Anerkennung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung
Rücknahme eines Bewilligungsbescheides
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Anerkennung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung für die Zeit ab Februar 2016.
Die 1948 geborene Klägerin, die russische Staatsangehörige ist, über einen unbefristeten Aufenthaltstitel verfügt und seit
Ende der 1990er-Jahre in Deutschland lebt, bezieht von der namens und im Auftrag der Beklagten handelnden Landeshauptstadt
Hannover (im Folgenden: LHH) ergänzend zu ihrer russischen Rente Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII. Bei ihr sind ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen B, G und aG anerkannt. Sie leidet u.a. unter rheumatoider
Arthritis, Diabetes mellitus Typ 2, Hypercholesterinämie, Osteoporose, Nebennierenamyloidose und Untergewicht.
Mit (Grundlagen-)Bescheid vom 8.9.2014 erkannte die LHH einen Mehrbedarf der Klägerin wegen kostenaufwändiger Ernährung für
die Zeit vom 1.10.2014 bis 31.3.2016 in Höhe von 20 % des Regelsatzes an. Der Bewilligungsbescheid vom 5.8.2015, mit dem ihr
die LHH Leistungen für die Zeit vom 1.8.2015 bis 31.7.2016 in Höhe von monatlich 922,50 € bewilligte, berücksichtigte einen
monatlichen Mehrbedarf für Ernährung in Höhe von 79,80 €. Der Bescheid enthielt den Zusatz, die Klägerin erhalte die Leistung
zunächst bis zum 31.7.2016, soweit nicht durch einen Änderungsbescheid die Leistung dem Grunde oder der Höhe nach neu festzusetzen
sei. Mit Änderungsbescheid vom 4.1.2016 bewilligte die LHH für den Monat Februar 2016 insgesamt Leistungen von 929,35 € unter
Erhöhung des Mehrbedarfs-Betrages auf 80,80 €, wobei sich der aktuelle Bewilligungszeitraum auf die Zeit bis zum 31.7.2016
erstrecke. Mit Schreiben vom gleichen Tag wies sie die Klägerin darauf hin, dass die Anerkennung des Mehrbedarfs für Ernährung
am 31.3.2016 ende und im Anschluss die Notwendigkeit erneut unter Vorlage ärztlicher Bescheinigungen zu prüfen sei. Daraufhin
stellte die Klägerin am 11.2.2016 einen „Verlängerungs“antrag bei der LHH unter Übersendung einer Bescheinigung des Facharztes
für Innere Medizin Dr. F. vom 10.2.2016. Mit Stellungnahme vom 1.3.2016 teilte der amtsärztliche Dienst der Beklagten mit,
dass keine Anhaltspunkte für einen krankheitsbedingten erhöhten Ernährungsaufwand vorlägen. Insbesondere der Diabetes mellitus
rechtfertige nach dem aktuellen Begutachtungsleitfaden keinen solchen mehr. Bei ihren Erkrankungen bedürfe die Klägerin keiner
spezifischen Diät, sondern Vollkost. Mit Änderungsbescheid vom 2.3.2016 erhöhte sich der Bewilligungsbetrag für den Monat
März 2016 auf 930,74 € unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Ernährung von weiterhin 80,80 € mit dem Zusatz, der aktuelle
Bewilligungszeitraum erstrecke sich bis zum 31.7.2016. Den Antrag der Klägerin vom 11.2.2016 auf weitere Anerkennung des Mehrbedarfs
für Ernährung lehnte die LHH mit Bescheid vom 7.3.2016 ab. Sie erließ am gleichen Tag einen Änderungsbescheid, mit dem sie
der Klägerin „für den Monat 04/2016“ 849,94 € ohne Anerkennung eines Mehrbedarfs für Ernährung mit dem Zusatz bewilligte,
der aktuelle Bewilligungszeitraum erstrecke sich auf die Zeit bis zum 31.7.2016 und ab April 2016 erfolge die Leistungsberechnung
ohne Berücksichtigung des bis zum 31.3.2016 anerkannten Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung. Gegen den Ablehnungsbescheid
vom 7.3.2016 legte die Klägerin am 11.3.2016 mit der Begründung Widerspruch ein, sie sei multipel chronisch erkrankt. Aufgrund
von Spritzen mit einem MTX-Präparat werde ihre Niere geschädigt (organbegrenzte Amyloidose), so dass sie einer eiweißreichen
Diät bedürfe.
