Anerkennung eines Arbeitsunfalls
In der Wegeunfallversicherung versicherter unmittelbarer Weg
Handlungstendenz des Versicherten
Unterbrechung eines Weges aus eigenwirtschaftlichen Gründen
Fahrgemeinschaft
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (AU).
Der in F. wohnhafte, als Aushilfsarbeiter in der Brand- und Wasserschadensanierung beschäftigte Kläger war im Oktober 2009
auf einer Baustelle in G. eingesetzt. Am 16. Oktober 2009 trat er nach Beendigung der Arbeit gemeinsam mit drei Kollegen den
Heimweg mit einem PKW an. Fahrer war der Zeuge H., der für einen anderen Arbeitgeber auf derselben Baustelle arbeitete; weitere
Mitfahrer waren die Zeugen I. und J ... Nach der ursprünglichen Planung sollte der in Peine wohnhafte Zeuge H. die Mitfahrer
bis zu seinem Wohnort mitnehmen. Von dort aus sollten der Kläger und die Zeugen I. und J., die ebenfalls in F. wohnten, von
ihrem Chef nach Hause gefahren werden. Nachdem der Zeuge H. an der Anschlussstelle K. von der A2 abgefahren war, erhielt er
telefonisch die Mitteilung, dass der Chef die Mitfahrer nicht übernehmen könne. Der Zeuge fuhr daraufhin erneut auf die A2
in Richtung L. auf, um den Kläger und die anderen Mitfahrer nach Hause zu bringen. Gegen 21:25 Uhr steuerte der Zeuge H. die
Tankraststätte M. an. Zu diesem Zeitpunkt schlief der Kläger auf dem Beifahrersitz. Beim Bremsen im Einfahrtsbereich der Raststätte
geriet der PKW ins Rutschen und prallte zunächst gegen eine am rechten Fahrbahnrand angebrachte Schutzplanke. Infolge des
Aufpralls drehte sich das Fahrzeug und stieß mit der Beifahrerseite gegen einen in der Kurve des Einfahrtsbereichs abgestellten
Sattelauflieger. Bei dem Unfall zog sich der Kläger ua eine ausgedehnte Mittelgesichtsfraktur mit Frakturen des Oberkiefers,
des Jochbeins, des Orbitabodens und des Nasenbeins, eine Unterkiefertrümmerfraktur, Kieferwinkel- und Kiefergelenksfrakturen
sowie multiple Schnittwunden des Mittelgesichts und ein Schädel-Hirn-Trauma zu (Entlassungsbrief des Klinikums L. vom 11.
November 2009).
Die Beklagte zog die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft (StA) L. bei. Danach hatte der Zeuge H. bei der Polizei ausgesagt,
dass er an der Raststätte abgefahren sei, um etwas zu trinken zu kaufen. Der Zeuge I. hatte bekundet, er und der Zeuge J.
hätten auf der Rückbank gesessen und den Fahrer gebeten, an der nächsten Raststätte anzuhalten. Der Kläger selbst gab gegenüber
der Polizei, der IKK Niedersachsen und dem behandelnden Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen Prof. Dr. N. jeweils an, er habe
geschlafen und nichts mitbekommen, bevor das Auto plötzlich ins Schleudern geraten sei.
Mit Bescheid vom 9. September 2010 lehnte die Beklagte die Anerkennung eines AU ab. Der Kläger habe sich am Unfalltag als
Teilnehmer einer Fahrgemeinschaft auf dem Weg von der Arbeit nach Hause befunden. Der Fahrer und die beiden übrigen Mitfahrer
hätten beschlossen, die Autobahn zu verlassen und die Raststätte anzufahren, um dort Getränke zu kaufen. Mit dem Befahren
der Einfahrtspur zur Raststätte sei der öffentliche Verkehrsraum verlassen und ein Umweg genommen worden, für den kein Versicherungsschutz
bestanden habe. Der Grund für die Wegeabweichung sei persönlicher Natur; betriebliche Gründe hierfür seien nicht zu erkennen.
