Anerkennung eines Arbeitsunfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung für einen Taxifahrer nach einem Mordanschlag
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob das Ereignis vom 7. November 2009 als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.
Der 1975 geborene Kläger ist ausgebildeter Maler und Lackierer und war zeitweise nebenberuflich als Taxifahrer beschäftigt.
Am späten Abend des 7. November 2009 wartete der Kläger im Bereich des Bahnhofs der XY.-Gesellschaft (XY.-Bahnhof) auf Kunden.
Während er sich mit Kollegen am Taxistand unterhielt, näherten sich zwei laut schreiende Männer. Von dem Kläger daraufhin
gebeten, etwas leiser zu sein, zog einer davon eine Pistole und zielte auf Kopf und Bauch des Klägers. Letztlich getroffen
wurde der Kläger von einem Projektil knapp oberhalb des Bauchnabels. Ein anderer Taxifahrer brachte den Kläger in das St.
Josef-Krankenhaus in A-Stadt, von dort wurde er in das Universitätsklinikum Mannheim verlegt und dort in den frühen Morgenstunden
des 8. November 2009 operiert.
Der Durchgangsarzt des St. Josef-Krankenhauses A-Stadt, Dr. C., berichtete am 10. November 2009, der Kläger sei nach erfolgloser
Streitschlichtung zwischen zwei Personen durch einen Pistolenschuss in den Bauch getroffen worden. Das Ereignis habe sich
gegen 22.30 Uhr ereignet. Vorgefunden habe er 2 cm neben dem Bauchnabel ein Einschussloch, eine Austrittsstelle des Projektils
sei nicht zu erkennen gewesen. Nach dem Entlassungsbrief des Universitätsklinikums Mannheim, Chirurgische Klinik, vom 20.
November 2009 befand sich der Kläger dort vom 7. November 2009 bis zum 20. November 2009 in stationärer Behandlung. Nach dem
Behandlungsverlauf wurde am 8. November 2009 eine Notfalllaparotomie durchgeführt, die einen abdominellen Steckschuss mit
Verletzung des Dünndarms, des Mesenteriums und des Retroperitoneums mit ca. 1,5 Liter Blut im Abdomen gezeigt habe. Das Projektil
sei subcutan in der Rückenmuskulatur stecken geblieben. Operativ sei das verletzte Dünndarmsegment 50 cm nach Tritz reseziert
worden, die blutende Mesenterialvene sei genäht und zur Blutstillung im Abstand aller 4 Quadranten austamponiert worden.
In seiner ersten Erklärung zu dem Ereignis teilte der Kläger am 7. Dezember 2009 mit, dass sich zwei Passanten lautstark auf
offener Straße gestritten hätten. Als er den Streit schlichten wollte, habe einer der Männer ohne Vorwarnung eine Pistole
gezückt und ihn unvermittelt in den Bauch geschossen. Die Täter seien nach der Bluttat geflüchtet, inzwischen in Österreich
erfasst worden.
Das Landgericht Darmstadt verurteilte den Täter D. mit Urteil vom 20. April 2010 (Az.: 431 Js 54070/09 11 KS) wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubten Führens einer
halbautomatischen Kurzwaffe zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an den Kläger
in Höhe von 25.000,00 Euro. Zum Tathergang finden sich in der Entscheidung folgende Ausführungen:
"Im Bereich des XY.-Bahnhofs hielten sich bereits drei Taxifahrer auf, nämlich die Zeugen E. und F. sowie der Geschädigte
A., die dort auf Kunden warteten (...). Der Geschädigte A. war als Letzter zu der Bushaltestelle gekommen, nachdem er seinen
Wagen abgestellt hatte, stieg er aus und ging zu seinen in ihren Wagen sitzenden Kollegen, den Zeugen F. und E., um diese
zu begrüßen. Der Angeklagte und der Zeuge G. näherten sich nunmehr der Gruppe der Taxifahrer, wobei insbesondere der Angeklagte
laut herumschrie und grölte, u.a.: "Ich kann schreien wie ich will, mir kann keiner etwas sagen!". Als der Angeklagte und
der Zeuge G. bei der Gruppe der Taxifahrer ankamen, forderte sie der Geschädigte A. auf, nicht so einen Lärm zu machen und
sagte sinngemäß: "Seid doch still, wir sind doch nicht im Wald!". Dies konnte und wollte sich der Angeklagte nicht gefallen
lassen. Ihm hatte keiner zu sagen, er solle ruhig sein. Ihn hatte niemand zu maßregeln. Er konnte tun und lassen, was er wollte.
Deshalb grölte er weiter herum und schrie in Richtung des Geschädigten A.: "Was willst du machen? Ich kann schreien, wie ich
will!". Wiederum forderte der Geschädigte A. den Angeklagten auf, leise zu sein und abzuhauen. Und wieder antwortete der Angeklagte
sinngemäß, er könne machen, was er wolle. Der Geschädigte A. ging nun ein Stück auf den Angeklagten und Zeugen G. zu und forderte
sie laut und deutlich auf: "Haut ab!", wobei er sich von ihnen abwandte und wieder zu seinem Taxi zurückgehen wollte. Dies
war die Initialzündung für das, was sodann geschehen sollte. Der Angeklagte war wütend. Niemand hatte ihm irgendwelche Vorschriften
zu machen, insbesondere nicht der Taxifahrer A. Niemand hatte ihn aufzufordern abzuhauen. Und weil dieser Taxifahrer gewagt
hatte, ihn zu maßregeln, sollte er dafür büßen. Der Angeklagte rief dem Geschädigten A. zu: "Ich kann dich auf der Stelle
ficken!". Der Geschädigte A. drehte sich wieder zu dem Angeklagten um und ging wieder auf diesen zu. Der Angeklagte zog darauf
seinen Pullover hoch und die von ihm mitgeführte Pistole aus dem Hosenbund hervor und zielte auf den Kopf des Geschädigten
A. (...) Der Geschädigte A. dachte in diesem Augenblick, dass es sich bei dem von dem Angeklagten in der Hand geführten Gegenstand
um einen Elektroschocker handelte, ließ sich davon nicht beeindrucken und forderte den Angeklagten erneut auf, abzuhauen.
