Zulässigkeit der Leistungserbringung im Asylbewerberleistungsrecht durch Wertgutscheine; Verfassungsmäßigkeit
Gründe:
I. Die Antragsteller begehren den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem der Antragsgegner verpflichtet werden soll,
vorläufig die ihnen zustehenden Leistungen nach dem
AsylbLG in Form von Geldleistungen an Stelle von Wertgutscheinen auszuzahlen.
Die Antragsteller haben für die Zeit seit September 2012 von der namens und im Auftrag des Beklagten handelnden Gemeinde F.
monatliche Bescheide über Leistungen für jeweils einen Monat erhalten, mit denen ihnen neben Unterkunftskosten Barleistungen
in Höhe von 340,00 EUR sowie weitere 389,00 EUR in Form von Wertgutscheinen bewilligt wurden. Gegen die jeweiligen Bewilligungsbescheide
haben die anwaltlich vertretenen Antragsteller, soweit ersichtlich, regelmäßig fristgemäß Widerspruch erhoben (z.B. Widerspruch
vom 11. September 2012, Widerspruchsbescheid vom 27. November 2012, Klageverfahren beim SG Oldenburg anhängig).
Mit am 20. November 2012 beim SG eingegangenem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben die Antragsteller die Auszahlung von Geldleistungen anstelle
der Wertgutscheine begehrt. Ihres Erachtens folgt aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10 -, dass auch bei Leistungsempfängern nach dem
AsylbLG der Vorrang von Geldleistungen vor Gutscheinen oder Sachleistungen besteht. Die pauschale Gewährung von Gutscheinen statt
Bargeld verletze die Menschenwürde. Das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen
und politischen Leben sei nicht möglich, wenn Leistungsempfänger durch die Gewährung von Sachleistungen oder Gutscheinen bereits
bei alltäglichen Einkäufen ausgegrenzt würden. Das Ermessen aus §
3 Abs.
2 Satz 1
AsylbLG sei daher verfassungskonform im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 dahingehend auszulegen,
dass ausschließlich Geldleistungen zu bewilligen sind. Da eine rückwirkende Gewährung nicht ausreiche, um effektiven Rechtsschutz
zur Erlangung von existenzsichernden Sozialleistungen zu gewähren, sei es unzumutbar, eine Hauptsacheentscheidung abzuwarten.
Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 28. November 2012, zugestellt am 30. November 2012, abgelehnt. Die Antragsteller hätten
weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die mit der Aushändigung von Wertgutscheinen
einhergehenden persönlichen Einschränkungen stellten keine wesentlichen Nachteile dar, dies sei nicht per se diskriminierend.
Zudem bestehe kein Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem
AsylbLG allein in Form von Geldzahlungen. Gemäß §
3 Abs.
2 Satz 1
AsylbLG könnten, soweit es nach den Umständen erforderlich ist, anstelle von vorrangig zu gewährenden Sachleistungen nach Absatz
1 Satz 1 Leistungen in Form von Wertgutscheinen, von anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen oder von Geldleistungen im
gleichen Wert gewährt werden. Bei der insoweit zu treffenden Ermessensentscheidung sei zu berücksichtigen, dass die drei Ersatzleistungsformen
nicht gleichrangig nebeneinanderstehen. Vielmehr gebe das gesetzliche Rangverhältnis vor, dass zunächst Wertgutscheine zur
Bedarfsdeckung eingesetzt werden können und erst am Schluss auf Geldleistungen zurückgegriffen werden kann. Das BVerfG habe,
so das SG weiter, in seinem Urteil vom 18. Juli 2012 die gesetzgeberische Entscheidung hinsichtlich der Leistungsformen nicht beanstandet
und ausdrücklich ausgeführt, dass die im Urteil bestimmte Übergangsregelung nicht in das Regelungssystem des
AsylbLG hinsichtlich der Art der Leistungen eingreife.
Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer am 10. Dezember 2012 eingelegten Beschwerde. Entgegen der Auffassung des
SG gebe §
3 Abs.
2 Satz 1
AsylbLG kein Rangverhältnis vor. Vielmehr sei der Nachrang der Geldleistungen durch das 1. Änderungsgesetz zum
AsylbLG zum 1. Juni 1997 abgeschafft worden, seither bestehe kein gesetzliches Rangverhältnis mehr. Durch die Gewährung eines Großteils
der Leistungen nach dem
AsylbLG in Form von Wertgutscheinen und das damit verbundene "Zwangsouting" bei alltäglichen Einkäufen werde die Menschenwürde der
Antragsteller gravierend verletzt. Die mit der Einlösung von Wertgutscheinen zwangsweise verbundene Offenbarung des Sozialdatums
"Bezieher von Leistungen nach dem
AsylbLG" sei ein Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften. Spätestens seit der Entscheidung des BVerfG vom 18. Juli 2012
sei das Ermessen bei der Entscheidung über die Form der Leistungen nach §
3 Abs.
2 Satz 1
AsylbLG auf Null reduziert, die Leistungen müssten in Geld ausgezahlt werden. Der Gewährung von Wertgutscheinen statt Bargeld lägen
ausschließlich migrationspolitische Erwägungen zu Grunde, dies verstoße gegen die (nach dem Urteil des BVerfG RdNr
21 migrationspolitisch nicht relativierbare) Menschenwürde nach Art.
1 Abs.
1 des
Grundgesetzes. Soweit das BVerfG (aaO., RdNr.
93) ausgeführt habe, es bleibe dem Gesetzgeber grundsätzlich überlassen ob er das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen
sichert, sei zu beachten, dass die in Nordrhein-Westfalen lebenden Kläger in den den Vorlagebeschlüssen zu Grunde liegenden
Verfahren ausschließlich Geldleistungen bezogen hatten und deshalb die Form der Leistungen nach §
3 Abs.
2 Satz 1
AsylbLG nicht Gegenstand der Vorlageverfahren war. Die Antragsteller vertreten zudem die Auffassung, dass das permanent entwürdigende
"Zwangsouting" an jeder Supermarktkasse nicht durch eine absehbar erst Jahre später zu erwartende Hauptsacheentscheidung wieder
gutgemacht werden könne. Bei einer hier vorzunehmenden Folgenabwägung sei zu berücksichtigen, dass selbst im Fall einer zu
ihren Lasten gehenden Hauptsacheentscheidung dem Antragsgegner kein finanzieller Nachteil entstehe, die Auszahlung von Bargeld
vielmehr wegen des geringeren Verwaltungsaufwandes günstiger sei als die Aushändigung von Wertgutscheinen.
Der Antragsgegner hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
II. Die fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragsteller ist erfolglos. Zutreffend hat das SG entschieden, dass kein Anordnungsgrund vorliegt. Die Leistungserbringung in Form von Wertgutscheinen ist auch unter Berücksichtigung
des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 nicht zu beanstanden.
Streitgegenstand ist ausweislich des Eilantrags vom 20. November 2012 allein die Art und Weise der Auszahlung der nach §
3 AsylbLG gewährten Grundleistungen aus dem Bescheid für den Monat September 2012 und für die Folgemonate. Ob bezogen darauf die Beschwerde
gemäß §§
172 Abs.
3 Nr.
1,
144 Abs.
1 SGG zulässig ist (Wert des Beschwerdegegenstandes mehr als 750,00 EUR oder wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als
ein Jahr), kann dahinstehen, weil sie jedenfalls unbegründet ist.
