Tatbestand:
Der 1973 im Libanon geborene Kläger ist nach seinen Angaben Kurde aus dem Libanon. Er reiste im Januar 1996 mit seiner Ehefrau
nach Deutschland ein. Sie beantragten am 15. Januar 1996 ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Dabei gaben sie an, libanesische
Volkszugehörige mit libanesischer Staatsangehörigkeit zu sein; Personalunterlagen legten sie nicht vor. Bei der Anhörung am
17. Januar 1996 erklärte der Kläger sodann, dass seine Staatszugehörigkeit ungeklärt sei. Er sei Kurde im Libanon und habe
keine Legitimationspapiere vom libanesischen Staat bekommen, aus denen hervorgehen würde, dass er die libanesische Staatsangehörigkeit
habe. Dieser Antrag ist durch Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 16. Februar 1996
als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden; dabei ging das Bundesamt weiterhin von einer libanesischen Staatsangehörigkeit
aus (Aktenzeichen 451 statt 998 für ungeklärte Staatsangehörigkeit). Das hiergegen eingeleitete Klageverfahren - H. - wurde
nach Klagrücknahme am 16. April 1996 eingestellt, nachdem der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zuvor durch den Beschluss
des Verwaltungsgerichts I. vom 6. März 1996 - J. - abgelehnt worden war. Auch die Asylverfahren der vier in Deutschland geborenen
Kinder verliefen erfolglos. Der Kläger, seine Ehefrau und die Kinder werden seitdem wegen fehlender Heimreisedokumente geduldet.
Ein Auszug aus dem libanesischen Register für Staatenlose oder eine entsprechende aussagekräftige Auskunft der Republik Libanon,
Generaldirektion der Allgemeinen Sicherheit liegt bisher nicht vor (vgl. auch Bescheinigung der Republik Libanon, Generaldirektion
der Allgemeinen Sicherheit vom 6. November 1999 für eine Person namens "K., geboren am L. ", Bl. 183 der Ausländerakte). Ein
weiteres Verfahren auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung wurde durch das Urteil des Verwaltungsgerichts I. vom 20. Januar
2004 - M. - abgewiesen. Dabei ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass die Staatsangehörigkeit des Klägers weiterhin ungeklärt
sei und er seine geltend gemachte Staatenlosigkeit nicht habe belegen können. Weiter ging es auf die Staatsangehörigkeitslage
im Libanon und insbesondere die Sammeleinbürgerung im Jahr 1994 ein (vgl. Seite 7 ff. dieses Urteils). Der hiergegen gestellte
Antrag auf Zulassung der Berufung wurde durch den Beschluss des N. Oberverwaltungsgerichts vom 18. August 2004 - O. - abgelehnt;
dabei setzte sich das Gericht eingehend mit der Aussagekraft der Bescheinigung vom 6. November 1999 auseinander.
Seit seiner Einreise bezieht der Kläger wie auch seine Familie Leistungen nach §
3 AsylbLG. Ein erstmaliger Antrag auf Gewährung von Leistungen nach §
2 AsylbLG vom 20. April 2005 wurde bestandskräftig abgelehnt (Bescheid vom 17. Mai 2005, Widerspruchsbescheid vom 9. November 2005).
Mit Antrag vom 31.01.2006 begehrte der Kläger für sich und seine Familie erneut die Bewilligung von Leistungen nach §
2 AsylbLG ab dem 1. Februar 2006. Diesen Antrag lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 20. Februar 2006 ab. Der hiergegen eingelegte
Widerspruch vom 16. März 2006, eingegangen am 21. März 2006, wurde durch den Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2006 zurückgewiesen.
Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass der Kläger und seine Familie rechtsmissbräuchlich die Dauer ihres Aufenthaltes
selbst beeinflusst hätten; insoweit verweist er auf die ausländerrechtlichen Stellungnahmen, zuletzt vom 19. Mai 2006 (Bl.
20 der Leistungsakte), aus denen sich ergebe, dass sie abgeleitet von ihren Vorfahren die libanesische Staatsangehörigkeit
besäßen.