Mit dem Verlassen des direkten Weges hätten sich daher alle Beteiligten der Fahrgemeinschaft nicht mehr auf einem versicherten
Weg befunden. Der Umstand, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt geschlafen habe, ändere daran nichts. Zum einen habe sich der
Kläger mit dem Einschlafen um die Möglichkeit der Einflussnahme auf den direkten Weg gebracht. Zum anderen sei bei lebensnaher
Betrachtung davon auszugehen, dass der Kläger sich auch im wachen Zustand der von allen anderen Fahrgemeinschaftsteilnehmern
gewünschten privaten Unterbrechung des Weges nicht widersetzt hätte.
Der dagegen vom Kläger erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 30. November 2010).
Am 3. Januar 2011 (Montag) hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig erhoben und geltend gemacht, der Zeuge H. habe die Autobahn an der Raststätte M. verlassen, um dort zu tanken
und Getränke zu kaufen. Der Unfall habe sich noch auf der Ausfahrt ereignet; das Fahrzeug sei demzufolge nicht auf dem Tankstellengelände
angekommen und habe sich noch im öffentlichen Verkehrsraum befunden. Daher sei der versicherte Weg zur Zeit des Unfalls nicht
unterbrochen gewesen.
Das SG hat im Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme am 23. Januar 2012 zunächst den Kläger persönlich angehört und
den Zeugen H. vernommen. Nach einem Wechsel im Kammervorsitz hat es in einem weiteren Termin zur mündlichen Verhandlung und
Beweisaufnahme am 24. April 2013 nochmals den Zeugen H. sowie die Zeugen I. und J. vernommen. Hinsichtlich der Aussagen der
Zeugen wird auf die Sitzungsprotokolle vom 23. Januar 2012 und 24. April 2013 verwiesen.
Mit Urteil vom 24. April 2013 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 9. September 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2010 aufgehoben und
festgestellt, dass das Unfallereignis vom 16. Oktober 2009 ein bei der Beklagten versicherter AU gewesen sei. Der Kläger habe
zum Unfallzeitpunkt einen mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weg zurückgelegt und daher unter
dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Zwar sei der Weg über K. nicht der direkte Weg von der Arbeitsstätte
nach F. gewesen; denn aus Richtung O. kommend führe dieser Weg spätestens ab P. über die A7 und Q ... Da aber der Zeuge H.
in K. wohne und der Weg somit für ihn ein versicherter direkter Heimweg gewesen sei, erstrecke sich der Versicherungsschutz
für den Kläger als Mitglied der Fahrgemeinschaft auch auf diesen Teil der Wegstrecke. Nachdem der Zeuge H. nach der Ankunft
in K. die Anweisung erhalten habe, den Kläger und die weiteren Mitfahrer nun doch nach F. zu bringen, habe er zwar sodann
nicht den - über Land- und Bundesstraßen führenden - kürzesten Weg von K. nach F. gewählt, sondern sei zurück auf die A2 gefahren.
Dies stehe dem Versicherungsschutz des Klägers aber nicht entgegen; denn der Zeuge H. habe hierzu erklärt, dass er angenommen
habe, dieser Weg sei der schnellere. Auch bestünden keine Zweifel daran, dass alleiniger Zweck der Wiederaufnahme der PKW-Fahrt
in K. das Erreichen der Wohnorte der Zeugen I. und J. und des Klägers in F. war. Grund für das Abfahren von der A2 an der
Raststätte M. sei nicht das Betanken des Fahrzeugs, sondern der Einkauf von Getränken gewesen. Damit habe für die Zeugen bei
der Abfahrt von der Autobahn ein eigenwirtschaftliches Motiv im Vordergrund gestanden. Entscheidend sei aber, dass der Kläger
selbst im Unfallzeitpunkt geschlafen habe und deshalb der Versicherungsschutz für ihn nicht unterbrochen gewesen sei. Der
Kläger habe von dem Abweichen von der Fahrtstrecke gar keine Kenntnis genommen und dieses auch nicht billigend in Kauf genommen.
Er habe weder Einfluss auf den Entschluss zum Abfahren von der Autobahn genommen noch nehmen können; eine solche Einflussnahme
wäre ihm auch nicht zuzumuten gewesen, weil er auf die Fahrgelegenheit angewiesen gewesen sei. Ohnehin hätte er auf der Autobahn
keine andere Beförderungsmöglichkeit gehabt.
