Verletztengeldbezug während einer Haftzeit
Beiträge zur Rentenversicherung
Kein freigewähltes Arbeitsverhältnis
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob für den Beigeladenen Beiträge zur Rentenversicherung abzuführen sind, da er während
einer Haftzeit Verletztengeld bezog.
Die Beklagte führte in der Zeit vom 10. bis zum 14. März 2008 bei der Klägerin eine Prüfung der Beitragsentrichtung für sonstige
Versicherte nach §
212a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI) für den Prüfzeitraum vom 1. Dezember 2003 bis zum 31. Dezember 2007 durch.
Nach vorheriger Anhörung der Klägerin mit Schreiben vom 17. Juli 2008 setzte die Beklagte mit Bescheid vom 17. Oktober 2008
gegen die Klägerin eine Beitragsforderung für 10 namentlich benannte Personen in Höhe von 123,81 € fest; hiervon entfielen
auf den Beigeladenen 14,40 €. Die durchgeführte Prüfung habe ergeben, dass für Verletztengeldbezieher im Strafvollzug (§
45 ff. Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - (
SGB VII) keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) abgeführt worden seien. Für diese Personen bestehe jedoch Versicherungspflicht.
Nach §
3 Satz 1 Nr. 3
SGB VI seien Personen in der Zeit versicherungspflichtig, für die sie von einem innerstaatlichen Leistungsträger Verletztengeld
und Übergangsgeld bezögen, wenn sie im letzten Jahr vor Beginn der Leistung zuletzt versicherungspflichtig gewesen seien.
Diese Versicherungspflicht trete unabhängig von der Höhe der Entgeltersatzzahlung ein. Die Vorschrift über die Versicherungsfreiheit
wegen Geringfügigkeit (§
5 Abs.
2 SGB VI) finde keine Anwendung auf Bezieher von Entgeltersatzleistungen. Sie habe die Klägerin in ihrer früheren Prüfmitteilung vom
24. Februar 2006 aufgefordert, für Verletztengeldbezieher im Strafvollzug die Versicherungspflicht in der GRV zu prüfen und
ggf. Beiträge abzuführen. Die Klägerin habe mit Schreiben vom 21. Dezember 2006 mitgeteilt, sie schließe sich - nach Rücksprache
mit ihrem Bundesverband und anderen Trägern der öffentlichen Unfallversicherung - der Rechtsauffassung an, dass für Bezieher
von Verletztengeld im Strafvollzug keine Versicherungspflicht in der GRV bestehe. Verletztengeldbezieher mit einer Vorpflichtversicherung
dürften gegenüber Häftlingen ohne diese Vorpflichtversicherung nicht bessergestellt werden. Dieser Auffassung der Klägerin
stehe entgegen, dass die Versicherungspflicht in der GRV kraft Gesetzes eintrete. Zwar bestehe für Strafgefangene allgemein
in der GRV keine Versicherungspflicht. Dies könne jedoch nicht dazu führen, dass Verletztengeldempfänger den kraft Gesetzes
erworbenen Anspruch während der Haft verlören. Ihre Prüfung habe ergeben, dass in den 10 nachverbeitragten Fällen die Vorpflichtversicherung
erfüllt gewesen sei und somit eine Versicherungspflicht gem. §
3 Satz 1 Nr. 3
SGB VI bestehe.
Dagegen hat die Klägerin am 11. November 2008 Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main mit dem Ziel der Aufhebung des
Bescheides der Beklagten und der Feststellung erhoben, dass keine Pflicht zur Beitragsentrichtung bestehe.
