Erstattungsanspruch zwischen verschiedenen Leistungsträgern
Erstattungsanspruch eines nachrangig verpflichteten Trägers gegen einen vorrangig verpflichteten Rentenversicherungsträger
Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtschutzes die Wiederauszahlung eines von ihr an den Antragsgegner
gezahlten Geldbetrages.
Die Antragstellerin stand zunächst im Leistungsbezug des Antragsgegners (Eigenbetrieb Jobcenter) nach dem SGB II. Nach gutachterlicher Stellungnahme der Deutschen Rentenversicherung Nord vom 21. Januar 2020, wonach die Antragstellerin
zumindest seit Oktober 2019 und zumindest bis Januar 2022 nicht erwerbsfähig ist (und ihr möglicherweise ein Anspruch auf
Rente zusteht), gewährte ihr der Antragsgegner Leistungen nach dem SGB XII. Mit Bescheid vom 24. April 2020 bewilligte er für die Zeit vom 1. April 2020 bis zum 31. März 2021 Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 926,61 Euro (einschließlich KV-Beiträgen).
Mit Bescheid vom 2. Juli 2020 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung Nordbayern der Antragstellerin eine befristete Rente
wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Mai 2020 bis 31. Januar 2022. Der Beginn der laufenden Zahlung der monatlichen
Rente in Höhe von 742,00 Euro (brutto) wurde auf den 1. August 2020 bestimmt, wobei die Auszahlung jeweils zum Monatsende
erfolge. Die Nachzahlung für die Zeit vom 1. Mai 2020 bis 31. Juli 2020 in Höhe von 1.936,46 Euro wurde wegen möglicher Erstattungsansprüche
zunächst einbehalten. Die Antragstellerin informierte den Antragsgegner hierüber mit E-Mail vom 8. Juli 2020 unter Übersendung
einer Kopie des Rentenbescheides.
Mit „Änderungsbescheid“ vom 15. Juli 2020, zur Post am 17. Juli 2020, hob der Antragsgegner ohne vorherige Anhörung seinen
Bescheid vom 24. April 2020 hinsichtlich der Leistungshöhe für den Zeitraum vom 1. Mai 2020 bis 31. März 2021 auf und bewilligte
stattdessen einen monatlichen Betrag in Höhe von 61,24 Euro. Die Überzahlung für den Zeitraum Mai bis Juli 2020 werde über
einen Erstattungsanspruch mit der Krankenkasse und dem Rententräger verrechnet. Mit Schreiben vom 15. Juli 2020, zur Post
ebenfalls am 17. Juli 2020 (einem Freitag), meldete der Antragsgegner bei der DRV Nordbayern einen Erstattungsanspruch wegen
gezahlter Leistungen der Grundsicherung für die Zeit von Mai bis Juli 2020 in Höhe von 1.982,28 Euro an. Mit Schreiben vom
20. Juli 2020 teilte der Rentenversicherungsträger der Antragstellerin mit, dass auf die Nachzahlung in Höhe von 1936,46 Euro
keine Erstattungsansprüche Dritter geltend gemacht worden seien, weshalb der Betrag in Kürze an sie ausgezahlt werde. Unter
dem 24. Juli 2020 teilte der Rentenversicherungsträger dem Antragsgegner mit, dass die Nachzahlung bereits ausgezahlt sei
und nicht mehr für eine Erstattung zur Verfügung stehe. Am 27. Juli 2020 wurde der Betrag auf dem Konto der Antragstellerin
gutgeschrieben. Noch am gleichen Tag überwies die Antragstellerin diesen Betrag an den Antragsgegner, ohne hierzu aufgefordert
worden zu sein.
Mit zwei Schreiben vom 30. Juli 2020 erhob die Antragstellerin Widerspruch gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15. Juli
2020 und begehrte zudem Vorleistungen für den Monat August 2020, da die Rente erstmalig erst zum Ende des Monats ausgezahlt
werde. Zugleich übersandte sie einen Überweisungsbeleg vom 27. Juli 2020.
Mit Datum vom 4. August 2020 erließ der Antragsgegner folgenden „Einstellungs- und Rückforderungsbescheid 1. Die Leistungen
der Hilfe zum Lebensunterhalt […] werden rückwirkend ab dem 1. Mai 2020 mit der Rentenzahlung verrechnet. 2. Die Leistungen
der Hilfe zum Lebensunterhalt ab 1. Juni 2020 werden auf Grund von einem Wohngeldanspruch eingestellt. 3. Die Überzahlung
für den Zeitraum vom 1. Mai 2020 bis 31. Juli 2020 in Höhe von 1.936,46 Euro sind zu erstatten. 4. Die Überzahlung für den
Zeitraum vom 1. Juni 2020 bis 31. Juli 2020 in Höhe von 145,39 Euro wird über einen Erstattungsanspruch mit der Stadt A-Stadt,
Wohngeldbehörde, verrechnet.“
Aus dem vorliegenden Sachverhalt ergebe sich, dass die Antragstellerin die Überzahlung gemäß § 50 SGB X zu erstatten habe, wozu sie bis zum 2. September 2020 aufgefordert werde.