Gegen das ihr am 13. Mai 2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10. Juni 2013 Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG)
Niedersachsen-Bremen eingelegt. Sie ist der Auffassung, das SG habe das Wesen einer Fahrgemeinschaft verkannt. Bezogen auf die Zurücklegung des Weges würden die Teilnehmer einer Fahrgemeinschaft
dem gleichen rechtlichen Schicksal folgen. Da eine Fahrgemeinschaft nur einheitlich beurteilt werden könne, müsse gleiches
für den Fall einer Wegeunterbrechung aus privaten Gründen gelten. Danach aber müsse hier auch der Versicherungsschutz für
den Kläger abgelehnt werden, weil das Abfahren eigenwirtschaftlich bedingt gewesen sei. Auf den Umstand, dass der Kläger geschlafen
habe, komme es ebenso wenig an wie auf die Willensbildung des Einzelnen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 24. April 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte und
der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.
I. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Ein Versicherter, dem gegenüber ein Träger der gesetzlichen Unfallversicherung durch Verwaltungsakt entschieden hat, dass
ein AU nicht gegeben sei, kann dessen Vorliegen als Grundlage in Frage kommender Leistungsansprüche vorab im Wege einer Kombination
von Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß §
54 Abs
1 S 1, §
55 Abs
1 Nr
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) klären lassen (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 2. Dezember 2008 - B 2 U 15/07 R, Rn 9 nach juris mwN).
II. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 9. September 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
30. November 2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weil die Beklagte es zu Unrecht abgelehnt hat,
den Unfall vom 16. Oktober 2009 als AU anzuerkennen.
1. Gem §
8 Abs
1 S 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (
SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende
Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§
8 Abs
1 S 2
SGB VII). Ein AU setzt danach im Regelfall voraus, dass die Verrichtung des Versicherten zum Zeitpunkt des Unfalls der versicherten
Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper
einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder
den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen
aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist hingegen keine Voraussetzung für die Feststellung
eines AU (BSG aaO., Rn 11 mwN). Gem §
8 Abs
2 Nr
1 SGB VII erstreckt sich der Unfallversicherungsschutz auch auf das Zurücklegen eines mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden
unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (Wegeunfallversicherung). Noch weitergehender ist der Versicherungsschutz
für (versicherte) Mitglieder einer Fahrgemeinschaft; für sie gehört zu den versicherten Tätigkeiten nach §
8 Abs
2 Nr
2 Buchst b
SGB VII auch das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um mit anderen
Berufstätigen oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug zu benutzen.
2. Der Kläger hat am 16. Oktober 2009 als Beschäftigter auf einer Baustelle in G. eine gem §
2 Abs
1 Nr
1 SGB VII versicherte Tätigkeit ausgeübt. Versicherungsschutz bestand auch für die mit dem PKW zurückgelegte Strecke vom Ort der versicherten
Tätigkeit zu dem Zwischenziel in K. und für die Weiterfahrt von dort aus mit dem Fahrtziel F.; der versicherte Weg war für
den Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls auch nicht unterbrochen.
a) Um einen in der Wegeunfallversicherung versicherten unmittelbaren Weg handelt es sich nur, wenn ein innerer Zusammenhang
zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Zurücklegen des Weges besteht (BSG, Urteil vom 9. Dezember 2003 - B 2 U 23/03 R, Rn 13 nach juris - SozR 4-2700 § 8 Nr 3). Dieser innere Zusammenhang liegt vor, wenn die Zurücklegung des Weges wesentlich
dazu bestimmt ist, den Ort der Tätigkeit oder nach Beendigung der Tätigkeit die eigene Wohnung oder einen anderen Endpunkt
von dem Ort der Tätigkeit zu erreichen. Maßgebend ist hierbei die Handlungstendenz des Versicherten, so wie sie insbesondere
durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (BSG aaO.).
b) Nach diesen Vorgaben war die Zurücklegung des ersten Streckenabschnitts von G. nach K. ein für den Kläger versicherter
Weg.
