Höhe des Regelbedarfs nach dem SGB II bei gemischter Bedarfsgemeinschaft mit einem Leistungsempfänger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
Leistungsanspruch des einen Partners nach dem Asylbewerberleistungsgetz führt nicht zur Kürzung der Regelbedarfshöhe nach
SGB II beim anderen Partner
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten sind die Leistungsansprüche der Kläger nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) streitig.
Die am 20. Februar 1949 geborene Klägerin zu 1) ist K. Staatsangehörige und Inhaberin einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis
für die Bundesrepublik Deutschland. Ihr am 6. März 1947 geborener Ehemann, der Kläger zu 2), ist L. Staatsangehöriger und
verfügt über eine Duldung nach § 60 a Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Für die von ihnen im streitbefangenen Zeitraum (1. August 2008 bis 31. Januar 2009) bewohnte Wohnung hatten die Kläger
eine Netto-Kaltmiete in Höhe von 285,00 EURO zuzüglich Nebenkosten von 30,00 EURO und Heizkosten von 40,00 EURO zu entrichten.
Über Einkommen und Vermögen verfügten sie nach ihren Angaben nicht. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 9. Juli 2008 bewilligte
der Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem SGB II für den Bewilligungszeitraum vom 1. August 2008 bis 31. Januar 2009 in Höhe von 487,70 EURO monatlich. Bei der Leistungsberechnung
legte er eine Regelleistung von 316,00 EURO zugrunde. Als Kosten der Unterkunft berücksichtigte er die Hälfte der Bruttomiete,
mithin 157,50 EURO (315,00: 2), sowie die Hälfte der Heizkosten (40,00 EUR) abzüglich einer Warmwasserpauschale von 11,60
EUR, mithin 14,20 EURO (28,40: 2). Den Bedarf des Klägers setzte der Beklagte in dem Berechnungsbogen mit 0,00 EURO fest.
Den hiergegen, per Telefax am 13. August 2008 eingegangenen Widerspruch wies der Beklagte als unzulässig zurück. Die einmonatige
Widerspruchsfrist sei nicht eingehalten worden. Der Bescheid vom 09. Juli 2008 sei am selben Tage zur Post gegeben worden,
so dass er als am 12. Juli 2008 bekannt gegeben gelte. Die Frist für die Einlegung des Widerspruchs sei damit bereits am 12.
August 2008 abgelaufen (Widerspruchsbescheid vom 14. August 2008).
Die Kläger haben am 15. September 2008 Klage erhoben und unter Vorlage eines Briefumschlages des Beklagten mit einem Poststempel
vom 10. Juli 2008 geltend gemacht, dass der angefochtene Bescheid erst am 10. Juli 2008 zur Post gegeben worden sei und sie
damit die Widerspruchsfrist eingehalten hätten. Der Bewilligungsbescheid sei rechtswidrig, weil die bewilligten Summen nicht
korrekt berechnet worden seien.
Mit Gerichtsbescheid vom 9. Februar 2009 hat das Sozialgericht (SG) Osnabrück die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Widerspruch der Kläger gegen den Bewilligungsbescheid
vom 9. Juli 2008 sei nicht verfristet gewesen. Ein Schriftstück sei im Sinne des § 37 Abs. 2 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) erst dann zur Post gegeben, wenn es beim Postamt abgegeben worden sei bzw. beim Einwurf in den Briefkasten mit dessen Leerung.
Da im vorliegenden Fall die Frankierung im Hause des Beklagten erfolgt sei, liege der Anknüpfungstatbestand "Aufgabe zur Post"
erst bei Frankierung vor. Hier datiere die Frankierung des vorgelegten Briefumschlages vom 10. Juli 2008. Da weitere Schreiben
an die Kläger im zeitlichen Zusammenhang nicht erfolgt seien, sei davon auszugehen, dass in dem Briefumschlag tatsächlich
der streitgegenständliche Bescheid enthalten gewesen sei. Danach spreche Überwiegendes dafür, dass die Aufgabe zur Post erst
am 10. Juli 2008 erfolgt sei, so dass der Bescheid erst am 13. Juli 2008 als "zugestellt" gelte. Der Widerspruch vom 13. August
2008 sei damit fristgerecht erhoben worden. In der Sache sei die Klage allerdings nicht begründet. Auch wenn die Kläger eine
Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 a SGB II bildeten, folge hieraus nicht, dass auch dem Kläger Leistungen nach dem SGB II zu gewähren seien. Denn die Zugehörigkeit zu einer Bedarfsgemeinschaft sei grundsätzlich davon unabhängig, ob die in die
Bedarfsgemeinschaft eingezogene Person selbst leistungsberechtigt nach dem SGB II sei. Es sei bereits mehrfach gerichtlich entschieden worden, dass der Kläger unter den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II falle.