Nun reichte es dem Angeklagten endgültig. Er wollte den Geschädigten A. für seine unbotmäßige Einmischung bestrafen und ihn
töten. Zweimal kurz nacheinander drückte der Angeklagte mit der auf den Kopf des Geschädigten A. gerichteten Pistole ab. Es
löste sich jedoch kein Schuss, da die Pistole zwar mit einem Magazin versehen und entsichert, jedoch nicht durchgeladen war
und sich deshalb keine Patrone im Lauf befand. Es machte daher nur zweimal "klick". Der Geschädigte A. ging nun einen weiteren
Schritt auf den Angeklagten zu. Sie waren jetzt etwa 1 bis 1,5 Meter voneinander entfernt. Der Angeklagte lud, nach dem er
realisiert hatte, dass die Waffe nicht durchgeladen war, die Pistole durch, zielte auf den Bauchbereich des Geschädigten A.
und drückte ab, um den Geschädigten A. zu töten. Diesmal löste sich ein Schuss, die Kugel traf den Geschädigten A. 2 cm links
neben dem Nabel und drang in den Bauchraum ein, worauf der Geschädigte A. zu Boden sackte."
In einem Fragebogen der Unfallkasse Hessen führte der Kläger zu dem Ereignishergang vom 7. November 2009 aus:
"Ich standt am XY. Bahnhof. Zwei Männer steidet und lautstark am XY. vorbei ich sagte muß es so laut sein sein da gingen gingen
die Zwei auf mich zu und der andere schießte auf mich. (...) Ich wollte die Männer nur schlichten. Habe die Männer nur Angesprochen
um was es ging."
Mit Bescheid vom 5. Januar 2011 lehnte die Beklagte es ab, dass Ereignis vom 7. November 2009 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Zur Begründung führte sie aus, ein Unfall infolge einer Streitigkeit am Arbeitsplatz stehe nur dann unter dem Schutz der gesetzlichen
Unfallversicherung, wenn der Streit aus betrieblichen Gründen entstanden sei bzw. aus Gründen hervorgehe, die mit der betrieblichen
Tätigkeit zusammenhingen. Der örtliche und zeitliche Zusammenhang des Streits mit der betrieblichen Tätigkeit reiche für eine
Anerkennung als Arbeitsunfall nicht aus. Ursächlich für den Streit am 7. November 2009 seien nicht die betriebliche Tätigkeit
oder andere betriebliche Gründe gewesen, sondern ausschließlich das Auftreten der zwei Männer, welches dem Kläger persönlich
missfallen gehabt habe. Somit läge kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Streit und der versicherten Tätigkeit vor.
In seinem Widerspruch hiergegen wies der Kläger darauf hin, zum Unfallzeitpunkt am Taxistand auf Kunden gewartet, sich somit
bei der Ausübung der versicherten Tätigkeit befunden zu haben. Nach den Feststellungen im Strafverfahren hätten sich der Täter
und ein Zeuge genähert, wobei der Täter laut herumgeschrien und gegrölt hätte. Es sei sicher richtig, dass er den Täter aufgefordert
habe, ruhig zu sein. Dies sei jedoch nicht als private Angelegenheit anzusehen, sondern es gehöre zu der betrieblichen und
versicherten Tätigkeit, wenn er sich gegen Störer bei der betrieblichen Tätigkeit wende. Es sei Bestandteil der versicherten
Tätigkeit des Klägers, Personen um Ruhe zu bitten, die ihn bei dieser störten. Entsprechend sei ein ursächlicher Zusammenhang
zwischen der versicherten Tätigkeit des Klägers und der anschließenden Gewalttat des Täters gegeben.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 2011 zurück. Zwar schließe eine Streitigkeit die Annahme
eines Arbeitsunfalles grundsätzlich nicht aus. Gerate ein Arbeitnehmer während seiner Arbeitstätigkeit in eine Auseinandersetzung,
sei Versicherungsschutz gegeben, wenn der Streit in einem inneren (sachlichen) Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit
stehe. Der innere Zusammenhang beschreibe die Zurechnung des unfallbringenden Verhaltens zu dem versicherten Tätigkeitsbereich.
Die Zurechnung erfolge im Regelfall durch die wertende Feststellung der Handlungstendenz des Betroffenen, soweit sie insbesondere
durch die objektiven Umstände des Einzelfalles bestätigt werde. Dabei seien alle Umstände des Einzelfalles sowie alle entscheidenden
Einzelheiten in der Person des Handelnden, der Arbeitsvorgang und das sich daraus ergebende Gesamtbild in Betracht zu ziehen.
Die Qualifizierung eines Unfalles infolge einer Streitigkeit als Arbeitsunfall sei zu bejahen, wenn eine auf die Belange des
Betriebes gerichtete Handlungstendenz vorliege. Der zur Anerkennung eines Arbeitsunfalles erforderliche innere Zusammenhang
sei auch dann nicht ausgeschlossen, wenn der Versicherte einem vorsätzlichen Angriff zum Opfer falle. Hinsichtlich der Frage,
ob zwischen dem Angriff und der versicherten Tätigkeit ein innerer Zusammenhang bestehe, seien in der Regel die Beweggründe
entscheidend, die den Angreifer zu seinem Vorgehen bestimmt hätten. Seien diese in Umständen zu suchen, die in keiner Verbindung
mit der versicherten Tätigkeit des Verletzten stünden, fehle es grundsätzlich an dem erforderlichen inneren Zusammenhang mit
der versicherten Tätigkeit. Anhaltspunkte für eine betriebsbedingte Ursache der Auseinandersetzung bestünden nicht. Insbesondere
sei nicht erkennbar, dass die an den Schädiger gerichtete "Mahnung zur Ruhe" des Klägers eine auf die Belange seiner Taxifahrertätigkeit
gerichtete Handlungstendenz zugrunde gelegen habe. Auch bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Schädiger den Kläger
aus Gründen angegriffen gehabt habe, die mit seiner Arbeitstätigkeit zusammengehangen hätten. Der Umstand, dass der Kläger
während der Arbeitszeit in die Auseinandersetzung verwickelt und dabei verletzt worden sei, reiche allein nicht aus, um den
Versicherungsschutz zu begründen.
