Anforderungen an die Bestimmung der Bewerbungskosten innerhalb einer Eingliederungsvereinbarung bzw. dem ersetzenden Verwaltungsakt
nach dem SGB II
Bei fehlender vorheriger Klärung der Kostenübernahme kein sanktionsbewehrter Verstoss gegen Verpflichtung aus der Eingliederungsvereinbarung
z.B. im Fall unterbliebener Bewerbungsbemühungen
Gründe:
Die gemäß §§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Bremen vom 18. Juni 2012 ist begründet.
Entgegen der Auffassung des SG liegen die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des gegen den Sanktionsbescheid des Antragsgegners
vom 8. Mai 2012 erhobenen Rechtsmittels vor, wobei der Senat im Hinblick auf die Ausführungen in der Antragserwiderung, wonach
zwischenzeitlich das Hauptsacheverfahren unter dem Az. S 23 AS 1302/12 anhängig ist, die aufschiebende Wirkung der Klage anordnet.
Nach §
86 b Abs.
1 Nr.
2 SGG kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage - wie vorliegend gemäß § 39 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) - keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die Anordnung der aufschiebenden
Wirkung hat dann zu erfolgen, wenn der zugrundeliegende Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist. Denn in diesen Fällen ist
ein öffentliches Interesse an einer sofortigen Vollziehbarkeit generell nicht gegeben. Erweist sich der Verwaltungsakt jedoch
nach der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen nur summarischen Prüfung als rechtmäßig, hat eine Anordnung der aufschiebenden
Wirkung zu unterbleiben. Sind die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung dagegen nicht hinreichend sicher abschätzbar, muss
eine allgemeine Interessenabwägung erfolgen. Hierfür gilt, dass je größer die Erfolgsaussichten sind, umso geringere Anforderungen
an das Aussetzungsinteresse zu stellen sind. Auszuschließen sind zudem schwere und unzumutbare Nachteile für den Betroffenen.
Bei der Interessenabwägung ist auch das vom Gesetzgeber vorgesehene Regel-/Ausnahmeverhältnis für den Eintritt von aufschiebender
Wirkung zu beachten (vgl. im Einzelnen: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Auflage 2008, §
86 b Rn 12 ff. m. u. w. N.). Nach diesen Maßstäben ist die aufschiebende Wirkung der anhängigen Klage anzuordnen, weil erhebliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Sanktionsbescheides bestehen, so dass kein öffentliches Interesse an seiner sofortigen Umsetzung
erkennbar ist.
Mit dem im Hauptsacheverfahren angefochtenen Sanktionsbescheid vom 8. Mai 2012 ist der vollständige Wegfall des Arbeitslosengeldes
II für die Zeit vom 1. Juni bis 31. August 2012 festgestellt worden. Zur Begründung hat der Antragsgegner angegeben, die Antragstellerin
habe den Tatbestand des § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II dadurch erfüllt, dass sie entgegen der in der Eingliederungsvereinbarung vom 8. Dezember 2011 übernommenen Verpflichtung
für den Monat März 2012 keine Nachweise über Eigenbemühungen vorgelegt habe. In jener Eingliederungsvereinbarung (gültig bis
31. Mai 2012) war festgelegt worden, dass die Antragstellerin in jedem Kalendermonat mindestens zehn näher bezeichnete Eigenbemühungen
zu tätigen und den Nachweis darüber jeweils bis zum dritten Kalendertag des Folgemonats zu führen haben.
Das SG hat in dem angefochtenen Beschluss zunächst zutreffend festgestellt, dass rechtliche Bedenken gegen die Auferlegung bzw.