Die Klägerin hat ausgeführt, der vorliegenden Rechtsstreit betreffe Häftlinge, die von §
43 Strafvollzugsgesetz (
StVollzG) erfasst seien und Verletztengeld wegen eines Versicherungsfalls (§
43 StVollzG, §
2 Abs.
2 Satz 2
SGB VII) erhielten. Die Beklagte gehe jedoch fehl in der Annahme, die Gewährung von Verletztengeld in diesen Fällen habe die Versicherungspflicht
in der GRV nach §
3 Satz 1 Nr. 3
SGB VI zur Folge. Nach dem Willen des Gesetzgebers unterliege dieser Personenkreis lediglich dem Schutz der Arbeitsförderung und
der Unfallversicherung, nicht jedoch zu den übrigen Zweigen der Sozialversicherung. Zwar habe das Verletztengeld den Charakter
einer Entgeltersatzleistung. Die in der Unfallversicherung nach §
2 Abs.
2 Satz 2
SGB VII versicherten Strafgefangenen besäßen jedoch keinen originären Anspruch auf Verletztengeld nach §
45 SGB VII, sondern allein auf der Grundlage der Sonderbestimmung des §
47 Abs.
6 SGB VII. Dies zeige den Sondercharakter dieser Geldleistung an Häftlinge. §
43 StVollzG erfasse nicht rentenversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Für Häftlinge ohne versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis
(§
1 SGB VI) fehle dem Verletztengeld die Einkommensersatzfunktion. Verletztengeld werde allein aufgrund der gesetzlich angeordneten
Versicherungspflicht (§
2 Abs.
2 Satz 2
SGB VII) erbracht und nicht aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses mit freiem Austausch von Entgelt und Arbeit. Es sei systemwidrig,
für Häftlinge im Fall der Zahlung von Verletztengeld eine Pflichtversicherung in der GRV nach §
3 Satz 1 Nr. 3
SGB VI abzuleiten. Auch führe die gegenteilige Auffassung zu einem unbefriedigenden Ergebnis in den Fällen, in denen zwei Strafgefangene
in derselben Haftanstalt dieselbe Tätigkeit verrichteten, einer von beiden einen Arbeitsunfall erleide und ihm Verletztengeld
gezahlt werde. Nach Auffassung der Beklagten seien für den verunfallten Häftling Beiträge zur Rentenversicherung zu entrichten,
für den anderen weiterhin tätigen Häftling dagegen nicht. Für eine solche Ungleichbehandlung bestehe kein Grund. Diese Auffassung
der Beklagten widerspreche dem geltenden Recht. Nach §
198 Abs.
3 StVollzG bedürfe es zur Anpassung und Inkraftsetzung von Normen der Sozialversicherung, z. B. der Rentenversicherungspflicht, nach
§ 190 Nr. 13
StVollzG eines besonderen Bundesgesetzes. Ein solches sei bislang für die Rentenversicherung nicht ergangen. Auch habe das Bundesverfassungsgericht
(Urteil vom 1. Juli 1998, Az. 2 BvR 441/90) festgestellt, dass §
198 Abs.
3 StVollzG verfassungsgemäß sei.
Die Beklagte hat ihre im angefochtenen Bescheid vertretene Auffassung vertieft und wiederholt.
Das Sozialgericht hat nach Anhörung der Klägerin und der Beklagten mit Gerichtsbescheid vom 20. September 2010 den Bescheid
der Beklagten aufgehoben. Im Wesentlichen hat das Sozialgericht ausgeführt, die Klage sei hinsichtlich des Anfechtungsbegehrens
zulässig, hinsichtlich des Feststellungsantrags unzulässig, da insoweit kein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis bestehe. Das
darin enthaltene Klagebegehren könne mit der Anfechtungsklage verfolgt werden. Hinsichtlich des Anfechtungsbegehrens sei die
Klage begründet. Der angefochtene Bescheid erweise sich als rechtswidrig. Die Beschäftigung während einer Haft sei kein versicherungspflichtiges
Beschäftigungsverhältnis. Dies sei jedoch Voraussetzung für die Berücksichtigung einer Zeit als Beitragszeit (§
55 Abs.
1 SGB VI). Nach §
55 Abs.
1 SGB VI seien Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge zu entrichten seien. Pflichtbeitragszeiten
seien Zeiten, während der kraft Gesetzes oder auf Antrag oder entsprechender Vorschriften Versicherungspflicht bestehe und
Pflichtbeiträge zu zahlen seien. Solche Pflichtbeiträge habe die Klägerin nicht zu entrichten. Es handele sich bei einer im
Strafvollzug ausgeübten Tätigkeit nicht um ein die Versicherungspflicht in der GRV begründendes Beschäftigungsverhältnis.
