Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung einer Parkinson-Krankheit wie eine Berufskrankheit (BK) als Versicherungsfall nach §
9 Abs
2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (
SGB VII) - Gesetzliche Unfallversicherung (UV) -.
Der im Jahr 1940 geborene Kläger war während seines Berufslebens in der Landwirtschaft tätig, seit dem Jahr 1976 bis zur Aufgabe
des Betriebes im Jahr 2006 als selbstständiger Landwirt. Er betrieb schwerpunktmäßig Ackerbau und war Pestiziden (Pflanzenschutzmitteln)
ausgesetzt.
Im Jahr 2010 beantragte der Kläger die Anerkennung seiner Parkinson-Krankheit, die mit den ersten Symptomen ungefähr seit
dem Jahr 2005 besteht, als BK. Nachdem er eine Liste der von ihm in den letzten 10 Jahren seiner Tätigkeit verwendeten Pflanzenschutz-
und Beizmittel vorgelegt und der technische Aufsichtsbeamte F. ihn zu seinem beruflichen Umfeld befragt hatte (Stellungnahme
vom 14. Juni 2011), veranlasste die Beklagte die ambulante nervenfachärztliche Untersuchung des Klägers im Städtischen Klinikum
G. und die Erstattung des Gutachtens durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr H. vom 10. Oktober 2011. Der Gutachter
diagnostizierte ein idiopathisches Parkinson-Syndrom und führte aus: Bei der Mehrzahl der an einem Parkinson leidenden Patienten
liege ein sog idiopathisches Parkinson-Syndrom zugrunde, bei dem eine genetische Ursache vermutet werde. In größeren Statistiken
werde davon ausgegangen, dass ihm über 90 % der als Parkinson-Syndrom diagnostizierten Fälle zuzuordnen seien. Die restlichen
10 % würden als sog symptomatisches Parkinson-Syndrom bezeichnet, das auch toxisch verursacht werden könne. Von den toxischen
Substanzen seien einige bekannt, sie spielten zahlenmäßig aber eine untergeordnete Rolle. Dazu zählten auch synthetische Substanzen
aus der Reihe der Pflanzenschutzmittel wie das Herbizid Paraquat, das vornehmlich im Obstbau eingesetzt werde, und Organochloride
wie Lindan und DDT. Die vom Kläger vorgelegten Herbizide und Pestizide zählten nach Durchsicht der chemischen Zusammensetzung
nicht zu ihnen. Hinzu komme, dass die Wahrscheinlichkeit, an einem idiopathischen Parkinson-Syndrom zu erkranken, viel höher
sei. Zusammenfassend hielt der Gutachter fest, dass zum heutigen Zeitpunkt nach dem heutigen medizinischen Wissensstand nicht
mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu belegen sei, dass das Parkinson-Syndrom auf häufigem Umgang mit den angeschuldigten
Chemikalien zurückzuführen sei. Daraufhin lehnte die Beklagte die Anerkennung eines Versicherungsfalls ab (Bescheid vom 7.
Dezember 2011).
Im Widerspruchsverfahren wies der Kläger auf Studien, die ein erhöhtes Risiko der Erkrankung an Parkinson bei Landwirten,
die beruflich häufigen Kontakt zu Pflanzenschutzmitteln hatten, belegten, und auf von der Beklagten bereits anerkannte Versicherungsfälle
hin. Des Weiteren rügte er die Ermittlungen des technischen Aufsichtsdienstes, die er nicht für ausreichend hielt. Auch die
medizinische Seite des Sachverhalts sei nicht aufgeklärt, Dr I. Gutachten enthalte keine brauchbaren Aussagen zur Kausalitätsfrage.
Nachdem der Kläger eine weitere Liste der von ihm in den Jahren 1977 bis 1989 verwendeten Pflanzenschutzmittel vorgelegt hatte,
befragte der technische Aufsichtsbeamte J. ihn erneut zum Krankheitsverlauf sowie zum persönlichen und beruflichen Umfeld.
