Anordnung eines Sofortvollzugs
Genehmigung einer Arztsitzverlegung
Drittanfechtung
Überwiegendes Vollzugsinteresse
Gründe:
I
Streitig ist die Anordnung eines Sofortvollzugs.
Die 1973 geborene Antragstellerin (Astin) ist Psychologische Psychotherapeutin und seit dem 1. März 2014 mit hälftigem Versorgungsauftrag
in J. zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung (teil-)zugelassen.
Der 1948 geborene Beigeladene zu 1. und die 1951 geborene Beigeladene zu 2. sind ebenfalls in J. als Psychologische Psychotherapeuten
tätig und nehmen dort seit 1999 in Berufsausübungsgemeinschaft an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung teil. Sie betreiben
außerdem eine Zweigpraxis auf der Insel K ...
Kurz nachdem die Astin am 5. Mai 2014 in Norden ihre vertragspsychotherapeutische Tätigkeit im Wege einer Praxisnachfolge
gemäß §
103 Abs
4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) aufgenommen hatte, beantragte sie mit Wirkung zum 1. Januar 2015 die Verlegung ihres Vertragspsychotherapeutensitzes nach
K ... Der Zulassungsausschuss I. genehmigte die Sitzverlegung, weil keine entgegenstehenden Gründe iSv § 24 Abs 7 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) ersichtlich seien (Beschluss vom 13. August 2014). Den hiergegen von den Beigeladenen zu 1. und 2. eingelegten Widerspruch
wies der Antragsgegner (Ag) ebenso zurück wie das von der Astin geltend gemachte Begehren, die sofortige Vollziehung der genehmigten
Sitzverlegung anzuordnen. Hinsichtlich der Genehmigung seien die Voraussetzungen für die Annahme einer (Dritt-)Anfechtungsberechtigung
nicht erfüllt; ferner sei kein besonderes öffentliches Interesse an der Anordnung eines Sofortvollzugs iSv §
97 Abs
4 SGB V zu erkennen (Beschluss vom 21. Januar 2015; zur Post gegeben am 18. März 2015).
Im Anschluss hat die Astin beim Sozialgericht (SG) Hannover beantragt, die sofortige Vollziehung der genehmigten Sitzverlegung anzuordnen. Den von den Beigeladenen zu 1. und
2. dagegen erhobenen Rechtsbehelfen dürfe nicht länger aufschiebende Wirkung zukommen. Zum einen sei die Genehmigung offensichtlich
rechtmäßig erteilt worden und kein zugelassener Vertragspsychotherapeut berechtigt, eine Sitzverlegung anzufechten. Zum anderen
bestehe ein öffentliches Interesse daran, die Genehmigung für sofort vollziehbar zu erklären; die Astin versorge bereits Patienten
auf K ...
Das SG hat mit Beschluss vom 19. März 2015 festgestellt, dass dem Widerspruch der Beigeladenen zu 1. und 2. gegen die Entscheidung
des Zulassungsausschusses I. vom 13. August 2014 keine aufschiebende Wirkung zukomme. Zwar sei das von der Astin in erster
Linie geltend gemachte vorläufige Rechtsschutzbegehren (gerichtet auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung) unzulässig,
weil gegenüber einer genehmigten Sitzverlegung offensichtlich keine (Dritt-)Anfechtungsberechtigung bestehe und damit eine
entsprechende Anfechtung auch keine aufschiebende Wirkung entfalte. Nach dem Meistbegünstigungsprinzip sei das Begehren der
Astin allerdings in einen zulässigen und - wegen der hier fehlenden (Dritt-)Anfechtungsberechtigung - auch begründeten Feststellungsantrag
umzudeuten.
Gegen diesen Beschluss (zugestellt am 21. März 2015) wenden sich die Beigeladenen zu 1. und 2. mit ihrer Beschwerde vom 20.
