Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren
Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs im Hinblick auf die Verlängerung der Dauer des Arbeitslosengeldanspruchs
aufgrund von Sonderregelungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie
Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung des zeitlichen Anwendungsbereichs
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers mit dem sinngemäß gestellten Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. März 2021 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen
Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller für die Zeit vom 29. Januar 2021 bis 28. April 2021 vorläufig Arbeitslosengeld
in Höhe von 52,41 Euro täglich zu gewähren,
ist unbegründet.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein Rechtsverhältnis gemäß
§
86b Abs.
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer
Regelungsanordnung ist sowohl ein Anordnungsanspruch (d.h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines materiellen Leistungsanspruchs)
als auch ein Anordnungsgrund (d.h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile), deren tatsächliche
Voraussetzungen glaubhaft zu machen sind (vgl. §
86b Abs.
2 Satz 4
SGG in Verbindung mit §
920 Zivilprozessordnung -
ZPO).
Einen solchen Anordnungsanspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 29. Januar 2021 bis 28. April 2021 hat
der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht.
Die Anspruchsdauer des streitgegenständlichen Arbeitslosengeldanspruchs ergibt sich - nach §
77 SGG für beide Beteiligten bindend – aus dem bestandskräftigen Bewilligungsbescheid der Antragsgegnerin vom 25. Februar 2020.
Damit hat diese eine Anspruchsdauer von 360 Tagen festgelegt, die der Antragsteller in der Zeit vom 30. Januar 2020 bis 28.
Januar 2021 in Anspruch genommen hat. Gemäß §
148 Abs.
1 Nr.
1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (
SGB III) mindert sich die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld um die Anzahl von Tagen, für die der Anspruch auf Arbeitslosengeld
bei Arbeitslosigkeit erfüllt worden ist. Das Arbeitslosengeld wird für Kalendertage berechnet und geleistet; ist es für einen
vollen Kalendermonat zu zahlen, ist dieser mit 30 Tagen anzusetzen (§
154 SGB III). Daher war die Gesamtanspruchsdauer von 360 Tagen mit Ablauf des 28. Januar 2021 erschöpft und der Leistungsanspruch des
Antragstellers aus dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. Februar 2020 vollständig erfüllt.
Dass die ursprüngliche Bestimmung der Anspruchsdauer schon bei Erlass dieses Bewilligungsbescheids rechtswidrig gewesen sei,
macht der Antragsteller nicht geltend und ist auch sonst nicht ersichtlich, worauf das Sozialgericht bereits zutreffend hingewiesen
hat. Das Begehren des Antragstellers ist damit nicht auf eine Rücknahme nach § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) gerichtet.
Sein Antrag vom 8. Januar 2021 gegenüber der Antragsgegnerin stützt sich vielmehr auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie
auf den Arbeitsmarkt, also eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse. Rechtsgrundlage für die angestrebte Neufestsetzung
der Anspruchsdauer ist damit § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X. Danach soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (auch rückwirkend vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an) aufgehoben
werden, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche
Änderung zugunsten des Betroffenen eingetreten ist. „Wesentlich“ bedeutet in diesem Zusammenhang „rechtserheblich“ (KassKomm/Steinwedel
SGB X § 48 Rn. 13 mit Nachweisen zur höchstrichterlichen Rechtsprechung); es kommt also darauf an, ob die veränderte Sach- oder Rechtslage
nach den Vorschriften des materiellen Rechts eine abweichende Verwaltungsentscheidung nach sich ziehen würde.
Daran fehlt es indes im vorliegenden Fall. Die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld hängt nach Maßgabe von §
147 SGB III von der Dauer der Vorversicherungszeit und dem Lebensalter ab. Die tatsächlichen individuellen Vermittlungschancen bleiben
dagegen ebenso unberücksichtigt wie die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt im Allgemeinen. Die mit der Corona-Pandemie
einhergehende Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ist daher nicht geeignet, als wesentlich im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X angesehen zu werden.
Eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse kann vor dem Hintergrund des strengen Vorbehalts des Gesetzes in §
31 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (
SGB I) nur durch eine Gesetzesänderung eintreten. Eine solche liegt grundsätzlich in dem Inkrafttreten der Sonderregelung des §
421d SGB III am 29. Mai 2020, die auf das Gesetz zu sozialen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (Sozialschutz-Paket II) vom
20. Mai 2020 (BGBl. I, S. 1055) zurückgeht (dazu etwa Leopold, jurisPR-SozR 11/2020 Anm. 1). Denn dadurch hat der Gesetzgeber Folgendes angeordnet: „Für
Personen, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld sich in der Zeit vom 1. Mai 2020 bis zum 31. Dezember 2020 auf einen Tag gemindert
hat, verlängert sich die Anspruchsdauer einmalig um drei Monate.“
Diese Tatbestandsvoraussetzung erfüllt der Antragsteller offensichtlich nicht. Sein Anspruch auf Arbeitslosengeld hat sich
– wie oben ausgeführt – erst am 27. Januar 2021 auf einen Tag gemindert (§
148 Abs.
1 Nr.
1 SGB III).
Eine analoge Anwendung des §
421d Abs.
1 SGB III kommt nicht in Betracht. Eine Analogie ist die Übertragung der Rechtsfolge eines geregelten Tatbestands auf einen ihm ähnlichen,
allerdings ungeregelten Sachverhalt. Sie setzt voraus, dass das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu
beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt
hat, dass angenommen werden kann, er wäre im Zuge einer Interessenabwägung, bei der er sich von denselben Grundsätzen hätte
leiten lassen wie bei der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (siehe statt aller
BSG, Urteil vom 23. Juli 2014 – B 12 P 1/12 R, SozR 4-2500 § 251 Nr. 2 Rn. 21 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Es fehlt bereits
an einer planwidrigen Regelungslücke im Gesetz, so dass es auf die vom Antragsteller angeführte Vergleichbarkeit der tatsächlichen
Situation in der Zeit ab 1. Januar 2021 nicht entscheidungserheblich ankommt.
Mit der Schaffung des §
421d SGB III hat der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, die soziale Absicherung im Versicherungssystem für eine von den wirtschaftlichen Auswirkungen
der COVID-19-Pandemie absehbar besonders betroffene Gruppe von Arbeitslosengeldbeziehern für eine bestimmte Zeit aufrechtzuerhalten,
damit sie noch nicht aus dem Schutz der Arbeitslosenversicherung herausfallen. In der Phase, in der die Möglichkeiten und
Chancen, eine neue Beschäftigung zu finden und aufzunehmen, in gravierender Weise eingeschränkt waren, sollten die Betroffenen
nicht unmittelbar auf das Leistungssystem der Grundsicherung für Arbeitsuchende verwiesen werden (BT-Drucks. 19/18966 S. 29
zu Nr. 3). Diese Begünstigung war von vornherein auf die Monate Mai bis Dezember 2020 befristet (vgl. Husemann, NZS 2020,
873, 876). Folgerichtig hat der Gesetzgeber die Regelung nicht im gesetzessystematischen Kontext der Dauer des Arbeitslosengeldanspruchs
(§
147 SGB III) eingefügt, sondern im Abschnitt über „Ergänzungen für übergangsweise mögliche Leistungen und zeitweilige Aufgaben“ (§§
417 ff.
