Nichtzulassungsbeschwerde
Beschwerdewert
Bezifferung bzw. Berechenbarkeit
Unzulässigkeit von Beschwerde und Berufung
Gründe:
I. Die Kläger begehren die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 22. März 2012 (L.).
Die Kläger stehen bereits langjährig im Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Am 25. März 2011 beantragten sie die Überprüfung sämtlicher für den Bewilligungsabschnitt November 2009 bis April 2010
ergangener Bescheide gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Der Antrag enthielt weder eine Begründung, aus welchen Gründen die bisherige Leistungsgewährung rechtsfehlerhaft gewesen
sein soll, noch einen konkreten oder ungefähren Betrag, in dessen Höhe weitere SGB II-Leistungen begehrt wurden.
Der Beklagte lehnte die beantragte Korrektur der Leistungsbewilligung für den Bewilligungszeitraum November 2009 bis April
2010 (d.h. eine Korrektur der Bescheide vom 16. Dezember 2009, 13. Januar 2010, 22. Januar 2010, 3. Februar 2010, 4. März
2010, 14. April 2010 und 12. Mai 2010) mit Bescheid vom 22. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember
2011 ab.
Hiergegen haben die Kläger am 15. Dezember 2011 beim Sozialgericht (SG) Braunschweig Klage erhoben. In der Klageschrift haben sie das Klagebegehren mit "ALG II Leistungen: 11/09 - 4/10" bezeichnet, einen konkreten Klageantrag jedoch nicht formuliert. Inhaltlich haben sie u.a. geltend
gemacht, dass hinsichtlich der Unterkunfts- und Heizungskosten eine Begründung nachzuholen sei, ebenso hinsichtlich der Einkommensfreibeträge.
Gleichzeitig haben sie einen weiteren Antrag nach § 44 SGB X gestellt, den der Beklagte mit Bescheid vom 20. Februar 2012 abgelehnt hat.
Das SG hat den Bescheid vom 22. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember 2011 abgeändert. Zusätzlich hat
es folgende weitere Bescheide teilweise aufgehoben: Bescheid vom 13. Januar 2010 über die endgültige Festsetzung für November
2009 (soweit eine Erstattungsforderung von mehr als 24,31 Euro festgesetzt worden ist), Bescheid vom 3. Februar 2010 über
die endgültige Festsetzung für Januar 2010 (soweit eine Erstattungsforderung von mehr als 1,79 Euro festgesetzt worden ist),
Bescheid vom 4. März 2010 über die endgültige Festsetzung für Februar 2010 (soweit eine Erstattungsforderung von mehr als
1,77 Euro festgesetzt worden ist) sowie Bescheid vom 12. Mai 2010 über die endgültige Festsetzung für April 2010 (soweit eine
Erstattungsforderung von mehr als 4,39 Euro festgesetzt worden ist). Die weitergehende Klage hat das SG abgewiesen (Urteil vom 22. März 2012).
Gegen das den Klägern am 25. April 2012 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 14. Mai 2012 eingelegte, inhaltlich jedoch
nicht näher begründete Nichtzulassungsbeschwerde.
Der Senat hat die Kläger um Mitteilung des Wertes des Beschwerdegegenstandes i.S.d. §
144 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) gebeten. Erläuternd hat der Senat darauf hingewiesen, dass derzeit nicht nachvollzogen werden könne, ob der Wert des Beschwerdegegenstands
tatsächlich unter 750,01 Euro liege, da erstinstanzlich ein ausformulierter Klageantrag nicht gestellt und zudem ein Teilerfolg
erzielt worden sei. Weiterhin sind die Kläger um Mitteilung der nach ihrer Auffassung vorliegenden Zulassungsgründe i.S.d.
§
144 Abs
2 SGG gebeten worden (Verfügung vom 31. Mai 2012). Diese Verfügung ist auch nach Erinnerungen vom 16. Juli 2012 und 28. August
2012 unbeantwortet geblieben.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist bereits unzulässig, da nicht festgestellt werden kann, dass deren Zulässigkeitsvoraussetzungen
nach §§
144,
145 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) erfüllt sind.
Nach §
143 SGG findet gegen Urteile der Sozialgerichte die Berufung statt, soweit sich aus den Vorschriften des ersten Unterabschnittes
des zweiten Abschnitts des
SGG nichts anderes ergibt. §
144 Abs
1 SGG bestimmt hierzu, dass die Berufung der Zulassung bedarf, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei der Klage, die eine
Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,- Euro oder 2. bei einer Erstattungsstreitigkeit
zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000,- Euro nicht übersteigt. Dies gilt nicht, wenn
die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.
Die Berufung gegen das vorliegend angefochtene, einen sechsmonatigen Bewilligungszeitraum betreffende Urteil bedarf somit
nur dann der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,- Euro nicht übersteigt.