Mit einem Bescheid vom 10. August 2020 bewilligte der Antragsgegner eine Überbrückungsleistung in Höhe von 660,76 Euro bis
zur ersten laufenden Rentenzahlung. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 12. August 2020 setzte der Antragsgegner den Leistungsbetrag
unter Aufhebung seines Bescheides vom 15. Juli 2020 auf monatlich 84,15 Euro für Mai und Juni 2020, für Juli 2020 erneut auf
61,24 Euro fest. Wiederum hieß es, dass die Überzahlung für den Zeitraum Mai bis Juli 2020 über einen Erstattungsanspruch
mit der Krankenkasse und dem Rententräger verrechnet werde.
Am 17. August 2020 hat die Antragstellerin einen Antrag auf einstweilen Rechtsschutz beim Sozialgericht Stralsund gestellt.
Sie hat die Rückzahlung der von ihr geleisteten 1.936,46 Euro begehrt und sinngemäß vorgetragen, der Antragsgegner müsse sich
an den Rentenversicherungsträger halten. Sie habe keine Schulden beim Antragsgegner.
Die Antragstellerin hat sinngemäß beantragt,
den Antragsgegner zu verpflichten, den Betrag in Höhe von 1.936,46 Euro wieder auszukehren.
Der Antragsgegner hat keinen Antrag gestellt.
Mit Beschluss vom 24. August 2020 hat das Sozialgericht den Eilantrag abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei
weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Es möge zwar ein Rückzahlungsanspruch aus ungerechtfertigter
Bereicherung vorliegen, da die Kammer bislang keine Kenntnis von einer Leistungsaufhebung für zurückliegende Zeiträume habe.
Dies berühre indes nicht den Sozialleistungsanspruch der Antragstellerin, da ihr mit Bescheid vom 10. August 2020 darlehensweise
bedarfsdeckende Leistungen bewilligt worden seien. Auch ein Anordnungsgrund im Sinne einer Eilbedürftigkeit liege nicht vor.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde vom 27. August 2020. Ohne die Auszahlung des Betrages werde
ihr der von ihr beabsichtigte Umzug unmöglich gemacht. Sie verfüge über keinerlei Vermögen und lediglich ein Einkommen aus
Rente und Wohngeld in Höhe von ca. 840 Euro monatlich.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
der Beschluss des Sozialgerichts Stralsund vom 24. August 2020 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, den Betrag
in Höhe von 1.936,46 Euro wieder auszukehren.
Der Antragsgegner beantragt schriftsätzlich,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung trägt er vor, zwar habe der Rentenversicherungsträger ohne Berücksichtigung des angemeldeten Erstattungsanspruchs
die Nachzahlung auf das Konto der Antragstellerin überwiesen, jedoch habe diese umgehend die Nachzahlung an ihn überwiesen.
Damit sei der Erstattungsanspruch des Antragsgegners erfüllt. Ferner hat er auf den Änderungsbescheid vom 12. August 2020
hingewiesen. Bei der festgesetzten Überzahlung in Höhe von 2.559,29 Euro für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Juli 2020 sei berücksichtigt
worden, dass die Antragstellerin bereits einen Betrag in Höhe von 1.936,46 Euro zurückgezahlt habe. Für den verbleibenden
Betrag sei eine Erstattungsanzeige gegenüber der Techniker Krankenkasse erfolgt. Die Antragstellerin habe keinen Anspruch
auf erneute Auszahlung des Nachzahlung- bzw. Erstattungsbetrages gegenüber dem Antragsgegner.
Der Senat hat den Antragsgegner nach Eingang der Beschwerde auf die Vorschrift des § 107 SGB X hingewiesen. Eine Reaktion auf diesen Hinweis erfolgte nicht.
II.
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.
Die Klägerin hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, vgl. §
86b Abs.
2 SGG in Verbindung mit §
920 Abs.
2 ZPO.
Ihr steht auf der Grundlage des geklärten und zwischen den Beteiligten unstreitigen Sachverhalts der geltend gemachte Anspruch
aus dem Rechtsinstitut des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs in entsprechender Anwendung von §
812 Abs.
1 BGB zu. Nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung besteht ein Anspruch auf Herausgabe des rechtsgrundlos Erlangten,
wenn eine Leistung ohne Rechtsgrund oder eine sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebung erfolgt ist. Seine Anspruchsvoraussetzungen
und Rechtsfolgen entsprechen denen des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs, soweit spezialgesetzlich nichts Abweichendes
geregelt ist.