SGB III). Dass die Begrenzung des zeitlichen Anwendungsbereichs der Sonderregelung auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers
beruht, lässt auch die weitere Rechtsentwicklung unzweifelhaft erkennen. Denn durch das Gesetz zur Beschäftigungssicherung
infolge der COVID-19-Pandemie (Beschäftigungssicherungsgesetz) vom 3. Dezember 2020 (BGBl. I, S. 2691) sind andere befristete Vorschriften, die auf das Sozialschutz-Paket II zurückgehen, verlängert worden, insbesondere die
Sonderregelungen beim Kurzarbeitergeld. Im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens ist auch über den Antrag verschiedener Abgeordneter
des Deutschen Bundestags und der Fraktion DIE LINKE beraten und entschieden worden, „auch die vorübergehende Sonderregelung
zum Arbeitslosengeld (§
421d SGB III) zu verlängern“ (BT-Drucks. 19/23169). Obgleich dieser Vorschlag auch bei der Anhörung von Sachverständigen teilweise befürwortet
worden ist (vgl. die Materialzusammenstellung in der Ausschussdrucksache 19(11)864), hat der Gesetzgeber ihn entsprechend
der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (BT-Drucks. 19/24481) letztlich abgelehnt
(Plenarprotokoll 19/193 des Deutschen Bundestags vom 20. November 2020). Zugleich ist §
421d SGB III mit Wirkung vom 10. Dezember 2020 unter Neufassung seiner amtlichen Überschrift um zwei Absätze erweitert worden.
Diese klare und eindeutige einfachrechtliche Situation verletzt aus Sicht des Senats auch nicht höherrangiges Recht. Entgegen
der Ansicht des Antragstellers verstößt die zeitliche Beschränkung des §
421d Abs.
1 SGB III insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art.
3 Abs.
1 Grundgesetz (
GG).
Dieser verbietet es, verschiedene Gruppen von Normadressaten ungleich zu behandeln, wenn zwischen ihnen nicht Unterschiede
von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, die dies rechtfertigen können. Gleichwohl ist es nach ständiger Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts zulässig, Stichtage einzuführen, obwohl jede Stichtagsregelung zwangsläufig gewisse Härten mit
sich bringt (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. April 2011 – 1 BvR 1811/08, ZFSH/SGB 2011, 337 f.; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 5. Februar 2009 – 1 BvR 1631/04, NZS 2009, 621 ff.). So liegt der Fall auch bei der Schaffung von Ausnahmevorschriften wie §
421d SGB III, durch die einzelne Personengruppen wegen des Stichtags begünstigt, andere hingegen hiervon ausgenommen werden. In derartigen
Fällen setzt die verfassungsrechtliche Rechtfertigung voraus, dass der Gesetzgeber den ihm bei der Stichtagsregelung zukommenden
Gestaltungsfreiraum in sachgerechter Weise genutzt hat, er die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren
hinreichend gewürdigt hat und sich die gefundene Lösung im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der Gesamtregelung
durch sachliche Gründe rechtfertigen lässt und nicht als willkürlich erscheint.
Mit der Anknüpfung an den letzten regulären „Anspruchstag“ hat der Gesetzgeber zwar ein Merkmal gewählt, das von gewissen
Zufälligkeiten abhängig ist und sich auch durch den Arbeitslosen selbst beeinflussen lässt. Denn die Minderung der Anspruchsdauer
hängt nicht nur vom Lauf von Sperrzeiten und anderen Ruhenszeiträumen ab, sondern auch von Unterbrechungen der Arbeitslosigkeit
durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder den Wegfall der Verfügbarkeit aus anderen Gründen (vgl. Schlegel, in: Schlegel/Meßling/Bockholdt,
COVID-19 - Corona-Gesetzgebung - Gesundheit und Soziales, 2020, § 6 Rn. 73). Es entspricht indes ständiger Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht verpflichtet ist, stets die optimale Lösung
zu finden (BVerfG, Beschluss vom 8. Juni 2004 – 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412 ff. = NJW-RR 2004, 1657 ff. Rn. 73 m.w.N.). Gerichte sind nicht befugt, ihre Einschätzung, welcher Weg sinnvoller und sachgerechter wäre, an dessen
Stelle zu setzen. Zudem ist der gewählte Anknüpfungspunkt auch nicht offensichtlich zweckwidrig. Denn der letzte Tag des Arbeitslosengeldbezugs
ist ein aussagekräftiges Indiz für den drohenden Wechsel in das System der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Diesen möglichst
zu verhindern (oder zumindest hinauszuzögern), stellt aber ausweislich der Gesetzesmaterialien ein ausdrückliches Ziel der
Novellierung dar.
