Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe; Wirkung der Antragstellung
Gründe:
I. Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das von ihm vor dem Sozialgericht
(SG) Braunschweig geführte Klageverfahren S 9 AL 291/10. Diese Klage richtete sich ursprünglich gegen die Ablehnung eines bei der Beklagten gestellten Antrags auf Berufsausbildungsbeihilfe
(BAB) durch den Bescheid vom 11. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2010.
Im Juli 2010 beantragte der damals 24jährige Kläger die Gewährung von BAB. Bereits im Antragsformular gab er an, zu seinem
Vater seit 23 Jahren keinen Kontakt mehr zu haben. Die Beklagte ermittelte daraufhin im Verwaltungsverfahren die derzeitige
Anschrift des Vaters und zog von diesem Unterlagen zu dessen Einkommen bei. Während des mehrmonatigen Verwaltungsverfahrens
fragte der Kläger mehrfach nach dem Sachstand an. Anlässlich dieser Telefongespräche wies der Kläger auf seine schwierigen
finanziellen Verhältnisse hin und erkundigte sich ausdrücklich danach, ob BAB nicht auch unabhängig vom Einkommen Vaters,
zu dem er nach wie vor keinerlei Kontakt habe, gewährt werden könne.
Die Beklagte lehnte den BAB-Antrag mit der Begründung ab, dass dem Kläger aufgrund des Einkommens seines Vaters die für seinen
Lebensunterhalt und seine Berufsausbildung erforderlichen Mittel anderweitig zur Verfügung ständen (Bescheid vom 11. Oktober
2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2010). Der Widerspruchsbescheid enthielt unterhalb der Rechtsbehelfsbelehrung
den Zusatz: "Für den Fall, dass der Vater des Widerspruchsführers Unterhaltsleistungen verweigern sollte, könnte der Widerspruchsführer
einen Antrag auf Vorausleistungen prüfen lassen."
Gegen die BAB-Ablehnung hat der Kläger am 26. November 2010 beim SG Klage erhoben und erneut geltend gemacht, vom Vater keine Unterhaltszahlungen zu erhalten.
Während des laufenden erstinstanzlichen Verfahrens hat der Kläger am 12. Februar 2011 bei der Beklagten einen Antrag auf BAB-Vorausleistung
nach §
72 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III) gestellt. Die Beklagte hat daraufhin den Bescheid vom 11. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.
Oktober 2010 aufgehoben und BAB ohne Anrechnung von Elterneinkommen in Höhe von 198 Euro pro Monat gewährt (Bescheid vom 17.
März 2011).
Das SG hat den für das erstinstanzliche Klageverfahren gestellten PKH-Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass der Kläger sein
Ziel auch ohne die Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe hätte erreichen können. Er sei bereits im Widerspruchsbescheid unmissverständlich
darauf hingewiesen worden, dass ein Antrag auf Vorausleistungen gestellt werden könne. Diesen Antrag habe der Kläger jedoch
erst am 12. Februar 2011 gestellt (Beschluss vom 19. August 2011).
Gegen den dem Kläger am 26. August 2011 zugestellten Beschluss richtet sich seine am 26. September 2011 eingelegte Beschwerde.
Der Kläger macht geltend, während des Verwaltungsverfahrens mehrfach auf den fehlenden Kontakt zum Vater hingewiesen und sich
erkundigt zu haben, wie ohne Angaben des Vaters verfahren werden könne. Diese Anfragen habe die Beklagte nicht beantwortet.
Stattdessen sei der Widerspruchsbescheid ergangen, gegen den der Kläger zur Vermeidung des Eintritts von Bestandskraft Klage
erhoben habe.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Kläger hat Anspruch auf PKH für das erstinstanzliche
Klageverfahren.
Der Kläger kann angesichts seiner wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten der Prozessführung weder vollständig, teilweise
noch in Raten aufbringen.