Seinen Anspruch hat der Kläger mit Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt weiterverfolgt. Zur Begründung hat er zunächst bekräftigt,
dass es zu seiner betrieblichen und versicherten Tätigkeit gehöre, wenn er sich gegen Störer wende und diese um Ruhe bitte.
Die Betriebsbezogenheit und der Bezug zu der versicherten Tätigkeit ergäben sich zudem auch daraus, dass der Täter und sein
Begleiter auf den Taxistand zugesteuert seien und beide daher den Anschein vermittelt hätten, sie seien mögliche Kunden für
die wartenden Kollegen oder gar für den Kläger selbst. Der Kläger habe sie als mögliche Fahrgäste angesehen, bei denen eine
Mäßigung auch deshalb angezeigt gewesen sei, damit eine anschließende Fahrt störungsfrei hätte verlaufen können. Zu berücksichtigen
sei auch, dass der Kläger und seine Kollegen auf Kunden gewartet hätten. Bei lärmenden Personen im Bereich des Taxistandes
wäre für den Kläger zu befürchten gewesen, dass andere potentielle Kunden abgeschreckt worden, wieder weggegangen wären und
andere Verkehrsmittel für ihre Fahrt gewählt hätten. Schließlich ergebe sich ein Zusammenhang zwischen der Gewalttat und der
beruflichen Tätigkeit des Klägers auch aus der Motivation des Täters selbst. Nach den Feststellungen des Strafverfahrens habe
sich der Täter nicht vom Kläger als Taxifahrer Vorschriften machen lassen wollen. Hieraus werde deutlich, dass der Täter den
Kläger nicht als Privatperson, sondern bei Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit als Taxifahrer gesehen und wahrgenommen gehabt
habe. Der Kläger habe als Taxifahrer büßen sollen und sei entsprechend Opfer der Gewalttat geworden.
Das Sozialgericht hat der Klage durch Gerichtsbescheid vom 4. Januar 2013 unter Aufhebung des Bescheides vom 5. Januar 2011
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 2011 stattgegeben und festgestellt, dass es sich bei dem Ereignis vom 7.
November 2009 um einen Arbeitsunfall handelt. Der Kläger sei bei seiner Tätigkeit als Taxifahrer als Beschäftigter gesetzlich
unfallversichert gewesen (versicherte Tätigkeit). Zur Zeit der tätlichen Auseinandersetzung mit dem Angreifer (dem von außen
wirkenden Unfallereignis) habe er auf Kunden gewartet und sei damit einer versicherten Verrichtung nachgegangen (innerer bzw.
sachlicher Zusammenhang). Dies werde auch von der Beklagten nicht bestritten. Auch läge die Unfallkausalität, also der Zusammenhang
zwischen der Verrichtung des Klägers zum Zeitpunkt des Überfalls und dem Überfall als dem Unfallereignis vor. Die Tätlichkeit
sei aus der Betriebszugehörigkeit unmittelbar hervorgegangen. Eines betriebsbezogenen Motives bedürfe es nicht, da kein Tatmotiv
aus dem persönlichen Bereich von Täter oder Opfer zum Überfall geführt hätte. Der Kläger habe den Angreifer während des Wartens
auf Kundschaft, damit während seiner versicherten Tätigkeit, zur Ruhe ermahnt. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger damit
einen geordneten Ablauf seiner beruflichen Tätigkeit habe gewährleisten wollen. Jedenfalls sei kein persönliches Tatmotiv
erkennbar. Nach den Feststellungen im Strafprozess habe der Täter den Kläger angegriffen, weil er sich von niemandem Vorschriften
machen lassen wollte, schon gar nicht von dem Kläger als Taxifahrer. Das Unfallereignis sei damit bei einer versicherten Tätigkeit
eingetreten. Mangels konkurrierender Ursache, für die die Beklagte beweispflichtig wäre, sei damit von der Unfallkausalität
auszugehen.
Gegen die ihr am 30. Januar 2013 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte am 18. Februar 2013 Berufung bei dem Hessischen
Landessozialgericht angebracht. Sie trägt vor, die dem Gerichtsbescheid zugrunde liegende Würdigung der Sach- und Rechtslage
entspreche nicht den in der gesetzlichen Unfallversicherung maßgeblichen Kriterien. Bei der Beurteilung des Geschehens vom
7. November 2009, insbesondere des zur Schussverletzung führenden Streits, sei der Grund des Streits von besonderer Bedeutung.
Hierzu habe der Kläger zunächst angegeben, dass er einen lautstarken Streit von zwei vorbeikommenden Männern habe schlichten
wollen. Ein Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit als Taxifahrer sei in keiner Weise erwähnt worden. Diese Handlungstendenz
werde letztlich auch durch die Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht bestätigt. Aus der
Sitzungsniederschrift des Erörterungstermins vom 24. Mai 2012 ergäbe sich, dass der Streit bereits begonnen gehabt habe, als
die Beteiligten noch ca. 10 Meter vom Taxistand, entfernt gewesen seien. Er sei vom Kläger ausgegangen, als dieser die Beteiligten
- entsprechend der Entfernung wohl lautstark - aufgefordert hatte, still zu sein, "da es Leute gibt, die hier schlafen". Somit
ergäbe sich aus der Wortwahl des Klägers schon eindeutig, dass er die allgemeine Bevölkerung vor einer Ruhestörung habe schützen
wollen, während betriebliche Ursachen für diese Aufforderung, auch im Hinblick auf die zu Beginn des Streits vorliegende Entfernung
der Beteiligten zum Taxistand in keiner Weise erkennbar gewesen seien. Die dann im Widerspruchsverfahren und auch in der mündlichen
Verhandlung nachgeschobene Begründung, wonach der Kläger eine Störung seiner betrieblichen Tätigkeit habe beseitigen wollen,
sei dagegen wenig überzeugend. Dies gelte auch für die ebenfalls nachgeschobene Aussage, dass es sich bei den Beteiligten
um Kunden hätte handeln können. Diese Vermutung und der hieraus abgeleitete Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit sei
als Nachweis einer rechtlich wesentlichen Ursache für einen betrieblich verursachten Streit im Hinblick auf die Beweisanforderung
in der gesetzlichen Unfallversicherung ungeeignet. Auch sei die Zusammenhangsvermutung des Sozialgerichts, wonach der Kläger
mit seinem Einwirken auf die Beteiligten einen "geordneten Ablauf seiner beruflichen Tätigkeit gewährleisten wollte", nicht
nachzuvollziehen. Der Kläger selbst habe mehrfach Gründe für die zunächst mündliche Auseinandersetzung angegeben, die eindeutig
nicht im Zusammenhang mit dessen betrieblicher Tätigkeit stünden. Aber auch selbst wenn man zu Gunsten des Klägers annehmen
