Anspruch auf Überbrückungsgeld; Beurteilung der Tragfähigkeit der Existenzgründung; Auswahl einer fachkundigen Stelle für
die Berufsgruppe der Berufsbetreuer
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Bewilligung von Überbrückungsgeld für die Zeit ab dem 1. März 2002.
Die im Jahre 1951 geborene Klägerin arbeitete bis zum 30. Juni 2001 als Büroleiterin bei einem privaten Pflegedienst. Ab dem
1. Juli 2001 bezog sie von der Beklagten Arbeitslosengeld in Höhe von 509,88 DM wöchentlich (1.580,00 DM Bemessungsgeld, Leistungsgruppe
A/0 - Bescheid vom 12. Juli 2001).
Am 8. Januar 2002 beantragte die Klägerin die Gewährung von Überbrückungsgeld zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit.
Als Existenzgründungsvorhaben nannte sie die "gesetzliche Betreuung von hilfsbedürftigen Menschen". Die Betreuungsstelle des
Kreises HO. gab am 1. Februar 2002 ein positives Votum zur Tragfähigkeit der Existenzgründung ab. Auf dem Formblatt der Beklagten
"Stellungnahme der fachkundigen Stelle zur Tragfähigkeit der Existenzgründung nach §
57 Abs.
2 Nr.
2 SGB III" gab diese an, dass u. a. die Voraussetzungen für das Existenzgründungsvorhaben in fachlicher, branchenspezifischer, kaufmännischer
und auch unternehmerischer Hinsicht erfüllt seien, erachtete darüber hinaus das Leistungsangebot als konkurrenzfähig und sah
die zu erwartenden Einkünfte aus der Tätigkeit als voraussichtlich für eine Lebensgrundlage als ausreichend an. Einer Aufforderung
der Beklagten vom 18. März 2002, eine fachkundige Stellungnahme der Industrie- und Handelskammer (IHK) vorzulegen, kam die
Klägerin mit dem Hinweis nicht nach, dass eine solche nach § 55a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) nicht erforderlich sei. In ihrem Falle sei eine Bestätigung der Betreuungsbehörde ausreichend.
Die Tätigkeit als Berufsbetreuerin nahm die Klägerin am 1. März 2002 auf. Den Antrag auf Gewährung von Überbrückungsgeld lehnte
die Beklagte mit Bescheid vom 7. Mai 2002 im Wesentlichen mit der Begründung ab, die Klägerin habe in ihrem Antrag angegeben,
dass sie keine eigene Unternehmensorganisation (eigene Geschäftsräume, eigenes Betriebskapital) habe. Dies seien jedoch Kriterien,
die eine selbstständige Tätigkeit ausmachten, die Klägerin sei somit nach ihren eigenen Angaben im Antrag nicht selbstständig.
Zudem sei die Tragfähigkeit für eine Existenzgründung nach ihren Feststellungen nicht gegeben. Hiervon könne nur ausgegangen
werden, wenn voraussichtlich dauerhaft ein monatliches Bruttoeinkommen von rund 3.500,00 DM erzielt werde.
In ihrem Widerspruch hiergegen machte die Klägerin geltend, die Frage in dem Antrag zu dem Punkt Unternehmensorganisation
falsch beantwortet zu haben. Für ihre Tätigkeit als Betreuerin benötige sie einen Pkw, ein Arbeitszimmer, eine Computeranlage
mit Drucker, Scanner, Fax-Gerät und einen eigenen Telefonanschluss sowie diverse Arbeitsmittel. Voraussichtlich werde sie
im Jahr zwischen 12.000 km und 15.000 km beruflich mit dem Pkw zurücklegen. Unter Beifügung ihrer Abrechnungen für die Monate
April und Mai 2002 wies sie darauf hin, dass sie hochgerechnet ein Jahreseinkommen von ca. 40.000 EUR brutto erzielen könne.