Einstweilige Anordnungen sind nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung
zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass
ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass
der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit
eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher
Nachteile sind glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i. V. m. §
920 Abs.
2 ZPO).
Es begründet keinen den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigenden wesentlichen Nachteil, dass die gewährten Leistungen
nur in Höhe des Betrags nach §
3 Abs.
1 Satz 4
AsylbLG in bar ausgekehrt werden, die übrigen Leistungen gemäß §
3 Abs.
1 Sätze 1, 2, Abs.
2 AsylbLG in Form von Wertgutscheinen. Eine Eilbedürftigkeit liegt damit nicht vor. Es ist den Antragstellern zuzumuten, bis zu einer
Entscheidung in der Hauptsache bzw. einer Änderung der Leistungsgewährung durch den Antragsgegner einen Teil ihrer Leistungen
nach §
3 AsylbLG nicht in bar zu erhalten.
Für die Zeit vor dem am 20. Oktober 2012 beim SG eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann ohnehin keine durch eine Regelungsanordnung änderbare
Situation mehr geschaffen werden. Die den Antragstellern für den Monat Oktober 2012 ausgehändigten Wertgutscheine waren bereits
eingelöst. Auch die Wertgutscheine für die Folgemonate dürften umgehend eingelöst worden sein. Für die Zeit ab April 2013
dürfte ohnehin kein streitiges Rechtsverhältnis vorliegen, weil entsprechende Bescheide noch nicht ergangen sind und demzufolge
auch noch nicht angefochten werden konnten. Im Übrigen stellt sich insoweit die Situation im Hinblick auf den Erlass des Niedersächsischen
Ministeriums für Inneres und Sport vom 27. Februar 2013 (A 11.32 12235 8.4.3.2) anders dar: Danach bleibt es nunmehr den Leistungsbehörden
(anders als nach dem früheren Erlass vom 14. Mai 2007) überlassen, im Rahmen des §
3 Abs.
2 Satz 1 und Abs.
4 AsylbLG unter Berücksichtigung der jeweiligen örtlichen Begebenheiten selbst zu bestimmen, ob die Leistungen zur Deckung des physischen
Existenzminimums in Form von Wertgutscheinen, von anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen oder von Geldleistungen gewährt
werden. Es ist demnach offen, ob die Antragsteller weiterhin Wertgutscheine erhalten werden.
Bei einer derartigen Sachlage wäre auch ein allenfalls in Betracht kommender Fortsetzungsfeststellungsantrag unzulässig, weil
er in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht statthaft ist (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG-Kommentar, 10. Auflage 2012, §
86b Rdnr 9b und §
131 Rdnr 7c; vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Auflage 2008, Rdnr
370 mwN; BVerwG, Beschluss vom 27. Januar 1995 7 VR 16/94 ; DVBl 1995, 520). Eine entsprechende Anwendung des §
131 Abs
1 Satz 3
SGG (Fortsetzungsfeststellungsklage) kommt nicht in Betracht, weil das Feststellungsinteresse, das einen solchen Antrag allein
rechtfertigt, in einem Eilverfahren nicht befriedigt werden kann. Die auf Grund summarischer Prüfung ergehende einstweilige
Anordnung dient der Sicherung eines Rechts oder der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses; sie führt jedoch nicht
zu einer rechtskräftigen Klärung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Versagung des begehrten Verwaltungsakts. Eine
verbindliche Entscheidung über diese Frage trotz zwischenzeitlicher Erledigung der Hauptsache herbeizuführen ist aber gerade
Sinn der Regelung des §
131 Abs
1 Satz 3
SGG. Die Beteiligten müssen sich deshalb darauf verweisen lassen, im Hauptsacheverfahren mit einer Feststellungsklage zu einer
Sachentscheidung zu kommen.