Der Antragsgegner hat durch die Leistung (Überweisung) der Antragstellerin den von ihr zurückgeforderten Betrag in Höhe von
1.936,45 Euro ohne Rechtsgrund erlangt. Insbesondere hat die Antragstellerin mit ihrer Überweisung nicht einen (möglichen)
Erstattungsanspruch des Antragsgegners gegen den Rentenversicherungsträger erfüllen können, weil es sich hierbei um einen
völlig eigenständigen Anspruch handelt, (vgl. BSG, Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 11/08 R –, Rn. 15, juris). Die Erstattung nach den §§ 102 ff. SGB X vollzieht sich allein zwischen den Leistungsträgern ohne Beteiligung des Versicherten (BSG, a. a. O.).
Gemäß § 107 Abs. 1 SGB X gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch
besteht. Ob hier die Tatbestandsvoraussetzungen eines Erstattungsanspruchs zwischen den Sozialleistungsträgern nach den §§
102 ff SGB X vorliegen, ob insbesondere die Auszahlung der Rentennachzahlung durch den Rentenversicherungsträger an die Antragstellerin
gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 Teilsatz 2 SGB X nicht mehr mit befreiender Wirkung erfolgen konnte, weil er bereits von der Vorleistung des Antragsgegners Kenntnis hatte,
braucht der Senat dabei nicht zu klären.
Die Zahlung von Sozialhilfe für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Juli 2020 wäre in diesem Falle als rechtmäßige Zahlung auf den
Anspruch der Antragstellerin auf Erwerbsminderungsrente anzusehen. Hieraus folgte, dass die Antragstellerin das Recht hätte,
die rechtmäßig geleistete Zahlung zu behalten. Der Antragsgegner hätte vielmehr allein einen Erstattungsanspruch gegenüber
dem Rentenversicherungsträger, da es für den Eintritt der Erfüllungsfiktion einzig auf das Entstehen des Erstattungsanspruchs
ankommt; die Erfüllung des Erstattungsanspruchs ist keine Tatbestandsvoraussetzung (vgl. Burkiczak, in: juris Praxiskommentar,
§ 107 SGB X Rz. 18 ff.). Die dann anzunehmende doppelte Rentenleistung (einerseits durch den Antragsgegner, andererseits durch den Rentenversicherungsträger)
könnte nur der tatsächlich verpflichtete Leistungsträger, hier mithin der Rentenversicherungsträger nach § 50 Abs. 2 SGB X vom Leistungsempfänger zurückfordern (vgl. juris PK, a. a. O., Rz 36).
Auch für den Fall, dass die Rentennachzahlung noch vor Kenntnis des Rentenversicherungsträgers von dem Erstattungsanspruch
des Antragsgegners erfolgt sein sollte, begründete dies keinen „Herausgabeanspruch“ des Antragsgegners gegen die Antragstellerin.
Vielmehr käme, ausgehend von einem Zufluss im Juli 2020, allein eine (ggf. teilweise) Aufhebung der Leistungsbewilligung wegen
anzurechnenden Einkommens in Betracht, mit der Folge, dass die Antragstellerin in dem Umfang gegenüber dem Antragsgegner erstattungspflichtig
würde, wie die Aufhebung (bestandskräftig) erfolgt. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere, dass die Rentennachzahlung
im Juli 2020 die Bedürftigkeit der Antragstellerin im vorangegangenen Zeitraum ab Rentenbeginn nicht entfallen lassen konnte.
Eine wirksame Leistungsaufhebung mit einhergehender Erstattungsforderung lag jedoch jedenfalls im Zeitpunkt der freiwilligen
Weiterleitung der Rentennachzahlung seitens der Antragstellerin gar nicht vor. Auf den nachträglich ergangenen „Einstellungs-
und Rückforderungsbescheid“ vom 4. August 2020 kann es schon deshalb nicht ankommen, ganz abgesehen davon, dass dieser in
Widerspruch zu den Bescheiden vom 15. Juli und 12. August 2020 steht, die jeweils ausdrücklich eine Verrechnung im Verhältnis
zum Rentenversicherungsträger vorsehen. Zudem sind alle diese Bescheide bislang nicht bestandskräftig, vgl. §
86 SGG.
Im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage und die resultierende außerordentlich hohe Wahrscheinlichkeit, mit welcher hier
von einem Anordnungsanspruch auszugehen ist, sind an das Vorliegen von Eilbedürftigkeit keine gesteigerten Anforderungen zu
stellen. Allein die geringen der Antragstellerin zur Verfügung stehenden Mittel im Bereich des Existenzminimums genügen für
die Annahme eines Anordnungsgrundes.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG analog.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, §
177 SGG.