Sie betreue derzeit 14 Personen, eine volle monatliche Auslastung werde mit 16 bis 22 zu betreuenden Personen erreicht sein.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. September 2002 zurück. In den Gründen heißt es, die Klägerin
habe trotz eindeutiger Aufforderung keine Stellungnahme der IHK als fachkundig zuständige Stelle vorgelegt. Die Betreuungsbehörde
sei keine fachkundige Stelle im Sinne des §
57 Abs.
2 Nr.
2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III). Zwar sei die gesetzliche Aufzählung nicht abschließend, jedoch sei wie im vorliegenden Fall die Einstufung gerade des Vertragspartners
als fachkundige Stelle nicht nachvollziehbar. Der Hinweis auf Ausführungen zu § 55a AFG sei wegen Ungültigkeit des Gesetzes für Fälle aus 2002 nicht einschlägig, daneben weise insbesondere die erwähnte Fassung
keine Aufzählung fachkundiger Stellen auf. Der Antrag sei damit mangels Vorliegens aller Bewilligungsvoraussetzungen abzulehnen
gewesen.
Hiergegen hat die Klägerin am 28. Oktober 2002 Klage bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben. Zu ihrer Begründung
hat sie vorgebracht, sie sei weder für die Betreuungsbehörde tätig, noch sei sie deren Vertragspartnerin. Ihre Aufträge erhalte
sie von den Amtsgerichten Offenbach, Langen, Seligenstadt und Fürth im Odenwald, ihre Vertragspartner seien letztlich die
Betreuten. Die Finanzierung der Tätigkeit erfolge durch Vergütungen und Aufwandsentschädigungen gemäß §§
1835,
1836 i.V.m. § 1908i
Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB). Die Aufgaben der Betreuungsbehörden seien in den §§ 4 - 8 Betreuungsbehördengesetz (BtBG) geregelt und beinhalteten insbesondere die Beratung und Unterstützung der Betreuer sowie deren Auswahl. Da die Aufzählung
der fachkundigen Stellen in §
57 SGB III nicht abschließend sei, spreche überhaupt nichts dagegen, diese Behörde als fachkundige Stelle zu betrachten. Folgerichtig
würden bundesweit von den jeweils zuständigen Arbeitsämtern - mit Ausnahme der Beklagten - die Stellungnahmen der Betreuungsbehörden
als fachkundige Stellungnahmen akzeptiert.
Mit Gerichtsbescheid vom 6. Juli 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung, wegen derer näheren Einzelheiten
auf die Gerichtsakte Bezug genommen wird, im Wesentlichen ausgeführt: Die von der Klägerin vorgelegte Stellungnahme der Betreuungsstelle
des Kreises HO. reiche als Stellungnahme einer fachkundigen Stelle im Sinne des §
57 Abs.
2 Nr.
2 SGB III nicht aus. Für die Stellungnahme der fachkundigen Stelle sei die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmensidee, die zu ihrer
Umsetzung erforderliche fachliche Qualifikation des Antragstellers sowie die betriebswirtschaftliche Solidität des Unternehmenskonzeptes
maßgeblich. Durch das zweite Änderungsgesetz zum
SGB III sei der Kreis der fachkundigen Stellen durch eine Insbesondere-Regelung gesetzlich präzisiert worden. Die Begründung des
Gesetzesentwurfes vermittele den Eindruck einer fast abschließend gemeinten Regelung. Wegen des klaren Wortlauts des Gesetzes
könne die Insbesondere-Regelung nur im Sinne eines besonders hohen Maßstabes verstanden werden. Dies sei bei der Betreuungsstelle
nicht der Fall, die zwar aus ihrer Sicht einen Teil der Voraussetzungen des §
57 SGB III beurteilen könne, nicht aber zum Beispiel die betriebswirtschaftliche Solidität des Unternehmenskonzeptes. Dies dokumentiere
sich vorliegend auch darin, dass der Vordruck von dort nur unvollständig ausgefüllt worden sei.