April 2015 und machen geltend, dass sie - entgegen der Auffassung des SG Hannover - befugt seien, die der Astin genehmigte
Sitzverlegung anzufechten. Die (Dritt-)Anfechtungsberechtigung ergebe sich daraus, dass eine von der Astin erst 2013 für K.
begehrte Sonderbedarfszulassung wegen Überversorgung abgelehnt worden sei. Diese Entscheidung versuche die Astin jetzt zu
umgehen, indem sie bereits unmittelbar nach der Übernahme eines zuvor ausgeschriebenen Vertragspsychotherapeutensitzes eine
Sitzverlegung nach K. beantragt habe, obwohl sie zur Fortführung der übernommenen Praxis in J. verpflichtet sei. Vor diesem
Hintergrund sei die Genehmigung der Sitzverlegung willkürlich erfolgt. Im Übrigen bestehe weder ein öffentliches noch ein
überwiegendes Interesse der Astin an der Anordnung eines Sofortvollzugs; die Behandlung der übernommenen Patienten könnte
auch in J. fortgeführt werden.
Die Beigeladenen zu 1. und 2. und der Antragsgegner beantragen sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 19. März 2015 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf die Anordnung
der sofortigen Vollziehung der Genehmigung für die Verlegung ihres Vertragsarztsitzes von J. nach K. abzulehnen.
Die Astin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen,
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Ergänzend macht die Astin geltend, dass dann, wenn man zugunsten der
Beigeladenen zu 1. und 2. davon ausginge, dass sie gegenüber der erteilten Sitzverlegung (dritt-)anfechtungsberechtigt seien
und den von ihnen eingelegten Rechtsbehelfen daher aufschiebende Wirkung zukomme, ein Anspruch auf die Anordnung der sofortigen
Vollziehung der erteilten Genehmigung bestehe. So betreue sie derzeit 36 GKV-Patienten, die wegen der bereits erfolgten Aufgabe
der Praxisräume in J. nur auf K. weiter psychotherapeutisch behandelt werden könnten. Aus medizinischen Gründen könne den
Patienten auch kein plötzlicher Behandlungsabbruch zugemutet werden.
Die übrigen Beteiligten stellen keinen Antrag.
Aus Sicht der Beigeladenen zu 3. besteht gegenüber der genehmigten Sitzverlegung zumindest in der Sache keine (Dritt-)Anfechtungsberechtigung,
weil dadurch die Teilnahme an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung weder eröffnet noch erweitert werde. Außerdem könnten
auch nach der Änderung von § 24 Abs 7 Ärzte-ZV durch das GKV-Versorgungsstruk-turgesetz (GKV-VStG) allenfalls lokale Besonderheiten dazu führen, eine beantragte Sitzverlegung zu verweigern. In J. seien aber nach der Sitzverlegung
der Astin noch genügend Psychotherapeuten tätig. Schließlich sei die Annahme der Beigeladenen zu 1. und 2., durch die genehmigte
Sitzverlegung werde das Bedarfsplanungsrecht umgangen, unzutreffend; insbesondere könne in dem Verwaltungsverfahren hinsichtlich
der beantragten Sitzverlegung wegen der Tatbestandswirkung der der Astin im Wege der Praxisnachfolge gemäß §
103 Abs
4 SGB V zuvor erteilten vertragspsychotherapeutischen Zulassung deren Fortführungswille bezogen auf die übernommene Praxis nicht
mehr überprüft werden.
Zeitgleich zu der hier streitbefangenen Beschwerde haben die Beigeladenen zu 1. und 2. gegen den Beschluss des Ag vom 21.
Januar 2015 (zugestellt am 21. März 2015) Klage vor dem SG Hannover (Az: S 78 KA 149/15) erhoben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
und den des beigezogenen Verwaltungsvorgangs verwiesen.
II
Die Beschwerde der Beigeladenen zu 1. und 2. ist zulässig und zum Teil auch begründet.