Gegen den ihnen am 12. Februar 2009 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Kläger am 12. März 2009 Berufung eingelegt. Sie
machen im Wesentlichen geltend, unabhängig von seinem Aufenthaltsstatus habe auch der Kläger einen Anspruch auf Leistungen
nach dem SGB II, da er als Ehemann einer EU-Bürgerin die gleichen Rechte wie ein EU-Bürger habe. Auch im Übrigen seien die Leistungen mit
Bescheid vom 9. Juli 2008 falsch berechnet worden, weil sie der Höhe nach geringer seien, als sie für eine Einzelperson hätten
bewilligt werden müssen.
Die Kläger beantragen,
1.) den Gerichtsbescheid des SG Osnabrück vom 9. Februar 2009 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 9. Juli 2008 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 2008 zu ändern,
2.) den Beklagten zu verurteilen, ihnen Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist weiterhin der Auffassung, dass der Kläger nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II ist.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Prozessakten verwiesen, die Gegenstand
der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.
Hinsichtlich der geltend gemachten Leistungsansprüche des Klägers hat das SG die Klage zu Recht abgewiesen. Die Leistungsansprüche der Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum hat der Beklagte allerdings
nicht zutreffend berechnet, so dass insoweit der Berufung stattzugeben war.
Das SG hat die Klage zutreffend nicht bereits deswegen als unbegründet angesehen, weil der angefochtene Bewilligungsbescheid vom
9. Juli 2008 mangels fristgerechter Einlegung des Widerspruchs bestandskräftig geworden wäre. Auf die Zugangsfiktion des §
37 Abs. 2 S. 1 SGB X könnte sich der Beklagte nur dann berufen, wenn sich der 9. Juli 2008 als Tag der Aufgabe zur Post feststellen ließe. Es
ist allerdings aufgrund des vorgelegten Briefumschlages - wie das SG zu Recht ausgeführt hat - davon auszugehen, dass der Bescheid vom 9. Juli 2008 tatsächlich erst am 10. Juli 2008 zur Post
gegeben worden ist. Im Übrigen ist der sog. "Ab-Vermerk" (Bl. 565 VA) auch nicht mit einer Unterschrift des Sachbearbeiters
versehen worden. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat insoweit ab und verweist auf die zutreffenden Ausführungen
in dem angegriffenen Gerichtsbescheid vom 9. Februar 2009.
Der Kläger war in dem streitbefangenen Zeitraum Leistungsberechtigter nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz (
AsylbLG) und als solcher von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Für den streitbefangenen Zeitraum ergibt sich dies aus § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB II in der seit dem 28. August 2007 gültigen Fassung des Gesetzes vom 19. August 2007 (BGBl I 1970). Der Senat nimmt insoweit
auf seine in dem Parallelverfahren L 15 AS 239/08 ergangene Entscheidung Bezug, die den Leistungsanspruch des Klägers für den Zeitraum vom 24. Juli 2006 bis 31. Januar 2007
betrifft.