Hiergegen hat nur der Kläger am 22. Juni 2006 beim Sozialgericht (SG) Stade Klage eingereicht und zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen,
dass er nicht die libanesische Staatsangehörigkeit besitze. Dieses sei bei Kurden, die in der Mandatszeit in den Libanon eingereist
seien, in der Regel der Fall. So sei auch der Asylantrag u.a. mit Hinweis darauf abgelehnt worden, dass eine Staatenlosigkeit
einen Anspruch auf Asyl nicht zu begründen vermag. Er habe sich um die Beschaffung von Identitätspapieren bemüht und alles
unternommen, um Heimreisepapiere zu erhalten, die libanesischen Behörden seien jedoch wenig kooperativ gewesen. Er habe auch
nicht behauptet, dass sein Onkel P. die libanesische Staatsangehörigkeit besitze. Lediglich seine Tante habe abgeleitet von
ihrem Ehemann die libanesische Staatsangehörigkeit. Er habe nicht, was jedoch nach der Richtlinie 2003/09/EG des Europäischen
Rates erforderlich sei, aktiv versucht, seine Identität zu verschleiern oder gegen Mitwirkungspflichten verstoßen. Er sei
aufgrund fehlender Papiere außer Stande, freiwillig auszureisen.
Der Beklagte ist weiterhin der Auffassung, dass der Kläger seine libanesische Staatsangehörigkeit von seinen Vorfahren ableiten
könne. Auch sei zu berücksichtigen, dass der Libanon im Jahr 1994 eine Sammeleinbürgerung von Personen vorgenommen habe, die
nicht die libanesische Staatsangehörigkeit besaßen. Dem Kläger sei auch vorzuhalten, dass er keine Bescheinigung der Generaldirektion
für allgemeine Sicherheit (Sûreté Générale) vorgelegt habe, die ihn betreffe.
Das SG Stade hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch Beschluss vom 9. November 2006 abgelehnt, weil von
einer rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes auszugehen sei. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten
sei darin zu sehen, dass der Kläger bei der Beschaffung von Passpapieren nicht ausreichend mitgewirkt habe. Es bestünden Zweifel
an der Richtigkeit des Vortrages, der Kläger sei ein staatenloser Kurde aus dem Libanon, zumal er im Asylverfahren selbst
zunächst angegeben habe, die libanesische Staatsangehörigkeit zu besitzen. Der Kläger habe darüber hinaus keine Bescheinigung
vorgelegt, welche die von ihm behauptete Staatenlosigkeit belege. Allein die Beantragung einer Bescheinigung über die Staatenlosigkeit
bei der Direktion Général de la Sureté Générale in Beirut durch Schreiben vom 23. Mai 2005 und Erinnerung vom 28. Oktober
2005 reiche nicht aus. Seine Staatsangehörigkeit bzw. Staatenlosigkeit sei damit, wie bereits das Verwaltungsgericht I. im
Urteil vom 29. Januar 2004 entschieden hatte, weiterhin ungeklärt. Die hiergegen eingereichte Beschwerde hat der Senat durch
Beschluss vom 27. März 2007 - L 11 B 17/06 AY - zurückgewiesen. Dabei hat der Senat darauf abgestellt, dass der Kläger durch seine Angaben selbst die fortbestehenden
Zweifel bezüglich seiner Staatsangehörigkeit begründet habe. So habe er bei Asylantragstellung zunächst angegeben, die libanesische
Staatsangehörigkeit zu besitzen und erst nachträglich Staatenlosigkeit geltend gemacht. Dieses führe dazu, dass die Staatsangehörigkeit
des Klägers bis heute ungeklärt sei. Dem Kläger sei es bis heute auch nicht gelungen, durch geeignete Unterlagen die von ihm
geltend gemachte Staatenlosigkeit zu belegen. Vielmehr seien über die bisher gewürdigten Umstände hinaus weitere Gesichtspunkte
deutlich geworden, die entgegen der Darstellung des Klägers für eine libanesische Staatsangehörigkeit sprechen. Bei der amtsärztlichen
Untersuchung im Rahmen seines Asylverfahrens habe sich der Kläger nämlich laut der Ärztlichen Bescheinigung vom 24. Januar
1996 mit einem Reisepass Nr.: 00081LG96 ausgewiesen. Dabei könne es sich auch nicht um die dem Kläger am 15. Januar 1996 erteilte
Aufenthaltsgestattung gehandelt haben, da diese die Nr. Q. trug.