Vielmehr handele es sich bei der während der Haft ausgeübten Tätigkeit nicht um ein freiwillig eingegangenes Beschäftigungsverhältnis
(§
1 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI). Dies sei Voraussetzung für das Entstehen der Versicherungspflicht in der GRV und damit auch für die Entrichtung von Versicherungsbeiträgen.
Das Sozialgericht hat die Berufung nicht zugelassen.
Gegen den am 7. Oktober 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 4. November 2010 Nichtzulassungsbeschwerde
beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Der 3. Senat des Hessischen Landessozialgerichts hat mit Beschluss vom 30.
Juni 2011 die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Nach Erörterung der Sache im Termin am 3. Dezember 2013
hat der 3. Senat das Verfahren zuständigkeitshalber an den 8. Senat abgegeben.
Mit Beschluss vom 14. Januar 2014 hat der Senat den Beigeladenen notwendig beigeladen. Der Rechtsstreit zur Frage der Verpflichtung
der Klägerin zur Entrichtung von Beiträgen zur GRV für die 9 anderen Personen hat der Senat abgetrennt; dieser wird unter
dem Az. L 8 KR 30/16 geführt.
Die Beklagte wiederholt im Wesentlichen ihren bisherigen Vortrag.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 20. September 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin vertritt unter Wiederholung ihres Vortrags die Auffassung, das Sozialgericht habe zutreffend entschieden. Zum
Verfahren der Zahlung von Verletztengeld trägt sie vor, sie habe mit dem Land Hessen eine Verwaltungsvereinbarung mit dem
Inhalt, dass das Land Hessen an den Personenkreis des §
43 StVollzG - soweit die Vorpflichtversicherung erfüllt sei - Verletztengeld aufgrund eines Arbeitsunfalls zahle und ihr dann eine Sammelrechnung
zur Erstattung einreiche.
Der Beigeladene hat sich weder zur Sache geäußert noch einen Antrag gestellt.
Die Beklagte hat für den Beigeladenen einen Versicherungsverlauf und eine Probeberechnung seiner Rentenanwartschaft unter
Berücksichtigung der Verletztengeldzahlung vorgelegt.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte
der Beklagen (2 Bände) verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Zur Entscheidung über den Rechtsstreit ist der erkennende 8. Senat des Hessischen Landessozialgerichts berufen. Nach dem im
Zeitpunkt des Eingangs der Nichtzulassungsbeschwerde geltenden Geschäftsverteilungsplan für das Hessische Landessozialgericht
(GVP 2010) war die Zuständigkeit des 3. Senats gegeben für Streitigkeiten auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung,
während die Zuständigkeit des 8. Senats (ua) gegeben war für die Entscheidung über die Versicherungs- und Beitragspflicht
in der Kranken-, Pflege, Renten- oder Arbeitslosenversicherung. Dies betrifft den vorliegenden Fall, in dem um die Versicherungs-
und Beitragspflicht des Beigeladenen in der GRV nach §
3 S.1 Nr. 3
SGB VI gestritten wird. Nach der Zulassung der Berufung durch den Beschluss vom 30. Juli 2011 wird das Beschwerdeverfahren als Berufungsverfahren
fortgesetzt (§
145 Abs.
5 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -). Unerheblich ist insoweit, dass der Beschluss über die Zulassung der Berufung durch den (unzuständigen) 3. Senat des erkennenden
Gerichts erging. Denn dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG) und damit bindend. Im Übrigen besteht an der grundsätzlichen Bedeutung der hier zu klärenden Rechtsfrage (§§
145,
144 Abs.
2 Nr.
1 SGG) aus der Sicht des erkennenden Senats kein Zweifel, weshalb der Senat sich auch zur Zulassung der Revision veranlasst gesehen
hat.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, konnte in der Sache jedoch keinen Erfolg haben.
