Vergütung stationärer Krankenhausbehandlungen in der gesetzlichen Krankenversicherung
Keine Anwendung der Ausschlussfrist von § 7 Abs. 5 der Prüfverfahrensvereinbarung auf nachträgliche Rechnungskorrekturen
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung eines vollstationären Krankenhausaufenthalts.
Die Klägerin ist Trägerin des A. in A-Stadt, einem zugelassenen Plankrankenhaus. Der bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte
Patient C. wurde in der Zeit vom 16. März – 13. April 2017 in der Klinik der Klägerin vollstationär behandelt. Mit Schlussrechnung
vom 2. Mai 2017 berechnete die Klägerin hierfür auf der Grundlage der Diagnosis Related Group (DRG) I12B (Knochen- und Gelenkinfektion
/ -entzündung mit verschiedenen Eingriffen am Muskel-Skelett-System und Bindegewebe mit schweren CC, mit Revision des Kniegelenkes
oder Osteomyelitis, Alter < 16 Jahre) einen Betrag von 8.089,72 €. Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst in voller Höhe,
veranlasste jedoch eine Prüfung der Abrechnung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Fragestellung,
ob die Nebendiagnosen korrekt seien. Nachdem der MDK vor Ort am 21. Juni 2017 Einsicht in die Patientenakte genommen und eine
Fallbesprechung mit den Klinikärzten durchgeführt hatte, hielt der MDK-Gutachter als Ergebnis fest, die zur Prüfung angefragte
Kodierung sei sachgerecht. Das Krankenhaus kodiere die Nebendiagnosen A41.0 (sonstige Sepsis) und R65.0! (systemisches inflammatorisches
Response-Syndrom) dazu, diese seien geprüft und sachgerecht.
Hierauf stornierte die Klägerin die Schlussrechnung vom 2. Mai 2017 und übersandte der Beklagten am 29. Juni 2017 zunächst
eine neue Rechnung in Höhe von 9.321,02 € auf der Basis DRG 801D, bei der sie die vom MDK anerkannten weiteren Nebendiagnosen
nicht berücksichtigte. Nachdem die Klägerin dies bemerkt hatte, stornierte sie am 30. Juni 2017 auch diese Rechnung und ersetzte
sie durch eine dritte Rechnung über 13.875,14 € auf der Grundlage der DRG I12A (Knochen- und Gelenkinfektion / -entzündung
mit verschiedenen Eingriffen am Muskel-Skelett-System und Bindegewebe mit äußerst schweren CC).
Mit Schreiben vom 30. Juni 2017 lehnte die Beklagte eine Nachzahlung unter Hinweis auf § 7 Abs. 5 Prüfverfahrensvereinbarung
(PrüfvV) ab.
Die Klägerin hat am 28. März 2018 Klage zum Sozialgericht Wiesbaden erhoben und vorgetragen, die von ihr am 30. Juni 2017
korrigierte Schlussrechnung sei fristgemäß gewesen. Es sei treuwidrig, wenn die Beklagte die Begleichung eines im Einvernehmen
mit dem MDK festgestellten und in der Sache unstreitigen Nachzahlungsanspruchs verweigere. Die Vorschrift des § 7 Abs. 5 PrüfvV,
auf welche die Beklagte abhebe, sei auf die Umsetzung eines MDK-Gutachtens nicht anwendbar.
Mit Gerichtsbescheid vom 22. Februar 2019 hat das Sozialgericht die Beklagte zur Zahlung von 5.785,42 € nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hinaus seit dem 31. Juli 2017 verurteilt. Der Zahlungsanspruch der
Klägerin sei auf der Basis der DRG I12A der Höhe nach unstreitig. Der Vergütungsanspruch der Klägerin sei durch die PrüfvV
nicht eingeschränkt. § 7 Abs. 5 PrüfvV beziehe sich auf Korrekturen oder Ergänzungen des Datensatzes während der Prüfung durch
den MDK und stehe einer späteren Korrektur einer Schlussrechnung nicht entgegen.
Gegen den am 6. März 2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 21. März 2019 Berufung eingelegt.
Sie führt aus, auf der Basis von § 7 Abs. 5 PrüfvV habe für die Klägerin nur einmal innerhalb von 5 Monaten nach Einleitung
der Überprüfung durch den MDK die Möglichkeit bestanden, Korrekturen oder Ergänzungen von Datensätzen an die Krankenkasse
zu übermitteln. Das Krankenhaus habe im Rahmen der Begehung mit dem MDK Nebendiagnosen nachkodiert. Diese hätte es nach Maßgabe
von § 7 Abs. 5 S. 4 PrüfvV bis einen Tag nach dem Begehungstermin per Datenträgeraustausch (DTA) übermitteln müssen, was nicht
geschehen sei und zum Vergütungsausschluss führe. Anderenfalls müssten die Krankenkassen sämtliche Nachkodierungen seitens
der Krankenhäuser im Rahmen von Begehungen, die der MDK akzeptiere, gegen sich gelten lassen, ganz gleich wann die Übermittlung
per DTA erfolge. Dies sei mit den Zielen der PrüfvV nicht vereinbar.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 22. Februar 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die Entscheidung des Sozialgerichts.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der
Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung
ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Über die Berufung entscheidet der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz –
SGG –).
