Anspruch auf Versorgung mit Cannabis
Einstweiliger Rechtsschutz
Fertigarzneimittel Sativex
Gründe
den Beschluss des Sozialgerichts Fulda vom 15. September 2017 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
abzuweisen,
hat in der Sache keinen Erfolg.
Wegen des Sachverhalts und der rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass der vorliegend allein in Betracht kommenden Regelungsanordnung
gem. §
86b Abs.
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG), insbesondere dem Erfordernis des Vorliegens und der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes,
wird auf die zutreffenden Darlegungen des Sozialgerichts in dem angegriffenen Beschluss Bezug genommen, die von den Beteiligten
auch nicht infrage gestellt werden.
Von dem Sozialgericht wurde in dem angefochtenen Beschluss zutreffend dargelegt, dass von der Antragstellerin sowohl die Voraussetzungen
des geltend gemachten Anordnungsgrundes sowie auch der maßgebliche Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden sind. Das Sozialgericht
ist dabei zu Recht davon ausgegangen, dass sich der Anordnungsanspruch auf die vorläufige Erteilung der Genehmigung zur Versorgung
der Antragstellerin mit dem Fertigarzneimittel Sativex aus der Anspruchsgrundlage des §
31 Abs.
6 SGB V ergibt.
Nach dieser Bestimmung haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form
von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen
Dronabinol oder Nabilon, wenn
1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
a) nicht zur Verfügung steht oder
b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter
Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht
zur Anwendung kommen kann,
2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende
Symptome besteht.
Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen
abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist. Verordnet die Vertragsärztin oder
der Vertragsarzt die Leistung nach Satz 1 im Rahmen der Versorgung nach §
37b SGB V, ist über den Antrag auf Genehmigung nach Satz 2 abweichend von §
13 Absatz 3a Satz 1 innerhalb von drei Tagen nach Antragseingang zu entscheiden (§
31 Abs.
6 Satz 2 und 3
SGB V).
Die vorgenannten gesetzlichen Voraussetzungen des §
31 Abs.
6 SGB V sind von der Antragstellerin auch zur Überzeugung des Senats hinreichend glaubhaft gemacht worden. Vom Sozialgericht wurde
insoweit zunächst zutreffend festgestellt, dass die Antragstellerin bereits seit Jahren an schwerwiegenden Erkrankungen der
Wirbelsäule leidet. Die aufgrund dessen bei der Antragstellerin eingetretene chronifizierte, vielschichtig-komplexe Schmerzproblematik
wurde weder von der Antragsgegnerin noch den MDK in Abrede gestellt und erfüllt zweifelsfrei die Voraussetzungen einer schwerwiegenden
Erkrankung im Sinne des §
31 Abs.
6 SGB V.
Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung bestehen seitens des Senats in Übereinstimmung
mit dem Sozialgericht ebenfalls keine Bedenken, dass der Antragstellerin keine weiteren allgemein anerkannten, dem medizinischen
Standard entsprechende Maßnahmen zur Behandlung des Krankheitsbildes mehr zur Verfügung stehen. Vom Sozialgericht wurde insoweit
zutreffend auf die vorliegenden substantiierten Befundberichte der Fachärzte sowie des behandelnden Hausarztes verwiesen.
Darin wurden die langjährigen erfolglosen Behandlungsversuche mit den alternativ in Betracht kommenden zugelassenen Arzneimitteln
umfassend beschrieben und nachvollziehbar dargelegt, aus welchen Gründen diese im Falle der Antragstellerin nicht wirken bzw.
zu unzumutbaren Unverträglichkeiten führen. Das Sozialgericht hat weiterhin zu Recht darauf hingewiesen, dass auch die bis
zum Inkrafttreten der Anspruchsgrundlage des §
31 Abs.
6 SGB V erteilte Ausnahmegenehmigung für den Erwerb von Cannabis gemäß § 3 Abs. 2 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) als Indiz dafür gewertet werden kann, dass der Antragstellerin Behandlungsversuche mit alternativen Therapiekonzepten nicht
mehr zumutbar sind, da mangelnde bzw. unzumutbare Behandlungsalternativen gemäß § 13 Abs. 1 S. 2 BtMG auch zu den Anspruchsvoraussetzungen dieses Genehmigungsverfahrens gehören. Damit wurde von der Antragstellerin hinreichend
glaubhaft gemacht, dass in ihrem Einzelfall der Verweis auf allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende
Medikamente bzw. Therapien nach der begründeten Einschätzung Ihrer behandelnden Ärzte unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen
und unter Berücksichtigung Ihres Krankheitszustandes nicht zumutbar ist. Von der Antragsgegnerin wird dies im Beschwerdeverfahren
auch nicht in Abrede gestellt.