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 20. September 2010 ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der
Bescheid der Beklagten vom 17. Oktober 2008 ist zwar nicht formell, aber materiell rechtswidrig. Das Sozialgericht hat zutreffend
diesen Bescheid aufgehoben. Die Klägerin ist nicht verpflichtet, den für den Beigeladenen in diesem Bescheid festgesetzten
Beitrag in Höhe von 14,40 € an die Beklagte zu entrichten.
Die Klägerin war berechtigt, ohne vorhergehendes Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid der Beklagten vom 17. Oktober 2008
Klage zu erheben. Gem. §
78 Abs.
1 Satz 1
SGG ist vor Erhebung der Anfechtungsklage - wie vorliegend - Recht- und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren
nachzuprüfen. Gem. §
78 Abs.
2 Satz 1
SGG ist ein Vorverfahren aber nicht erforderlich, wenn ein Versicherungsträger klagen will. Die Klägerin ist die Unfallkasse
des Landes Hessen und damit Trägerin der Unfallversicherung gem. § 22 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch.
Die Beklagte war aufgrund ihrer Zuständigkeit zur Prüfung der Beitragszahlung und Meldung für sonstige Versicherte gem. §
212 und §
212a Abs.
1 SGB VI befugt, die Notwendigkeit einer Beitragsentrichtung der Klägerin für den Beigeladenen zu prüfen und aufgrund des Ergebnisses
der Prüfung Beitragszahlungen mittels Bescheid geltend zu machen (für die Beitragsforderung eines Rentenversicherungsträgers
gegenüber der Pflegekasse für eine Pflegeperson als sonstige Versicherten: Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom
19. Januar 2015, Az. L 2 R 549/12, veröffentl. in Juris, nicht rechtkräftig; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 29. September 2011,
Az. L 1 R 120/11 B ER, veröffentl. in Juris für die Beitragsforderung eines Rentenversicherungsträgers gegenüber einer Krankenkasse für einen
Versicherten mit Krankengeldanspruch als sonstigen Versicherten).
Der Bescheid der Beklagten ist jedoch materiell rechtswidrig. Die Klägerin ist nicht verpflichtet, Beiträge zur GRV für den
Beigeladenen zu entrichten. Aus der Versicherungspflicht des Beigeladenen in der gesetzlichen Unfallversicherung während seiner
Haft resultiert keine Verpflichtung der Klägerin zur Beitragsnachentrichtung zur GRV.
Gem. §
168 Abs.
1 SGB VI in der seit 1. Januar 2002 geltenden Fassung sind Beitragsbemessungsgrundlage für Versicherungspflichtige deren beitragspflichtige
Einnahmen. Danach setzt die Verpflichtung zur Entrichtung von Pflichtbeiträgen die Versicherungspflicht in der GRV und beitragspflichtige
Einnahmen voraus.
Für den Beigeladenen wurde durch den Bezug des Verletztengelds vom 4. bis 12. April 2007 keine Versicherungspflicht in der
GRV begründet. Auf den Beigeladenen ist für die Zeit seiner Haft §
3 Satz 1 Nr. 3
SGB VI nicht anwendbar.
Gem. §
3 Abs.
3 Nr.
3 SGB VI in der vorliegend seit dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt
(BGBl. 2003 I S. 2848) sind Personen in der Zeit versicherungspflichtig, für die sie von einem Leistungsträger u.a. Verletztengeld beziehen, wenn
sie im letzten Jahr vor Beginn der Leistungen zuletzt versicherungspflichtig waren.