Gegen den ihr am 14. Juli 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 10. August 2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung
wiederholt und vertieft sie im Wesentlichen ihr Vorbringen aus den erstinstanzlichen Verfahren. Die Klägerin hebt hervor,
dass es sich bei der Tätigkeit des Berufsbetreuers um eine selbstständige Tätigkeit handele und legt dazu das von den Berufsverbänden
herausgegebene "Berufsbild für Berufsbetreuer" vor. Das Sozialgericht habe nicht erläutert, warum gerade die Betreuungsstelle
unqualifiziert sei. Die Aufzählung der fachkundigen Stellen sei im Gesetz nicht abgeschlossen, Antragsteller könnten nach
wie vor Stellungnahmen anderer Stellen zu den Erfolgsaussichten der Existenzgründung vorlegen. Die Betreuungsstelle des Kreises
HO. habe auch klar und eindeutig bestätigt, dass das Leistungsangebot, auch in absehbarer Zukunft, konkurrenzfähig sei. Wenn
bei den Ziffern 2 bis 4 unter B der Bescheinigung "entfällt" angegeben worden sei, so liege das in der Natur der Sache. Die
Klägerin mache keine Umsätze im klassischen Sinne und setze auch kein Kapital ein. Dies schließe jedoch keineswegs die volle
Förderung nach §
57 SGB III aus.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 6. Juli 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. Mai 2002
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. September 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihren Antrag auf
Bewilligung von Überbrückungsgeld vom 8. Januar 2002 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Zu dem Vortrag der Klägerin, die IHK könne nur Gutachten erstellen,
soweit es sich um einen Gewerbebetrieb handele, weist sie darauf hin, dass die Klägerin jederzeit die Möglichkeit gehabt habe,
(stattdessen) zum Beispiel bei einem Steuerberater eine fachkundige Stellungnahme einzuholen.
Wegen des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des
Verwaltungsvorgangs der Beklagten sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 15. Januar 2008 und 21. November 2008 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist gemäß den §§
143,
144 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist auch begründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Neubescheidung
ihres Antrages auf Gewährung von Überbrückungsgeld vom 8. Januar 2002 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 7. Mai 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. September 2002 ist rechtswidrig
und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§
54 Abs.
2 SGG).
Das Sozialgericht und auch die Beklagte gehen zu Unrecht davon aus, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen nach §
57 Abs.
1 SGB III für die Gewährung von Überbrückungsgeld an die Klägerin nicht erfüllt seien.
Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch ist §
57 Abs.
1 SGB III (i.d.F. des Gesetzes vom 10.12.2001 - BGBl. I S. 3443 -). Danach können Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden,
zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Überbrückungsgeld erhalten.
Überbrückungsgeld kann geleistet werden, wenn der Arbeitnehmer in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbstständigen
Tätigkeit oder der vorgeschalteten Teilnahme an einer Maßnahme zu deren Vorbereitung Entgeltersatzleistungen nach dem
SGB III bezogen hat oder einen Anspruch darauf hätte (§
57 Abs.
2 Nr.
1 Buchstabe a)
SGB III) oder eine Beschäftigung ausgeübt hat, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme oder als Strukturanpassungsmaßnahme gefördert
worden ist (§
57 Abs.
2 Nr.
1 Buchstabe b)
SGB III) und eine Stellungnahme einer fachkundigen Stelle über die Tragfähigkeit der Existenzgründung vorgelegt hat. Fachkundige
Stellen sind insbesondere die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, berufsständischen Kammern, Fachverbände und
Kreditinstitute (§
57 Abs.
2 Nr.
2 SGB III). Das Überbrückungsgeld wird für die Dauer von sechs Monaten geleistet (§
57 Abs.
3 Satz 1
SGB III).
Diese Voraussetzungen sind im Falle der Klägerin erfüllt, weil sie durch Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit am 1. März
2002 ihre Arbeitslosigkeit beendet und auch eine positive Stellungnahme einer geeigneten fachkundigen Stelle über die Tragfähigkeit
der Existenzgründung vorgelegt hat.
Ein - vorliegend sogar unmittelbarer - Vorbezug von Entgeltersatzleistungen ist gegeben. Die Klägerin hat vom 1. Juli 2001
bis zum 28. Februar 2002 von der Beklagten Arbeitslosengeld bezogen. Sie hat auch eine selbstständige Tätigkeit aufgenommen.
Die von ihr am 1. März 2002 aufgenommene Tätigkeit als Berufsbetreuerin erfüllt sämtliche an eine selbstständige Erwerbstätigkeit
zu stellenden Anforderungen.
Da grundsätzlich jede Art von selbstständiger Tätigkeit im Rahmen der Leistungsgewährung nach §
57 SGB III förderungsfähig ist, soweit sie gesetzlich zulässig ist und keine strafbare Handlung darstellt (Link in: Eicher/Schlegel,
SGB III, §
57 Rz. 43), kommt auch eine solche als Berufsbetreuer in Betracht. Ein Berufsbetreuer ist dabei jemand, der rechtliche Betreuungen
(§§
1896 ff.