würde, dass die zunächst erfolgte mündliche Auseinandersetzung noch in einem ursächlichen Zusammenhang mit der beruflichen
Tätigkeit gestanden hätte, wären Leistungen von der Beklagten nicht zu erbringen. Nach der Hergangsschilderung im Urteil des
Landgerichts Darmstadt sei der Kläger nach Beginn der mündlichen Auseinandersetzung von seinem Taxi auf die Streitbeteiligten
zugegangen, habe also seinen Arbeitsplatz verlassen und damit seine betriebliche Tätigkeit unterbrochen. Selbst nach dem der
Beteiligte (richtig: Täter) auf den Kopf des Klägers mit seiner Pistole gezielt und zweimal abgedrückt gehabt habe, sei der
Kläger sogar noch einmal auf den Täter zugegangen, statt aufgrund der Bedrohung mit einer Pistole den Streit unverzüglich
zu beenden und sich in Sicherheit zu bringen. Es handele sich um eine insoweit bewiesene lebensgefährliche Handlungsweise
des Klägers, der sich aus Gründen, die nicht im Zusammenhang mit seiner betrieblichen Tätigkeit als Taxifahrer stünden, einer
so genannten selbst geschaffenen Gefahr ausgesetzt gehabt habe. Die Annäherung des Klägers an eine bewaffnete Person, welche
zuvor bereits durch das Abdrücken der Pistole versucht hätte, ihn mit einem Kopfschuss zu töten, sei in so hohem Maße vernunftswidrig
und gefährlich, dass mögliche betriebliche Komponenten völlig zurückgedrängt würden mit der Folge, dass das zur Schussverletzung
führende Verhalten dem betriebsfremden, privaten Bereich des Klägers zuzurechnen sei.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 4. Januar 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger sieht sich durch die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt und nimmt auf die Begründung in dem Gerichtsbescheid
in vollem Umfang Bezug. Zu dem Vortrag der Beklagten, der Kläger habe zunächst angegeben, er habe einen Streit schlichten
wollen, weist er darauf hin, dass der vom Durchgangsarzt angegebene Unfallhergang nicht von ihm selbst herrühre. Keinesfalls
habe er im Verfahren Gründe nachgeschoben. Die Gewalttat habe sich am Arbeitsplatz des Klägers, nämlich dem Standort am XY.
Bahnhof, ereignet. Von diesem habe sich der Kläger auch nicht entfernt. Zu den Gründen, weshalb er den Täter und seinen Begleiter
angesprochen gehabt habe, habe er umfassend Stellung genommen; es sei ihm nicht zuletzt auch darum gegangen, einen störungsfreien
Betrieb sicherzustellen. Unter Vorlage zweier Lichtbilder von der Örtlichkeit macht er geltend, dass er nach den Gegebenheiten
davon ausgehen musste und konnte, dass es sich bei dem Täter und seinem Begleiter durchaus um Kunden handeln könnte. Einer
selbst geschaffenen Gefahr habe er sich nicht ausgesetzt. Ungeachtet der Tatsache, dass es sich um einen sekundenschnellen
Geschehenslauf gehandelt gehabt hätte, habe der Kläger nach dem Urteil des Landgerichts Darmstadt überhaupt nicht wahrgenommen,
dass der Täter eine Waffe gezogen hatte. Er habe nur einen Gegenstand gesehen, von dem er angenommen hätte, dass es sich um
einen Elektroschocker handele. Von daher habe er, ohne direkten Körperkontakt mit dem Täter gehabt zu haben, nicht im Entferntesten
damit gerechnet, dass er von dem Täter angeschossen werden würde. Damit habe er im Übrigen auch nicht rechnen brauchen.
Im Rahmen der Sachermittlungen von Amts wegen hat der Senat die Strafverfahrensakte von der Staatsanwaltschaft Darmstadt beigezogen,
ebenso die Akte des XY.-Verfahrens des Klägers vom Versorgungsamt Darmstadt (Az.: xxxxxXY.) nebst der Gerichtsakte des dazugehörigen
Verfahrens vor dem Sozialgericht Darmstadt, Az.: S 5 VE 18/11.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsakten der Beklagten und auf die beigezogenen Akten
Bezug genommen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und auch Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Deren Bescheid vom 5. Januar
2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 2011 ist rechtwidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die
Entscheidung des Sozialgerichts Darmstadt vom 4. Januar 2013 ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Kläger hat einen Anspruch
auf Feststellung des Ereignisses vom 7. November 2009 als Arbeitsunfall.
Nach §
8 Abs.
1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse,
die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Abs. 1 Satz 2). Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich,
dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls (bzw. kurz davor) der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer
bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis
- dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod
des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund
des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls,
sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG vom 30. Januar 2007 - B 2 U 23/05 R, vom 17. Februar 2009 - B 2 U 18/07 R und vom 15. Mai 2012 - B 2 U 16/11 R).
Beweisrechtlich ist zu beachten, dass das Unfallereignis selbst sowie die versicherte Tätigkeit als auch der Gesundheitsschaden
mit dem sog. Vollbeweis nachgewiesen sein müssen. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich
ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens nach allgemeiner Lebenserfahrung
geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSGE 45, 19; BSGE 7, 103, 106 sowie 19, 52, 53). Nur für die Kausalbeziehungen zwischen dem unfallbringenden Verhalten und der Krankheit genügt nach
herrschender Meinung der Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, der dann gegeben ist, wenn mehr für als gegen
den Ursachenzusammenhang spricht bzw. wenn bei der Berücksichtigung aller Umstände die für den Ursachenzusammenhang sprechenden
Umstände so stark überwiegen, dass die Entscheidung darauf gegründet werden kann, wobei die bloße Möglichkeit allerdings nicht
ausreicht (s. BSGE 19, 5, 53; BSGE 32, 203, 209, BSG vom 2. Juni 1959 - SozR Nr. 20 zu § 542
RVO).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze stellt sich das Ereignis vom 7. November 2009 als Arbeitsunfall dar.