Den erneuten Prozesskostenhilfeantrag vom 12. Juli 2007 hat das SG Stade durch Beschluss vom 13. Juli 2007 unter Verweis auf
die Beschlüsse im ersten Prozesskostenhilfeverfahren abgelehnt. Die hiergegen eingelegte Beschwerde, mit der geltend gemacht
worden ist, dass es sich bei dem "Reisepass Nr. R." um den Heimausweis der Zentralen Anlaufstelle S. gehandelt habe, ist durch
den Beschluss des Senats vom 23. August 2007 - L 11 B 38/07 AY - zurückgewiesen worden, da dieser Umstand lediglich ein zusätzliches Argument gewesen sei und sich im Bezug auf die übrigen
die Prozesskostenhilfe ablehnende Entscheidung selbständig tragenden Gründe nichts geändert habe.
Das SG Stade hat sodann durch Gerichtsbescheid vom 29. November 2007 die Klage abgewiesen. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten
sei vorliegend darin zu sehen, dass der zur Ausreise verpflichtete Kläger nicht freiwillig ausreise und bei der Beschaffung
von Passpapieren nicht ausreichend mitwirke. Die Zweifel an der geltend gemachten Staatenlosigkeit bestünden fort. Weitere
eine andere Einschätzung zulassende Unterlagen seien nicht vorgelegt worden.
Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger am 21. Dezember 2007 Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren verweist der Kläger
im Wesentlichen auf seinen erstinstanzlichen Vortrag.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 29. November 2007 sowie den Bescheid des Beklagten vom 20. Februar 2006
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Mai 2006 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm ab dem 1. Februar
2006 Leistungen gemäß §
2 AsylbLG zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten
und die beigezogenen Leistungs- und Ausländerakten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand
der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Streitgegenständlich sind nur die eigenen Ansprüche des Klägers, weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Klage ausdrücklich
nur im Namen des Klägers erhoben hat. Deshalb kann die Klageschrift nicht dahingehend ausgelegt werden, dass auch für die
übrigen Familienmitglieder Klage erhoben werden sollte.
Das SG Stade hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 29. November 2007 zu Recht abgewiesen, weil der Kläger keinen Anspruch
auf erhöhte Leistungen nach §
2 Abs.
1 AsylbLG hat.
Nach §
2 Abs.
1 AsylbLG ist abweichend von den §§
3 bis
7 das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt
36 Monaten (ab dem 28. Juli 2007: 48 Monate) Leistungen nach § 3 erhalten haben und die Dauer des Aufenhalts nicht rechtsmissbräuchlich
selbst beeinflusst haben.
Der Kläger hat zur Überzeugung des Senats die Dauer des Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst. Hierunter ist
ein zu missbilligendes, sozialwidriges Verhalten unter Berücksichtigung des Einzelfalles erforderlich, dass nicht nur eine
objektive, sondern auch eine subjektive Komponente (Vorsatz bezogen auf die die Aufenthaltsdauer beeinflussenden Handlungen
mit dem Ziel der Beeinflussung der Aufenthaltsdauer) enthält. Hierbei kommt es auf die Betrachtung der gesamten Dauer des
Aufenthaltes in der Bundesrepublik an. Ein einmaliges Fehlverhalten von solchem Gewicht, das einen Leistungsausschluss rechtfertigt,
reicht hierfür aus (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8 AY 12/07 R).
Dem Kläger ist der Vorwurf zu machen, dass er vorsätzlich und mit dem Ziel des Verbleibs bzw. der nachhaltigen Verzögerung
des Aufenthalts in der Bundesrepublik unterschiedliche Angaben zu seiner Staatsangehörigkeit gemacht hat. Dieses ist als ein
erhebliches Fehlverhalten anzusehen, weil die Kenntnis der Staatsangehörigkeit wesentlich für die Rückführung eines ausreisepflichtigen
Ausländers ist.
Deshalb kommt es im vorliegenden Fall nicht entscheidend darauf an, ob der Kläger alle ihm möglichen und zumutbaren Anstrengungen
zur Beschaffung eines Passes bzw. Passersatzpapieres unternommen hat. Gem. § 48 Abs. 3 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) muss der Ausländer bei der Beschaffung von Identitätspapieren mitwirken. Diese Mitwirkungshandlungen müssen sich neben dem
Bemühen um einen Pass oder Passersatz auch auf die Beschaffung sonstiger Urkunden und Dokumente richten, sofern sie zu dem
Zweck geeignet sind, die Ausländerbehörde bei der Geltendmachung und Durchsetzung einer Rückführungsmöglichkeit zu unterstützen.