BGB) ausübt indem er für Menschen, die wegen einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung
ihre rechtlichen Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr selbst regeln können, Betreuungen führt. Die Tätigkeit kann
in abhängiger Beschäftigung oder selbstständig ausgeübt werden.
Die Klägerin übt die Tätigkeit selbstständig aus. Anhaltspunkte die hiergegen sprechen könnten, sind für den Senat nicht ersichtlich.
Die Klägerin arbeitet weisungsunabhängig, kann ihre Tätigkeit, auch zeitlich, frei gestalten, handelt in eigenem Namen und
auf eigene Rechnung. Auch liegt eine - der Art der selbstständigen Tätigkeit entsprechende - unternehmerische Organisation
und auch ein unternehmerisches Risiko vor. Die Klägerin unterhält nach eigenen Angaben im Hause ihres Ehemannes zwei vollständig
eingerichtete Büroräume und verfügt über ein hauptsächlich beruflich genutztes Kraftfahrzeug. Die Bestellung zum Betreuer
erfolgt einzelfallbezogen durch die örtlich zuständigen Vormundschaftsgerichte. Insofern muss die Klägerin sich "am Markt"
behaupten und sich und ihre Tätigkeit immer wieder neu bei den Gerichten bewerben.
Im Gegensatz zu der langjährigen allgemeinen Auffassung der selbstständig tätigen Berufsbetreuer und ihrer Berufsverbände,
wonach Berufsbetreuer steuerrechtlich Freiberufler seien, hat der Bundesfinanzhof allerdings am 4. November 2004 entschieden,
dass die Berufsbetreuung eine gewerbliche Tätigkeit ist (BFH IV R 26/03, FamRZ 2005, 516). Dies hat die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zwischenzeitlich in mehreren Entscheidungen bestätigt (Niedersächsisches
Oberverwaltungsgericht vom 29. August 2007 - 7 LC 125/06; Bundesverwaltungsgericht vom 11. März 2008 - BVerwG 6 B 2.08).
Obgleich ihr unternehmerischer Status von der Klägerin im Verfahren mehrfach thematisiert wurde, kommt es auf die Unterscheidung
zwischen gewerblicher oder freiberuflicher Tätigkeit für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits indes nicht an.
Zwar beurteilt die IHK die Tragfähigkeit der Existenzgründung von Gewerbebetrieben. Jedoch war die Klägerin nicht verpflichtet
eine fachkundige Stellungnahme im Sinne von §
57 Abs.
2 Nr.
2 SGB III von der IHK vorzulegen. Sie war vielmehr berechtigt, die fachkundige Stelle frei auszuwählen (Götze in GK-
SGB III, §
57 Rz. 64).
Die von der Klägerin vorgelegte Stellungnahme der Betreuungsstelle des Kreises HO. vom 1. Februar 2002 war insoweit geeignet
und auch ausreichend.
Die Betreuungsstelle ist zunächst eine taugliche fachkundige Stelle zur Begutachtung der Tragfähigkeit von Existenzgründungen
für die Berufsgruppe der Berufsbetreuer. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass §
57 Abs.
2 Nr.
2 SGB III in seiner Fassung nach dem 2.
SGB III - Änderungsgesetz vom 21. Juli 1999 (BGBl. I S. 1648) nur beispielhaft Stellen nennt, die der Gesetzgeber für geeignet hält, die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Existenzgründung
zu beurteilen. Für diese Stellen (Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, berufsständische Kammern, Fachverbände
und Kreditinstitute) besteht insoweit eine unwiderlegbare gesetzliche Vermutung der Fachkundigkeit (Link in: Eicher/Schlegel,
SGB III, §
57 Rz. 70). Nach dem eindeutigen gesetzlichen Wortlaut ("insbesondere") war eine abschließende Aufzählung der fachkundigen Stellen
gerade nicht beabsichtigt, sie wäre im Übrigen mit Blick auf die Vielzahl der möglichen Betätigungen für eine selbstständige
Erwerbstätigkeit auch gar nicht möglich gewesen. Nicht zuletzt um den Besonderheiten des Einzelfalles gerecht zu werden, kommen
daher auch andere Stellen für die Abgabe des Tragfähigkeitsnachweises in Betracht, der Katalog der fachkundigen Stellen ist