Der Kläger war als Beschäftigter der Firma Taxi J. in A-Stadt bei der Beklagten gemäß §
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII gesetzlich unfallversichert (versicherte Tätigkeit). Zur Zeit der Gewalttat (dem von außen wirkenden Unfallereignis) ist
er einer versicherten Tätigkeit (Warten auf Kunden am Taxistand) nachgegangen. Auch ist ein innerer bzw. sachlicher Zusammenhang
zwischen dieser versicherten Tätigkeit und der konkreten Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses - der Aufforderung gegenüber
dem Täter, ruhig zu sein - gegeben, der es rechtfertigt, das Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (generell dazu
siehe BSG SozR 2200 § 548 Nr. 82; BSGE 63, 273, 274 = SozR 2200 § 548 Nr. 92; BSG vom 27. März 1990 - 2 RU 45/89 und vom 27. Januar 1994 - 2 RU 3/93).
Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenzen
liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSGE 58, 76, 77 = SozR 2200 § 548 Nr. 70; BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr. 84; BSG SozR 3 - 2200 § 548 Nr. 32; BSG vom 18.04.2000 - B 2 U 7/99 R). Für die tatsächlichen Grundlagen dieser Wertentscheidung ist dabei der volle Nachweis zu erbringen (s.o.); bei vernünftiger
Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der versicherten Tätigkeit als erbracht
angesehen werden können (BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr. 1 m.w.N.). Es muss also sicher feststehen, dass im Unfallzeitpunkt eine - noch - versicherte Tätigkeit
ausgeübt wurde (BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr. 84 m.w.N.).
Umfang und Grenzen des Versicherungsschutzes werden dabei durch die Grundsätze der gesetzlichen Unfallversicherung bestimmt.
Ein wesentliches Prinzip ist die Ablösung der Haftung des Unternehmers gegenüber den bei ihm abhängig Beschäftigten (vgl.
dazu Gitter/von Nunius in Schulin, HS - UV, § 5 Rz. 28, 51, 119). Mit der gesetzlichen Unfallversicherung wird dessen Haftung
für schuldhaftes Verhalten wegen der Verletzung von Schutz- oder Fürsorgepflichten und aus Gefährdungshaftung abgelöst (BSG SozR 3 - 2200 § 548 Nr. 41). Eine Einstandspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung besteht daher nur dann, wenn sich durch eine Handlung
des Geschädigten, die den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt, ein Risiko verwirklicht hat, gegen
dessen Eintritt nicht die Unfallversicherung ganz "allgemein", sondern gegen den der jeweils durch die Handlung erfüllte Versicherungstatbestand
schützen soll (Hess. LSG vom 17. September 2013 - L 3 U 122/11).
Aufgrund einer Gesamtschau des Verfahrens, insbesondere aufgrund der Angaben des Klägers und den Feststellungen des Urteils
des Landgerichts Darmstadt im Strafverfahren gegen den Täter D. u.a. wegen versuchten Mordes, ist der Kläger einem gegen seine
Person gerichteten Mordanschlag zum Opfer gefallen. Der Senat folgt den rechtskräftigen Feststellungen des Landgerichts, woraus
sich ergibt, dass sich dem Taxistand am XY.-Bahnhof in A-Stadt, an dem sich der Kläger mit zwei Kollegen auf Kunden wartend
am späten Abend des 7. November 2009 aufhielt, zwei laut herumschreiende und grölende Männer näherten. Nachdem der Kläger
die beiden dreimal aufgefordert hatte, ruhig bzw. leiser zu sein und abzuhauen, zog einer der Männer, D., eine Waffe und zielte
zweimal auf den Kopf des Klägers und drückte auch jeweils die zu diesem Zeitpunkt noch nicht durchgeladene Pistole ab. Daraufhin
ging der Kläger einen weiteren Schritt auf den Täter zu, dieser lud die Pistole und schoss dem Kläger in den Bauch.
Der vom Landgericht zugrunde gelegte Tathergang entspricht dabei den vom Kläger im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmungen
gemachten Angaben vom 8. und 12. November 2009, wobei der Kläger jeweils erklärte, von einem Streit der Männer ausgegangen
zu sei. Ähnlich hatte sich der Kläger offenbar auch gegenüber dem Durchgangsarzt Dr. C. direkt nach der Tat geäußert, der
in seinem Bericht vom 10. November 2009 ebenfalls von einer von dem Kläger intendierten Streitschlichtung schreibt, in deren
Gefolge es zu einem Pistolenschuss in den Bauch gekommen sei. Als Grund für seine Aufforderung, ruhig(er) zu sein, gab der
Kläger schließlich auch in seiner Erklärung gegenüber der Beklagten am 7. Dezember 2009 an, die "Passanten schlichten" gewollt
gehabt zu haben. Am 30. Oktober 2009 erklärte er auf einem Formblatt der Unfallkasse Hessen inhaltsgleich "ich wollte die
Männer nur schlichten". Im Erörterungstermin des Sozialgerichts Darmstadt vom 24. Mai 2012 führte der Kläger an, zu zwei laut
grölenden Personen u.a. gesagt zu haben: "seid doch still, es gibt auch Leute, die hier schlafen."
Fest steht danach, dass der Kläger den Täter (und seinen Begleiter) zu Ruhe ermahnen wollte, wobei er subjektiv von einem
Streit zwischen ihnen ausgegangen war. Die von ihm hierzu vorgebrachten Gründe (Sicherstellung eines störungsfreien Taxibetriebes
und einer störungsfreien etwaigen Taxifahrt mit dem Täter und seinem Begleiter, der Abschreckung potentieller Kunden durch
den Lärm entgegenzuwirken) sind glaubhaft und stehen in direktem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit.