Für den Folgezeitraum bewilligte die LHH der Klägerin aufgrund ihres Weiterbewilligungsantrages vom 9.6.2016 mit Bescheid
vom 6.7.2016 ab dem 1.8.2016 bis zum 31.7.2017 849,94 € monatlich, gleichfalls ohne Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für
kostenaufwändige Ernährung, und erkannte einen solchen auch nicht in weiteren (Änderungs-)bescheiden vom 4.10.2016, 23.12.2016,
25.1.2017 und 30.1.2017 an.
Nach Einholung der amtsärztlichen Stellungnahme vom 11.8.2016 wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom
26.9.2016, der Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugegangen am 4.10.2016, zurück.
Am 4.11.2016 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover mit der Begründung erhoben, zur Reduzierung ihrer Anämie sei eine besondere Ernährung erforderlich. Infolge ihrer
Nierenbelastung müsse ihre Nahrung einen hohen Proteingehalt aufweisen, der vier bis fünf Mal höher als die Norm sei und den
sie über roten Fisch, Walnüsse, Honig, Rotwein, Rindfleisch, Rinderzunge, rohe Kalbsleber, hochwertiges Eiweiß wie Wachteleier,
Avocados und Lachsrogen sicherstelle. Eine medikamentöse Zuführung des hohen Proteingehalts sei nicht möglich. Sie leide unter
Untergewicht.
Die Beklagte hat nach Einholung einer erneuten amtsärztlichen Stellungnahme im Klageverfahren eingewandt, Anhaltspunkte für
die Erforderlichkeit einer kostenaufwändigen Ernährung seien weiterhin nicht ersichtlich. Aufgrund der Weiterentwicklung der
Wissenschaft sei nun bekannt, dass eine ausgewogene Mischkost eine optimale Nährstoffversorgung gewährleiste, so dass die
Klägerin aus der bisherigen Anerkennung des Mehrbedarfs keinen Anspruch mehr herleiten könne.
Das SG hat Befundberichte des Facharztes für Innere Medizin Dr. F. vom 22.5.2017 sowie der Fachärztin für Allgemeinmedizin Noll
vom 28.4.2017 eingeholt.
Mit Urteil vom 24.7.2017 hat das SG die Klage abgewiesen, da das Krankheitsbild der Klägerin eine gesunde Mischkost bedinge. Das Untergewicht führe für sich
genommen noch nicht zur Notwendigkeit einer von der Vollkost abweichenden Ernährungsweise, da eine verzehrende Erkrankung
bei der Klägerin nicht diagnostiziert sei. Auch die Amyloidose erfordere eine Vollkosternährung, wie die amtsärztliche Stellungnahme
vom 11.8.2016 nachvollziehbar darlege und durch die Einschätzung des Dr. F. bestätigt werde. Dem Hilfsantrag auf Einholung
eines ärztlichen Sachverständigengutachtens sei nicht zu entsprechen gewesen, da der Sachverhalt aufgeklärt und im Übrigen
die Möglichkeit der Berufung als zweite Tatsacheninstanz eröffnet sei.
Die Klägerin hat am 29.8.2017 Berufung gegen das ihr am 4.8.2017 zugestellte Urteil des SG mit der Begründung eingelegt, sie benötige wöchentlich eine Spritze des Medikaments Enbrel. Für dessen Verarbeitung und infolge
ihrer Amyloidose sowie der Niereninsuffizienz sei sie auf eine kostenaufwändige Ernährung angewiesen.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt schriftsätzlich,
1. das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 24.7.2017, den Ablehnungsbescheid sowie den Änderungsbescheid vom 7.3.2016 der
Landeshauptstadt Hannover in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 26.9.2016 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, der Klägerin einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung für die Zeit ab dem 1.2.2016 zu gewähren,
2. hilfsweise ein ärztliches Sachverständigengutachten einzuholen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte wendet ein, die medikamentöse Behandlung erfolge seit mindestens Januar 2016 und sei daher bereits bekannt gewesen.