Zwar hat schon das SG in seinem Urteil zutreffend darauf hingewiesen, dass der direkte Weg von G. zum Wohnort des Klägers (F.) nicht über die Anschlussstelle
K. (A2), sondern jedenfalls ab dem Kreuz R. über die A7 und Q. führt. Für das Zurücklegen des Weges von dem Ort der Tätigkeit
zu seiner Wohnung hat der Kläger aber gemeinsam mit anderen Berufstätigen und Versicherten ein Fahrzeug benutzt und war somit
Teilnehmer einer Fahrgemeinschaft iSd §
8 Abs
2 Nr
2 Buchst b
SGB VII. Dass der Fahrer des PKW nicht bei demselben Arbeitgeber beschäftigt war, ist insoweit unschädlich (vgl Köhler, Die Fahrgemeinschaft
im Lichte des Haftungs-, Steuer- und Unfallversicherungsrechts, in: NZV 2011, 105, 108 mwN). Der Versicherungsschutz des Klägers bestand demzufolge auch für Abweichungen vom unmittelbaren Weg, die durch
die Teilnahme an der Fahrgemeinschaft bedingt waren.
Nach den übereinstimmenden, plausiblen und glaubhaften Angaben der Zeugen H., I. und J. war ursprünglich abgesprochen, dass
der in K. wohnhafte Zeuge H. den Kläger und die beiden anderen Zeugen bis zu seinem Wohnort mitnimmt. Dort sollten sie von
ihrem Chef aufgenommen und nach F. gebracht werden. Da der Weg bis nach K. der direkte Weg vom Ort der Tätigkeit zum Wohnort
des Zeugen H. war, war die Abweichung vom unmittelbaren Weg zum Wohnort des Klägers durch die Teilnahme an der Fahrgemeinschaft
bedingt; folglich war dieser Weg auch für den Kläger versichert. Dass der Zeuge H. den Kläger nach der ursprünglichen Planung
nicht bis zum Zielort des Klägers gefahren hätte, ist für den Versicherungsschutz des Klägers als Teilnehmer einer Fahrgemeinschaft
ohne Belang. Auch zwei nacheinander mit unterschiedlichen Teilnehmern durchgeführte Fahrgemeinschaften werden von §
8 Abs
2 Nr
2 Buchst b
SGB VII erfasst, sofern sie - wie hier - in engem zeitlichen Zusammenhang mit einer versicherten Tätigkeit stehen (BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 - B 2 U 36/08 R, Rn 14 nach juris - SozR 4-2700 § 8 Nr 37 mwN).
c) Nachdem der Zeuge H. die telefonische Mitteilung erhalten hatte, dass der Chef den Kläger und die beiden anderen Zeugen
nun doch nicht aufnehmen und nach F. fahren würde, lag ein für den Kläger versicherter Weg auch noch vor, als der Zeuge H.
mit dem Fahrzeug erneut auf die A2 in Richtung L. auffuhr, um den Kläger und die beiden anderen Mitfahrer zu ihrem Wohnort
F. zu bringen.
Dem steht nicht entgegen, dass der Fahrer für die Zurücklegung dieses Weges erneut auf die A2 aufgefahren und damit eine gegenüber
dem direkten Weg über die B65 sowie die über S. führenden Kreis- und Landstraßen etwa 20 km längere Strecke gewählt hat, denn
der Versicherungsschutz in der Wegeunfallversicherung ist nicht auf den entfernungsmäßig kürzesten Weg von und zur Arbeitsstätte
beschränkt. Auch ein vom Versicherten eingeschlagener Weg, der nicht nur unbedeutend länger ist als der kürzeste Weg, ist
als unmittelbarer Weg anzusehen, wenn die Wahl der weiteren Wegstrecke aus der durch objektive Gegebenheiten erklärbaren Sicht
des Versicherten - oder des Fahrers einer Fahrgemeinschaft - dem Zurücklegen des Weges vom Ort der Tätigkeit nach Hause oder
einem anderen, sog dritten Ort zuzurechnen ist, etwa um eine verkehrstechnisch schlechte Wegstrecke zu umgehen oder eine weniger
verkehrsreiche oder schneller befahrbare Straße zu benutzen. Ist demnach ein eingeschlagener Weg nach oder von dem Ort der
Tätigkeit insbesondere weniger zeitaufwändig, sicherer, übersichtlicher, besser ausgebaut oder kostengünstiger (bei Wahl eines
bestimmten Verkehrsmittels) als der entfernungsmäßig kürzeste Weg, steht auch dieser längere Weg unter Versicherungsschutz.