Der innere bzw. sachliche Zusammenhang zwischen der Verrichtung und der versicherten Tätigkeit ist daher auch in subjektiver
Hinsicht gegeben. Eine hierauf abzielende Intention liegt vor, wenn der Verletzte den Willen hat, durch die Verrichtung eine
seiner Pflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen oder die Erfüllung von Vor- und Nachbereitungshandlungen, die
das Gesetz versichert, zu ermöglichen, zu fördern oder zu sichern (BSG vom 18. Juni 2013 - B 2 U 7/12 R). Bei dem Kläger ist eine betriebsbezogene Handlungstendenz zu bejahen. Es ist realitätsnah und nachvollziehbar, dass potentielle
Kunden einen Taxistand, an dem sich (auch) schreiende und grölende Menschen befinden, meiden. Die Bitte des Klägers um Ruhe
diente insoweit der Aufrechterhaltung eines geordneten und störungsfreien Taxibetriebs an dem Standort des Klägers am XY.-Bahnhof.
Die Aussage des Klägers im Erörterungstermin vor dem Sozialgericht Darmstadt, die er im Senatstermin wiederholt hat, steht
dazu nicht im Widerspruch, erweitert lediglich die Zielrichtung der Bitte des Klägers um Ruhe auch auf den privaten Bereich.
Danach ging es dem Kläger ebenfalls um die "hier" schlafenden Menschen. Dass der Kläger auch im Interesse der in der Umgebung
des XY.-Bahnhofs schlafenden Nachbarn handelte, vermag ihm die festgestellte Eigenschaft als versicherter Beschäftigter nicht
wieder zu entziehen.
Soweit für die Aufforderung, ruhig zu sein, (auch) Gründe von Bedeutung sind, die nicht mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängen,
und damit auch eine privatwirtschaftliche Handlungstendenz anzutreffen ist, handelt es sich um eine sog. Verrichtung mit gemischter
Motivationslage bzw. gespaltener Handlungstendenz (BSG vom 26. Juni 2014 - B2 U 4/13 R, vom 9. November 2010 - B 2 U 14/10 R und vom 12. Mai 2009 - B 2 U 12/08 R). Eine solche Verrichtung mit gemischter Motivationslage erfüllt dann den Tatbestand der versicherten Tätigkeit, wenn das
konkrete Geschehen hypothetisch auch ohne die private Motivation des Handelns vorgenommen worden wäre, wenn also die Verrichtung
nach den objektiven Umständen in ihrer konkreten, tatsächlichen Ausgestaltung ihren Grund in der versicherten Handlungstendenz
findet. Insoweit ist nicht auf Vermutungen über hypothetische Geschehensabläufe außerhalb der konkreten Verrichtung und der
objektivierten Handlungstendenz, sondern nur auf die konkrete Verrichtung selbst abzustellen. Es ist zu fragen, ob die Verrichtung,
so wie sie durchgeführt wurde, objektiv die versicherungsbezogene Handlungstendenz erkennen lässt (BSG vom 9. November 2010 - B 2 U 14/10 R), ob also das Handeln trotz der mit ihm verbundenen privaten Zweckverfolgung insgesamt betrachtet darauf abzielte, den in
Betracht kommenden Versicherungstatbestand zu erfüllen (BSG vom 26. Juni 2014 - B 2 U 4/13 R).
Dies ist hier ohne weiteres zu bejahen. Denn nach den objektiven Umständen und der glaubhaften Bekundung des Klägers steht
die Ermahnung zur Ruhe in unmittelbarem sachlichem Zusammenhang mit dem betrieblichen Zweck, die Aufrechterhaltung eines ungestörten
Taxibetriebes zu gewährleisten. Würde man als Kontrollüberlegung den Beweggrund, die nächtliche Ruhe der schlafenden Nachbarn
zu sichern - etwa bei fiktiver Annahme eines Parallelgeschehens am Tag -, hinwegdenken, so bliebe weiterhin der betriebliche
Grund als Motivation, den Täter und seinen Begleiter anzusprechen. Der Kläger stand somit auch unter dem Aspekt einer möglicherweise
gegebenen gespaltenen Handlungstendenz grundsätzlich unter dem Versicherungsschutz des §
8 Abs.
2 Nr.
1 SGB VII.
Aber auch selbst wenn man mit der Beklagten von einer nur im Interesse der schlafenden Nachbarn erfolgten Ermahnung an den
Täter und seinen Begleiter zur Ruhe ausginge, ergäbe sich kein anderes Ergebnis. Denn auch in diesem Fall wäre der innere
bzw. sachliche Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gleichwohl erhalten, da allenfalls von einer nur geringfügigen
Unterbrechung auszugehen wäre.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bleibt der innere Zusammenhang mit der grundsätzlich versicherten Tätigkeit während einer Unterbrechung der versicherten
Tätigkeit aus privaten Gründen nämlich ausnahmsweise dann erhalten, wenn es sich um eine nur geringfügige Unterbrechung handelt
(BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 11/04 R und vom 2. Dezember 2008 - B 2 U 17/07 R). Grund hierfür ist im Wesentlichen, dass in diesen Fällen die der versicherten Sphäre dienende und die private Verrichtung
schwer voneinander zu trennen sind (BSG vom 12. April 2005, aaO.). Eine geringfügige Unterbrechung setzt dabei eine andauernde Ausübung einer versicherten Tätigkeit
voraus und liegt vor, wenn die Unterbrechung durch die private Tätigkeit zeitlich und räumlich ganz geringfügig ist und einer
Verrichtung dient, die "im Vorbeigehen und ganz nebenher" erledigt werden kann (st. Rspr., z.B. BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 11/04 R, vom 2. Dezember 2008 - B 2 U 17/07 R und vom 29. Mai 1991 - 9a/9 RV 28/89). Weitere Voraussetzung ist, dass sich der Versicherte nicht mehr als wenige Meter vom Ort der Tätigkeit entfernt; eine feste
Zeitgrenze für die Dauer der Unterbrechung gibt es im Übrigen nicht, sie dürfte aber bei höchstens etwa 5 Minuten zu ziehen
sein (z.B. wenige Minuten dauerndes privates Gespräch im Stehenbleiben auf einem versicherten Weg - LSG Baden Württemberg
Breith. 1970, 575 für Vierminutengespräch; nicht mehr für zehn Minuten: BSG BG 1965, 196 und LSG Baden Württemberg vom 17. November 2011 - L 10 U 1421/10, UVR 008/2012, 549; vgl. zum Ganzen auch: Ricke in: KassKomm-,
SGB VII, §
8 Rn. 42; Keller in: Hauck/Noftz,
SGB VII Lfg. 1/13, K 8 Rz. 38, 38a).
