Leitherer a. a. O. § 72 Rn. 2c).
Dies ist hier der Fall, da die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 27. März 2012 offensichtlich unbegründet
ist.
Die Untätigkeitsklage ist - worauf das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat - in der Hauptsache durch den Erlass der Widerspruchsbescheide
vom 19. Dezember 2007 erledigt, ein Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich der erhobenen Untätigkeitsklage besteht nicht.
Der Kläger hat weiterhin keinen Anspruch auf einen Zuschuss für Essen auf Rädern für den hier allein streitgegenständlichen
Zeitraum vom 12. Juli 2007 bis zum 26. September 2009.
Durch den am 27. September 2009 gestellten erneuten Antrag auf einen Essenszuschuss für Essen auf Rädern wird der Gegenstand
des Rechtsstreits auf den vorgenannten Zeitraum beschränkt. Richtet sich die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß
§
54 Abs.
1 und 4 Sozialgerichtsgerichtsgesetz, §
56 SGG gegen die vollständige Versagung von Leistungen ohne zeitliche Begrenzung, ist auf einen zeitlich unbestimmten Leistungsantrag
Gegenstand des Rechtsstreits grundsätzlich der gesamte Zeitraum bis zur Entscheidung des Gerichts, und zwar unter Berücksichtigung
aller tatsächlichen oder rechtlichen Änderungen, ohne dass es eines neuen Bescheids bedarf, es sei denn, der Leistungsträger
hat - wie hier - auf einen weiteren Leistungsantrag für einen späteren Zeitraum einen neuen Ablehnungsbescheid mit der Folge
erlassen, dass sich der zunächst angefochtene Bescheid insoweit gemäß § 39 Abs. 2 SGB X erledigt hat (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006, Az.: B 7b AS 14/06 R, vom 16. Mai 2007, Az.: B 11b AS 37/06 R, vom 31.Oktober 2007, Az.: B 14/11b AS 59/06 R und 7/07 R, vgl. ebenso BSG, Urteil vom 11. Dezember 2007, Az.: B 8/9b SO 12/06 R). Der weitere Versagungsbescheid ist auch nicht gemäß §
96 Abs.
1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden, da die bloße Versagung auf unbestimmte Zeit keinen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung darstellt,
der allein abgeändert oder ersetzt werden kann (BSG, Urteil vom 11. Dezember 2007, Az.: B 8/9b SO 12/06 R).
Der geltend gemachte Anspruch des Klägers ist bereits deshalb zu versagen, weil ihm kalendertägliche Aufwendungen in der streitgegenständlichen
Höhe in dem genannten Zeitraum für Essen auf Rädern nicht tatsächlich entstanden sind.
Der Anspruch des Klägers auf Übernahme der geltend gemachten Kosten für Essen auf Rädern setzt voraus, dass der Kläger überhaupt
im streitigen Zeitraum die geltend gemachten Kosten aufgewendet hat, Essen auf Rädern im Wege der "Selbstbeschaffung" in Anspruch
genommen und dieses auf andere Weise bezahlt hat, oder er die Bezahlung noch schuldet. Aufgabe der Sozialhilfe ist es nämlich
nicht, nachträglich Leistungen zu erbringen, wenn der Bedarf hierfür mittlerweile entfallen ist (vgl. BSG, Urteil vom 11. Dezember 2007, B 8/9b SO 12/06 R, SozR 4-3500 § 21 Nr. 1 RdNr. 11 für die Übernahme von Kosten für eine Haushaltshilfe nach dem SGB XII unter Hinweis auf BVerwGE 90, 154, 156; 91, 245, 247 f; 94, 127, 135; 96, 152; vgl. auch für den Bereich des SGB II: BSG, Urteil vom 17. Juni 2010, B 14 AS 58,09 R, BSGE 106, 190, RdNr. 21 unter Hinweis auf BSGE 89, 50, 56 f = SozR 3-3300 § 12 Nr. 1 S 8 = juris RdNr 36, zur Übernahme von Mietschulden, wonach die im Sozialversicherungsrecht
geltende Pflicht zur Kostenerstattung bei nicht rechtzeitiger oder zu Unrecht verweigerter Sachleistung als allgemein gültiges
Rechtsprinzip angesehen wird). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, denn der Kläger hat nach Aufforderung des Senats
im Berufungsverfahren keine Unterlagen hierüber vorgelegt. Vielmehr ergibt sich aus seinem Vortrag, dass er kein Essen auf
Rädern im streitgegenständlichen Zeitraum in Anspruch genommen hat.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 SGG waren nicht gegeben.