insoweit grundsätzlich offen (so auch Petzold in Hauck/Noftz,
SGB III, §
57 Rz. 19, Link Eicher/Schlegel,
SGB III, §
57 Rz. 68, Stark in PK-
SGB III, 2. Aufl. 2004, §
57 Rz. 8). Im Falle der Vorlage einer Stellungnahme von einer nicht in §
57 Abs.
2 Nr.
2 SGB III genannten Stelle kommt der Bundesagentur für Arbeit jedoch eine Prüfungspflicht in Bezug auf deren Fachkundigkeit zu (Link
in: Eicher/Schlegel,
SGB III, §
57 Rz. 70).
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts und auch der Beklagten ist die Fachkunde der Betreuungsstelle gegeben.
Die Aufgaben der Betreuungsstellen ergeben sich aus dem Gesetz über die Wahrnehmung behördlicher Aufgaben bei der Betreuung
Volljähriger - Betreuungsbehördengesetz (BtBG) - vom 12. September 1990 (BGBl. I S. 2002, 2005).
Nach § 4 BtBG berät und unterstützt die Behörde die Betreuer auf ihren Wunsch bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben. Sie sorgt dafür, dass
in ihrem Bezirk ein ausreichendes Angebot zur Einführung der Betreuer in ihre Aufgaben und zu ihrer Fortbildung vorhanden
ist (§ 5 BtBG). Zu ihren Aufgaben gehört es auch, die Tätigkeit einzelner Personen sowie von gemeinnützigen und freien Organisationen zugunsten
Betreuungsbedürftiger anzuregen und zu fördern (§ 6 Satz 1 BtBG).
Durch die gesetzlich zugewiesene Funktion als Anlauf-, Ansprech- und Förderstelle für Berufsbetreuer kommt der Betreuungsstelle
eine besondere Sachkunde zur Beantwortung von Fragen die Tätigkeit dieser Berufsgruppe betreffend zu. Der Inhalt der abzugebenden
fachkundlichen Stellungnahme ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, jedoch durch den von der Beklagten herausgegebenen Mustervordruck,
an den sie sich binden lassen muss, konkretisiert. Diesen hat die Betreuungsstelle bezogen auf die in Rede stehende Tätigkeit
zunächst vollständig ausgefüllt (Blatt 3 der Leistungsakte). Sie war zur Beantwortung der dort aufgeworfenen Fragen zudem
auch fachlich kompetent. Als örtlich nach dem Wohnort des Berufsbetreuers zuständige Stelle (§ 3 Abs. 1 S. 1 BtBG) ist die Betreuungsstelle in der Lage zur Konkurrenzfähigkeit und den Wettbewerbschancen Stellung zu nehmen. Eng damit verbunden
ist die Frage nach der Umsatz- und Gewinnprognose, mithin den wirtschaftlichen Erfolgsaussichten der geplanten Existenzgründung.
Zu berücksichtigen ist insoweit, dass Berufsbetreuer eine gesetzlich festgelegte Stundenvergütung erhalten. Bis zum 30. Juni
2005 wurden dabei Aufwandsentschädigungen nach den §§
1835,
1836 i.V.m. § 1908i
BGB geleistet, seit dem 1. Juli 2005 werden Berufsbetreuer im Rahmen einer Pauschale nach festen Stundensätzen bezahlt (Gesetz
über die Vergütung von Vormündern und Betreuern - VBVG - vom 21. April 2005 (BGBl. I S. 1073, 1076)).
Da der Betreuungsbehörde der örtlich bestehende Betreuungsbedarf bekannt ist, konnte sie auch eine fundierte Aussage zu den
möglichen Einnahme-, also Verdienstmöglichkeiten eines Berufsbetreuers machen. Wenn die Betreuungsbehörde also auf dem Vordruck
der Beklagten durch Ankreuzen bejaht hat, dass mit dem Vorhaben der Aufbau einer tragfähigen Existenzgrundlage insgesamt realisierbar
erscheint und dass das zu erwartende Einkommen voraussichtlich eine ausreichende Lebensgrundlage bietet, so ist dies nicht
zu beanstanden oder in Zweifel zu ziehen.
