Übernahme einer Nachzahlung auf die Stromkosten im Rahmen einer Leistungsgewährung nach dem SGB II
Verwerfung einer unstatthaften Berufung
Verfristete Nichtzulassungsbeschwerde
Tatbestand:
Im Streit steht die darlehnsweise Übernahme einer Nachzahlung auf die Stromkosten im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem
Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).
Der Kläger steht im laufenden Leistungsbezug bei dem Beklagten. Mit Schreiben vom 20. November 2017 beantragte der Kläger
ein Darlehen zur Begleichung eines Nachzahlungsbetrages für die Stromversorgung in Höhe von 295,04 Euro (vgl. Bl. 81 der Gerichtsakte
L 11 AS 336/18). Aus der Endabrechnung für das Jahr 2016/2017 der E. GmbH vom 13. November 2017 ergab sich ein Nachzahlungsbetrag in Höhe
von 335,04 Euro (vgl. Bl. 82 ff. der Gerichtsakte L 11 AS 336/18), von dem nach Einlassung des Klägers noch ein Betrag in Höhe von 40,00 Euro für einen bei Rechnungstellung bereits überwiesenen,
aber nicht berücksichtigten Abschlag abzuziehen sein soll.
Mit Bescheid vom 5. April 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. April 2018 lehnte der Beklagte die darlehnsweise
Übernahme ab. Es bestehe kein unabweisbarer Bedarf mehr, da der Kläger den Anbieter wechsle. Zudem sei ihm vom Versorger Ratenzahlung
angeboten worden. Die Leistung sei daher nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens abzulehnen. Wegen der weiteren Einzelheiten
der Begründung wird auf Bl. 3 und 37 der Gerichtsakte - GA - Bezug genommen.
Hiergegen hat der Kläger am 20. April 2018 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben und beantragt, den Beklagten zu verpflichten, ihm das beantragte Darlehen zu bewilligen.
Mit Gerichtsbescheid nach §
105 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) vom 28. Dezember 2018 hat das SG Hannover die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch gem. § 24 Abs 1 Satz 1 SGB II auf Gewährung eines Darlehens zur Begleichung der Stromkostenforderung. Es liege kein unabweisbarer Bedarf vor, da der Energieversorger
eine Ratenzahlungsvereinbarung angeboten habe. Es sei nicht ersichtlich, dass der Kläger nicht in der Lage sei, die Nachforderung
in den angebotenen drei Raten zu begleichen. Der Gerichtsbescheid erhält den Hinweis, dass die Berufung gesetzlich ausgeschlossen
und vom Sozialgericht nicht zugelassen worden ist. Die Nichtzulassung der Berufung könne binnen eines Monats mit der Beschwerde
angefochten werden. Die Beteiligten könnten innerhalb der Rechtsmittelfrist bei dem Sozialgericht Hannover auch mündliche
Verhandlung beantragen. Wegen der Einzelheiten der Rechtsmittelbelehrung wird auf Seiten 5 und 6 des Gerichtsbescheides Bezug
genommen.
Gegen den ihm am 4. Januar 2019 zugestellten Gerichtsbescheid (vgl. Postzustellungsurkunde, Bl. 18a GA) hat der Kläger am
11. Januar 2019 (Schriftsatz vom 7. Januar 2019) Berufung eingelegt.
Der Senat hat den Kläger darauf hingewiesen, dass seine Berufung den maßgeblichen Beschwerdewert gem. §
144 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGG nicht erreicht und um Klarstellung gebeten, ob er mit seinem Schriftsatz vom 7. Januar 2019 Nichtzulassungsbeschwerde einlegen
wollte. Mit Schriftsatz vom 19. Februar 2019 hat der Kläger erklärt, dass ihm unklar sei, was eine Nichtzulassungsbeschwerde
sei. Mit weiterem Schriftsatz vom 14. April 2019 (Eingang bei Gericht: 17. April 2019) hat der Kläger erklärt, sein Begehren
in eine Nichtzulassungsbeschwerde zu ändern; allerdings läge der Beschwerdewert wahrscheinlich bei über 750,00 Euro, wenn
man die Unterdeckung des Anteils für Strom im Regelsatz berücksichtige; jedenfalls sei die Entscheidung des SG nicht rechtmäßig.
Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung nach §
158 SGG angehört worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und
die Gerichtsakte zum Verfahren L 11 AS 336/18 verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Rechtsmittel des Klägers bleiben ohne Erfolg. Der Senat geht dabei zugunsten des Klägers davon aus, dass er sowohl Berufung
als auch Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Gerichtsbescheid des SG Hannover vom 28. Dezember 2018 führt. Die mit Schriftsatz
vom 14. April 2019 erklärte Änderung des Rechtsmittels wird durch die weiteren Ausführungen zur möglichen Erreichung des Berufungsstreitwertes
relativiert, sodass eine unzweifelhafte Rücknahme der Berufung nicht vorliegt.
1.