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat die Beklagte im Ergebnis
zu Recht zur Zahlung von 5.785,42 € nebst Zinsen verurteilt. Die Klägerin hat aus der vollstationären Behandlung des bei der
Beklagten krankenversicherten Patienten C. einen Vergütungsanspruch nach der DRG I123A in Höhe von insgesamt 13.875,14 €,
auf den die Beklagte jedoch lediglich 8.089,72 € gezahlt hat.
Bezüglich der gesetzlichen und vertraglichen Rechtsgrundlagen des geltend gemachten Vergütungsanspruchs der Klägerin als zugelassenem
Plankrankenhaus wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen
Urteil Bezug genommen und von einer nochmaligen Darstellung abgesehen (§
153 Abs.
2 SGG). Zwischen den Beteiligten ist auch nicht streitig, dass die vollstationäre Krankenhausbehandlung des Patienten C. erforderlich
war und die durchgeführte Behandlung grundsätzlich einen Vergütungsanspruch der Klägerin nach der DRG I12A (Knochen- und Gelenkinfektion
/ -entzündung mit verschiedenen Eingriffen am Muskel-Skelett-System und Bindegewebe mit äußerst schweren CC) auslöst. Insoweit
bedarf es keiner weiteren Ermittlungen, da es über die Berechnungsergebnisse keinen Streit zwischen den Beteiligten gibt und
keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Berechnung vorliegen (BSG, Urteil vom 19. Juni 2018 – B 1 KR 39/17, juris).
Der Vergütungsanspruch der Klägerin aus ihrer Rechnung vom 30. Juni 2017 wird nicht durch entgegenstehende Abrechnungsbestimmungen
eingeschränkt.
Es handelt sich um einen Fall der nachträglichen Rechnungskorrektur durch ein Krankenhaus. Dies ist nach der Rsprg. des BSG grundsätzlich möglich, wenn das Krankenhaus seine Nachforderung spätestens bis zum Abschluss des auf die Behandlung folgenden
Haushaltsjahrs der Krankenkasse geltend macht (BSG, Urteil vom 23. Mai 2017, B 1 KR 27/16 R, juris Rn. 10). Vorliegend erfolgte die Behandlung vom 16. März bis 13. April 2017, die Rechnungskorrektur der Klägerin ging
bei der Beklagten am 30. Juni 2017 ein.
Die Klägerin ist mit der nachträglichen, unstreitig korrekten Kodierung der DRG I12A und der daraus folgenden erlöserhöhenden
Abrechnung von 13.875,14 € nicht aufgrund der Regelung in § 7 Abs. 5 PrüfvV vom 3. Februar 2016 (gültig ab dem 1. Januar 2017;
im Folgenden: PrüfvV 2016) ausgeschlossen.
Allerdings ist die PrüfvV auf den vorliegenden Behandlungsfall aus dem Jahr 2017 dem Grunde nach anwendbar. Das ergibt sich
aus dem mit Wirkung zum 1. Januar 2016 in Kraft getretenen §
275 Abs.
1c S. 4
SGB V. Die Vorschrift erfasst jetzt ausdrücklich jede Abrechnungsprüfung durch den MDK. Damit hat sich die Rsprg. des BSG zu §
275 Abs.
1c SGB V a.F., wonach zwischen einer der Vorschrift unterfallenden „Auffälligkeitsprüfung“ und einer ihr nicht unterfallenden, sondern
aus §
301 SGB V herzuleitenden „Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit“ – für die dann die PrüfVV nicht galt (stRsprg., vgl. z.B.
BSG, Urteil vom 23. Juni 2015, B 1 KR 20/14 R m.w.N.) – zu unterscheiden war, erledigt.
Jedoch ist § 7 Abs. 5 PrüfvV 2016 für den vorliegenden Behandlungsfall tatbestandlich nicht einschlägig.
§ 7 Abs. 5 S. 1 bis 4 PrüfvV 2016 lautet: Korrekturen oder Ergänzungen von Datensätzen sind nur einmalig möglich. Diese hat
der MDK nur dann in seine Prüfung einzubeziehen, wenn sie innerhalb von 5 Monaten nach Einleitung des MDK-Prüfverfahrens nach
§ 6 Absatz 2 an die Krankenkasse erfolgen. Sollte eine Begutachtung durch den MDK vor Ablauf der Frist des Satzes 2 beendet
sein, ist eine Korrektur oder Ergänzung von Datensätzen nur bis zum Ende der Begutachtung durch den MDK möglich. In den Fällen
der Prüfung vor Ort finden die Sätze 2 und 3 mit der Maßgabe Anwendung, dass eine Korrektur oder Ergänzung nur bis zum Abschluss
der Prüfung vor Ort möglich ist.