Die Leistungsansprüche der Klägerin, die dem Grunde nach unstreitig sind, hat der Beklagte der Höhe nach nicht zutreffend
berechnet. Entgegen seiner Auffassung war der Klägerin die Regelleistung für Alleinstehende nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II, die seinerzeit 351,00 EUR betrug, zu gewähren. Die Vorschrift des § 20 Abs. 3 SGB II, wonach zwei volljährige Partner der Bedarfsgemeinschaft eine Regelleistung in Höhe von jeweils 90 % der Regelleistung für
Alleinstehende (316,00 EUR) erhalten, ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass dieser Regelsatz nicht für eine
Bedarfsgemeinschaft gilt, in der ein Partner Arbeitslosengeld II und der andere Partner nur Leistungen nach dem
AsylbLG bezieht (so auch Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 3. Mai 2007 - L 18 B 472/07 AS ER; Beschluss des SG Hamburg vom 24. April 2008 - S 56 AS 796/08 ER; Brühl/Schoch in: LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, §
7 Rdn. 38; Hohm,
AsylbLG, Stand Juli 2010, §
1 Rdn. 131). Der Reduzierung der Regelleistungen auf einen "Mischregelsatz" von 90 % liegt der Regelfall einer aus zwei erwerbsfähigen
Hilfebedürftigen bestehenden Bedarfsgemeinschaft zugrunde. In der Summe erhalten danach zwei erwachsene Partner denselben
Betrag wie bei der sozialhilferechtlichen Aufteilung in 100 % für Haushaltsvorstände und 80 % für Haushaltsangehörige, die
das 14. Lebensjahr vollendet haben (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006, B 7b AS 6/06 R, Rn. 19). Den "Mischregelsatz" nach § 20 Abs. 3 S. 1 SGB II hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09 u. a., Rn. 154) für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten, weil der Gesetzgeber habe davon ausgehen dürfen, dass durch
das gemeinsame Wirtschaften Aufwendungen gespart würden und deshalb zwei zusammenlebende Partner einen finanziellen Mindestbedarf
hätten, der unter dem Doppelten des Bedarfs eines Alleinwirtschaftenden liege. Da aufgrund des Zusammenlebens anzunehmen sei,
dass beide Partner "aus einem Topf" wirtschafteten, sei nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber für beide Partner einen
gleich hohen Bedarf in Ansatz bringe. Hieraus folgt, dass die Anwendung des § 20 Abs. 3 SGB II dann zu verfassungsrechtlich bedenklichen Ergebnissen führt, wenn ein Partner Arbeitslosengeld II und der andere Partner
nur Leistungen nach dem
AsylbLG bezieht bzw. beziehen könnte (nach seinen Angaben im Parallelverfahren hat der Ehemann Leistungen nach dem
AsylbLG nicht beantragt oder bezogen), weil dann für beide Partner nicht ein gleich hoher Bedarf in Ansatz gebracht wird (vgl. LSG
Berlin-Brandenburg, aaO., Rdn. 4). Leistungsberechtigten, die - wie der Ehemann der Klägerin - außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen
untergebracht sind, kann nach §
3 Abs.
1 AsylbLG anstelle von vorrangig zu gewährenden Sachleistungen Leistungen in Form von Wertgutscheinen, von anderen vergleichbaren unbaren
Abrechnungen oder von Geldleistungen im gleichen Wert gewährt werden. Der Wert ist für den Haushaltsvorstand auf 360,00 DM
(= 181,07 EUR) zuzüglich notwendiger Kosten für Unterkunft, Heizung und Hausrat begrenzt. Hinzu kommt der Zusatzbetrag "zur
Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens" von 80 DM (= 40,90 EUR) gemäß §
3 Abs.
1 S. 3
AsylbLG. Der Ehemann der Klägerin hätte mithin nach dem
AsylbLG für die Bestreitung seines Lebensunterhalts (ohne Kosten für Unterkunft und Heizung) allenfalls 221,97 EUR erhalten. Anspruch
auf höhere Leistungen in entsprechender Anwendung des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) besteht nach §
2 Abs.
1 AsylbLG - bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen - erst nach Ablauf von drei Jahren. Würde der Klägerin nur der reduzierte Regelsatz
gem. § 20 Abs. 3 SGB II (316,00 EUR) zustehen, so würde sie mittelbar von den sich aus dem
AsylbLG ergebenden Leistungsbegrenzungen betroffen. Ihr verfassungsrechtlich verbürgtes Existenzminimum wäre nicht gedeckt, weil
die Absenkung der Regelleistung für Alleinstehende um 35,00 EUR nach Maßgabe des § 20 Abs. 3 SGB II nicht durch Leistungen an ihren Ehemann in Höhe von 90 % des Regelsatzes kompensiert würde.
Von den auf die Klägerin entfallenden Kosten für Unterkunft und Heizung von 177,50 EURO (355,00 EURO: 2) ist eine Warmwasserpauschale
von 6,33 EURO (vgl. zur Berechnung: BSG, Urteil vom 27. Februar 2008, B 14/7b AS 64/06 R) abzuziehen, so dass ein Leistungsanspruch in Höhe von 171,17 EURO verbleibt. Hieraus ergibt sich unter Hinzurechnung der
Regelleistung ein monatlicher Gesamtanspruch von (gerundet) 522,00 EURO. Der Differenzbetrag zu den bereits gewährten Leistungen
beläuft sich auf 34,30 EURO (522,00 EURO minus 487,70 EURO).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin mit ihrem Begehren auf Gewährung höherer Leistungen Erfolg gehabt hat.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung (verfassungskonforme Auslegung des § 20 Abs. 3 SGB II) zuzulassen.