Der Senat verwirft die Berufung des Klägers nach Maßgabe des §
158 SGG nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss als unzulässig, da sie nicht statthaft ist.
a.
Der nach §
144 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGG für die Statthaftigkeit einer Berufung maßgebliche Wert des Beschwerdegegenstandes wird nicht erreicht. Das vom Kläger begehrte
Darlehen für die von ihm geforderte Nachzahlung von Stromkosten i.H.v. 295,04 Euro übersteigt weder den Betrag von 750,00
Euro noch handelt es sich um eine nach §
144 Abs
1 Satz 2
SGG wiederkehrende oder laufende Leistung für mehr als ein Jahr. Die Berufung ist somit unzulässig (vgl. hierzu bereits die richterliche
Verfügung vom 31. Januar 2019). Eine etwaige Unterdeckung des Anteils für Strom im Regelbedarf bleibt hierbei unberücksichtigt,
weil Streitgegenstand des angefochtenen Bescheides und damit auch des Klage- und Berufungsverfahrens ausschließlich die Gewährung
eines Darlehens für die Stromkostennachforderung ist.
b.
Die Entscheidung über die Berufung ergeht durch Beschluss nach §
158 SGG. Insoweit macht der Senat von seinem ihm nach §
158 Abs
1 Satz 2
SGG eingeräumten Ermessen Gebrauch, die Berufung anstatt durch Urteil durch Beschluss zu verwerfen.
Dem steht nicht entgegen, dass damit weder in der ersten noch in der zweiten Instanz eine mündliche Verhandlung stattgefunden
hat (vgl. zur Möglichkeit, über eine Berufung gegen einen Gerichtsbescheid durch Beschluss nach §
158 SGG - und damit ohne mündliche Verhandlung - zu entscheiden, sofern mündliche Verhandlung vor dem SG beantragt worden ist oder noch beantragt werden kann: BSG, Beschluss vom 12. Juli 2012 - B 14 AS 31/12 B -, SozR 4-1500 § 105 Nr 3; Beschluss des erkennenden Senats vom 10. Januar 2017 - L 11 AS 996/16 -; Beschluss des 8. Senats des erkennenden Gerichts vom 27. Juni 2017 - L 8 SO 182/17 - unter Auseinandersetzung mit BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2008 - B 8 SO 13/08 B -).
Das Recht des Klägers auf eine mündliche Verhandlung (vgl. zu diesem Anspruch: Art 6 Abs 1 Satz 1 Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK -) wird im vorliegenden Verfahren gewahrt, weil er - entsprechend der zutreffenden Belehrung im Gerichtsbescheid vom 28.
Dezember 2018 - die Möglichkeit hatte, mündliche Verhandlung zu beantragen und damit seinen Anspruch auf eine mündliche Verhandlung
durchzusetzen. Dass der Kläger von dieser Möglichkeit tatsächlich keinen Gebrauch gemacht hat, liegt allein in seinem Verantwortungsbereich
und führt deshalb zu keiner anderen Beurteilung (ebenso: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. Juni 2010 - L 10 AS 779/10 -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 12. Auflage 2017, §
158, Rn 6; Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte,
SGG, 2. Auflage 2014, § 158, Rn 6; offengelassen von BSG, Beschluss vom 12. Juli 2012 - B 14 AS 31/12 B -, SozR 4-1500 §
105 Nr 3, Rn 13; anderer Auffassung: Sommer in Roos/Wahrendorf,
SGG, 1. Auflage 2014, §
158, Rn 9).
Der Senat war auch nicht unter Fürsorgegesichtspunkten gehalten, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Der anwaltlich
nicht vertretene Kläger ist prozesserfahren. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger seit Jahren eine Vielzahl von
Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz, Klagen, Berufungen und - ausweislich des Aktenstammblattes - auch Nichtzulassungsbeschwerden
vor dem 7. Senats des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen führt und geführt hat. Es ist im Berufungsverfahren zunächst
nicht streitig oder fraglich gewesen, ob die Berufung u.U. doch statthaft sein könnte. Der Kläger ist weder dem Hinweis des
Senats auf die im Streit stehende Summe (295,04 Euro) entgegengetreten noch ergeben sich aus den vorliegenden Unterlagen Anhaltspunkte
für einen höheren Wert des Beschwerdegegenstandes. Die erstmals mit Schriftsatz vom 14. April 2019 abgegebene Erklärung, dass
unter Berücksichtigung einer nach Auffassung des Klägers vorliegenden Unterdeckung der Stromkosten im Regelbedarf 750,00 Euro
"wahrscheinlich" überschritten wären, ist ohne jegliche Bezifferung völlig unsubstantiiert, betrifft nicht den Streitgegenstand
und führt daher zu keiner anderen Beurteilung.
Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs
2 SGG) liegen nicht vor.
2.
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen, da sie außerhalb der einmonatigen Frist erhoben
wurde.
a.