Ein den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigender wesentlicher Nachteil würde auch dann nicht vorliegen, wenn
die bare Auszahlung der Leistungen anstelle von Wertgutscheinen in durch streitige Rechtsverhältnisse geregelten Zeiträumen
noch möglich wäre. Leistungsempfänger nach §
3 AsylbLG erhalten jedenfalls in Niedersachsen teilweise seit 1993 Wertgutscheine, ohne dass dies durch die bis 2004 zuständigen Verwaltungsgerichte
oder die seither zuständigen Sozialgerichte beanstandet worden ist. Eine offensichtlich verfassungsrechtlich relevante Beeinträchtigung
hat auch das BVerfG nicht gesehen. Es hat lediglich die Höhe der Leistungen nach §
3 AsylbLG für verfassungswidrig erklärt und eine Übergangsregelung getroffen (BVerfG aaO., RdNrn. 124 ff). Die Regelungssystematik
des
AsylbLG hat es aber ausdrücklich unangetastet gelassen und ausgeführt, dass die Entscheidung des Gesetzgebers in §
3 Abs.
2 Satz 1
AsylbLG, zur Deckung des existenzsichernden Bedarfs vorrangig Sachleistungen (bzw. nachrangige Leistungsarten, vgl. BVerfG aaO.,
Rdnr. 134 a.E.) vorzusehen, durch die von ihm getroffene Übergangsregelung nicht berührt wird (BVerfG aaO., Rdnr. 135). Das
BVerfG hat im Rahmen seiner Übergangsregelung allein den Anspruch auf einen höheren monatlichen Geldbetrag zur Deckung persönlicher
Bedürfnisse entsprechend der Regelung in §
3 Abs.
1 Satz 4
AsylbLG festgestellt (BVerfG aaO., Rdnr. 134 f). Dem ist der Antragsgegner nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung
nachgekommen (zur Höhe der Leistungen vgl. auch den Beschluss des Senats vom heutigen Tage im Parallelverfahren L 8 AY 1/13
B ER).
Zwar ist nachvollziehbar, dass das Einkaufen mit Wertgutscheinen unbequemer ist als mit Bargeld, diese Unbequemlichkeit rechtfertigt
jedoch keine besondere Eilbedürftigkeit. Es ist auch nicht ansatzweise glaubhaft gemacht worden, wie sich bei der viele Jahre
bestehenden Praxis ohne erkennbare Änderung in den Auswirkungen auf die Leistungsempfänger nach dem
AsylbLG nunmehr ein wesentlicher Nachteil ergeben soll, der ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens als unzumutbar erscheinen ließe.
Mangels Vorliegen eines Anordnungsgrundes ist die Prüfung des Anordnungsanspruchs bzw. eine vollständige Aufklärung der Rechtslage
in diesem Eilverfahren nicht erforderlich, eine Entscheidung auf Grund einer Folgenabwägung kommt nicht in Betracht. Die ausführliche
Darlegung der Rechtslage durch den Prozessbevollmächtigten der Antragsteller kann deshalb hier keine vollständige Würdigung
erfahren. Im Hinblick auf die angefochtene Entscheidung des SG, die auch auf das fehlende Vorliegen eines Anordnungsanspruchs gestützt worden ist, weist der Senat dennoch in der gebotenen
Kürze auf Folgendes hin:
Die auf vielfältige Kommentierungen gestützte Auffassung des SG, die in §
3 Abs.
2 Satz 1
AsylbLG genannten Ersatzformen Wertgutscheine, andere unbare Abrechnungen, Geldleistungen würden in einem Rangverhältnis stehen,
bedarf einer genaueren Prüfung. Insoweit zutreffend hat der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller darauf hingewiesen, dass
der ausdrückliche Nachrang der Geldleistungen durch das 1. Änderungsgesetz zum
AsylbLG zum 1. Juni 1997 abgeschafft worden ist. Damit ist jedoch noch nicht geklärt, ob seither kein gesetzliches Rangverhältnis
bei den Ersatzformen mehr besteht. In einem Hauptsacheverfahren wäre vermutlich zu prüfen, ob und welche Ermessenserwägungen
von dem Leistungsträger getroffen worden sind. In diesem Rahmen dürfte auch die Entscheidung des BVerfG vom 18. Juli 2012
zu beachten sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von §
193 Abs.
1 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG nicht anfechtbar.