Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs im sozialgerichtlichen Verfahren gegen eine Eingliederungsvereinbarung
beim Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende
Gründe:
Die gemäß §§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Bremen vom 5. März 2012 ist begründet.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 10. Februar 2012 gegen den Eingliederungsverwaltungsakts
des Antragsgegners vom 27. Januar 2012 (gültig für die Zeit vom 27. Januar bis 26. Juli 2012) ist gemäß §
86 b Abs.
1 S. 1 Nr.
2 SGG ganz anzuordnen, weil die vom SG zutreffend festgestellten durchgreifenden rechtlichen Bedenken gegen die Zulässigkeit einer Verpflichtung des Leistungsberechtigten
zur Wahrnehmung von Beratungsgesprächen und ärztlichen Untersuchungsterminen mit entsprechenden Sanktionsfolgen im Rahmen
einer Eingliederungsvereinbarung bzw. eines Eingliederungsverwaltungsakts nach § 15 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) nach vorläufiger rechtlicher Würdigung des Senats nicht nur zur Teilrechtswidrigkeit des Eingliederungsverwaltungsakts führen,
sondern dieser unter Berücksichtigung des mit einer Eingliederungsvereinbarung verfolgten gesetzgeberischen Konzepts als insgesamt
rechtswidrig angesehen werden muss. Eine Teilaufhebung eines Verwaltungsakts bzw. die teilweise Anordnung der aufschiebenden
Wirkung ist nur möglich, wenn ein Teil des Verwaltungsakts selbständig und unabhängig von dem anderen bestehen bleiben bzw.
aufgehoben werden kann, zwischen den Teilen kein unabdingbarer Zusammenhang besteht, ein Teil durch die Aufhebung eines anderen
Teils keinen anderen Inhalt erlangt und anzunehmen ist, dass der Verwaltungsakt auch nur mit dem rechtmäßigen Teil erlassen
worden wäre (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl. 2012, §
131 Rn. 3 b m. w. N.). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze dürfte es sich bei einem Eingliederungsverwaltungsakt nicht um
einen teilbaren Verwaltungsakt handeln (a. A. offenbar - allerdings ohne Begründung - Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 15 Rn. 61, soweit dort von einem teilbaren, teils belastenden, teils begünstigenden Verwaltungsakt gesprochen wird). Einer Eingliederungsvereinbarung,
an deren Stelle gemäß § 15 Abs. 1 S. 6 SGB II unter bestimmten Voraussetzungen der Eingliederungsverwaltungsakt tritt, liegt ein auf den Einzelfall zugeschnittenes Eingliederungskonzept
zugrunde (vgl. Berlit aaO., Rn. 23). Nach den Fachlichen Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit zu § 15 SGB II (Fassung vom 20. Mai 2011, Ziffer 15.1) handelt es sich um ein wirkungsorientiertes Instrument zur Erzeugung von Verbindlichkeit
im Integrationsprozess mit den erwerbsfähigen leistungsberechtigten Personen. Wegen der unterschiedlich anzutreffenden konkreten
Voraussetzungen im Hinblick auf die Integrationschancen am Arbeitsmarkt bedarf die Eingliederungsvereinbarung dabei einer
individuellen Ausgestaltung. Eine sorgfältige Standortbestimmung bei der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person, die
die Stärken und den Unterstützungsbedarf identifiziert und daraus folgende Handlungsbedarfe aufzeigt, ist nach den Fachlichen
Hinweisen zwingende Grundlage für eine erfolgreiche Eingliederungsstrategie. Stellt sich vor diesem Hintergrund eine Eingliederungsvereinbarung
bzw. ein sie ersetzender Verwaltungsakt als das Instrument einer auf den Einzelfall angepassten Eingliederungsstrategie mit
einer Vielzahl aufeinander abgestimmter Maßnahmen dar, ist die für die Teilbarkeit eines derartigen Verwaltungsakts erforderliche
Annahme, dass dieser von der Behörde auch ohne die als rechtswidrig erkannten Regelungen erlassen worden wäre, grundsätzlich
nicht gerechtfertigt. Vielmehr ist in einem solchen Fall wie bei einer Änderung in den persönlichen oder wirtschaftlichen
Verhältnissen oder einer erkennbaren Erfolglosigkeit bzw. Ineffektivität oder sonstigen Sachwidrigkeit der abgeschlossenen
Eingliederungsvereinbarung (vgl. Berlit aaO., Rn. 38) eine Anpassungslage entstanden, die eine Überprüfung der bislang verfolgten
Eingliederungsstrategie und ggf. Modifikation der einzusetzenden Mittel erfordert, um die Passgenauigkeit der Eingliederungsmaßnahmen
(vgl. die Leistungsgrundsätze des § 3 SGB II) sicherzustellen. Demgegenüber erscheint es nicht sachgerecht, den bisherigen Eingliederungsverwaltungsakt, dessen Regelungen
sich als teilweise rechtswidrig erwiesen haben und mit dem daher die angestrebte Verbindlichkeit im Integrationsprozess nicht
erreicht worden ist, für die Restlaufzeit ungeprüft fortzuführen. Diese Gesichtspunkte müssen im Anordnungsverfahren nach
§
86 b Abs.