Der technische Aufsichtsbeamte hielt in der Stellungnahme vom 21. Mai 2012 fest, dass als Pflanzenschutzmittel hauptsächlich
Herbizide, Insektizide und Fungizide eingesetzt worden seien. Eine besondere Schutzausrüstung sei nicht getragen worden. Die
übliche Berufskleidung sei nach jeder Spritzarbeit kontaminiert, jedoch nicht gewechselt worden. Das Gleiche gelte für den
Einsatz von Beizmitteln. Der Kläger gab an, geeignete Atemschützer oder Schutzhandschuhe seien schwierig einzusetzen gewesen,
weil die körperliche Belastung das Tragen nicht zugelassen habe. Der technische Aufsichtsbeamte hielt die Angaben für plausibel
und realistisch. Nach seiner Sicht stellten sie keine außergewöhnliche Exposition dar. Die dargestellten Anwendungen würden
auch in anderen gleichgelagerten Betrieben eingesetzt. Ob die darin enthaltenen Wirkstoffe geeignet seien, Parkinson zu verursachen,
vermochte er nicht zu beurteilen. Der Kläger legte eine weitere Auflistung der durchgeführten Dünge- und Pflanzenschutzmaßnahmen
sowie eine Beschreibung des Beizvorganges vor. Anschließend bat die Beklagte Dr H. um erneute Prüfung. In der ergänzenden
Stellungnahme vom 25. Juni 2012 hielt der Gutachter an seiner Beurteilung fest: Die verwendeten Pflanzenschutzmittel zählten
nicht zu den potentiell ein Parkinson-Syndrom verursachenden Substanzen. Mehr als 90 % aller Parkinson-Syndrome seien idiopathisch.
Das erhöhe automatisch die Wahrscheinlichkeit, dass das beim Kläger und zudem in einem typischen Lebensalter erstmals aufgetretene
Parkinson-Syndrom idiopathischer Natur und nicht toxisch sei. Zu den weiteren Einwänden des Klägers holte die Beklagte die
Stellungnahme des technischen Aufsichtsbeamten J. vom 26. September 2012 ein. Anschließend wies sie den Widerspruch zurück
(Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2012).
Dagegen richtet sich die am 21. Januar 2013 vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg erhobene Klage.
Das SG hat die Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 13. März 2013 eingeholt. Darin wird ausgeführt:
Wissenschaftliche Diskussionen über Parkinson-Erkrankungen durch Pestizideinwirkung in der Landwirtschaft seien seit längerem
bekannt. Der sie zur Aufnahme von Erkrankungen in die BK-Liste beratende Ärztliche Sachverständigenbeirat (ÄSVB) habe sich
in den Jahren 2011/2012 mit der Thematik befasst. Er bestehe aus unabhängigen Fachmedizinern sowie Epidemiologen und repräsentiere
die wissenschaftliche Arbeitsmedizin. Nach seiner Auffassung zeigten die vorhandenen epidemiologischen Studien zwar Hinweise
auf einen Ursachenzusammenhang. Die getroffenen Aussagen seien im Ergebnis aber sehr heterogen. Die erforderliche Gruppentypik
könne derzeit nicht ausreichend nachgewiesen werden. Es handele sich um eine Erkrankung, deren eigentliche Ursachen noch unklar
seien und die im privaten Umfeld wie in Bereichen der Arbeitswelt auftrete. Eine besondere abstrakte Gefährdung bestimmter
Personengruppen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung sei deshalb nicht feststellbar. Vor diesem Hintergrund habe der ÄSVB
im Frühjahr 2012 beschlossen, zunächst keine offiziellen Beratungen zu beginnen, sondern die Ergebnisse weiterer Studien abzuwarten.