Gemäß der amtsärztlichen Stellungnahme nach Begutachtung der Klägerin vom 10.7.2018 sei ein Mehrbedarf für kostenaufwändige
Ernährung im vorliegenden Einzelfall weiterhin nicht erkennbar. Die frühere Berücksichtigung des Mehrbedarfs sei aufgrund
des damaligen Krankheitsbildes und der alten Begutachtungsrichtlinien erfolgt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten
der Beklagten verwiesen. Diese Akten haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte in Abwesenheit der Klägerin und ihrer Prozessbevollmächtigten entscheiden, da sie ordnungsgemäß zum Termin
zur mündlichen Verhandlung am 26.1.2021 geladen und auf die Möglichkeit einer Entscheidung auch im Falle ihrer Abwesenheit
hingewiesen worden sind. Die Beklagte hatte schriftsätzlich vorab mitgeteilt, nicht an der Verhandlung teilzunehmen.
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§
151 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§§
143,144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG), da die Klägerin wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (§
144 Abs.
1 Satz 1
SGG). Sie macht einen Anspruch auf Anerkennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung zukunftsoffen für die Zeit ab
dem 1.2.2016 geltend. Dabei ist unerheblich, dass die Klägerin hinsichtlich der Monate Februar und März 2016 nicht beschwert
ist und der streitgegenständliche Zeitraum am 31.7.2016 endet (dazu später). Als maßgeblich ist auf ihre Perspektive im Hinblick
auf das Urteil des SG abzustellen (vgl. Senatsbeschluss vom 29.9.2008 - L 8 SO 80/08 ER - juris Rn. 8), das den Zeitraum ab dem 1.2.2016 zukunftsoffen
als streitgegenständlichen Zeitraum zugrunde gelegt hat.
Die Klage ist teilweise begründet, da die LHH nicht berechtigt war, die zuletzt mit Änderungsbescheid vom 2.3.2016 bis zum
31.7.2016 bewilligten Leistungen zur Deckung des Mehrbedarfs an kostenaufwändiger Ernährung mit dem Änderungsbescheid vom
7.3.2016 für die Zeit vom 1.4.2016 bis 31.7.2016 aufzuheben. Im Übrigen, d.h. die Monate Februar und März 2016 sowie den Zeitraum
ab dem 1.8.2016 betreffend, ist die Klage schon nicht zulässig bzw. nicht begründet.
Die Klage richtet sich zu Recht gegen die beklagte Region. Zwar hat die LHH den hier angefochtenen Bescheid erlassen, sie
hat insoweit aber als herangezogene kommunale Körperschaft gemäß § 9 Abs. 4 des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum SGB XII (Nds. AG SGB XII, Fassung vom 16.12.2004 - Nds. GVBl. S. 604, außer Kraft seit 1.1.2020 durch Gesetz vom 24.10.2019, Nds. GVBl. S. 300) im
Namen und im Auftrag der beklagten Region (des örtlichen Trägers der Sozialhilfe, zur örtlichen Zuständigkeit s. unten) gehandelt,
die damit richtige Beklagte ist. Die mit § 8 Abs. 1 Satz 1 Nds. AG SGB XII ermöglichte Heranziehung von regionsangehörigen Städten und Gemeinden zur Durchführung der ihr als örtlichem Träger der Sozialhilfe
obliegenden Aufgaben nach dem SGB XII hat die Region Hannover mit § 1 der Satzung der Region Hannover über die Heranziehung vom 14.12.2004 in der Fassung vom 7.3.2006 umgesetzt. Die Beklagte
ist auch der für Leistungen der Grundsicherungen sachlich zuständige Leistungsträger (§§ 3 Abs. 2, 97 Abs. 1 SGB XII), weil eine Zuständigkeit des überörtlichen Trägers nicht gegeben ist (vgl. § 97 Abs. 2, 3 SGB XII; § 6 Abs. 2 Nds. AG SGB XII in der Fassung vom 14.12.2016 - Nds. GVBl. 2016, S. 272). Die örtliche Zuständigkeit der Beklagten für Leistungen an die
im Stadtgebiet der LHH wohnende Klägerin ergibt sich aus § 98 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nds. AG SGB XII.