Zu Unrecht hat das SG Hannover festgestellt, dass dem Widerspruch, der gegen die Entscheidung des Zulassungsausschusses I.
vom 13. August 2014 erhoben worden ist, keine aufschiebende Wirkung zukommt. Demgegenüber steht der Astin zwar ein Anspruch
auf Anordnung der sofortigen Vollziehung der ihr genehmigten Sitzverlegung zu - allerdings nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen
Umfang.
1. Gegenstand des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens ist das (anhaltende) Begehren der Astin, die Anordnung der sofortigen
Vollziehung hinsichtlich der ihr genehmigten Sitzverlegung von J. nach K. zu erreichen. Der Auffassung des SG Hannover, dabei
handele es sich um ein unzulässiges und damit in ein Feststellungbegehren umzudeutendes Rechtsschutzziel, vermag sich der
Senat aber nicht anzuschließen. Zwar ist in Rechtsprechung und Schrifttum zu §
80 Abs
1 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) bzw §
86a Abs
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) anerkannt, dass eine offensichtlich unzulässige (Dritt-)Anfechtung bereits keine aufschiebende Wirkung entfaltet und die
Gerichte dies ggf auch feststellen können. Ein solcher (Ausnahme-)Fall, in dem die im Prozessrecht regelhaft angeordnete aufschiebende
Wirkung eines Rechtsbehelfs zu verneinen ist, kann aber nur dann angenommen werden, wenn sich die fehlende (Dritt-)Anfechtungsberechtigung
bereits mit hinreichender Deutlichkeit aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt (vgl hierzu Clemens, Arbeitsgemeinschaft
Medizinrecht im Deutschen Anwaltverein 2008, S 323 (334)). Hieran fehlt es vorliegend; so ist bislang ungeklärt, ob bereits
niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten dem Grunde nach gegenüber den durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) mit Wirkung zum 1. Januar 2012 geänderten Vorgaben für die Verlegung von Vertragsarztsitzen in § 24 Abs 7 Ärzte-ZV (zu den Modifizierungen Dorra/Stellpflug, MedR 2015, S 239 ff) einen defensiven Konkurrentenschutz geltend machen können.
Außerdem stützen die Beigeladenen zu 1. und 2. die (Dritt-)Anfechtung der der Astin genehmigten Sitzverlegung im Wesentlichen
darauf, dass die Zulassungsgremien die Genehmigung unter Umgehung des Bedarfsplanungsrechts und damit willkürlich erteilt
hätten. Sie leiten ihre (Dritt-)Anfechtungsberechtigung damit unmittelbar aus der grundrechtlich gewährten Berufsausübungsfreiheit
(Art
12 Abs
1 Satz 2
Grundgesetz (
GG)) ab, die die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten grundsätzlich auch vor Beeinträchtigungen ihrer Tätigkeit durch
willkürliche behördliche Entscheidungen schützt - und dieser Schutz gilt selbst dann, wenn sich die jeweilige Maßnahme auf
Dritte nicht rechtlich, sondern "nur" tatsächlich (insbesondere: wirtschaftlich) auswirken kann (stRspr; vgl hierzu ua Bundessozialgericht
(BSG), Urteil vom 28. Oktober 2009 - B 6 KA 42/08 R - juris mwN).
2. Rechtsgrundlage für das vorläufige Rechtsschutzbegehren der Astin ist die Regelung in §
86b Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGG. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen - wie hier - Widerspruch oder Anfechtungsklage
aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen. Gemäß Satz 3 kann die Anordnung der sofortigen
Vollziehung mit Auflagen versehen oder befristet werden.