Nur wenn sich nicht feststellen lässt, ob der Umweg im inneren Zusammenhang mit dem Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit
stand, besteht kein Versicherungsschutz (BSG, Urteil vom 24. Juni 2003 - B 2 U 40/02 R, Rn 13 nach juris mwN).
Nach diesen Grundsätzen ist die Wahl der über die Autobahnen 2, 391 und 39 führenden Strecke unter objektiven Gesichtspunkten
erklärbar. Denn damit konnten die durch zahlreiche Ortsdurchfahrten geprägte, verkehrstechnisch schlechtere Wegstrecke über
die Landstraßen umgangen und die schneller befahrbaren und besser ausgebauten Autobahnen benutzt werden. Auf diese den Umweg
objektiv rechtfertigenden Gründe kommt es im Ergebnis allerdings nicht einmal entscheidend an, und ebenso wenig darauf, ob
der gewählte Weg die Teilnehmer der Fahrgemeinschaft tatsächlich schneller zum Ziel geführt hätte. Denn der Zeuge H. ist nach
seiner glaubhaften Aussage davon ausgegangen, dass es sich um den schnelleren Weg handelte. Der Versicherungsschutz bleibt
aber grundsätzlich erhalten, wenn der Versicherte oder - wie hier - der Fahrer einer Fahrgemeinschaft sich verfährt oder irrtümlich
einen Umweg macht (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 29/06 R, Rn 10 nach juris = SozR 4-2700 § 8 Nr 25 mwN).
Es bestehen auch keine Zweifel daran, dass der Umweg im inneren Zusammenhang mit dem Weg von dem Ort der Tätigkeit stand.
Auch insoweit folgt der Senat der - im Übrigen auch von der Beklagten nicht in Frage gestellten - Bewertung des SG, wonach die in K. begonnene Weiterfahrt allein wesentlich dazu bestimmt war, die Wohnungen des Klägers und der Zeugen I.
und J. zu erreichen. Anhaltspunkte für einen anderen Fahrtzweck haben die Ermittlungen der Beklagten und die vom SG durchgeführte Beweisaufnahme nicht ergeben.
d) Der versicherte Weg ist für den Kläger schließlich auch nicht dadurch unterbrochen worden, dass der Zeuge H. an der Raststätte
M. von der A2 abgefahren und damit den unmittelbaren Weg nach F. verlassen hat.
aa) Wird der Weg zu oder von dem Ort der Tätigkeit aus eigenwirtschaftlichen Gründen unterbrochen, entfällt der innere Zusammenhang
mit der versicherten Tätigkeit und damit der Versicherungsschutz (BSG, Urteil vom 2. Dezember 2008 aaO., Rn 19). Maßgebliches Kriterium für die wertende Entscheidung über den sachlichen Zusammenhang
zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls ist die Handlungstendenz des Versicherten. War
die Fortbewegung wesentlich der Zurücklegung des Weges von oder zum Ort der Tätigkeit zu dienen bestimmt, so steht diese unter
dem Schutz der Unfallversicherung. Sobald aber der Versicherte allein eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt, die mit der versicherten
Fortbewegung nicht (mehr) übereinstimmen, wird der Versicherungsschutz unterbrochen, und zwar so lange, bis der Versicherte
die Fortbewegung auf sein ursprüngliches Ziel wieder aufnimmt (BSG, Urteil vom 4. Juli 2013 - B 2 U 3/13 R, Rn 12 nach juris = SozR 4-2700 § 8 Nr 50; Urteil vom 9. Dezember 2003 - B 2 U 23/03 R, Rn 26 nach juris = SozR 4-2700 § 8 Nr 3).