Auf die Rüge des Klägers, die Beklagte habe im Verwaltungsverfahren unzureichend ermittelt, erklärte diese sich zu weiteren
Ermittlungen bereit. Auf ihre Veranlassung erstattete Prof Dr K. das arbeitsmedizinische Fachgutachten vom 30. April 2014.
Der Gutachter bestätigte die Diagnose eines idiopathischen Parkinson-Syndroms und unklare Kausalbeziehungen. Er führte aus:
Zu Dosis-Wirkungs-Beziehungen, Expositionszeiträumen und Latenzzeiten bis zum Erkrankungsbeginn würden keine belastbaren Ergebnisse
vorliegen. Es gebe bisher kein konsistentes neurotoxikologisches Erklärungsmodell zu der Frage, wie eine chronische oder wiederkehrende
Exposition gegenüber Pestiziden (oder anderen Schadstoffen) unterhalb toxischer Schwellen mit Latenz eine progrediente neurodegenerative
Erkrankung auslösen könne. Hiervon zu unterscheiden seien sekundäre Parkinson-Syndrome, die toxisch bedingt seien könnten
und bei entsprechenden Expositionen als BKen anzuerkennen seien. Die Berufs- und Krankheitsanamnese des Klägers sei diesbezüglich
leer. Der Vorschlag des Klägers zur Ermittlung sämtlicher jemals angewendeter Pestizide im Einzelnen und zur Prüfung auf ihre
Parkinson-Relevanz sei schon wegen der Stoffrecherche kaum praktikabel und auch nicht umzusetzen, weil keine Matrix existiere,
vor deren Hintergrund Pestizide, Lösungsmittel und deren Kombinationen als Auslöser eines idiopathischen Parkinson-Syndroms
identifiziert werden könnten. Die Forschungslage sei unübersichtlich und liefere bislang keine konsistenten Befunde. Die in
der Vergangenheit vereinzelt anerkannten Parkinson-Syndrome als Versicherungsfälle seien in Anbetracht der aktuellen Datenlage
nicht nachzuvollziehen: Der ÄSVB habe sich zuletzt im Jahr 2012 mit der Problematik befasst und aufgrund der heterogenen Studienlage
offizielle Beratungen zurückgestellt. Neue Erkenntnisse seien seitdem nicht zu verzeichnen. An dieser Beurteilung hielt der
Gutachter auch auf Einwände des Klägers fest und führte in der Stellungnahme vom 20. August 2015 aus: Der Kläger beziehe sich
auf wissenschaftliche Erkenntnisse aus Frankreich zu einem Ursachenzusammenhang, die durch die zuständige Kommission generiert
und auf ihre Empfehlungen an den französischen Gesetzgeber umgesetzt worden seien. Bei dieser Kommission handele es sich seines
Erachtens nicht um ein wissenschaftliches Gremium im strengen Sinn, das dem ÄSVB entspreche. Die Kommission setze sich aus
32 Mitgliedern, darunter Repräsentanten von staatlichen Behörden, Gewerkschaften, Opferverbänden sowie landwirtschaftlichen
Arbeitnehmern und Ärzten zusammen. Diese Zusammensetzung lege nahe, dass für die Entscheidung über die Aufnahme neuer BKen
im französischen System außer wissenschaftlichen Erkenntnissen auch sozialpolitische Erwägungen einschließlich medialer Einflüsse
eine größere Rolle spielen könnten. Vor dem Hintergrund zahlreicher ungeklärter wissenschaftlicher Probleme ließen sich die
Bedingungen, die in Frankreich zur Anerkennung der entsprechenden BK führten, nicht gut nachvollziehen. Insgesamt wirkten
die Vorgaben der französischen BK eher willkürlich und undifferenziert. Sie könnten nicht zur Orientierung beitragen.