Der Beigeladene hat im streitigen Zeitraum von der Klägerin allerdings tatsächlich Verletztengeld von einem Leistungsträger
bezogen. Gem. §
128 Abs.
1 Ziff. 8
SGB VII ist die Klägerin als Unfallversicherungsträgerin des Landes Hessen für Personen zuständig, die gem. §
2 Abs.
2 SGB VII als sonstige Versicherte in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert sind. Gem. §
2 Abs.
2 Satz 1
SGB VII sind Personen versichert, die "wie" die nach Abs. 1 Nr.
1 Versicherten, d. h. wie Beschäftigte tätig werden. Gem. §
2 Abs.
2 Satz 2
SGB VII gilt Satz 1 auch für Personen, die während einer aufgrund eines Gesetzes angeordnete Freiheitsentziehung oder aufgrund einer
strafrichterlichen, staatsanwaltlichen oder jugendbehördlichen Anordnung wie Beschäftigte tätig werden. Der Beigeladene war
im Rahmen seiner Haft gem. §
43 StVollzG tätig und damit gem. §
2 Abs.
2 Satz 1
SGB VII versichert. Zweck dieser Norm ist es, dass Häftlinge bei arbeitnehmerähnlicher Tätigkeit aufgrund der Freiheitsentziehung
im Rahmen der Unfallversicherung Personen gleichstehen, die auf dem freien Arbeitsmarkt einer Tätigkeit nachgehen. Infolge
der so begründeten Versicherungspflicht zahlte die Klägerin dem Beigeladenen, nachdem dieser während seiner Beschäftigung
in der Justizvollzugsanstalt einen Arbeitsunfall erlitten hatte, Verletztengeld auf der Grundlage von § 26 Abs. 1 Satz 1,
§
45 Abs.
1 i.V.m. §
47 Abs.
6 SGB VII in der seit dem 1. Januar 1997 unveränderten Fassung. Danach wird das Verletztengeld, welches wegen eines Versicherungsfalls
während einer aufgrund eines Gesetzes angeordneten Freiheitsentziehung gezahlt wird, nach einer eigenen Berechnungsgrundlage
berechnet.
Im Fall des Beigeladenen lag auch die sog. Vorversicherung vor. §
3 Satz 1 Nr. 3
SGB VI normiert eine Versicherungspflicht für Personen, die von einem innerstaatlichen Leistungsträger Leistungen erhalten, wenn
sie im letzten Jahr vor Beginn der Leistung zuletzt versicherungspflichtig waren (Knorr in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB VI, 2. Aufl. 2013, §
3 SGB VI, Rn. 48). Das setzt voraus, dass der Bezieher von Verletztengeld in den 365 Tagen, die vor dem Beginn der Zahlung von Verletztengeld
lagen, zu irgend einem Zeitpunkt in der GRV versicherungspflichtig war und weiter, dass dieser Versicherungspflichttatbestand
der letzte für die Begründung oder den Ausschluss von Versicherungspflicht relevante Tatbestand gewesen ist (Gürtner in Kasseler
Kommentar, §
3 SGB VI Rn 21). Nach dem von der Beklagten vorgelegten Versicherungsverlauf lag diese Voraussetzung in Bezug auf den Beigeladenen
vor; dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.
Dennoch sind die Voraussetzungen des §
3 Satz 1 Nr. 3
SGB VI nicht erfüllt. Versicherungspflicht in der GRV infolge der Zahlung von Verletztengeld tritt nämlich nur ein, wenn der Zahlung
von Verletztengeld ein freigewähltes Arbeitsverhältnis zugrunde liegt, an dem es bei einer Tätigkeit im Rahmen des Strafvollzugs
nach §§
41,
43 StVollzG aber fehlt. Das ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang sowie Sinn und Zweck des §
3 S. 1 Nr. 3
SGB VI.