Das Sozialgericht hat im angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend entschieden, dass Fälle des Rechtsmissbrauchs u.a. die
Vernichtung des Passes oder die Angabe einer falschen Identität sind. Zu letzterem Bereich gehören auch fehlerhafte Angaben
zur Staatsangehörigkeit, da diese der Beendigung eines nicht erlaubten Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland entgegenstehen.
Der Kläger hat durch seine Angaben selbst die fortbestehenden Zweifel bezüglich seiner Staatsangehörigkeit begründet. So hatte
er bei Asylantragstellung zunächst angegeben, die libanesische Staatsangehörigkeit zu besitzen und erst nachträglich Staatenlosigkeit
geltend gemacht. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass - wie der Prozessbevollmächtigte des Klägers meint - die Eintragung
der libanesischen Staatsangehörigkeit bei der Aufnahme des Asylantrages auf Verständigungsproblemen beruht haben könnte. Dieses
führt dazu, dass die Staatsangehörigkeit des Klägers bis heute ungeklärt ist (vgl. mit eingehender Würdigung auch Urteil des
Verwaltungsgerichts I. vom 29. Januar 2004 -M. - sowie Beschluss des T ... Oberverwaltungsgerichts vom 18. August 2004 -O.
-). Dem Kläger ist es bis heute auch nicht gelungen, durch geeignete Unterlagen die von ihm geltend gemachte Staatenlosigkeit
zu belegen. Die vom Kläger eingereichte Bescheinigung der Republik Libanon vom 6. November 1999 ist nicht geeignet zu belegen,
dass der Kläger im Libanon ein Staatenloser gewesen ist. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffende und überzeugende
Würdigung durch das T ... Oberwaltungsgericht im o.a. Beschluss vom 18. August 2004; dabei ist sich der Senat bewusst, dass
es bei der Übersetzung aus der arabischen Sprache Schwierigkeiten geben kann, dieser Umstand ist jedoch nicht geeignet, die
deutlich abweichende Namensschreibweise in der Übersetzung der Bescheinigung vom 6. November 1999 zu erklären. Deshalb wirken
sich die vom Kläger selbst begründeten Zweifel bezüglich seiner Staatsangehörigkeit weiterhin zu seinem Nachteil aus, zumal
das BSG im o.a. Urteil von einer abstrakten Betrachtungsweise ausgeht, d.h. dass sich ein einmaliges gewichtiges Fehlverhalten
auf die gesamte Dauer des Aufenthaltes auswirkt.
Der vorliegende Fall bietet keinen Anlass, sich umfassend mit der neueren Rechtsprechung des BSG zur Problematik eines rechtsmissbräuchlichen
Verhaltens auseinander zu setzen, weil sowohl nach der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Senats als auch nach der
neueren Rechtsprechung des BSG durch seine Urteile vom 17. Juni 2008 im vorliegenden Fall die Berufung aus den o.g. Gründen
zurückzuweisen ist.
Der Senat weist jedoch darauf hin, dass er bezüglich der grundsätzlichen Ausführungen des BSG im Urteil vom 17. Juni 2008
- B 8/9b AY 1/07 R - zum Begriff des Rechtsmissbrauchs und insbesondere der fehlenden Relevanz einer freiwilligen Ausreisemöglichkeit
Bedenken hat. Dieses beruht entscheidend darauf, dass das BSG in diesem Urteil den ausländerrechtlichen Vorgaben nicht hinreichend
Rechnung getragen haben dürfte. Bei der Frage, ob ein Ausländer rechtsmissbräuchlich die Dauer seines Aufenthaltes selbst
beeinflusst hat, dürfte entscheidend auf die Regelung im Aufenthaltsgesetz (AufenthG) abzustellen sein, da es allein von diesem Regelwerk abhängt, ob und unter welchen Bedingungen sich ein Ausländer im Bundesgebiet
aufhalten darf. Die Regelung in §
2 Abs.
1 AsylbLG dürfte deshalb als ein Annex zum AufenthG anzusehen sein, so dass der dort verwandte Begriff des Rechtsmissbrauches primär unter Berücksichtigung der grundsätzlichen
Vorgaben aus dem AufenthG auszulegen ist.