Dabei sind die rechtlichen Maßstäbe, nach denen die Gerichte die sofortige Vollziehung einer Entscheidung der Sozialversicherungsträger
(hier: der Zulassungsgremien) anordnen können, dem Gesetz selbst nicht zu entnehmen. Es ist aber allgemein anerkannt, dass
dafür dieselben Vorgaben gelten, die auch die Verwaltung zur Anordnung der sofortigen Vollziehung berechtigt. Entsprechend
kann nach §
86a Abs
2 Nr
5 SGG der Sofortvollzug einer Verwaltungsentscheidung angeordnet werden, wenn das im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden
Interesse eines (Verfahrens-)Beteiligten ist. Bei dieser Bewertung ist zunächst maßgeblich auf die voraussichtlichen Erfolgsaussichten
des eingelegten Rechtsmittels (Widerspruch oder Anfechtungsklage) abzustellen. Hintergrund ist, dass für die Vollziehung eines
offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts regelmäßig weder ein öffentliches noch ein privates Interesse bestehen kann.
Können hingegen die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsmittels im Rahmen der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen
summarischen Prüfung nicht sicher eingeschätzt werden, ist unter Berücksichtigung aller relevanten Gesichtspunkte zu klären,
ob ein besonderes öffentliches Interesse an der Anordnung eines Sofortvollzugs besteht oder - falls dies nicht der Fall sein
sollte - ob die Interessen des durch die angefochtene Verwaltungsentscheidung Begünstigten höher als diejenigen zu veranschlagen
sind, der die Verwaltungsentscheidung angefochten hat. In jedem Fall aber ist die Anordnung einer sofortigen Vollziehung nur
gerechtfertigt, wenn nach einer umfassenden Abwägung aller Belange das Vollziehungsinteresse überwiegt (stRspr des Senats;
vgl hierzu LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18. Februar 2009 - L 3 KA 98/08 - juris mwN).
3. Nach diesen Maßgaben hat die Astin keinen Anspruch darauf, dass die sofortige Vollziehung der ihr genehmigten Sitzverlegung
uneingeschränkt angeordnet wird. Zwar ist offen, ob die Beigeladenen zu 1. und 2. überhaupt berechtigt sind, die erteilte
Genehmigung (dritt-)an-zufechten; unabhängig davon erweist sich der Beschluss des Zulassungsausschusses I. vom 13. August
2014 aber schon nach einer summarischen Prüfung als rechtswidrig (dazu a und b). Im Rahmen einer Gesamtabwägung besteht aber
zumindest ein (öffentliches) Interesse daran, dass die Astin die auf der Insel K. bereits übernommenen psychotherapeutischen
Behandlungen zunächst fortführen und die Patienten mit einem angemessenen zeitlichen Vorlauf auf einen uU erforderlichen Behandlerwechsel
vorbereiten kann. Entsprechend hat der Senat hier einen befristeten Sofortvollzug der genehmigten Sitzverlegung angeordnet
(dazu c).
a) Für die Erfolgsaussichten der von den Beigeladenen zu 1. und 2. gegen die der Astin genehmigte Sitzverlegung erhobene (Dritt-)Anfechtungsklage
dürfte es zwar von wesentlicher Bedeutung sein, ob ihnen insoweit überhaupt eine Anfechtungsberechtigung zusteht. Für das
hier streitbefangene vorläufige Rechtsschutzbegehren der Astin nach §
86b Abs
1 Satz 1
SGG ist das hingegen ohne Relevanz, weil der von den Beigeladenen angefochtene Beschluss des Zulassungsausschusses Aurich vom
13. August 2014 erkennbar rechtswidrig ist.
b) Rechtsgrundlage für die Genehmigung der Sitzverlegung ist § 24 Abs 7 der Ärzte-ZV (hier anzuwenden idF des GKV-VStG vom 22. Dezember 2011, BGBl I 2983). Danach dürfen die Zulassungsgremien den Antrag eines Arztes oder Psychotherapeuten auf
Verlegung seines Vertragsarztsitzes nur genehmigen, "wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen."