Gem. §
145 Abs
1 S 2
SGG iVm §
105 Abs
2 S 1
SGG ist die Beschwerde bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Gerichtsbescheides
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten einzulegen. Der Kläger hat erstmals mit am 17. April 2019 beim Gericht
eingegangenen Schriftsatz erklärt, Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen. Zu diesem Zeitpunkt war die Frist (Beginn: Tag der
Zustellung des Gerichtsbescheids am 4. Januar 2019) bereits abgelaufen (Ende der Frist: 4. Februar 2019).
Die Frist ist auch nicht deswegen gewahrt, weil der Kläger seine mit Schriftsatz vom 7. Januar 2019 (Eingang: 11. Januar 2019)
eingelegte Berufung in eine Nichtzulassungsbeschwerde ändern will. Maßgeblich für die Beurteilung der fristgerechten Einlegung
der Nichtzulassungsbeschwerde bleibt die abgegebene Erklärung, eine solche führen zu wollen.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht deswegen, weil der Kläger zuvor mitgeteilt hat, nicht zu wissen, was eine Nichtzulassungsbeschwerde
ist, und er damit möglicherweise vortragen wollte, dass ihm die bei nicht zulässiger Berufung gegebenen Rechtsmittel nicht
bekannt gewesen seien. Der Kläger ist - wie bereits ausgeführt - prozesserfahren. Vor allem aber wurde der Kläger im Gerichtsbescheid
vom 28. Dezember 2018 zutreffend über die statthaften Rechtsmittel belehrt (Nichtzulassungsbeschwerde oder Antrag auf mündliche
Verhandlung). Er hatte damit die Möglichkeit, seine Rechte fristwahrend wahrzunehmen. Auch wenn ihm (im Detail) nicht bekannt
gewesen sein sollte, was genau er mit einer Nichtzulassungsbeschwerde erreichen kann, hätte ihn nichts gehindert, eine solche
fristgerecht einzulegen, ggf. verbunden mit der Bitte um richterlichen Hinweis zum erforderlichen Sachvortrag.
Der Schriftsatz des Klägers vom 7. Januar 2019 kann auch nicht nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung (vgl. hierzu etwa
BSG, Urteil vom 26. August 2008 - B 8/9b SO 18/07 R -, SozR 4-3500 § 18 Nr 1) zugunsten des Klägers dahingehend ausgelegt werden,
dass er unabhängig von der Bezeichnung seines Schriftsatzes ("Berufung") das zulässige Rechtsmittel und damit eine Nichtzulassungsbeschwerde
einlegen wollte. Denn der Kläger hat mit seiner auf richterlichen Hinweis erfolgten Einlassung (Schriftsatz vom 19. Februar
2019), nicht zu wissen, was eine Nichtzulassungsbeschwerde ist, zum Ausdruck gebracht, dass er entsprechend seiner ausdrücklichen
Bezeichnung Berufung und gerade nicht (die ihm nach eigenem Vortrag bis dahin unbekannte) Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt
hat. Dementsprechend ist für eine diesbezügliche Auslegung oder Umdeutung kein Raum.
b.
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hätte allerdings auch in der Sache keinen Erfolg und wäre unbegründet.
Die Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil ist in den in §
144 Abs
1 Satz 1
SGG genannten Fällen (hier: Wert des Beschwerdegegenstands unter 750,01 Euro) zuzulassen, wenn
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung
beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt,
auf dem die Entscheidung beruhen kann (§
144 Abs
2 SGG).
Die Entscheidung des SG über die Gewährung eines Darlehens auf eine Stromkostennachforderung gem. § 24 Abs 1 S 1 SGB II hat weder grundsätzliche Bedeutung noch divergiert sie von einer Entscheidung der in §
144 Abs
1 Satz 1 Nr
2 SGG genannten Gerichte. Das SG hat unter Berücksichtigung der Umstände im Fall des Klägers lediglich eine Einzelfallentscheidung getroffen, der keine grundsätzliche
Bedeutung zukommt. Dass Stromkosten Teil des Regelbedarfs sind und unzutreffende Ermittlungen des Gesetzgebers zur Höhe nicht
erkennbar sind, ist bereits höchstrichterlich entschieden worden (BSG, Urteil vom 12. Juli 2012 - B 14 AS 153/11 R -, BSGE 111, 211-234, SozR 4-4200 § 20 Nr 17, Rn 68).
Verfahrensfehler sind nicht zu prüfen, da es an entsprechenden Verfahrensrügen fehlt (vgl. zum Erfordernis der ausdrücklichen
Geltendmachung und Darlegung eines konkreten Verfahrensmangels im Rahmen des §
144 Abs
2 Nr
3 SGG: BSG, Urteil vom 21. März 1978 - 7/12/7 RAr 41/76 -, SozR 1500 § 150 Nr 11; Urteil vom 15. Mai 1985 - 7 RAr 40/84 -, SozSich 1985, 346; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Auflage 2017, §
144 Rn 36).
Die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde ist unanfechtbar (§
177 SGG).
3. Die Kostenentscheidung für das Rechtsmittelverfahren beruht auf §
193 SGG.