Gleiches gilt für das Bestehen einer nicht ganz entfernt liegenden Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung von Sativex
auf den Krankheitsverlauf und die hierdurch hervorgerufenen schwerwiegenden Symptome bei der Antragstellerin. Von den behandelnden
Ärzten wurden die positiven Auswirkungen der Medikation mit Sativex auf die Beschwerdesymptomatik der Antragstellerin übereinstimmend
dargelegt. Dabei wurde insbesondere beschrieben, dass durch den Einsatz von Sativex eine zuvor durch die gängigen opiathaltigen
Schmerzmedikamente eingetretene Opiatabhängigkeit sowie die hierdurch hervorgerufenen körperliche Funktionsstörungen und Synkopen
erfolgreich behoben werden konnten. Gleiches gilt für die eingetretenen Nebenwirkungen nach Absetzen der Opiate und deren
Austausch durch die Medikamente Palexia retard, Carbamazepin und Novaminsulfon 500 (extreme Abgeschlagenheit und Müdigkeit,
Herzrhythmusstörungen, Kopfschmerzen, Hautreaktionen, depressive Symptomatik). Die Antragsgegnerin ist in ihrer Beschwerdebegründung
den betreffenden Feststellungen des Sozialgerichts ebenfalls nicht entgegengetreten. Mit den zutreffenden Ausführungen des
Sozialgerichts sieht es auch der Senat als glaubhaft an, dass durch den Einsatz von Sativex eine spürbare positive Einwirkung
auf den Krankheitsverlauf und die hierdurch hervorgerufenen schwerwiegenden Symptome bei der Antragstellerin verzeichnen ist.
Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin unterfällt Sativex auch den von der Regelung erfassten Wirkstoffen bzw. Medikamenten
("Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität, Arzneimitteln mit den Wirkstoffen
Dronabinol oder Nabilon"). Das Sozialgericht hat diesbezüglich zutreffend darauf hingewiesen, dass es sich bei Sativex um
ein Fertigarzneimittel handelt, das im Wesentlichen auf einem Cannabisextrakt basiert und als solches vom Regelungsgehalt
des §
31 Abs.
6 SGB V erfasst wird. Das als Mundspray eingesetzte Sativex enthält einen Dickextrakt aus der Hanfpflanze Cannabis sativa L., der
mit flüssigem Kohlenstoffioxid aus den Blättern und Blüten gewonnen wird. Die aktiven Inhaltsstoffe sind Tetrahydrocannabinol
(THC, Dronabinol) und Cannabidiol (http://www.pharmawiki.ch). Dabei ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien, dass mit der
Einführung des §
31 Abs.
6 SGB V nicht die Absicht bestand, Sativex als bis dahin einziges zugelassenes cannabishaltiges Fertigarzneimittel von dieser Bestimmung
auszunehmen. Ziel der Neuregelung war vielmehr, die Verschreibungsfähigkeit "weiterer" Arzneimittel auf Cannabisbasis herzustellen
(BTDrs. 18/8965 S. 21). Damit bestand für den Gesetzgeber keine Veranlassung, Sativex ausdrücklich in den Wortlaut des §
31 Abs.
6 S.1
SGB V aufzunehmen, so dass mit den zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts auch das in Deutschland zugelassene Fertigarzneimittel
Sativex der Regelung unterfällt (so ausdrücklich BTDrs. 18/8965 S. 23). Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin steht dem
auch nicht entgegen, dass aufgrund der bestehenden Zulassung von Sativex als Add-on-Therapeutikum für erwachsene Multiple-Sklerose-Patienten
mit mittelschwerer bis schwerer Spastik daneben grundsätzlich die Möglichkeit der Verordnung in anderen Anwendungsbereichen
über das Rechtsinstitut des Off-Label-Use besteht. Es lässt sich weder dem Wortlaut des §
31 Abs.
6 SGB V noch dem Regelungszusammenhang entnehmen und steht zudem wie dargestellt - den Gesetzesmaterialien entgegen, eine Einschränkung
dieser Bestimmung mit einer bestehenden Verordnungsfähigkeit im Wege des Off-Label-Use zu begründen. Das Sozialgericht hat
zutreffend dargelegt, dass die zum 10. März 2017 neu eingeführte Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck unter Einbeziehung der
Gesetzesbegründung gerade auch eine therapeutische Verwendung von cannabishaltigen Präparaten indikationsübergreifend - das
heißt im Wege des Off-Label-Use - ermöglichen soll, ohne dass die vom Bundessozialgericht aufgestellten Kriterien bei Fertigarzneimitteln
kumulativ erfüllt sein müssen. Der Senat stimmt dem Sozialgericht auch insoweit zu, als sich eine Schlechterstellung zugelassener
Fertigarzneimittel gegenüber einem kontrollierten Cannabis-Anbau auch unter Qualitätsgesichtspunkten nicht rechtfertigen lässt,
da die Sicherheit, Wirksamkeit und die Qualität dieser Arzneimittel durch die Zulassung schon belegt sind.
Bezüglich des vorliegend bestehenden Anordnungsgrundes für den Erlass einer einstweiligen Anordnung aufgrund des Bestehens
gravierender Nebenwirkungen bei der Einnahmen der alternativ in Betracht kommender Medikamente sowie der beträchtlichen Kosten,
welche der Antragstellerin bei einer Selbstbeschaffung von Sativex bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens entstehen würden,
wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden und auch von der Antragsgegnerin nicht in Abrede gestellten Ausführungen
des Sozialgerichts in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.