Damit ergibt sich bereits aus dem Verordnungswortlaut, dass die Verlegung eines Vertragsarztsitzes nicht unbeschränkt zulässig
ist. Vielmehr können die Zulassungsgremien eine Sitzverlegung nur unter Berücksichtigung der konkreten Versorgungslage in
dem betreffenden Versorgungsbereich ("Gründe der vertragsärztlichen Versorgung") genehmigen.
Dabei geht der erkennende Senat davon aus, dass bei der Klärung, ob einer Sitzverlegung entgegenstehende Gründe der vertragsärztlichen
Versorgung vorliegen, den Zulassungsgremien ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zusteht.
Die ortsnahen und fachkundigen Zulassungsinstanzen können nämlich nur ungefähr entscheiden, ob und inwieweit durch die Verteilung
der bereits niedergelassenen Ärzte oder Psychotherapeuten in einem Bedarfsplanungsbereich eine ausreichende medizinische Versorgung
der Versicherten unter Berücksichtigung der Bevölkerungs- und Morbiditätsstruktur und der Verkehrsverbindungen gewährleistet
ist. Dies rechtfertigt es, den Zulassungsgremien einen Beurteilungsspielraum zuzugestehen und deren Entscheidung hinzunehmen,
solange sie sich im Rahmen der Beurteilungsermächtigung hält. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich daher - wie in den
vergleichbaren Fällen der Bedarfsfeststellung - darauf, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter
Sachverhalt zugrunde liegt, ob die durch Auslegung des Begriffs "Gründe der vertragsärztlichen Versorgung" zu ermittelnden
Grenzen eingehalten und ob die Subsumtionserwägungen so hinreichend in der Begründung der Entscheidung verdeutlicht wurden,
dass im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist (stRspr
zum Beurteilungsspielraum der Zulassungsgremien, vgl hierzu BSG SozR 3-2500 § 101 Nr 1 Seite 4 ff (für Sonderbedarfszulassungen); BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 1; SozR 3-2500 § 116 Nr 2; SozR 3-2500 § 116 Nr 4 und BSG SozR 3-2500 § 97 Nr 2 (für die Ermächtigung von Krankenhausärzten); SozR 3-2500 § 75 Nr 7 (für Zweigpraxen)). Aber auch unter Beachtung des
Beurteilungsspielraums, der den Zulassungsgremien bei der Entscheidung über eine beantragte Sitzverlegung zuzubilligen ist,
kann die der Astin erteilte Genehmigung vorläufig nicht als rechtmäßig angesehen werden. Entscheidend für diese Bewertung
ist zunächst, dass die Zulassungsgremien hier (gar) nicht ermittelt haben (vgl zu Art und Umfang der erforderlichen Amtsermittlungen
bei einer Sitzverlegung LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. Oktober 2009 - L 3 KA 73/09 B ER - juris mwN), ob einer Verlegung des Vertragsarztsitzes der Astin von J. nach K. "Gründe der vertragsärztlichen Versorgung"
entgegenstehen (oder nicht). Aus dem Beschluss des Zulassungsausschusses I. ergibt sich lediglich, dass "solche Gründe" (gemeint
sind einer Sitzverlegung entgegenstehende Gründe) nicht ersichtlich seien. Ob überhaupt und ggf welche Amtsermittlungen der
Ausschuss durchgeführt hat, um zu dieser Feststellung zu gelangen, lässt sich weder dem Beschluss vom 13. August 2014 noch
den übersandten Verwaltungsunterlagen entnehmen. Insoweit liegt der hier erteilten Genehmigung schon kein vollständig ermittelter
Sachverhalt zugrunde; bereits aus diesem Grund ist die genehmigte Sitzverlegung als rechtswidrig anzusehen.