Diese Grundsätze finden auch bei der Bildung von Fahrgemeinschaften Anwendung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Bestehen
einer Fahrgemeinschaft keinen eigenständigen Versicherungsschutz begründet, sondern lediglich den Versicherungsschutz der
nach §
8 Abs
2 Nr
1 Buchst b
SGB VII versicherten Teilnehmer auf bestimmte Um- und Abwege erweitert (BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 aaO., Rn 14). Sonstige Wirkungen einer Fahrgemeinschaft sieht die Vorschrift demgegenüber nicht
vor; insbesondere gebietet sie weder unter allen Umständen die Annahme einer gemeinsamen Handlungstendenz aller Insassen noch
ermöglicht sie eine Zurechnung der Handlungstendenz des Fahrers auf die übrigen Insassen. Vielmehr sind für jeden Insassen
die allgemeinen Voraussetzungen des Versicherungsschutzes gesondert zu prüfen (vgl dazu BSG, Urteil vom 26. Januar 1988 - 2 RU 12/87, Rn 17 nach juris - SozR 2200 § 550 Nr 77 sowie Urteil vom 12. Januar 2010 aaO.). Entgegen der von der Beklagten vertretenen
Auffassung kann sich dabei ergeben, dass einzelne Insassen eines Fahrzeugs versichert sind, andere hingegen nicht (vgl Keller
in: Hauck/Noftz,
SGB VII, Stand: Juli 2015, §
8 Rn 249). Versichert sein kann also nicht die Fahrgemeinschaft als solche, sondern immer nur der einzelne Teilnehmer an ihr.
Aus denselben Gründen trifft es auch nicht zu, dass der Versicherungsschutz sämtlicher Teilnehmer einer Fahrgemeinschaft im
Hinblick auf eine mögliche Unterbrechung des versicherten Weges stets nur einheitlich beurteilt werden kann. Vielmehr hat
auch insoweit eine auf die Person des jeweiligen Insassen bezogene individuelle Prüfung zu erfolgen, die von dessen eigener
Handlungstendenz ausgeht.
bb) Diese Vorgaben zugrunde gelegt war die Handlungstendenz des Klägers während der gesamten Fahrt allein darauf gerichtet,
nach der Arbeit nach Hause zu fahren. Dass er nach Antritt der Fahrt eingeschlafen ist, ändert an dieser fortdauernden Handlungstendenz
nichts. Im Schlaf kann ein Versicherter seinen auf Erreichen der eigenen Wohnung gerichteten Handlungswillen nicht ändern.
Auch im Übrigen liegen keine Anhaltspunkte für eine Änderung der Handlungstendenz des Klägers vor.
Dabei kann offen bleiben, ob allein der Einkauf von Getränken und damit ein eigenwirtschaftlicher Grund (vgl dazu BSG, Urteil vom 9. Dezember 2003 aaO., Rn 14) für das Abfahren von der Autobahn leitend war, oder ob daneben oder stattdessen
die beabsichtigte Fahrtunterbrechung dem Aufsuchen der Toilette oder dem Betanken des Fahrzeugs dienen sollte; jedenfalls
lag keiner dieser Gründe in der Person des Klägers vor. Insoweit steht zwischen den Beteiligten - nach dem Ergebnis der Ermittlungen
der Beklagten und der vom SG durchgeführten Beweisaufnahme zu Recht - nicht im Streit, dass das Verlassen der Autobahn an der Raststätte M. keinen privaten
Interessen des Klägers diente. Getränke einkaufen und ggf die Toilette aufsuchen wollten lediglich die Zeugen, nicht aber
der Kläger, der von dem beabsichtigten Halt an der Raststätte erst nach dem Abfahren von der Autobahn Kenntnis genommen hat.