Auch die gesetzgeberische Entscheidung, die Sonderregelung des §
421d SGB III auf den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2020 zu befristen, erscheint dem Senat nicht willkürlich. Zwar liegt nach Einschätzung
des Deutschen Bundestags nach wie vor eine epidemische Lage von nationaler Tragweite vor (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz – IfSG) und zahlreiche andere Ausnahmevorschriften der sog. COVID-19-Gesetzgebung sind dementsprechend verlängert worden. Daraus
lässt sich aber nicht ableiten, dass jede in Ansehung der Pandemie eingeführte Begünstigung zwingend fortgeführt werden müsste.
Im Fall der dreimonatigen Verlängerung des Arbeitslosengeldanspruchs finden sich Sachgründe von hinreichendem Gewicht, die
das Auslaufen der Sonderregelung zum Jahresende 2020 vertretbar erscheinen lassen. Im Vordergrund stehen dabei wohl fiskalische
Erwägungen (so auch Husemann, NZS 2020, 873, 876). Das Ziel, die Finanzierung der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung zu sichern und damit die Funktions- und Leistungsfähigkeit
des Sozialversicherungssystems im Interesse aller zu erhalten, zu verbessern und den veränderten wirtschaftlichen Bedingungen
anzupassen, ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Belang des öffentlichen Interesses anerkannt (vgl.
nur BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 5. Februar 2009 - 1 BvR 1631/04, NZS 2009, 621 ff.). Bei der Einführung des §
421d SGB III wurden die mit dieser Ausnahmevorschrift verbundenen zusätzlichen Kosten immerhin auf etwa 2 Mrd. Euro geschätzt (Leopold,
jurisPR-SozR 11/2020 Anm. 1 unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung). Ausgaben in dieser Größenordnung sind potentiell beitragssatzrelevant.
Der Gesetzgeber durfte daraus entstehende nachteilige Folgen für Beitragszahler, Wirtschaft und Arbeitsmarkt als gewichtig
bewerten (BVerfG a.a.O.). Das legitime Ziel, die entstehenden Kosten zu begrenzen, wird durch die in §
421d SGB III enthaltene Stichtagsregelung in verhältnismäßiger Weise verwirklicht. Daneben ist die Einschätzung des Gesetzgebers nicht
zu beanstanden, dass zu Beginn der pandemischen Notlage die Auswirkungen der vorher nicht gekannten Situation auf die Verwaltungstätigkeit
der Antragsgegnerin am stärksten sein werden. Es erscheint plausibel, dass in der Zeit von Mai bis Dezember 2020 die Stellensuche
stärker als davor und danach behindert war, weil die Bundesagentur für Arbeit ihre Dienstleistungen der Beratung und Vermittlung
zunächst nur eingeschränkt erbringen und auch weitere Leistungen der aktiven Arbeitsförderung nur unter besonderen Schwierigkeiten
gewähren konnte. Schließlich durfte sich der Gesetzgeber bei seiner Ablehnung einer Verlängerung des §
421d SGB III davon leiten lassen, dass in der Expertenanhörung im Gesetzgebungsverfahren auf die Gefahr hingewiesen worden ist, ein längerer
Arbeitslosengeldanspruch könnte zu einer verzögerten Beschäftigungsaufnahme führen (vgl. Ausschussdrucksache 19(11)864 S.
8, 23).
In der Beschränkung der Anspruchsdauer auf zwölf Monate liegt auch keine Verletzung von Art.
14 Abs.
1 GG. Nach allgemeiner Ansicht unterfallen auch vermögenswerte öffentlich-rechtliche Rechtspositionen dem grundrechtlichen Eigentumsschutz,
soweit sie Äquivalent eigener Leistung des Berechtigten sind. Das tritt insbesondere auf sozialversicherungsrechtliche Positionen
zu, die auf nicht unerheblichen Eigenleistungen beruhen und der Vorsorge des Versicherten im Hinblick auf die wichtigsten
Lebensrisiken dienen. Geschützt sind daher auch die Anwartschaften aus der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung, die der
Arbeitnehmer durch Zahlung von Beiträgen erworben hat (siehe zum Ganzen statt vieler Sachs/Wendt,
GG, 8. Aufl. 2018, Art.