1 S. 2
SGG dazu führen, dass die aufschiebende Wirkung ganz angeordnet wird.
Erweist sich die Beschwerde bereits aus den vorstehenden Erwägungen als begründet, weist der Senat nur ergänzend darauf hin,
dass er auch die mit der Beschwerde (erstmals) geltend gemachten Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Regelung über die Bewerbungskosten
teilt. Zentrale Bestandteile einer Eingliederungsvereinbarung sind gemäß § 15 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II Bestimmungen darüber, welche Leistungen der Erwerbsfähige zur Eingliederung in Arbeit erhält und welche Bemühungen er in
welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen muss und in welcher Form diese Bemühungen nachzuweisen
sind. Hinsichtlich der vom Grundsicherungsträger übernommenen Pflichten sehen die Fachlichen Hinweise der Bundesagentur für
Arbeit (Ziffer 15.19) vor, dass in der Eingliederungsvereinbarung genau bestimmt sein muss, welche Leistungen die erwerbsfähige
leistungsberechtigte Person zur Eingliederung in Arbeit erhält (§ 15 Abs. 1 Nr. 1). Sie sind individuell und eindeutig unter
Benennung der für die Gewährung maßgeblichen Gründe festzulegen. Diese Anforderungen gelten auch für den Eingliederungsverwaltungsakt
(Ziffer 15.55). Die Durchführungshinweise sehen auch vor, dass für verbindlich vereinbarte schriftliche Bewerbungen eine Kostenerstattungsregelung
(§
16 Abs.
1 i. V. m. §
45 SGB III) vereinbart werden sollte. Die Notwendigkeit einer derartigen Finanzierungsregelung folgt aus dem Umstand, dass der Leistungsberechtigte
die Kosten ansonsten aus der Regelleistung, die lediglich den existenziellen Bedarf abdeckt, zu bestreiten hätte (vgl. Berlit
aaO. Rn. 29 m. w. N.).
Hinsichtlich der Bewerbungskosten enthält der hier in Rede stehende Bescheid des Antragsgegners vom 27. Januar 2012 folgende
Regelung:
"Das Jobcenter unterstützt Ihre Bewerbungsaktivitäten durch Übernahme von angemessenen und nachgewiesenen Kosten für schriftliche
Bewerbungen nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 45 SGB II, sofern Sie diese zuvor beantragen (Erstattungen erfolgen nur nach Vorlage von Originalquittungen)."
Mit dieser Regelung hat der Antragsgegner keine Bestimmung im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II über die Erstattung von Bewerbungskosten getroffen. Abgesehen davon, dass eine unzutreffende Rechtsgrundlage genannt wird
(einschlägig wäre § 16 Abs. 1 SGB II i. V. m. §
45 SGB III), lässt die gewählte Formulierung unter Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit völlig offen, ob und
ggf. in welcher Höhe die Kosten für schriftliche Bewerbungen erstattet werden. Letztlich wird lediglich eine Prüfung des zu
stellenden Kostenerstattungsantrags anhand der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen in Aussicht gestellt. Selbst wenn diese
Bestimmungen zutreffend benannt worden wären, wäre der Adressat des Verwaltungsakts nicht in die Lage versetzt worden, die
Voraussetzungen und die Höhe des ihm zustehenden Anspruchs festzustellen. Denn §
45 SGB III spricht lediglich von der Erstattung angemessener Kosten, einer erforderlichen Entscheidung des Leistungsträgers über den
Umfang der zu erbringenden Leistungen und die Möglichkeit der Festlegung von Pauschalen. Der Antragsteller ist durch fragliche
Regelung auch beschwert, da sie ihm die Verpflichtung zur vorherigen Beantragung der Kostenerstattung auferlegt und sie zudem
in Verbindung mit den weiteren Regelungen dazu führt, dass der Antragsteller die erforderlichen Eigenbemühungen mit entsprechendem
Kostenrisiko durchzuführen hat.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.