Vorliegend handelt es sich um eine nachträgliche Rechnungskorrektur, die darauf beruht, dass der MDK im Rahmen der Fallprüfung
vor Ort zu einer mit den Krankenhausärzten übereinstimmenden Beurteilung der korrekten Kodierung des Falles kam, was aus Sicht
des MDK die Zulässigkeit der Nachkodierung bestimmter Nebendiagnosen einschloss („Die zur Prüfung angefragte Kodierung ist
sachgerecht. Das Krankenhaus kodiert die Nebendiagnosen A41.0 und R65.0! dazu. Die Diagnosen wurden geprüft und sind sachgerecht“).
In diesem Fall ist nach Auffassung des Senats der Anwendungsbereich von § 7 Abs. 5 PrüfvV 2016 überhaupt nicht eröffnet. Soweit
§ 7 Abs. 5 S. 1 PrüfvV 2016 von „Korrekturen oder Ergänzungen von Datensätzen“ spricht, betrifft dies den Fall, dass das Krankenhaus
während der laufenden MDK-Prüfung von sich aus – ohne dies mit dem MDK abgestimmt zu haben – eine Änderung der Datensätze
vornimmt, also der Krankenkasse einen neuen Datensatz mit einer anderen Kodierung übermittelt, weil es zu der Auffassung gelangt,
dass es die Behandlung des Patienten unrichtig bzw. unvollständig kodiert hat. Das ergibt sich insbesondere aus dem Zusammenhang
mit § 7 Abs. 5 S. 2 PrüfvV 2016, der nach seinem Wortlaut („Diese hat der MDK nur dann in seine Prüfung einzubeziehen, ...“)
nur eingreift, wenn die „nachträglichen Korrekturen oder Ergänzungen“ des Krankenhauses eine erneute Prüfung durch den MDK
erforderlich machen. § 7 Abs. 5 S. 3 und 4 PrüfvV 2016 ergänzen dabei die Regelung in S. 2 für den Fall, dass die Begutachtung
durch den MDK (sei es im schriftlichen Verfahren oder bei der Prüfung vor Ort) vor Ablauf der 5-Monats-Frist des Satz 2 bereits
beendet ist, beziehen sich aber in gleicher Weise auf die Situation, dass die nachträglichen Korrekturen oder Ergänzungen
der Datensätze seitens des Krankenhauses eine erneute Fallprüfung durch den MDK erforderlich machen. Die Regelung ist damit
auf den Fall der nachträglichen Rechnungskorrektur, bei der das Krankenhaus lediglich ein mit dem MDK einvernehmlich gewonnenes
Prüfergebnis umsetzt, von Vornherein nicht anwendbar (ebenso LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Dezember 2019 – L 11 KR 1176/19 –, juris; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 13. August 2018, L 5 KR 155/18 NZB, KRS 2018, 432; SG Fulda, Urteil vom 13. August 2020, S 4 KR 169/18 , juris).
Für dieses Verständnis der Vorschrift sprechen neben dem Wortlaut noch weitere systematische Überlegungen. Die PrüfvV 2016
zielt mit ihren Regelungen insgesamt auf eine Straffung und Beschleunigung des Prüfungsverfahrens durch den MDK. Hierzu werden
verschiedene Fristen für die Vorlage von Unterlagen vorgegeben, um eine beschleunigte Prüfung zu ermöglichen. Dies dient einem
zügigen Verfahrensablauf und begegnet Prüfungs- und Beweisproblemen, die sich naturgemäß nach erheblichem Zeitablauf ergeben.
Speziell die Regelung in § 7 Abs. 5 PrüfvV 2016 soll sicherstellen, dass die Prüfung durch den MDK zügig zum Abschluss gebracht
werden kann. Das Verfahren soll nicht dadurch in die Länge gezogen werden können, dass seitens des Krankenhauses wiederholt
Korrekturen an den Datensätzen vorgenommen werden und dadurch jeweils eine erneute Prüfung durch den MDK erforderlich wird.
Dieses Ziel, eine zügige Durchführung der Prüfung durch den MDK und dem folgend eine zügige Beendigung des Prüfverfahrens
insgesamt zu erreichen, wird durch eine nachträgliche Rechnungskorrektur, die auf einer übereinstimmenden Fallbeurteilung
durch den MDK und das Krankenhaus beruht, nicht beeinträchtigt (ebenso LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Dezember 2019
– L 11 KR 1176/19 –, juris Rn. 25).
Angesichts dessen kann die in der Rsprg. streitige Frage, ob § 7 Abs. 5 PrüfvV überhaupt als Ausschlussregelung in Bezug auf
den Vergütungsanspruch des Krankenhauses verstanden werden kann (vgl. dazu u.a. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. April
2019, L 5 KR 1522/17, Rn. 31), hier dahinstehen.
Der Zinsanspruch der Klägerin beruht auf § 10 Abs. 4 und 5 des Landesvertrags über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung
gem. §
112 Abs.
2 S. 1 Nr
1 SGB V i.V.m. §
288 BGB.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.