Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen den eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt
Abwägung zwischen Aussetzungs- und Vollzugsinteresse
Prinzipieller Vorrang des Sofortvollzuges
Gründe:
Die gemäß §§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässige, insbesondere fristgerecht am 24. März 2017 erhobene Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts
(SG) Bremen vom 30. Mai 2018 ist begründet.
Das SG hat zu Unrecht im Wege des §
86b Abs.
1 S. 1 Nr.
2 SGG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt
des Antragsgegners vom 22. Februar 2018 angeordnet.
Bei der erforderlichen Abwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Betroffenen und dem Vollzugsinteresse der Behörde ist
zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit dem in § 39 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vorgesehenen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter
bei der Eingliederung in Arbeit regelnde Verwaltungsakte nach § 15 Abs. 3 S. 1 SGB II in der seit dem 1. August 2016 geltenden Fassung (vorher: § 15 Abs. 1 S. 6 SGB II) dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug derartiger Verwaltungsakte gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Adressaten
prinzipiell Vorrang eingeräumt hat, und danach die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nur in Betracht kommt, wenn ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn ausnahmsweise besondere private Interessen
überwiegen.
Der vom Antragsgegner am 22. Februar 2018 erlassene Eingliederungsverwaltungsakt stellt sich nach summarischer Prüfung nicht
als offensichtlich rechtswidrig dar. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass eines solchen Verwaltungsakts lagen vielmehr
vor und auch die darin getroffenen inhaltlichen Regelungen begegnen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Ersetzung
einer Eingliederungsvereinbarung durch den Eingliederungsverwaltungsakt vom 22. Februar 2018 nach der erforderlichen, bei
persönlicher Vorsprache des Antragstellers bei dem Antragsgegner am 30. Januar 2018 durchgeführten Anhörung (und dem folgend
die postalische Übersendung des Entwurfes einer Eingliederungsvereinbarung an den Antragsteller zur Prüfung) ist angesichts
der Tatsache, dass der Antragsteller den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung am 22. Februar 2018 ausdrücklich und grundsätzlich
abgelehnt hatte, unter Beachtung der einschlägigen Regelung des § 15 Abs. 3 S. 3 SGB II rechtmäßig erfolgt (zu den Voraussetzungen der Ersetzung einer Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt vgl. Bundessozialgericht
(BSG), Urteil vom 23. Juni 2016 - B 14 AS 42/15 R). Auch die nach § 15 Abs. 1 S. 1 SGB II vorgesehene Potenzialanalyse wurde vorliegend im Rahmen der persönlichen Vorsprache des Antragstellers am 30. Januar 2018
in hinreichender Weise durchgeführt. Die in dem streitgegenständlichen Eingliederungsverwaltungsakt getroffenen inhaltlichen
Regelungen begegnen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie berücksichtigen die Besonderheiten des Einzelfalles des
Antragstellers und tragen situationsangemessen dessen Fähigkeiten und seiner besonderen Lebenssituation hinreichend Rechnung
(vgl. hierzu BSG, Urteile vom 23. Juni 2016 - B 14 AS 42/15 R und B 14 AS 30/15 R -, juris). Sie enthalten Bestimmungen darüber, welche Leistungen der Antragsteller zur Eingliederung in Arbeit erhält (u.a.
Vermittlungsvorschläge, soweit geeignete Stellenangebote vorliegen; Beratungsgespräche zur Klärung der individuellen Bedarfslage-
"Coaching"), welche Bemühungen er in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen muss (u.a. mindestens
fünf schriftliche Bewerbungen pro Monat auf Tätigkeiten im allgemeinen Helferbereich) und in welcher Form diese Bemühungen
nachzuweisen sind (durch Vorlage einer Liste über die Eigenbemühungen bis zum Ende des jeweiligen Monats). Auch die sich aus
dem streitgegenständlichen Eingliederungsverwaltungsakt ergebende Festsetzung zu den Eigenbemühungen des Antragstellers, der
monatlich fünf Bewerbungen um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse nachzuweisen hat und die diesbezüglich
anfallenden Kosten für schriftliche Bewerbungen nach vorheriger Beantragung (zur Regelung der Bewerbungskosten und der diesbezüglich
zu erbringenden Nachweise vgl. Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11. April 2017 - L 15 AS 20/16) von dem Antragsgegner ersetzt bekommt, stellt sich nach summarischer Prüfung als rechtmäßig dar. Die dem Antragsteller in
dem streitgegenständlichen Eingliederungsverwaltungsakt aufgegebenen Bewerbungsbemühungen führen nicht dazu, dass ihm zwangsläufig
unmögliche oder unzumutbare Aktivitäten abverlangt werden. Es ist mittlerweile durch die Rechtsprechung des Senats hinreichend
geklärt, dass einem Hilfebedürftigen Eigenbemühungen um einen Arbeitsplatz jedenfalls in einer Anzahl von vier Bewerbungen
wöchentlich auf Stellenangebote abverlangt werden können (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22. Dezember 2015 -
L 15 AS 235/15 B ER [12 Bewerbungen monatlich zumutbar], Beschluss vom 28. Mai 2015 - L 15 AS 32/15 NZB und Beschluss vom 6. April 2014 - L 15 AS 38/16 B ER [15 Bewerbungen monatlich zumutbar]). Auch die zeitliche Geltung des streitgegenständlichen Eingliederungsverwaltungsakts
vom 22. Februar 2018 "bis auf weiteres" unterliegt keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Diese Regelung entspricht
der geltenden Vorschrift des § 15 SGB II in der aktuellen, ab dem 1. August 2016 geltenden Fassung des Gesetzes vom 26. Juli 2016 (BGBl. I 1824), der für Eingliederungsvereinbarungen
nicht mehr einen definierten Zeitraum für die Laufzeit, sondern in Absatz 3 S. 1 nur noch eine Frist von spätestens sechs
Monaten für die regelmäßige Überprüfung und Fortschreibung vorsieht.