Die Kläger haben weder im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren noch im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren einen konkret
oder auch nur ungefähr bezifferten Antrag gestellt. Ebenso wenig haben sie im Berufungsverfahren klargestellt, auf welchen
(ungefähren) Euro-Betrag ihr Rechtsschutzinteresse gerichtet ist (vgl. zur diesbezüglichen Anfrage des Senats: Verfügung vom
31. Mai 2012 sowie Erinnerungen vom 16. Juli 2012 und 28. August 2012). Auch ansonsten enthalten die dem Senat vorliegenden
Akten und Schriftsätze der Kläger keine Anhaltspunkte, aus denen darauf geschlossen werden könnte, dass erstinstanzlich lediglich
Leistungen im Wert von maximal 750,- Euro streitbefangen waren.
Mangels eines entsprechenden ausdrücklich gestellten Antrags bzw. mangels einer Antwort auf die Anfrage des Senats vom 31.
Mai 2012 ist auch nicht erkennbar, dass die Kläger ihr zweitinstanzliches Rechtsschutzbegehren auf eine Teilanfechtung des
Urteils in Höhe eines Betrags von unter 750,01 Euro beschränkt haben. Hierzu bedürfte es einer entsprechenden ausdrücklichen,
bislang jedoch nicht erfolgten Prozesserklärung. Diese Prozesserklärung müsste auch erkennen lassen, worauf sich eine etwaige
Antragsbeschränkung im Rechtsmittelverfahren bezieht (nämlich entweder auf einzelne Streitgegenstände oder aber auf einen
Teilbetrag des geltend gemachten Anspruchs). Schließlich kann nur bei Kenntnis des Streitgegenstandes festgestellt werden,
ob ein Zulassungsgrund nach §
144 Abs
2 SGG vorliegt.
Der Umstand, dass das SG in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils eine Nichtzulassungsbeschwerde als statthaft bezeichnet hat, ändert
nichts an der Unzulässigkeit der Beschwerde. Die Statthaftigkeit der Beschwerde ist vom Rechtsmittelgericht zu prüfen, ohne
dass eine Bindung an die Rechtsauffassung des SG besteht. Allein eine (möglicherweise unrichtige) Rechtsmittelbelehrung eröffnet keinen nach dem Gesetz nicht gegebenen Rechtsbehelf
(BSG, Beschluss vom 18. Januar 1978 - 1 RA 11/77, SozR 1500 § 146 Nr 5; Beschluss des Senats vom 13. Februar 2012 - L 11 AS 1185/11 B ER; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leither,
SGG, 10. Auflage 2012, §
66 Rn 12a).
Die zum Teil als zulässig angesehene Verfahrensweise, bei einer nicht statthaften Nichtzulassungsbeschwerde die (fehlerhaft
getroffene) Entscheidung des SG über die Nichtzulassung der Berufung aufzuheben und das Verfahren als Berufung fortzuführen (vgl. hierzu: Lüdtke,
SGG, 4. Auflage 2012, §
145 Rn 4; Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 6. Auflage 2012, Rn 452; ähnlich: Behn in: Peters/Sautter/Wolff,
SGG, Stand: 2011, §
145 Rn 14, 18 und 59; Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte,
SGG, 1. Auflage 2009, §
145 Rn 6; anderer Ansicht: Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Auflage 2010, Rn 195, wonach die Nichtzulassungsbeschwerde
mangels Beschwer unzulässig sein soll), kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Der Senat kann insoweit offen lassen,
ob es hierfür eines entsprechenden ausdrücklichen, vorliegend von den anwaltlich vertretenen Klägern jedoch nicht gestellten
Antrags bedarf. Denn die Fortführung einer Nichtzulassungsbeschwerde als Berufungsverfahren würde voraussetzen, dass der Senat
die Statthaftigkeit der Berufung prüfen kann und im Ergebnis bejaht. Dies ist jedoch nicht möglich, da die anwaltlich vertretenen
Kläger weder im erstinstanzlichen Verfahren den (ungefähren) Wert der von ihnen begehrten weiteren SGB II-Leistungen beziffert noch im zweitinstanzlichen Verfahren ihr Rechtsschutzbegehren konkretisiert haben (vgl. hierzu erneut
die unbeantwortet gebliebene Anfrage des Senats vom 31. Mai 2012 nebst Erinnerungen vom 16. Juli 2012 und 28. August 2012).
Nach wie vor bleibt unklar, welchen Wert das zweitinstanzliche Rechtsschutzbegehren hat. Insoweit hat bereits der 7. Senat
des LSG Niedersachsen-Bremen in seinem Urteil vom 10. Juli 2012 (L 7 AS 476/10) entschieden, dass die Beteiligten gehalten sind, bereits vor Abschluss der ersten Instanz sachdienliche Anträge zu stellen
und substantiiert vorzutragen. Nur wenn nach dem Vorbringen im Klageverfahren ein Vergleich mit dem im Berufungsverfahren
verfolgten Begehren möglich ist, kann der Beschwerdewert frei von unter Umständen nicht sachgerechtem Vorbringen der Beteiligten
bestimmt werden. Da die - zulassungsfreie - Berufung unter dem Vorbehalt des Überschreitens einer Wertgrenze steht, findet
sie nur in den Fällen statt, in denen die Sozialgerichte das Überschreiten feststellen können. Lässt sich eine solche Überschreitung
nicht ermitteln, findet eine Berufung nicht statt. Diesen Ausführungen schließt sich der erkennende Senat an.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).