Gegenstand des Verfahrens ist der Ablehnungsbescheid der LHH vom 7.3.2016 sowie der am gleichen Tag von ihr erlassene Änderungsbescheid
in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 26.9.2016 (§
95 SGG). Die Ausgangsbescheide bilden eine rechtliche Einheit im Sinne eines einheitlichen Bescheides zur Höhe der Grundsicherungsleistungen
in dem von den Verfügungen betroffenen Zeitraum (vgl. zur rechtlichen Einheit von Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden im
SGB II: BSG, Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R - juris Rn. 14). Mit dem Ablehnungsbescheid vom 7.3.2016 hat die LHH den Antrag der Klägerin vom 11.2.2016 auf weitere
Anerkennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung über den 31.3.2016 hinaus abgelehnt (dazu auch gleich). In Zusammenschau
hiermit ist der ebenfalls am 7.3.2016 erlassene Änderungsbescheid zu sehen, mit dem die LHH der Klägerin vom 1.4.2016 bis
zum 31.7.2016 (Ende des laufenden Bewilligungszeitraums) keine Leistungen zur Deckung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige
Ernährung mehr bewilligt hat; dies ist in der Bescheidbegründung ausdrücklich - auch optisch - hervorgehoben.
Soweit die Klage einen Anspruch auf höhere Grundsicherungsleistungen für die Monate Februar und März 2016 betrifft, ist sie
bereits unzulässig, weil das Vorverfahren als Voraussetzung für eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§§
54 Abs.
1 und 4, 56
SGG) fehlt (§
78 Abs.
1 Satz 1
SGG). Die angefochtene Entscheidung des Beklagten enthält keine Regelung über den Leistungsanspruch der Klägerin für die Monate
Februar und März 2016, auch nicht die Ablehnung des Antrags auf Berücksichtigung eines Mehrbedarfs vom 11.2.2016. Die Grundsicherungsleistungen,
auch diejenigen zur Deckung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung (für den Zeitraum fehlt der Klägerin damit
auch das Rechtsschutzbedürfnis), sind der Klägerin für diese Zeit durch Änderungsbescheide vom 4.1.2016 (für Februar 2016)
und 2.3.2016 (für März 2016, insoweit hat sich der Bescheid vom 4.1.2016 wegen der Bewilligung insgesamt höherer Leistungen
gemäß § 39 Abs. 2 SGB X erledigt) bewilligt worden. Diese (bestandskräftigen) Bescheide sind nicht Verfahrensgegenstand.
Bezogen auf den geltend gemachten Leistungsanspruch für den Zeitraum von April bis Juli 2016 ist allein die (isolierte) Anfechtungsklage
(§
54 Abs.
1 SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet (dazu später). Die Ablehnungsentscheidung bzw. der Änderungsbescheid
vom 7.3.2016 beinhaltet insoweit eine (Teil-)Aufhebung des Änderungsbescheids vom 2.3.2016 (s.o.) gemäß §§ 45 ff. SGB X und zwar betreffend den (zuletzt) noch anerkannten Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung. Zur Rechtsverfolgung genügt
die Anfechtung dieser Aufhebungsverfügung, weil die Klägerin im Falle des Erfolgs die geltend gemachten Leistungen aufgrund
des Änderungsbescheides vom 2.3.2016 beanspruchen könnte. Nach allgemeinen Grundsätzen (§§
133,
157 BGB) ist dieser Bescheid nämlich dahingehend auszulegen, dass der Klägerin Grundsicherungsleistungen für die Zeit von März bis
Juli 2016 einschließlich der Leistungen zur Deckung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung in einer monatlichen
(Gesamt-)Höhe von 930,74 € bewilligt worden sind. Dem steht die Formulierung im Verfügungssatz, die Klägerin habe einen Anspruch
auf Leistungen „für den Monat“ März 2016, nicht entgegen. Aus der weiteren Begründung ergibt sich eindeutig, dass sich die
Bewilligung bzw. Änderung „ab“ März 2016 wegen der Anrechnung der russischen Rente auf den aktuellen Bewilligungszeitraum
bis zum 31.7.2016 erstrecken sollte, auf den wegen des zeitlichen Umfangs der Änderung auch ausdrücklich hingewiesen worden
ist („den untenstehenden Bewilligungszeitraum“). Der Umstand, dass der Änderungsbescheid vom 7.3.2016 neben dem Ablehnungsbescheid
vom gleichen Tage erlassen worden ist, macht ebenfalls deutlich, dass die LHH selbst davon ausgegangen ist, durch den Bescheid
vom 2.3.2016 bereits eine Regelung des Leistungsfalls über den 31.3.2016 hinaus getroffen zu haben.