Darüber hinaus deutet der im Rahmen der genehmigten Sitzverlegung erlassene Beschluss des Zulassungsausschuss I. vom 13. August
2014 darauf hin, dass der hier maßgebliche unbestimmte Rechtsbegriff der entgegenstehenden "Gründe der vertragsärztlichen
Versorgung" in seiner Bedeutung gleich in mehrfacher Hinsicht nicht richtig erfasst worden ist. Zum einen hat der Ausschuss
offensichtlich übersehen, dass § 24 Abs 7 Ärzte-ZV seit der Änderung durch das GKV-VStG zum 1. Januar 2012 als präventive Verbotsnorm mit Erlaubnisvorbehalt (und nicht mehr als Erlaubnisnorm mit Verbotsvorbehalt)
ausgestaltet worden ist. Dies wird neben dem ersichtlich veränderten Verordnungswortlaut auch an der Gesetzesbegründung deutlich,
wonach mit der Änderung klargestellt werden soll, "dass die Zulassungsausschüsse bei der Prüfung eines Antrags auf Verlegung
des Vertragsarztsitzes vorrangig darauf zu achten haben, dass Versorgungsgesichtspunkte einer Verlegung des Vertragsarztsitzes
nicht entgegenstehen. Führt damit z.B. die Verlegung eines Vertragsarztsitzes in einen anderen Stadtteil zu Versorgungsproblemen
in dem Stadtteil, in dem sich der Vertragsarzt derzeit befindet, hat der Zulassungsausschuss den Antrag auf Verlegung abzulehnen"
(vgl hierzu den Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum GKV-VStG, BT-Drucks 17/6909 Seite 105). Demnach wird mit der Neuausrichtung von § 24 Abs 7 Ärzte-ZV die Verpflichtung der Zulassungsgremien, vor einer beantragten Sitzverlegung alle im jeweiligen Bedarfsplanungsbereich dafür
relevanten Versorgungsgesichtspunkte zu ermitteln und bei der Entscheidung ggf zu berücksichtigen, sogar noch betont. Zum
anderen hätte der Zulassungsausschuss I. vorliegend in seine Entscheidung mit einbeziehen müssen, dass die Astin die Verlegung
eines Vertragsarztsitzes beantragt hat, den sie erst kurz zuvor im Rahmen eines Nachbesetzungsverfahrens erhalten hatte. Hintergrund
ist, dass das Verfahren nach §
103 Abs
4 SGB V mittlerweile erkennbar auf eine Fortführung der zu übernehmenden Praxis am Ort der Niederlassung ausgerichtet ist. Deutlich
wird das daran, dass seit dem 1. Januar 2013 in gesperrten Bedarfsplanungsbereichen die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens
zunächst beim Zulassungsausschuss beantragt werden muss. Der Ausschuss kann den Antrag ablehnen, "wenn eine Nachbesetzung
des Vertragsarztsitzes aus Versorgungsgründen nicht erforderlich ist" (§
103 Abs
3a S 3
SGB V). Im Anschluss hat das Gremium dann nach pflichtgemäßen Ermessen aus mehreren Bewerbern, die die ausgeschriebene Praxis als
Nachfolger des bisherigen Vertragsarztes fortführen wollen, den (geeigneten) Nachfolger auszuwählen (§
103 Abs
4 Satz 4
SGB V). Bei einer Übertragung dieser Vorgaben auf den hier zu entscheidenden Sachverhalt muss demnach der Zulassungsausschuss I.
zunächst davon ausgegangen sein, dass die Nachbesetzung eines wegfallenden Vertragspsychotherapeutensitzes in J. "aus Versorgungsgründen"
erforderlich gewesen ist. Anschließend hat er die Astin aus mehreren Bewerberinnen ausgewählt, weil sie als einzige die psychotherapeutische
Praxis in J. hat fortführen wollen. Weshalb es dann möglich sein soll, die gerade übernommene Praxis vom Festland auf eine
Nordseeinsel zu verlegen (und damit die in J. behandelten Patienten zu zwingen, sich einen neuen Behandler zu suchen) ist
aus Sicherstellungsgründen heraus zumindest nicht ohne Weiteres nachzuvollziehen. Auch insoweit ist die genehmigte Sitzverlegung
als rechtswidrig anzusehen.
c) Unter Berücksichtigung dessen erweist sich der Beschluss des Zulassungsausschusses I. vom 13. August 2014, der Astin die
beantragte Sitzverlegung nach K. zu genehmigen, bereits nach einer summarischen Prüfung als rechtswidrig. Dennoch besteht
vorliegend ein (öffentliches) Interesse daran, dass die sofortige Vollziehung der erteilten Genehmigung (befristet) angeordnet
wird.