Versicherungsschutz besteht bei diesen kurzfristigen Unterbrechungen dabei grundsätzlich nicht nur gegen unabhängig von der
privaten Tätigkeit weiterbestehende Gefahren aus dem versicherten Bereich. Unter der Voraussetzung, dass die privaten Gefahren
nur kurzfristig bestanden haben, sind vielmehr regelmäßig auch Gefahren aus der privaten Tätigkeit selbst mit einbezogen (Ricke
in: KassKomm-
SGB VII, §
8 Rz. 42 m.w.N.).
Nach den für den Senat maßgeblichen Feststellungen des Landgerichts Darmstadt und den Bekundungen des Klägers im Erörterungstermin
vor dem Sozialgericht Darmstadt und auch im Senatstermin spielte sich das Tatgeschehen am Taxistand ab, wo der Kläger mit
seinen beiden im Taxi sitzenden Kollegen wartete, er selbst stand vor den beiden Taxen. Die drei Männer unterhielten sich,
als sich zwei laut grölende und schreiende Männer dem Taxistand bzw. dem Kläger und seinen Kollegen näherten. Nach der ersten
Ansprache des Klägers, die bereits aus einer Nähe von nur wenigen Metern (< 10 Meter) erfolgte, sind die beiden dann weiter
schreiend auf den Kläger bzw. die wartenden Taxis zugekommen, woraufhin der Kläger sie nochmals aufforderte, ruhig zu sei
und abzuhauen, sich sodann umdrehte um zu seinem eigenen Taxi zu gehen. Von dem Täter direkt angesprochen, wandte er sich
jedoch diesem wieder mit der erneuten Aufforderung zu, abzuhauen. Nach den dann aus ungeladener Pistole abgegeben Schüssen
ging der Kläger, der nicht von einer Pistole, sondern von einem Elektroschocker in der Hand des Täters ausging, einen weiteren
Schritt auf diesen zu. Aus einer Distanz von 1 bis 1,5m (Urteil Landgericht Darmstadt) bzw. von 3 Metern (Aussage im Senatstermin)
erfolgte der Bauchschuss. Nach den durch die Lichtbildvorlage bestätigten örtlichen Gegebenheiten an dem XY.-Bahnhof und der
Bekundung des Klägers im Erörterungs- und Senatstermin spielte sich das Gesamtgeschehen in einem Umkreis von wenigen, max.
drei Metern, ab. Mit von dem Kläger angegebenen zwei Minuten war es äußerst kurz und verbleibt damit ebenfalls in einem nur
geringfügigen Rahmen. Dass sich bei der danach räumlich und auch zeitlich geringfügigen Unterbrechung eine aus dem zwischen
dem Kläger und dem Täter entstandenen Konflikt, also eine aus der privaten Sphäre des Klägers resultierende Gefahr verwirklicht
hat, ist für die die Frage des inneren Zusammenhangs ohne Bedeutung und erst - später - bei der Frage der Unfallkausalität
zu thematisieren.
Nach alledem ist der innere bzw. sachliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Gewalttat als Unfallereignis
gegeben.
Auch liegt die Unfallkausalität, also der Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit - hier des Ermahnens eines Dritten
zur Ruhe während des Wartens auf einen Kunden als der zur Zeit des Unfalls konkret ausgeführten Verrichtung - und der Gewalttat
(dem Unfallereignis), vor.
Wenn bei der Ausübung einer Verrichtung, die im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, ein Unfallereignis
eintritt, muss vom Vorliegen der Unfallkausalität ausgegangen werden, es sei denn, eine konkurrierende Ursache, wie z.B. eine
innere Ursache oder eine eingebrachte Gefahr, ist feststellbar (vgl. dazu BSG vom 30. Januar 2007 - B 2 U 23/05 R). Für diese konkurrierende Ursache, die der vermuteten Unfallkausalität bei einer versicherten Tätigkeit (ausnahmsweise)
entgegensteht, trägt demzufolge die Beklagte als diejenige, die sich auf eine konkurrierende Ursache beruft, auch die Beweislast
(BSG vom 30. Januar 2007 - B 2 U 23/05 R). Erst wenn eine konkurrierende Ursache feststeht, ist auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie aufbauend
in einem zweiten Prüfungsschritt wertend zu entscheiden, ob die versicherte Ursache wesentlich nach der Theorie der wesentlichen
Bedingung ist (vgl. wiederum nur BSG vom 30. Januar 2007 B 2 U 23/05 R).
Dementsprechend wird bei Unfällen infolge von Überfällen ein Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit vermutet, wenn jemand
während seiner versicherten Tätigkeit Opfer eines Überfalls wird, d.h. wenn die Tätlichkeiten aus der Betriebszugehörigkeit
unmittelbar hervorgegangen ist, ohne dass es eines betriebsbezogenen Motivs bedarf, sofern kein Tatmotiv aus dem persönlichen
Bereich von Täter oder Opfer zum Überfall geführt hat (BSG vom 19. Dezember 2000 - B 2 U 37/99). Bilden persönliche Feindschaften oder betriebsfremde Beziehungen zwischen dem Angreifer und dem Überfallenen den Beweggrund
für den Überfall, dann handelt es sich lediglich um eine Gelegenheitsursache und nicht um eine wesentliche Mitursache des
Unfallereignisses. Trotz eines persönlichen Tatmotivs besteht wiederum Unfallversicherungsschutz, wenn besondere Verhältnisse
bei der versicherten Tätigkeit (Dunkelheit, Umgebung) den Überfall erst ermöglicht oder wesentlich begünstigt haben (BSG vom 19. Dezember 2000 - B 2 U 37/99).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze liegt danach hier die Unfallkausalität vor. Ein privates Überfallmotiv, das der vermuteten
Unfallkausalität als konkurrierende Ursache für den Überfall entgegenstehen könnte, ist weder ersichtlich noch ist ein solches
von der insoweit beweisbelasteten Beklagten vorgetragen worden. Der Kläger und der Täter kannten sich nicht; das Tatmotiv
gründete nach den Feststellungen in dem Urteil des Landgerichts Darmstadt darin, dass der Täter das - betriebsbezogene und
versicherte (s.o.) - Verhalten des Klägers ihm (und seinem Begleiter) gegenüber als unbotmäßige Einmischung empfand, wofür
der Kläger mit dem Tod büßen sollte.