Der PKH-Antrag durfte auch nicht wegen fehlender Erfolgsaussicht oder Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung abgelehnt werden
(vgl. zu diesen Tatbestandsvoraussetzungen: §
73a SGG iVm §
114 ZPO).
Die Beklagte hat auf den erneuten Antrag des Klägers den ursprünglich angefochtenen Bescheid vom 11. Oktober 2010 ausdrücklich
aufgehoben und BAB gewährt (vgl. Seite 2 des Bescheides vom 17. März 2011). In der Sache hat der Kläger damit sein Rechtschutzziel
erreicht. Es handelt sich bei einer Vorausleistung nach §
72 SGB III auch nicht um ein "weniger" oder ein sog. "aliud" gegenüber der am 23. Juli 2010 beantragten BAB. Dem Kläger ist schließlich
kein unter einem ausdrücklichen Rückforderungsvorbehalt stehender Vorschuss nach §
42 SGB I gewährt worden. Vielmehr handelt es sich bei der BAB-Vorausleistung nach §
72 SGB III um eine gegenüber dem Auszubildenden grundsätzlich endgültige BAB-Bewilligung ohne Rückforderungsvorbehalt. Lediglich gegenüber
dem unterhaltsverpflichteten Elternteil sieht das Gesetz Rückgriffsmöglichkeiten der Bundesagentur für Arbeit vor (§
72 Abs
2 bis
4 SGB III). Somit hat der Kläger sein Rechtsschutzziel allein auf der Grundlage seines bisherigen Vorbringens, wonach er zu seinem
Vater keinen Kontakt habe und von diesem keinen Unterhalt erhalte, erreicht, so dass die PKH-Gewährung nicht mangels Erfolgsaussicht
der Rechtsverfolgung abgelehnt werden kann.
Entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG ist es nicht dem Kläger zuzurechnen, dass die Bewilligung von BAB erst im Laufe des Klageverfahrens erfolgte. Damit kann
dem vom Kläger geltend gemachten PKH-Anspruch nicht entgegen gehalten werden, dass die Rechtsverfolgung deshalb mutwillig
gewesen sei oder ihr das Rechtsschutzbedürfnis gefehlt habe, weil dem Kläger ein einfacherer Weg der Rechtsverfolgung zur
Verfügung gestanden hätte. Zwar hat das SG vom Tatsächlichen her zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger im Widerspruchsbescheid ausdrücklich auf die Möglichkeit
der Beantragung von Vorausleistungen nach §
72 SGB III hingewiesen worden ist. Dem hat allerdings der Kläger zu Recht entgegen gehalten, dass er schon während des gesamten Verwaltungsverfahrens
mehrfach auf den fehlenden Kontakt zum Vater (und damit auf den Nichterhalt von Unterhaltszahlungen) hingewiesen und sich
ausdrücklich nach Möglichkeiten erkundigt habe, BAB ohne Berücksichtigung des Vaters zu erhalten. Dieses - auch in den Verwaltungsakten
dokumentierte - Vorbringen des Klägers ist als mündlicher Antrag auf BAB ohne Berücksichtigung von Elterneinkommen anzusehen.
Unabhängig von der Rechtzeitigkeit eines Antrag auf BAB-Vorausleistung kann aus einem weiteren Gesichtspunkt keine Mutwilligkeit
der Rechtsverfolgung oder fehlendes Rechtsschutzinteresse angenommen werden: Entgegen der Auffassung der Beklagten und des
SG setzt eine Vorausleistung nach §
72 SGB III nämlich überhaupt keinen über den "allgemeinen" BAB-Antrag hinausgehenden weiteren Antrag voraus (vgl. Fuchsloch in Gagel,
SGB II/SGB III, Stand: 2011, §
72 SGB III, Rn 15; Kruse/Schön in: LPK-
SGB III, 1. Aufl. 2008, §
72 Rn 7; Stratmann in: Niesel/Brand,
SGB III, 5. Aufl. 2010, §
72 Rn 4; Koch in: Schönefelder u.a.,
SGB III, Arbeitsförderung, 3. Aufl. Stand: Mai 2011, §
72 Rn 68). Die Beklagte hätte somit vor Erlass des Ablehnungsbescheides vom 11. Oktober 2010 aufgrund der ihr von Anfang an
bekannten, besonderen Situation des Klägers zusätzlich prüfen müssen, ob BAB im Wege der Vorausleistung nach §
72 SGB III in Betracht kommt. Nachdem die Beklagte dies unterlassen hatte, bestand für den Kläger Anlass zur - letztlich erfolgreichen
- Klage.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
127 Abs
4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).