Die zur Durchsetzung des Anspruchs auf Leistungen zur Deckung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung für die
Zeit ab August 2016 erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§§
54 Abs.
1 und 4, 56
SGG) ist wiederum mangels Vorverfahrens unzulässig (§
78 Abs.
1 Satz 1
SGG). Die angefochtene Entscheidung enthält keine (isolierte) Regelung über die Ablehnung von Leistungen zur Deckung eines Mehrbedarfs
wegen kostenaufwändiger Ernährung, die sich auf den Zeitraum ab August 2016 erstreckt. Durch den Ablehnungsbescheid vom 7.3.2016
ist zwar der Antrag der Klägerin auf (Weiter-)Bewilligung dieser Leistungen vom 11.2.2016 abgelehnt worden. Nach ständiger
Rechtsprechung des Senats (seit Beschluss vom 11.12.2014 - L 8 SO 106/14 B - juris Rn. 7) handelt es sich bei einem Antrag
auf Gewährung eines Mehrbedarfs (wegen kostenaufwändiger Ernährung) aber um einen Antrag auf (höhere) Leistungen, über den
die Verwaltung nicht isoliert, also unabhängig von der Prüfung, ob laufende lebensunterhaltssichernde Sozialhilfeleistungen
zu bewilligen sind, abschlägig entscheiden kann. Die Ablehnung von Leistungen zur Deckung eines Mehrbedarfs (im Sinne eines
Teilbedarfs) ergibt sich in der Regel nicht aus einer isolierten Entscheidung über einen entsprechenden Antrag, sondern (ggf.
konkludent) aus einem Leistungsbescheid über den insgesamt berücksichtigten Bedarf (seit 1.7.2017 Gesamtbedarf i.S.d. § 43a SGB XII, eingeführt durch Gesetz vom 22.12.2016, BGBl. I 3159). Dies gilt auch hier. Die „Ablehnung“ der Mehrbedarfsleistungen ist
an sich durch die mit dem Änderungsbescheid der LHH vom 7.3.2016 verfügte Teilaufhebung ihres Bescheides vom 2.3.2016 betreffend
den Zeitraum April bis Juli 2016 (s.o.) erfolgt (zur rechtlichen Einheit der Bescheide vom 7.3.2016 s.o.).
Unterstellt, der Ablehnungsbescheid der LHH vom 7.3.2016 enthalte eine Ablehnung von Mehrbedarfsleistungen (i.S. eines Teilbedarfs)
ab dem 1.4.2016 (ohne zeitliche Begrenzung), hätte sich eine solche Verfügung für die Zeit ab dem 1.8.2016 wegen des für den
Zeitraum von August 2016 bis Juli 2017 ergangenen Bewilligungsbescheides vom 6.7.2016, der (ebenfalls) eine konkludente Ablehnung
des Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung beinhaltet, ohnehin gemäß § 39 Abs. 2 SGB X erledigt (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2007 - B 8/9b 12/06 R - juris Rn. 8).
Der Bewilligungsbescheid vom 6.7.2016 für den Folgezeitraum vom 1.8.2016 bis 31.7.2017 ist auch nicht gemäß §
86 SGG (analog) Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden. Zwar nimmt das BSG an, dass Bewilligungsbescheide, die vor Erlass des Widerspruchsbescheides ergehen und Folgezeiträume betreffen, in entsprechender
Anwendung des §
86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens werden (vgl. BSG, Urteil vom 17.6.2008 - B 8 AY 11/07 R - juris Rn. 10; Urteil vom 14.4.2011 - B 8 SO 12/09 R - juris Rn. 11; Urteil vom 9.12.2016
- B 8 SO 14/15 R - juris Rn. 11). Dies begründet das BSG damit, dass es sich um Höhenstreitigkeiten handelt, bei denen Grund und Höhe der Leistungen vollumfänglich zu prüfen sind
(so BSG, Urteil vom 14.4.2011, a.a.O.). Anders als im Falle des Erlasses von Bescheiden für Folgezeiträume erst während des laufenden
Gerichtsverfahrens, bei denen §
96 SGG eine Einbeziehung in das Klageverfahren nicht zulässt (vgl. hierzu etwa BSG, Urteil vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 12/06 R - juris Rn. 8 m.w.N.), gelte nicht der Einwand fehlender Prozessökonomie, da bis
zum Erlass des Widerspruchsbescheides die Verwaltung ohnedies das Verfahren in der Hand behalte und auch ohne weiteres alle
bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides ergangenen Bewilligungen überprüfen könne und müsse (BSG, Urteil vom 17.6.2008, a.a.O.). Diese Rechtsprechung ist hier allerdings nicht einschlägig, weil die angefochtene Entscheidung