Auch eine kausalitätsunterbrechende sogenannte "selbstgeschaffene Gefahr" liegt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht vor.
Der Begriff der "selbstgeschaffene Gefahr" ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG eng auszulegen und nur mit größter Zurückhaltung anzuwenden (BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 11/04 R). Der Gesetzgeber hat den Begriff des Arbeitsunfalls nämlich unabhängig vom Verschulden des Versicherten festgelegt. Insbesondere
schließt nach §
7 Abs.
2 SGB VII selbstgefährdendes oder verbotswidriges Verhalten den Versicherungsschutz grundsätzlich nicht aus. Einen Rechtssatz des Inhalts,
dass der Versicherungsschutz entfällt, wenn der Versicherte sich bewusst einer höheren Gefahr aussetzt und dadurch zu Schaden
kommt, gibt es daher nicht (BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 11/04 R -). Auch leichtsinniges, unbedachtes Verhalten beseitigt den bestehenden sachlichen Zusammenhang zwischen der versicherten
Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls nicht. Dies ist vielmehr nur ausnahmsweise dann der Fall, wenn ein Beschäftigter
sich derart sorglos und unvernünftig verhält, dass für den Eintritt des Arbeitsunfalls nicht mehr die versicherte Tätigkeit,
sondern die selbstgeschaffene Gefahr als die rechtlich allein wesentliche Ursache anzusehen ist (BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 11/04 R und vom 04. September 2007 - B 2 U 28/06 R). Dabei hat das BSG stets klargestellt, dass ein solches Verhalten den Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall nie ausschließt,
wenn der Versicherte ausschließlich betriebliche Zwecke verfolgt; die selbstgeschaffene Gefahr bekommt also erst dann Bedeutung,
wenn ihr betriebsfremde Motive zugrunde liegen (BSG vom 10. Dezember 1957 - 2 RU 270/55, BSGE 6, 164, 169; vom 05. August 1976 - 2 RU 231/74, BSGE 42, 129, 133; vom 02. November 1988 - 2 RU 7/88, BSGE 64, 159, 161 und vom 12. April 2005 - B 2 U 11/04 R).
Ein sorgloses und unvernünftiges Verhalten in dem beschriebenen Sinne einer in hohem Maße vernunftwidrigen Betätigung ist
vorliegend nicht anzutreffen. Zwar ist der Kläger nach den Feststellungen des Landgerichts Darmstadt nach den aus ungeladener
Pistole abgegebenen beiden Schüssen auf den Täter zugegangen (s.o.). Allerdings war er sich der Gefahr beschossen zu werden,
nicht bewusst. Den Gegenstand, den der Täter aus der Hose genommen hatte - so die Bekundung des Klägers gegenüber der Polizei
am 12. November 2009 -, hat er als einen Elektroschocker wahrgenommen. Dass der Kläger (zunächst) nicht von einer Schusswaffe
ausgegangen war, hat auch das Landgericht in seiner o.a. Entscheidung festgestellt. Ungeachtet der Art und der Gefährlichkeit
der Waffe ist zu berücksichtigen, dass der Täter zweimal auf den Kopf des Klägers mit dem von ihm mitgeführten Gegenstand
gezielt und abgedrückt hat, ohne dass irgendetwas passiert ist. Bei diesem Vorgeschehen ist nachvollziehbar, dass sich der
Kläger in keiner ernsthaften Gefahrsituation wähnte. Da er mit einer körperlichen Schädigung durch eine Schussverletzung folglich
nicht rechnete und auch nicht zu rechnen brauchte, stellt sich sein Verhalten jedenfalls nicht als in hohem Maße leichtsinnig
und vernunftswidrig dar.
Auch bei Annahme einer geringfügigen Unterbrechung der versicherten Tätigkeit ist der Kausalzusammenhang vorliegend nicht
unterbrochen. Ausgehend von dem Grundsatz, dass im Rahmen einer versicherten geringfügigen privaten Unterbrechung sich aus
der privaten Sphäre realisierende Gefahren unbeachtlich sind (so u.a. BSG vom 19. Oktober 1982 - 2 RU 24/81 im Fall der Verletzung an Scherben im Abfalleimer beim Herausholen eines versehentlich hineingeworfenen Kugelschreibers;
Ricke in: KassKomm-
SGB VII, §
8 Rz. 43 m.w.N.), sind allenfalls solche aus dem privaten Bereich entstammende Gefahren geeignet, den rechtserheblichen Kausalzusammenhang
zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall beseitigen, die ihrem Grad nach als rechtlich allein wesentliche Ursache
zu betrachten sind (Ricke in: KassKomm -
SGB VII, §
8 Rz. 99a mit diversen Beispielen und Nachweisen; siehe dazu auch Keller in: Hauck/Noftz,
SGB VII Lfg. 1/13, K 8 Rz. 38b, 290e).
Dies ist hier nicht der Fall. Auch nach der Auffassung der Beklagten, dass der Kläger ausschließlich die schlafenden Nachbarn
vor einer Ruhestörung mit seiner, die versicherte Tätigkeit geringfügig unterbrechenden Ermahnung an den Täter zur Ruhe, schützen
wollte, ist keine rechtlich wesentliche Ursache für die Gewalttat hierdurch gegeben. Nach dem Gesamtgeschehen - und seinem
oben geschilderten Tatmotiv - fühlte sich der Täter durch den Kläger und sein Verhalten ihm gegenüber provoziert, ohne dass
es ihm auf dessen konkrete - betriebsbezogene oder private Handlungstendenz - ankam. Das Risiko, von dem Täter angeschossen
zu werden, hätte daher gleichermaßen bestanden, hätte der Kläger mit seiner Aufforderung zur Ruhe nur betriebliche Interessen
schützen wollen.
Da nach alledem von der Unfallkausalität zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis auszugehen ist und der
Kläger durch das Unfallereignis u.a. ausweislich des Durchgangsarztberichtes von Dr. C. vom 10. November 2009 eine Schussverletzung
am Abdomen (also einen Gesundheitserstschaden) erlitten hat, liegen auch die weiteren Voraussetzungen für die Feststellung
eines Arbeitsunfalls vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.