Dagegen hat der Kläger die Stellungnahme des Prof Dr Dipl-Chem L. vom 18. Januar 2016 vorgelegt. Danach wiesen zahlreiche
epidemiologische Studien überwiegend auf eine positive statistische Assoziation hin. In neueren Studien werde auch eine Risikoverdopplung
in höheren Expositionskategorien angegeben. Gestützt werde der statistische Zusammenhang durch toxikologische Erkenntnisse
zu einzelnen Stoffen und Stoffgruppen, die als neurotoxisch für das zentrale Nervensystem zu interpretieren seien. Aus diesem
Grund sei nach seiner Auffassung die Frage zu bejahen, dass in bestimmten Einzelfällen die Voraussetzungen für eine Anerkennung
wie eine BK zu bestätigen seien. Im Einzelfall müsse eine langjährige und hohe Exposition gegenüber Pflanzenschutzmitteln
nachgewiesen sein, wobei ihm derzeit konkrete Kriterien für Langjährigkeit und Intensität noch fehlten.
Das SG hat sich der Beurteilung des Prof Dr K. angeschlossen und nach Anhörung der Beteiligten die Klage durch Gerichtsbescheid
vom 9. August 2017 abgewiesen: Weitere medizinische Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen sei nicht vorzunehmen. Sofern es
Prof Dr L. für angezeigt halte, weitere epidemiologische Studien durchzuführen, sei dieses nicht zu berücksichtigen. Es sei
nicht Aufgabe der Gerichte, epidemiologische Studien in Auftrag zu geben. Vielmehr komme es nur darauf an, ob sich zum Entscheidungszeitpunkt
die medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse aufgrund der bereits vorliegenden Studien zur BK-Reife verdichtet haben.
Gegen die am 11. August 2017 zugestellte Entscheidung wendet sich der Kläger mit der am 11. September 2017 eingelegten Berufung,
die er auf die Ausführungen des Prof Dr L. sowie auf die Anerkennung des Zusammenhangs zwischen Parkinson-Krankheit und der
Verwendung von Pestiziden in der Landwirtschaft in Frankreich stützt. Er hält eine Entscheidung nach § 9 Abs 2 VII nicht deshalb
für gesperrt, weil der ÄSVB nunmehr eine Verursachung der Parkinson-Krankheit durch bestimmte Pestizid-Inhaltsstoffe prüfe.
Nach der Rechtsprechung (Rspr) des Bundessozialgerichts (BSG) sei dieses nur dann der Fall, wenn die Beratungen aktiv betrieben würden und ihr Abschluss innerhalb einer sozialverträglichen
Zeitspanne zu erwarten seien. Aufgrund seines hohen Alters erscheine es sozialwidrig, eine jahrelange Sperrwirkung für die
Prüfung im ÄSVB anzunehmen. Der Kläger hat die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von Abgeordneten zur Anerkennung
von Morbus Parkinson als BK im landwirtschaftlichen Bereich (Drs 19/12242) vorgelegt und ist der Ansicht, eine Anerkennung
wie eine BK sei mit dem Zeitpunkt des Beschlusses des ÄSVB vom 6. Juni 2019 begründet, es bestehe eine generelle Eignung bestimmter
Stoffe aus dem Bereich der Pestizide zur Verursachung des Morbus Parkinson und Beratungen aufzunehmen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des SG Lüneburg vom 9. August 2017 und den Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2011 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2012 aufzuheben,
die Beklagte zu verurteilen, die Parkinson-Krankheit wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Lüneburg vom 9. August 2017 zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Entscheidungen und hält eine Entscheidung für gesperrt, solange der Prüfprozess des ÄSVB
andauere.