Zur fachlichen Qualifikation der Klägerin brauchte und konnte die Betreuungsstelle i.Ü. keine Angaben machen. Berufsbetreuer
wird man dadurch, dass man vom Vormundschaftsgericht, das die fachliche Befähigung prüft, als Betreuer (§§
1836 Abs.
1 BGB,
1897 Abs.
6 BGB) bestellt wird. An die dortigen Festlegungen ist die Betreuungsstelle gebunden. Die weiteren Voraussetzungen in fachlicher,
branchenspezifischer, kaufmännischer und auch unternehmerischer Hinsicht war die Betreuungsstelle ebenfalls in der Lage zu
beantworten. Die Beratung und Förderung diese Punkte betreffend gehört zu den ihr nach dem BtBG zugewiesenen Aufgaben.
Die von der Klägerin vorgelegte fachkundige Stellungnahme der Betreuungsstelle war nach alledem ausreichend. Das von der Beklagten
nachhaltige Verlangen nach Vorlage einer weiteren fachkundigen Stellungnahme von der IHK war nicht berechtigt. Gerade bei
der in Rede stehenden Tätigkeit und auch in Ansehung des lang währenden juristischen Streits um die unternehmerische Einordnung
der Berufsgruppe der selbstständigen Berufsbetreuer - freiberuflich oder gewerblich - wäre die IHK sachlich und auch fachlich
zur Überzeugung des Senats überhaupt nicht in der Lage gewesen, eine fundiertere als die von der Klägerin vorgelegte Stellungnahme
zur wirtschaftlichen Tragfähigkeit des Existenzgründungsvorhabens abzugeben. Überdies ist zu bemerken, dass die Klägerin nach
Vorlage einer fachkundigen Stellungnahme der ihr gesetzlich aufgegebenen Nachweispflicht nachgekommen ist. Bei Zweifeln an
den in der Stellungnahme getroffenen Aussagen wäre die Beklagte im Rahmen der - dann wieder - bestehenden Pflicht zur Amtsermittlung
gehalten gewesen, eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch eigene Ermittlungen bei der Klägerin oder auch anderen Stellen
zu betreiben.
Die in dem Ablehnungsbescheid vom 7. Mai 2002 genannten Gründe hat die Klägerin durch ihre Widerspruchsbegründung entkräftet.
Sie hat dargelegt, eine ihrer Tätigkeit adäquate unternehmerische Organisation (Arbeitszimmer, PKW) vorzuhalten. Aus den Monatsabrechnungen
für April und Mai 2002 mit bereits 14 ihr zugewiesenen zu betreuenden Personen und monatlichen Einkünften von 3.266,55 EUR
und 2.203,77 EUR (jeweils vor Steuer) ergab sich zudem zweifelsfrei eine gute Tragfähigkeitprognose für die Existenzgründung.
Jedenfalls hat die Klägerin die in dem ablehnenden Bescheid genannten "rund 3.500 DM brutto" als zu erwartendes Minimum an
Monatseinkünften durch die von ihr vorgelegten Abrechnungen überschritten. Dass die Beklagte nach diesem Vortrag der Klägerin
im Widerspruchsverfahren den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 25. September 2002 dann mit der Begründung zurückgewiesen
hat, die Klägerin habe keine fachkundige Stellungnahme der IHK vorgelegt, erweist sich als weder nachvollziehbarer noch akzeptabler
Formalismus.
Obgleich damit alle Zugangsvoraussetzungen nach §
57 Abs.
1 SGB III erfüllt sind, konnte die Beklagte nur zur erneuten Bescheidung des Antrags der Klägerin verurteilt werden, denn das ihr nach
§
57 SGB III eingeräumte Ermessen ist im vorliegenden Fall nicht auf "Null" reduziert. Im Rahmen ihrer Ermessensbetätigung kann die Beklagte
nämlich die Dauer der Arbeitslosigkeit und die wirtschaftliche Situation der Antragstellerin sowie die Vermeidung bloßer Mitnahmeeffekte
berücksichtigen, weshalb insoweit keine Spruchreife gegeben ist (Stark in PK-
SGB III, §
57 Rz. 14; Winkler in: Gagel,
SGB III, §
57 Rz. 27).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Im Hinblick darauf, dass zu §
57 Abs.
2 Nr.
2 SGB III a. F. (jetzt: §
57 Abs.
2 Satz 2
SGB III) keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt, hat der Senat die Revision zugelassen (§
160 Abs.
1 Nr.
1 SGG).