Die in §
3 S. 1 Nr. 3
SGB VI angeordnete Versicherungspflicht in der GRV wegen des Bezugs von Entgeltersatzleistungen findet ihren Grund darin, dass diese
Leistungen ausfallendes Arbeitsentgelt bzw. Arbeitseinkommen ersetzen. Dementsprechend sollen beim Bezug dieser Entgeltersatzleistungen
auch die Risiken des Alters und der Erwerbsminderung in der GRV abgesichert sein. Die Versicherungspflicht der Lohnersatzleistung
ist damit akzessorisch verbunden mit der Versicherungspflicht der vorangehenden Erwerbstätigkeit; sie stellt sich als eine
Ergänzung der Versicherungspflicht nach den §§
1,
2 und
4 Abs.
2 SGB VI dar (Knorr in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB VI, 2. Aufl. 2013, §
3 SGB VI).
Häftlinge, die während der Strafhaft einer Beschäftigung innerhalb der Strafanstalt gem. §§
41,
43 StVollzG nachgehen und hierfür Arbeitsentgelt nach Maßgabe des
StVollzG erhalten, unterliegen in dieser Beschäftigung jedoch nicht der Versicherungspflicht in der GRV im Sinne von §
1 Satz 1 Nr. 1
SGB VI. Von dieser Norm werden nur freiwillig eingegangene Beschäftigungsverhältnisse erfasst. Demgegenüber handelt es sich bei
der Tätigkeit im Strafvollzug um Pflichtarbeit unter der öffentlich-rechtlichen Verantwortung der Vollzugsbehörden im Rahmen
des Resozialisierungszwecks des Strafvollzugs (vgl. BVerfG, Urteil vom 1. Juli 1998 - 2 BvR 441/90 ua, Juris Rn. 149). Gem. §
41 Abs.
1 Satz 1
StVollzG ist ein Häftling verpflichtet, eine ihm zugewiesene, seinen körperlichen Fähigkeiten angemessene Arbeit, arbeitstherapeutische
oder sonstige Beschäftigung auszuüben, zu deren Verrichtung er aufgrund seines körperlichen Zustandes in der Lage ist. Nach
§
43 Abs.
1 StVollzG wird die Arbeit des Häftlings anerkannt durch Arbeitsentgelt und eine Freistellung von Arbeit, die auch als Urlaub aus der
Haft (Arbeitsurlaub) genutzt oder auf den Entlassungszeitraum angerechnet werden kann. In diesem Rahmen war der Beigeladene
tätig. Diese Tätigkeit erfolgte nach Zuweisung durch die Haftanstalt. Die Einbeziehung von Strafgefangenen in die GRV setzt
gem. § 190
StVollzG eine besondere bundesgesetzliche Regelung gem. §
198 StVollzG voraus (so auch Landessozialgericht Rheinland-Pfalz" Urteil vom 13. August 2008, L 4 R 67/08, veröffentl. in Juris), an der es bisher fehlt.
In einem solchen Fall, in dem die eigentliche "Beschäftigung" keine Versicherungspflicht begründet, kann der infolge des Arbeitsunfalls
im Rahmen des Strafvollzugs entstehende Anspruch auf Verletztengeld als Lohnersatzleistung keinen weitergehenden rentenversicherungsrechtlichen
Schutz vermitteln.
Zu Recht weist die Klägerin darauf hin, dass diese Betrachtungsweise der Beklagten zu widersprüchlichen Ergebnissen führen
würde. Häftlinge, die sich während der Arbeit verletzen und Verletztengeld erhalten, werden während dieser Zeit des Verletztengeldbezugs
rentenversicherungspflichtig, während der unverletzte Häftling, der weiterhin arbeitet und Arbeitsentgelt erhält, keine Rentenanwartschaft
erwirbt. Die vom Gesetzgeber aus Fürsorgegründen erfolgte Einbeziehung von Häftlingen in die Gesetzliche Unfallversicherung
nach §
2 Abs.
2 SGB VII als sog. "Wie-Beschäftigte" würde nach dieser Sichtweise zu einer Besserstellung des nichtarbeitenden gegenüber dem arbeitenden
Häftling führen.
Die Revision war zuzulassen, da die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG vorliegen.