Der Senat hat den Beteiligten Kopien der gutachterlichen Äußerungen des Prof Dr L. in einem anderen bei ihm anhängigen Berufungsverfahren
(L 6 U 9/19) übersandt. Darin ist Prof Dr L. als vom SG beauftragter Sachverständiger in den Jahren 2017 und 2018 zu dem Ergebnis gelangt, dass eine epidemiologische Konsistenz
des Zusammenhangs einer Exposition gegenüber Pflanzenschutzmitteln und einer Parkinson-Krankheit fehle und dass die Voraussetzungen
für eine Erkrankung nach §
9 Abs
2 SGB VII nicht erfüllt seien.
Dem Senat haben neben den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung
und der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den
Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und somit insgesamt zulässig. Sie hat jedoch keinen Erfolg. Das
SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten ist rechtmäßig. Die Erkrankung des Klägers ist keine
BK und der begehrten Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung wie eine BK als Versicherungsfall steht schon entgegen, dass
eine Entscheidung darüber bis zum Abschluss der Beratungen des ÄSVB gesperrt ist (dazu unter 1). Dessen ungeachtet erlauben
die bisherigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft keine Anerkennung einer Parkinson-Krankheit wie eine BK (dazu unter
2).
1. Das deutsche BK-Recht räumt in §
9 Abs
1 und
2 SGB VII der Verordnungsgeberin einen Vorrang der Regelungsbefugnis ein (zB Becker in Krasney,
SGB VII - Komm §
9 Rn 300 mN zur Rspr). Das bedeutet, dass im Grundsatz nach §
9 Abs
1 Satz 1
SGB VII nur die von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates (in der Anlage 1 zur
Berufskrankheiten-Verordnung -
BKV -) bezeichneten Krankheiten als BKen festgestellt werden können und dass nur ausnahmsweise, in dem Zeitraum des Vorliegens
der Bezeichnungsvoraussetzungen bis zur Anpassung der
BKV, eine Anerkennung nach §
9 Abs
2 SGB VII wie eine BK in Betracht kommt. Die Bezeichnung einer Krankheit als BK setzt voraus, dass eine Krankheit nach den Erkenntnissen
der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht ist, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte
Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§
9 Abs
1 Satz 2 erster Halbsatz
SGB VII). Diese Gruppentypik, dh die Voraussetzung einer höheren Gefährdung bestimmter Personengruppen bezieht sich auf das allgemeine
Auftreten der Krankheit (BSGE 59, 295/298).
Zur Feststellung des medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstandes und der Beurteilung der Bezeichnungsvoraussetzungen bedient
sich die Verordnungsgeberin der Beratung durch den ÄSVB (zu seiner Stellung näher Anna-Lena Hollo, Das Verfahren zur Anerkennung
von BKen, Baden-Baden 2018, § 3 B, S 105 ff). Es ist deshalb konsequent, in dem Fall, in dem der ÄSVB die Bezeichnungsvoraussetzungen
einer Krankheit als BK prüft, dem Ergebnis seiner Ermittlungen nicht vorzugreifen und eine "Sperrwirkung" anzunehmen mit der
Folge, dass für die Dauer der Beratungen den Berufsgenossenschaften und den Gerichten die Prüfung eines Versicherungsfalls
entzogen ist (BSG Urteil vom 4. Juni 2002 - B 2 U 20/01 R - juris Rn 31; Lauterbach/Koch, UV (
SGB VII), 4. Aufl, 42. Lfg, März 2010, Rn 286 mwN). Das gilt hier auch deshalb - darauf hat Prof Dr K. aufmerksam gemacht -, weil
die Parkinson-Krankheit in der Allgemeinbevölkerung verbreitet ist und zahlreiche Einflussfaktoren diskutiert werden. Ob hinsichtlich
einer Risikoerhöhung durch eine Exposition gegenüber Pestiziden gegenüber der Allgemeinbevölkerung belastbare Dosis-Wirkungs-Beziehungen
und Aussagen über Expositionszeiträume sowie Latenzzeiten vorliegen und welche konkreten Voraussetzungen für die Anerkennung
als Versicherungsfall zu fordern sind, muss deshalb dem Ergebnis der Beratungen des ÄSVB vorbehalten bleiben (hierzu eingehend
Koch aaO Rn 288/289, sa die og Antwort der Bundesregierung aaO S 10). Das gilt auch unter Beachtung des vom BSG (aaO Rn 32) formulierten Vorbehalts der Erwartung eines Abschlusses innerhalb einer sozial verträglichen Zeitspanne, die
hier mit der Aufnahme der Beratungen im Jahr 2019 nicht überschritten ist. Demgegenüber kann bei ihrer Beurteilung - entgegen
der Auffassung der Berufung - nicht das jeweilige Lebensalter eines Versicherten maßgebend sein. Entscheidend ist die Beurteilung
der verstrichenen und erforderlichen Zeit im Hinblick auf die Komplexität der Prüfung. Zur Vermeidung eines etwaigen Anspruchsverlusts
ist das Ruhen des Verfahrens (§
202 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz -
SGG - in Verbindung mit §
251 Satz 1
Zivilprozessordnung) anzuordnen, das die Beklagte beantragt hat, mit dem der Kläger indes nicht einverstanden ist.