Übernahme einer Verpflichtung zu zehn monatlichen Bewerbungen nicht bestehen (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom
28. Februar 2008 - L 25 AS 522/06 -, Leitsatz 1 sowie Hessisches LSG, Beschluss vom 29. September 2006 - L 9 AS 179/06 ER -, Leitsatz 2) und die Antragstellerin dieser Verpflichtung vorliegend nicht nachgekommen ist. Den gegenteiligen Einlassungen
der Antragstellerin hinsichtlich der Pflichtverletzung vermag der Senat bereits deshalb nicht zu folgen, weil sie in sich
widersprüchlich sind. Während die Antragstellerin im Widerspruchsverfahren auf im Mai 2012 erfolgte Bewerbungsbemühungen verwiesen
und die fehlenden Bemühungen im März 2012 mithin nicht in Abrede gestellt hat (Anwaltsschreiben vom 15. Mai 2012), hat sie
im Eilantrag vom 31. Mai 2012 behauptet, sich "auch in den Monaten zuvor" - also offenbar auch im streitgegenständlichen Monat
März - "bei mehreren Firmen" beworben und dies dem Antragsgegner mitgeteilt zu haben. Abgesehen davon, dass die insoweit zur
Glaubhaftmachung vorgelegte undatierte Liste mit diversen Firmennamen nicht annähernd der in der Eingliederungsvereinbarung
detailliert festgelegten Form des Nachweises genügt, insbesondere keinerlei Angaben zu Zeitpunkt und Form der Bewerbungen
enthält, ist unklar geblieben, ob es sich hierbei um die Bewerbungsliste handelt, die die Antragstellerin bereits bei dem
Antragsgegner eingereicht haben will, und ob diese Liste ggf. innerhalb der vereinbarten Frist oder zu einem späteren Zeitpunkt
vorgelegt worden ist. In ihrem Eilantrag hat die Antragstellerin zu dem letzten Punkt zunächst behauptet, sie habe dem Antragsgegner
auch in den Monaten vor Mai 2012 Bewerbungslisten zukommen lassen. Dieses Vorbringen hat sie dann aber in dem Schriftsatz
vom 12. Juni 2012 dahingehend relativiert, dass sie "die Bewerbungsunterlagen" für März 2012 im Hinblick auf die bestehende
Aussicht auf einen Ausbildungsplatz erst im Nachhinein vorgelegt habe. In ihrer im Beschwerdeverfahren (lediglich in Kopie)
vorgelegten, undatierten eidesstattlichen Versicherung macht die Antragstellerin nunmehr erstmals geltend, sie habe bereits
"am 18.04.2012 eine Liste an Bewerbungen an das Jobcenter zugeschickt", wobei weiterhin offen geblieben ist, um welche Liste
mit welchem Inhalt es sich dabei gehandelt hat.
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtschutzes hat gleichwohl Erfolg, da die vorliegende Eingliederungsvereinbarung
vom 8. Dezember 2011 nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt und bei dieser Sachlage die Annahme einer Pflichtverletzung
nach § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II ausscheidet. Der Senat hat bereits entschieden, dass eine Eingliederungsvereinbarung bzw. ein sie ersetzender Eingliederungsverwaltungsakt,
die/der konkrete Regelungen hinsichtlich der von dem Leistungsberechtigten durchzuführenden Bewerbungsbemühungen erhält, zugleich
auch konkrete Bestimmungen über die Höhe der Bewerbungskosten vorsehen muss. In seinem Beschluss vom 4. April 2012 (L 15 AS 77/12 B ER) hat der Senat hierzu ausgeführt: "Zentrale Bestandteile einer Eingliederungsvereinbarung sind gemäß § 15 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II Bestimmungen darüber, welche Leistungen der Erwerbsfähige zur Eingliederung in Arbeit erhält und welche Bemühungen er in
welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen muss und in welcher Form diese Bemühungen nachzuweisen
sind. Hinsichtlich der vom Grundsicherungsträger übernommenen Pflichten sehen die Fachlichen Hinweise der Bundesagentur für
Arbeit (Ziffer 15.19) vor, dass in der Eingliederungsvereinbarung genau bestimmt sein muss, welche Leistungen die erwerbsfähige
leistungsberechtigte Person zur Eingliederung in Arbeit erhält (§ 15 Abs. 1 Nr. 1). Sie sind individuell und eindeutig unter
Benennung der für die Gewährung maßgeblichen Gründe festzulegen. Diese Anforderungen gelten auch für den Eingliederungsverwaltungsakt
(Ziffer 15.55). Die Durchführungshinweise sehen auch vor, dass für verbindlich vereinbarte schriftliche Bewerbungen eine Kostenerstattungsregelung
(§
16 Abs.
1 i. V. m. §
45 SGB III) vereinbart werden sollte. Die Notwendigkeit einer derartigen Finanzierungsregelung folgt aus dem Umstand, dass der Leistungsberechtigte
die Kosten ansonsten aus der Regelleistung, die lediglich den existenziellen Bedarf abdeckt, zu bestreiten hätte (vgl. Berlit
aaO. Rn. 29 m. w. N.)."
In der vorliegenden Eingliederungsvereinbarung wird hinsichtlich der Leistungen des Antragsgegners (Ziffer 1) u. a. folgende
Bestimmung getroffen: "Er bietet Ihnen Leistungen aus dem Vermittlungsbudget an, um die Anbahnung oder Aufnahme einer versicherungspflichtigen
Beschäftigung zu ermöglichen, wenn dies für die berufliche Eingliederung notwendig ist. Nach vorheriger Absprache können z.
B. Bewerbungskosten oder Fahrtkosten in einer vorher zu vereinbarenden Höhe übernommen werden." Mit dieser Regelung haben
die Vertragspartner keine Bestimmung im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II über die von ihnen selbst als regelungsbedürftig angesehene Frage der Erstattung von Bewerbungskosten getroffen. Vielmehr
haben sie diese Frage einer erst noch im Einzelfall zu treffenden gesonderten Vereinbarung überlassen mit der Maßgabe, dass
diese jeweils "vorher", also vor der jeweiligen Bewerbung, zu erfolgen habe. Damit ist der Antragstellerin im Ergebnis lediglich
die - im Gesetz nicht vorgesehene - Verpflichtung zur vorherigen Antragstellung auferlegt worden, im Übrigen aber völlig offen
geblieben, ob und ggf. in welcher Höhe Kosten für die ihr auferlegten Bewerbungen erstattet werden.