Soweit der Antragsteller die Auffassung vertritt, dass die Geltung des eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsaktes
regelmäßig auf sechs Monate zu begrenzen sei (so auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 8. Juni 2017 - L 16 AS 291/17 B ER -, juris, Rn. 19; Berlit in: LPK-SGB II, 6. Auflage 2017, § 15 Rn. 62), so folgt der Senat dem nicht (so bereits Beschlüsse des Senats vom 24. August 2017 - L 15 AS 160/17 B ER und vom 23. Mai 2017- L 15 AS 69/17 B ER; vgl. auch Lahne in: Hohm, GK-SGB II, § 15 Rn. 79). Das BSG (Urteil vom 14. Februar 2013 - B 14 AS 195/11 R -, juris Rn. 20) knüpfte in seiner Entscheidung zur Vorgängerregelung des § 15 SGB II zur Begründung der regelmäßigen Geltungsdauer von sechs Monaten auch für Eingliederungsverwaltungsakte und zu dem Erfordernis
besonderer Ermessenerwägungen bei einem Abweichen hiervon ersichtlich und nachvollziehbar an die seinerzeit gültige Regelung
des § 15 Abs. 1 S. 3 SGB II mit der dortigen Festsetzung einer Höchstgeltungsdauer für Eingliederungsvereinbarungen sowie an den regelmäßigen Leistungszeitraum
nach § 41 Abs. 1 S. 3 SGB II in der bis zum 30. Juli 2016 geltenden Fassung von sechs Monaten (§ 41 Abs. 3 S. 1 n.F.: in der Regel ein Jahr) an. Nach
Fortfall der regelmäßigen Geltungsdauer für Eingliederungsvereinbarungen in § 15 SGB II n.F. ergibt sich keine zwingende Notwendigkeit, eine solche nur noch für Eingliederungsverwaltungsakte beizubehalten. Soweit
das Bayerische LSG in seinem o.g. Beschluss vom 8. Juni 2017 Zweifel daran geäußert hat, dass die Neuregelung für Eingliederungsvereinbarungen
hinsichtlich des Wegfalls der Geltungsdauer auch Eingliederungsverwaltungsakte betreffe, und aus der spätestens nach sechs
Monate geltenden Überprüfungsfrist gem. § 15 Abs. 3 S. 1 SGB II n.F. bei fehlender Ermessenausübung (nur) für Eingliederungsverwaltungsakte eine geltende Höchstfrist für eine einseitig
festzulegenden Laufzeit abgeleitet hat, so erschließt sich eine solche Gesetzesauslegung weder aus dem neuen Wortlaut des
§ 15 SGB II n.F. noch aus der diesbezüglichen Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/8041, S. 36). Dort wird vielmehr der Wegfall der regelmäßigen
Geltungsdauer für Eingliederungsvereinbarungen mit dem Interesse an einem kontinuierlichen Eingliederungsprozess begründet
und direkt hieran anschließend - ohne Eingehen auf eine Laufzeit - auf das Bedürfnis einer hoheitlichen Regelung (d.h. eines
Eingliederungsverwaltungsaktes) im Falle des Nichtzustandekommens einer einverständlichen Regelung über Leistungen und Pflichten
hingewiesen. Sofern eine Regeldauer für die Laufzeit von Eingliederungsverwaltungsakten nach Wegfall einer solchen für Eingliederungsvereinbarungen
für erforderlich gehalten worden wäre, hätte - auch angesichts des o.g. Urteils des BSG vom 14. Februar 2013 - eine entsprechende gesetzliche Regelung, mindestens aber ein Eingehen hierauf in der Gesetzesbegründung
nahegelegen. Auch sachliche Gründe für abweichende Regelungen hinsichtlich der zeitlichen Geltung drängen sich nicht auf.
Der Gedanke der mit der Neuregelung des § 15 SGB II bezweckten möglichst zügigen, individuellen und die Eingliederung in Arbeit effektiv fördernden Eingliederungsvereinbarung,
die nicht mehr regelmäßig nach spätestens sechs Monaten ausläuft, sondern nach diesem Zeitraum nur noch einer Überprüfung
und Fortschreibung zuzuführen ist, ist vielmehr auf einen bei Nichtzustandekommen einer solchen Vereinbarung vorgesehenen
Eingliederungsverwaltungsakt zu übertragen. Hierfür spricht auch die Rechtsprechung des 4. Senats des BSG (Urteil vom 22. September 2009 - B 4 AS 13/09 R -, juris), wonach es sich bei Eingliederungsvereinbarung und Eingliederungsverwaltungsakt um zwei gleichwertig nebeneinanderstehende
Handlungsalternativen handelt (dem folgend: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 1. August 2012 - L 15 AS 235/12 B ER -, juris). Der Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz war nach alledem abzulehnen. Die Kostenentscheidung
folgt aus §
193 SGG. Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.