Die in der Literatur gegen diese Sperrwirkung vorgebrachten Argumente (Brandenburg in: Schlegel/Voelzke jurisPK-
SGB VII 2. Aufl §
9 SGB VII (Stand: 08.12.2017) Rn 132) vermögen vor dem Hintergrund des Vorrangs der Regelungsbefugnis der Verordnungsgeberin und der
dargestellten auch sachlichen Rechtfertigung nicht zu überzeugen. Die Sperrwirkung ist - entgegen der weiteren Auffassung
in der Literatur (Mehrtens/Brandenburg
BKV Komm E §
9 SGB VII Anm 29.3) - auch nicht vom BSG aufgegeben worden. Vielmehr hat das BSG in den genannten Urteilen vom 27. Juni 2006 (B 2 U 5/05 R) und 2. Dezember 2008 (B 2 KN 1/08 U R) der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 23. Juni 2005 (1 BvR 791/95, SozR 4-1100 Art 3 Nr 32) insoweit Rechnung getragen, als eine mit der Bezeichnung einer Krankheit als BK verbundene Rückwirkungsregelung
solchen Sachverhalten nicht entgegensteht, bei denen ein gestellter entscheidungsreifer Antrag trotz Vorliegens der Voraussetzungen
des §
9 Abs
2 SGB VII allein mit Rücksicht auf das künftige Recht abgelehnt wird (aaO juris Rn 22 f / Rn 18 ff, hierzu auch Koch aaO Rn 288a f).
Auch der Entscheidung des BVerfG vom 9. Oktober 2000 (1 BvR 791/95) liegt der Sachverhalt einer Entscheidungsreife nach §
9 Abs
2 SGB VII zugrunde, die hier bei noch anhaltenden Beratungen gerade nicht gegeben ist. Erst wenn diese vom ÄSVB bejaht wird und eine
Ergänzung der
BKV in Sicht ist, ist zügig der Versicherungsfall wie eine BK anzuerkennen (aaO juris Rn 29 - Koch aaO). Insgesamt ist deshalb
weiterhin von einer Sperrwirkung auszugehen (Koch aaO Rn 289 aE; sa BayLSG Urteil vom 18. Januar 2008 - L 3 U 137/06 -, aA LSG für das Saarl Urteil vom 18. Februar 2009 - L 2 U 61/05 -).
2. Dessen ungeachtet kann ein Versicherungsfall nach §
9 Abs
2 SGB VII wie eine BK deshalb nicht anerkannt werden, weil ein erheblich erhöhtes Risiko von Landwirten, nach einer Exposition gegenüber
Pestiziden an Parkinson zu erkranken, mithin die BK-Reife medizinisch-wissenschaftlich nicht gesichert ist (sa LSG Rheinland-Pfalz
Urteil vom 17. Oktober 2017 - L 3 U 6/17 -, Hess LSG Urteil vom 19. Juli 2016 - L 3 U 32/13 - und das Urteil des 14. Senats des Gerichts vom 22. Oktober 2014 - L 14 U 83/12 -). Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die Begründungen der angefochtenen Entscheidungen (§§
153 Abs
2,
136 Abs
3 SGG), die sich im Berufungsverfahren bestätigt haben. Dem steht die im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte Stellungnahme des
Prof Dr L. nicht entgegen, zumal Prof Dr L. als Sachverständiger in einem weiteren vor dem erkennenden Senat anhängigen Berufungsverfahren