Danach wäre zentral von der Vorschrift des § 50 AufenthG auszugehen, die die Ausreisepflicht eines Ausländers regelt. Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer, bei dem bestandskräftig/rechtskräftig
festgestellt worden ist, dass er nicht bzw. nicht mehr ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland besitzt, verpflichtet,
freiwillig auszureisen. Die Abschiebung gemäß § 58 AufenthG, d.h. die zwangsweise Rückführung, ist nach der gesetzlichen Regelung im AufenthG nur die Ausnahme und kommt nach § 58 Abs. 1 AufenthG grundsätzlich nur in Betracht, wenn die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist. Deshalb spricht Einiges
dagegen, wenn bei der Auslegung des Begriffes des Rechtsmissbrauches die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise ausgeklammert
wird (B 8/9b AY 1/07 R, Rdnr 31 ff. oder B 8 AY 8/07 R, Rdnr. 16).
Vielmehr dürfte es ausgehend von der rechtlichen Konstruktion im AufenthG gerade der typische Fall eines Rechtsmissbrauches sein, wenn ein ausreisepflichtiger Ausländer nicht freiwillig ausreist,
obwohl ihm dieses möglich und zumutbar ist.
Das BSG dürfte zudem aus der gesetzlichen Regelung über die Duldung (§ 60a AufenthG) zu weitgehende Schlussfolgerungen gezogen haben. Die Duldung ist nach § 60a Abs. 4 AufenthG lediglich eine Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung. Sie wird nach der insoweit hier einschlägigen Regelung
des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nur erteilt, solange die Abschiebung aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen unmöglich ist. Dabei wird nur geprüft, ob
die Abschiebung, d.h. die zwangsweise Rückführung, unmöglich ist, dagegen nicht, ob auch der freiwilligen Ausreise Hindernisse
entgegenstehen. Diese tatsächlichen und rechtlichen Gründe können vielfältig sein und sind nicht deckungsgleich mit Hindernissen
für eine freiwillige Ausreise (anders kann es sein bei einer nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG erteilten Duldung). Hierbei zeigen sich bezogen auf die einzelnen Heimatländer erhebliche Unterschiede, so dass eine nicht
differenzierende Betrachtungsweise nicht sachgerecht sein dürfte.
So ist es z.B. bei der Rückkehr in das Kosovo gewesen. Die freiwillige Rückkehr war mit Ausnahme der Zeiten des Bürgerkrieges
jederzeit möglich gewesen, die erforderlichen Papiere konnten sogar von der örtlichen Ausländerbehörde ausgestellt werden
(Laissez-passer). Die das Kosovo verwaltende UNMIK stellte der freiwilligen Rückkehr auch keine Hindernisse entgegen. Auch
die Möglichkeit der Abschiebung wurde nicht ausgeschlossen, diese wurden jedoch aus verwaltungspraktischen Gründen von der
UNMIK kontingentiert. Die Behörden anderer Heimatstaaten unterscheiden z.B. bei der Ausstellung von Passersatzpapieren deutlich
dazwischen, ob ein Staatsangehöriger freiwillig zurückkehren will oder zwangsweise zurückgeführt werden soll (z.B. Iran und
Libanon).
Deshalb dürfte es gerade nicht widersprüchlich sein, den Aufenthalt des Ausländers vorübergehend zu dulden und ihm gleichzeitig
den Aufenthalt als Rechtsmissbrauch vorzuwerfen (vgl. B 8/9b AY 1/07 R, Rdnr. 35), denn die Prüfmaßstäbe sind gerade nicht
deckungsgleich, sondern in vielen Fällen sogar sehr unterschiedlich. In der Erteilung einer Duldung liegt auch nicht ein "Verzicht",
die Ausreisepflicht durchzusetzen, sondern eine zeitweise Unmöglichkeit aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen (vgl. §
60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Die Pflicht, freiwillig auszureisen, bleibt hiervon völlig unberührt (vgl. § 60a Abs. 3 AufenthG). Der Vergleich mit den Verhältnissen während eines laufenden Asyl (Erst)-Verfahrens (aaO., auch Rdnr. 35) ist nicht möglich,
weil während dieser Zeit gar keine Ausreisepflicht besteht.
Bei der Ausfüllung des Begriffs des Rechtsmissbrauches können den berechtigten Interessen des Ausländers dadurch hinreichend
Rechnung getragen werden, dass jeweils einzelfallbezogen geprüft wird, ob Gründe vorliegen, die auch einer freiwilligen Rückkehr
entgegenstehen, und ob diese Gründe vom Ausländer zu vertreten sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil Zulassungsgründe gemäß §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen. Insbesondere weicht der Senat im Ergebnis nicht von der Rechtsprechung des BSG in seinen Urteilen vom 17.
Juni 2008 ab.