als Aufhebungsverfügung (s.o.) Gegenstand einer isolierten Anfechtungsklage (§
54 Abs.
1 SGG) ist und keinen (typischen) Höhenstreit im Rahmen einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§
54 Abs.
1 und 4, 56
SGG) betrifft. Die Prüfung beschränkt sich hier auf die Frage, ob die (Teil-)Aufhebung des Bescheides der LHH vom 2.3.2016 betreffend
die Gewährung von Leistungen zur Deckung eines Mehrbedarfs rechtmäßig gewesen ist oder nicht.
Da der Klägerin erst durch das vorliegende Urteil deutlich geworden ist, dass der Bescheid vom 6.7.2016 nicht gemäß §
86 SGG analog Gegenstand des Verfahrens geworden ist, dürfte im Falle eines entsprechenden Antrages die Wiedereinsetzung in die
Widerspruchsfrist zu prüfen sein.
Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der für die Zeit vom 1.4.2016 bis 31.7.2016 erfolgten Leistungsbewilligung zur Deckung
des Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung liegen nicht vor. Der Änderungsbescheid vom 7.3.2016 ist rechtswidrig.
Zwar hatte die LHH die Bewilligung mit Bescheid vom 8.9.2014 bis zum 31.3.2016 befristet. Dennoch hatte sie der Klägerin zuletzt
mit Änderungsbescheid vom 2.3.2016 über den 31.3.2016 hinaus, nämlich bis zum Ablauf des Bewilligungszeitraumes am 31.7.2016,
Leistungen zur Deckung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung in Höhe von 20 % des Regelsatzes zuerkannt, auf
den nach den vorstehenden Ausführungen infolge des damit bewilligten Gesamtbetrages maßgeblich abzustellen ist. Der Aufhebungsbescheid
vom 7.3.2016 ist formell rechtmäßig, insbesondere hat die LHH die Klägerin vor seinem Erlass mit Schreiben vom 4.1.2016 zu
der beabsichtigten Aufhebung sinngemäß angehört. Hierin hat sie hinreichend deutlich gemacht, dass sie über den 31.3.2016
hinaus den Mehrbedarf nicht wie bisher anerkennen wird.
Der Aufhebungsbescheid vom 7.3.2016 ist jedoch materiell rechtswidrig, da die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Bewilligung
von Leistungen zur Deckung des Mehrbedarfs nicht vorliegen. Es handelt sich hierbei um eine Aufhebung für die Zukunft, nämlich
ab dem 1.4.2016. Die LHH war nicht berechtigt, die Bewilligung für die Monate April bis Juli 2016, die eine Begünstigung der
Klägerin darstellt, mit Änderungsbescheid vom 7.3.2016 aufzuheben, da die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 SGB X nicht erfüllt sind.