Dies sieht der Senat deshalb als gerechtfertigt an, weil eine übergangslose Geltung der aufschiebenden Wirkung der von den
Beigeladenen zu 1. und 2. gegenüber der genehmigten Sitzverlegung erhobenen (Dritt-)Anfechtungsklage zur Folge hätte, dass
sich die von der Astin derzeit auf K. behandelten Patienten unverzüglich einen neuen Behandler - uU sogar auf dem Festland
- suchen müssten. Angesichts der Besonderheiten namentlich einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie muss damit
gerechnet werden, dass die abrupte Unterbrechung der Halt gebenden Therapeuten-Patienten-Beziehung bei den Betroffenen zu
möglicherweise erheblichen gesundheitlichen (seelischen) Beeinträchtigungen führen kann. Unabhängig davon entspricht es der
ständigen Senatsrechtsprechung (vgl hierzu LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 16. November 2004 - L 3 KA 238/04 ER und L 3 KA 250/04 ER, ergangen zu psychotherapeutischen Behandlungen - und den Beschluss vom 7. September 2006 - L 3 KA 117/06 ER, zur planmäßigen Weiterbehandlung bei hämatologischen/onkologischen Systemerkrankungen), bei einer derartigen Konstellation
eine Auslauffrist zu gewähren. Der Senat stützt sich dabei maßgeblich auf die höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl hierzu
BSG, Urteil vom 11. September 2002 - B 6 KA 41/01 R - juris mwN) wonach sogar dann eine Auslauffrist eingeräumt werden kann, wenn in der Sache nicht einmal die rechtlichen Voraussetzungen
für eine Zulassung zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung vorliegen.
Ergänzend hat der Senat bei seiner Entscheidung berücksichtigt, dass die Astin ihre psychotherapeutische Praxis bereits im
Januar 2015 nach K. verlegt und die ursprünglich in J. genutzten Praxisräume gekündigt und aufgegeben hat. Eine übergangslose
Geltung der aufschiebenden Wirkung der von den Beigeladenen zu 1. und 2. erhobenen (Dritt-)Anfechtungsklage würde für die
Astin daher bedeuten, dass sie zumindest vorübergehend bei der Ausübung ihres Berufs erheblichen Einschränkungen unterläge,
obwohl sie bereits bestandskräftig zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung zugelassen ist. Einer solchen Entwicklung
soll durch den (befristet) angeordneten Sofortvollzug entgegengewirkt werden.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus §
197a Abs
1 S 1
SGG iVm den §§
154 Abs
2 und
3,
162 Abs
3 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO). Dabei hat die Astin nach dem Veranlassungsprinzip die Kosten des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens zu tragen; vorliegend
hat die Astin ihren Vertragsarztsitz schon im Januar 2015 verlegt, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch unklar gewesen ist, ob
die vom Zulassungsausschuss I. erteilte Genehmigung dauerhaft Bestand haben und der vom Berufungsausschuss begehrte Sofortvollzug
tatsächlich angeordnet wird.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §
197a Abs
1 S 1
SGG iVm §§ 47 Abs 1 S 1, 52 Abs 1 und 2, 53 Abs 2 Nr 4 Gerichtskostengesetz (GKG) und bemisst sich mangels genügender Anhaltspunkte anhand des Regelstreitwerts.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).