die Voraussetzungen des §
9 Abs
2 SGB VII mit ausführlicher Begründung verneint hat.
Seine zum Ende der Stellungnahme vom 1. Februar 2016 geäußerte Auffassung, in "bestimmten Einzelfällen [seien] die Voraussetzungen
für eine ‘Wie-Berufskrankheit‘ zu bestätigen", vermag nicht zu überzeugen. Erforderlich seien "eine langjährige und hohe Exposition
gegenüber PSM". Konkrete Kriterien vermag er indes schon nicht zu benennen. Des Weiteren - und dieses ist Prof Dr L. als ausgewiesenen
Kenner des BK-Rechts bekannt - erlaubt das deutsche BK-Recht eine Entschädigung "bestimmter Einzelfälle" nicht. Vielmehr setzt
es - wie unter 1 ausgeführt - eine Gruppentypik, dh voraus, dass bestimmte Personengruppen (hier: Landwirte) durch ihre versicherte
Tätigkeit (hier: durch Pflanzenschutzmittel - PSM -) einem erhöhten Erkrankungsrisiko (hier: an Morbus Parkinson) ausgesetzt
sind. Diese Voraussetzung hat Prof Dr L. in einem weiteren vor dem erkennenden Senat anhängigen Rechtsstreit verneint. Als
vom SG beauftragter Sachverständiger hat er die fehlende wissenschaftlich konsistente Datenlage unterstrichen und im Übrigen bei
einem idiopathischen Morbus Parkinson, der auch hier gesichert ist, eine toxische Verursachung verneint. Insgesamt kann nach
den Beurteilungen des Prof Dr K. und auch des Prof Dr L. nur davon ausgegangen werden, dass zwar Hinweise auf einen Zusammenhang
einer Parkinson-Krankheit mit einer Einwirkung durch Pestizide bestehen, dass aber ein erhöhtes Erkrankungsrisiko von Landwirten
medizinisch-wissenschaftlich nicht gesichert ist. Schließlich hat Prof Dr K. darauf aufmerksam gemacht, dass die Inzidenz
der Erkrankung, dh die Anzahl der neu aufgetretenen Erkrankungen seit Beginn der Verwendung von Pestiziden nicht erkennbar
zugenommen habe (S 28 unten des arbeitsmedizinischen Gutachtens vom 30. April 2014).
Aus der Anerkennung als BK in Frankreich folgt nichts Anderes. Prof Dr K. hat auf den zum deutschen Recht unterschiedlichen
Entscheidungsvorgang aufmerksam gemacht. Auch der Beschluss des ÄSVB vom 6. Juni 2019 ändert an der Beurteilung nichts. Allein
aus der Bejahung der "generellen Eignung bestimmter Stoffe/Stoffgruppen aus dem Bereich der Pestizide zur Verursachung des
Morbus Parkinson" und der Aufnahme von Beratungen zum Vorliegen der Bezeichnungsvoraussetzungen als BK kann - entgegen der
Auffassung der Berufung - nicht auf die BK-Reife geschlossen werden. In der Antwort der Bundesregierung (aaO) wird ausgeführt,
dass es sich insoweit nur um den ersten Prüfungskomplex für eine neue BK, dh um die Feststellung handele, dass Pestizide als
Ursache im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne in Betracht kommen, und dass nunmehr Ermittlungen insbesondere zur
gruppentypischen Risikoerhöhung erforderlich seien (näher zu der zweistufigen Prüfung Hollo aaO S 169 ff).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§
160 Abs
2 SGG) liegt nicht vor. -