Ist nach alledem eine nach § 15 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II erforderliche Bestimmung über die von dem Antragsgegner zu erbringenden Leistungen in der vorliegenden Eingliederungsvereinbarung
nicht enthalten, ist die Sanktionierung eines Verstoßes der Antragstellerin gegen die von ihr in diesem Zusammenhang übernommene
Verpflichtung nicht gerechtfertigt. Dies gilt unabhängig davon, dass die Antragstellerin nicht gehindert gewesen wäre, Bewerbungen,
die mit keinen oder nur geringen Kosten verbunden gewesen wären (Bewerbungen per Telefon, E-Mail oder in Form persönlicher
Vorsprachen), vorzunehmen. Auch ist es unerheblich, dass die Antragstellerin - wie der Antragsgegner vorträgt - in der Vergangenheit
überhaupt keine Bewerbungskosten geltend gemacht hat. Denn eine Minderung der unterhaltssichernden Leistungen ist nur zulässig,
wenn die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen, u. a. der einschlägige Sanktionstatbestand erfüllt ist. Es besteht
- soweit ersichtlich - in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit darüber, dass im Rahmen des Sanktionstatbestandes des § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II die gerichtliche Kontrolle nicht auf die Prüfung der Wirksamkeit des Vertragsschlusses und des Vorliegens von Nichtigkeitsgründen
anhand der bei herkömmlichen verwaltungsrechtlichen Verträgen anzuwendenden Maßstäbe beschränkt ist. Dass insoweit strengere
Maßstäbe anzuwenden sind, folgt schon aus der existenzsichernden Funktion der Leistungen nach dem SGB II und den mit Leistungskürzungen verbundenen gravierenden Folgen sowie aus dem Umstand, dass kein Grund ersichtlich ist, den
Rechtsschutz je nach Vorliegen der - von dem Leistungsträger frei wählbaren (vgl. BSG, Urteil vom 22. September 2009 - B 4 AS 13/09 R) - Handlungsform unterschiedlich auszugestalten, d. h. im Falle eines Eingliederungsverwaltungsakts weitergehenden Rechtsschutz
i. S. einer Rechtmäßigkeitskontrolle zu gewähren (so zutreffend Berlit in LPK SGB II, 4. Aufl. 2011, § 31 Rn. 19, Sonnhoff in jurisPK § 31 Rn. 34). Ob die danach gebotene rechtliche Prüfung der Regelungen des Eingliederungsvertrags
in Form einer "intensiven Prüfung der Nichtigkeitsgründe" (so Sonnhoff aaO.) oder einer der Überprüfung eines Verwaltungsakts
entsprechenden Rechtmäßigkeitskontrolle (so Berlit aaO.; Hessisches LSG, aaO., Leitsatz 1; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss
vom 18. Juli 2008 - L 14 B 568/08 AS ER - Rn. 4) zu erfolgen hat, bedarf im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes keiner Entscheidung.
In der vorliegenden Konstellation, in der die Verpflichtung der Antragstellerin zum Nachweis von zehn Bewerbungen pro Monat
nicht mit der erforderlichen Bestimmung über die Bewerbungskosten verbunden worden ist, liegt jedenfalls ein wichtiger Grund
i. S. des § 31 Abs. 1 S. 2 SGB II vor. Wichtige Gründe i. S. dieser Vorschrift können alle Umstände des Einzelfalls sein, die unter Berücksichtigung der berechtigten
Interessen des Hilfebedürftigen in Abwägung mit etwa entgegenstehenden Belangen der Allgemeinheit das Verhalten des Hilfebedürftigen
rechtfertigen (BSG, Urteil vom 9. November 2010 - B 4 AS 27/10 R). Hat der Leistungsträger - wie hier - durch die gänzlich fehlende Kostenregelung und die Verpflichtung des Leistungsberechtigten
zur vorherigen Beantragung der Bewerbungskosten die Bewerbungsbemühungen erschwert, kann dem Leistungsberechtigten nicht zugemutet
werden, die Bewerbungen gleichwohl in dem geforderten Umfang vorzunehmen (vgl. zum Vorliegen eines wichtigen Grundes, wenn
bei einer Arbeitsgelegenheit nicht die nach der Art der Tätigkeit erforderliche Arbeitsbekleidung finanziert wird: Hessisches
LSG, Beschluss vom 30. März 2006 - L 7 AS 120/05 ER - Rn. 30).
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.