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen
eine wesentliche Änderung eintritt. Eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse liegt vor, wenn der Sachverhalt so, wie er
dem Verwaltungsakt zugrunde lag, nicht mehr gegeben ist (Brandenburg in jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, Rn. 61). Das Krankheitsbild der Klägerin hat sich jedoch bei Vergleich ihres Zustandes im August 2015 zu
März 2016 nicht verändert (vgl. hierzu Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 9 Aufl. 2020, § 48 Rn. 8). Hintergrund für die Ablehnung des Mehrbedarfs in der gutachterlichen Stellungnahme vom 1.3.2016 war nicht ein verändertes
Krankheitsbild, sondern insbesondere die Neufassung der Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
e.V. zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe in der 4. Auflage vom 10.12.2014 und die veränderte Lehrmeinung
vieler Diabetologen. Soweit die Beklagte im Laufe des Verfahrens vorgebracht hat, dass für die Klägerin von Vornherein, also
auch für die vorausgegangenen Zeiträume, ein zu hoher Mehrbedarf anerkannt worden war, bedingt dies ebenfalls keine Änderung
in den tatsächlichen Verhältnissen. Dies zeigt sich etwa daran, dass auch die nachträgliche Erkenntnis einer Fehldiagnose
keine nachträgliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse darstellen würde (BSG, Urteil vom 11.11.1987 - 9a RVs 1/87 - juris Rn. 10 m.w.N.; Urteil vom 13.2.2003 - B 2 U 25/11 R - juris Rn. 19). Die Neufassung der Empfehlungen des Deutschen Vereins, die kein antizipiertes Sachverständigengutachten
darstellen (BSG, Urteil vom 27.2.2008 – B 14/7b AS 64/06 R - juris Rn. 26), führt ebenfalls nicht zu einer Änderung, da die LHH bei Erlass des Änderungsbescheides am 2.3.2016 keine
gutachterliche Stellungnahme des amtsärztlichen Dienstes eingeholt bzw. vorliegen hatte (die entsprechende Stellungnahme ging
erst am 3.3.2016 bei der LHH ein). Die Neufassung der Empfehlungen des Deutschen Vereins stellt im Übrigen auch keine Änderung
der rechtlichen Verhältnisse dar, da es sich hierbei lediglich um eine Orientierungshilfe ohne Normcharakter (BSG, Urteil vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 64/06 R - juris Rn. 26, 28; Urteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - juris Rn. 22, 23) und damit nicht um gesetzliche Vorschriften handelt.
Eine Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 2.3.2016 ist auch nicht gemäß § 45 SGB X gerechtfertigt. Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, soweit er ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt
hat, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Voraussetzungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit
Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Selbst wenn der Bescheid vom 2.3.2016 anfänglich rechtswidrig
wäre, weil die Beklagte offenbar die am 10.12.2014 überarbeiteten Empfehlungen des Deutschen Vereins und die damit verbundenen
Änderungen nicht berücksichtigt hat und schon bei Erlass des Beschlusses vom 2.3.2016 keinen Mehrbedarf hätte anerkennen dürfen,
kann sich die Klägerin gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X auf Vertrauensschutz berufen. Ihr Krankheitsbild hatte sich nicht verändert, auf die überarbeiteten Empfehlungen war die
Klägerin bis dato nicht aufmerksam gemacht worden, so dass weder § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 noch Nr. 3 SGB X einschlägig sind. Jedenfalls (selbst bei Verneinen eines Vertrauensschutzes der Klägerin) hat die LHH das ihr zustehende
Ermessen hinsichtlich der Rücknahme des Änderungsbescheides vom 2.3.2016 bei Erlass des Änderungsbescheides vom 7.3.2016 nicht
ausgeübt (zum sog. Rücknahmeermessen vgl. etwa BSG, Urteil vom 23.3.2010 - B 8 SO 12/08 R - juris Rn. 10 m.w.N.). Weder hat sie die Klägerin hierzu angehört noch hat sie im
Verwaltungsverfahren deutlich gemacht, das Bestehen von Ermessen erkannt zu haben (Ermessensnichtgebrauch).
Der Hilfsantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens bleibt erfolglos, da es im Hinblick auf den im Rahmen der Anfechtungsklage
zu prüfenden Streitgegenstand keiner weiteren Klärung des medizinischen Sachverhalts bedurfte.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin zukunftsoffen ab dem 1.2.2016 die Anerkennung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger
Ernährung beansprucht hat. Da sie nur in Bezug auf vier Monate Erfolg mit ihrer Klage hatte, fällt dieser Erfolg in Relation
zum Begehr nicht wesentlich ins Gewicht.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG) zugelassen, weil über die Zulässigkeit einer isolierten Ablehnung eines Antrages auf Mehrbedarfsleistungen nach dem Dritten
oder Vierten Kapitel des SGB XII und die Einbeziehung von späteren (Bewilligungs-)Bescheiden nach Aufhebung einer Leistungsbewilligung nach §
86 SGG (analog) noch nicht höchstrichterlich entschieden ist.