14 Rn. 28 ff. mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Die vom Antragsteller begehrte
dreimonatige Verlängerung des Arbeitslosengeldes ist jedoch nicht Äquivalent eigener Leistung. Sie ist vom Gesetzgeber nicht
als „Gegenleistung“ für eine bestimmte Vorleistung als Beitragszahler konzipiert worden. Das zeigt sich gerade an der Pauschalität
des §
421d Abs.
1 SGB III, die in augenfälligem Gegensatz zu den genauestens differenzierenden Bestimmungen in §
147 Abs.
2,
3 SGB III steht. Der Umfang der Vorleistung des Arbeitslosen im System der Arbeitslosenversicherung spielt für die Anspruchsverlängerung
keine Rolle. Es handelt sich auch nach der oben angeführten Gesetzesbegründung um eine bloße soziale Wohltat zum Ausgleich
von (unterstellten) pandemiebedingten Nachteilen.
Selbst wenn man den Schutzbereich des Art.
14 Abs.
1 GG im vorliegenden Fall als eröffnet ansehen wollte, würde die Ausgestaltung des §
421d SGB III den Antragsteller nicht in seinem Eigentumsgrundrecht verletzen. Denn die konkrete Reichweite des Schutzes durch die Eigentumsgarantie
ergibt sich erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die nach Art.
14 Abs.
1 Satz 2
GG Sache des Gesetzgebers ist. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, dass dem Gesetzgeber
bei der Ausgestaltung sozialversicherungsrechtlicher Positionen eine weite Gestaltungsmöglichkeit zukommt. Dies schließt die
Befugnis des Gesetzgebers ein, bestehende Ansprüche auf Arbeitslosengeld zu beschränken. Dabei ist er an den verfassungsrechtlichen
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Gleichheitssatz des Art.
3 Abs.
1 GG gebunden (siehe zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 10. Februar 1987 - 1 BvL 15/83, BVerfGE 74, 203 ff. = NJW 1987, 1930 f.). Diese Schranken hat der Gesetzgeber nach dem oben Gesagten bei der Beschränkung des zeitlichen Anwendungsbereichs von
§ 421d beachtet.
Eine andere verfassungsrechtliche Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den mit der befristeten dreimonatigen Verlängerung
des Arbeitslosengeldanspruchs verbundenen Abweichungen vom Äquivalenzprinzip, das grundrechtsdogmatisch auf dem Eigentumsgrundrecht
und dem allgemeinen Gleichheitssatz beruht (eingehend J. Becker, Transfergerechtigkeit und Verfassung – Die Finanzierung der
Rentenversicherung im Steuer- und Abgabensystem und im Gefüge staatlicher Leistungen, 2001). Danach müssen sich bei einer
Versicherung die Vorleistungen der Versicherten in adäquaten Leistungsanrechten widerspiegeln. Gleichwohl besteht verfassungsrechtlich
kein Anspruch auf Beibehaltung jeder Einzelleistung im System der Sozialversicherung. Vielmehr enthält das Äquivalenzprinzip
lediglich das Anrecht auf eine adäquate Teilhabe an den Leistungen der Versicherung insgesamt, nicht aber auf konkrete Einzelleistungen
(siehe zum Ganzen BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 7. Oktober 2008 – 1 BvR 2995/06). Zudem kommt der Äquivalenzgedanke als vorrangiger Maßstab für die Bemessung des Arbeitslosengeldes angesichts der für die
Arbeitslosenversicherung typischen kurzen Anwartschaften, des kurzen Bemessungszeitraums und der häufig nur kurzen Leistungsbezugszeit
nicht in Betracht (Burghart in: Leibholz/Rinck,
Grundgesetz, 81. Lieferung 09.2020, Art.