Im Hinblick auf die Handlungstendenz des Klägers ist weiter maßgebend, dass die Fahrtunterbrechung an der Raststätte nicht
von vornherein zwischen den Mitgliedern der Fahrgemeinschaft abgesprochen worden war, sondern sich spontan beim Erblicken
des Hinweisschildes ergeben hat. Dies steht nach der plausiblen Schilderung des Zeugen H. fest, die sich mit der Angabe des
Zeugen I. gegenüber der Autobahnpolizei L. deckt und die Behauptung des Klägers, Fahrtpausen seien nicht abgesprochen gewesen,
bestätigt. Der Kläger selbst aber war an der getroffenen Absprache, an der Raststätte M. von der Autobahn abzufahren, überhaupt
nicht beteiligt; von dem tatsächlichen Verlassen der Autobahn hat er erst Kenntnis genommen, als sich das Fahrzeug schon auf
der Einfahrtspur zur Raststätte im Schleudern befand. Diese Annahme stützt sich zunächst auf die durchgehend gleichlautenden,
widerspruchsfreien und glaubhaften Angaben des Klägers, der bereits vor der Einleitung von Ermittlungen durch die Beklagte
gegenüber der Polizei und dem behandelnden Arzt Prof. Dr. N. angegeben hatte, dass er als Beifahrer auf dem Weg von der Arbeit
nach Hause geschlafen habe und sich an nichts erinnern könne. Im Wesentlichen gleichlautende Angaben hat er im Dezember 2009
gegenüber seiner Krankenkasse gemacht. Zum Zeitpunkt dieser frühen Angaben konnte der Kläger noch nicht wissen, dass es für
die Frage des Unfallversicherungsschutzes auf diese Details ankommen würde. Dieser Hergang wird zudem teilweise durch die
Aussagen der vom SG gehörten Zeugen bestätigt; im Übrigen widersprechen ihre Aussagen dem Vortrag des Klägers nicht. Der Zeuge H., der als Fahrer
neben dem Kläger saß, hat bekundet, der Kläger habe nach seiner Erinnerung bei der Abfahrt zur Raststätte noch geschlafen.
Der Kläger habe nichts mitbekommen, wenn im Auto etwas besprochen worden sei. Der Zeuge I. hielt es für möglich, dass der
Kläger im Auto geschlafen hat; der Zeuge habe sich mit dem Zeugen J. unterhalten. Der Zeuge J. hat seinerseits ausgesagt,
dass der Kläger die meiste Zeit während der Fahrt geschlafen habe. Nach seiner Erinnerung hat der Kläger zum Zeitpunkt des
Entschlusses zur Abfahrt von der Autobahn nichts gesagt. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens besteht damit kein vernünftiger
Zweifel daran, dass der Kläger geschlafen und demzufolge nichts von der Absprache, die Raststätte aufzusuchen, mitbekommen
hat. Erst nach dem Abfahren von der Autobahn hat er Kenntnis von der nicht mit ihm abgestimmten Wegeabweichung genommen. Zu
demselben Ergebnis ist die Beklagte bereits aufgrund ihrer eigenen Ermittlungen gelangt und hat diesen Sachverhalt auch in
der Begründung des Ausgangsbescheides zugrunde gelegt. Abgesehen davon, dass der Kläger auf der Abfahrt zur Raststätte ohnehin
keinen Einfluss auf die Wegeabweichung mehr hätte nehmen können, war seine Handlungstendenz bis zum Unfall unverändert darauf
gerichtet, nach Hause gefahren zu werden. Demzufolge ist auch sein Versicherungsschutz erhalten geblieben. Insoweit bedarf
es keiner Entscheidung, was gegolten hätte, wenn der Kläger zum Zeitpunkt der nach Erblicken des Hinweisschildes getroffenen
Absprache zum Abfahren wach gewesen wäre. Soweit die Beklagte den angefochtenen Bescheid auf die Vermutung stützt, der Kläger
hätte sich auch im wachen Zustand der von den übrigen Mitfahrern gewünschten Fahrtunterbrechung nicht widersetzt, legt sie
einen hypothetischen Sachverhalt zugrunde, der tatsächlich nicht vorgelegen hat und auf den es auch nach allgemeinen Grundsätzen
nicht ankommen kann (BSG, Urteil vom 9. November 2010 - B 2 U 14/10 R, Rn 24 nach juris - SozR 4-2700 § 8 Nr 39).
3. Der Kläger hat infolge der Einwirkungen durch den Unfall auch Gesundheitsschäden erlitten, nämlich eine ausgedehnte Mittelgesichtsfraktur
mit Frakturen des Oberkiefers, des Jochbeins, des Orbitabodens und des Nasenbeins, eine Unterkiefertrümmerfraktur, Kieferwinkel-
und Kiefergelenksfrakturen sowie multiple Schnittwunden des Mittelgesichts und ein Schädel-Hirn-Trauma. Damit sind sämtliche
Voraussetzungen für eine Anerkennung des Unfalls als AU erfüllt.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 Abs
1 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs
2 SGG), liegen nicht vor.