14 Rn. 321). Allerdings liegt ein Verfassungsverstoß jedenfalls dann vor, wenn für Äquivalenzabweichungen bei Versichertengruppen
mit gleicher Beitragsleistung ein hinreichender sachlicher Grund nicht ersichtlich ist (BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 1995
– 1 BvR 892/88, BVerfGE 92, 53 ff. = NZS 1995, 312 ff.).
Nach diesen Maßstäben erscheint dem Senat die vorübergehende Abweichung vom Äquivalenzprinzip im Anwendungsbereich des §
421d Abs.
1 SGB III als gerechtfertigt. Dabei verkennt der Senat nicht, dass durch den großzügigen Aufschlag von drei Monaten auf die reguläre
Anspruchsdauer des Arbeitslosengelds die Grundregel des §
147 SGB III in bestimmten Fallkonstellationen auf den Kopf gestellt wird. Diese macht den Leistungsumfang wie oben dargelegt grundsätzlich
von der Vorleistung des Arbeitslosen, also vereinfacht ausgedrückt, im Regelfall von der Dauer seiner vorangegangenen Beitragszahlung
abhängig. Nach Versicherungspflichtverhältnissen mit einer Dauer von insgesamt mindestens 20 Monaten innerhalb der um 30 Monate
erweiterten Rahmenfrist beträgt die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld danach 10 Monate, ab 24 Monaten sind es 12 Monate.
Bei Anspruchsbeginn am 30. Januar 2020 (wie im Fall des Antragstellers) erstreckte sich der Arbeitslosengeldanspruch in den
beiden genannten Fällen daher auf den Zeitraum bis zum 28. November 2020 (bei 20 Monaten Vorversicherungszeit) bzw. bis zum
28. Januar 2021 (bei 24 Monaten Vorversicherungszeit). Bei fortlaufendem Leistungsbezug wäre der Arbeitslose im erstgenannten
Fall in den Genuss der Sonderregelung des §
421d SGB III gekommen, so dass sich sein Anspruch im Ergebnis bis zum 28. Februar 2021 verlängert hätte. Auf diese Weise konnte eine geringere
Vorleistung zu einer höheren Anspruchsdauer führen. Diese Äquivalenzabweichung ist aber durch einen hinreichenden sachlichen
Grund gerechtfertigt. Insoweit kann auf das oben Gesagte verwiesen werden. Hinzu kommt, dass das Versicherungsprinzip im Sozialversicherungsrecht
nicht in Reinform gilt. Vielmehr beruht die Sozialversicherung auch auf dem Prinzip des solidarischen Ausgleichs (vgl. nur
Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, 92. EL August 2020,
GG Art.
14 Rn. 246 ff.). Ein solches Element stellt auch die dreimonatige Anspruchsverlängerung nach §
421d Abs.
1 SGB III dar. Das zeigt sich besonders deutlich an der ausdrücklichen Zweckbestimmung der Ausnahmevorschrift, dass die von ihr Begünstigten
in der Zeit von Mai bis Dezember 2020 nicht unmittelbar auf das Leistungssystem der Grundsicherung für Arbeitsuchende verwiesen
werden sollten. Vielmehr sollten die pandemiebedingten Schwierigkeiten bei der Stellensuche in diesem Zeitraum durch eine
längere Bezugsdauer der nicht bedürftigkeitsabhängigen Versicherungsleistung ausgeglichen werden. Angesichts dieser Zielsetzung
hat der Gesetzgeber seinen weiten Gestaltungsspielraum bei der Konkretisierung der sozialversicherungsrechtlichen Anwartschaft
nicht überschritten.
Schließlich wird das Grundrecht des Antragstellers auf ein menschenwürdiges Existenzminimum (Art.
1 Abs.
1 GG i.V.m. Art.
20 Abs.
1 GG) durch die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) ausreichend gewahrt.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.