Vorläufiger Rechtsschutz
Gewährung von Leistungen nach dem SGB II im Rahmen der Folgenabwägung in Form des Regelbedarfs zur Sicherung des Lebensunterhalts für bulgarische Staatsangehörige
(Arbeitssuche in Deutschland)
Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGG
Gründe
Die zulässige Beschwerde der Antragsteller ist auch begründet.
Zu Unrecht hat das Sozialgericht es abgelehnt, den aus Bulgarien stammenden Antragstellern gestützt auf § 7 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgesetzbuches (SGB) II Leistungen nach dem SGB II zu versagen.
Bei der Prüfung, ob die Antragsteller nach der genannten Vorschrift von den Leistungen des SGB II ausgeschlossen sind oder ob § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II aufgrund der unmittelbaren Anwendbarkeit des Artikel IV VO (EG) 838/2004 hinter diese zurücktritt, handelt es sich um umstrittene
Rechtsfragen, die in Rechtsprechung und Literatur bisher nicht einheitlich beantwortet sind (vgl. hierzu Beschluss des LSG
NRW vom 21.05.2014 - L 7 AS 652/14 B ER m.w.N. und Beschlüsse des erkennenden Senats vom 20.12.2013 - L 12 AS 2265/13 B ER - und vom 19.03.2013 -L 12 AS 1023/13 B ER-). Die Komplexität der gesetzlichen Regelungen unter Berücksichtigung der Einwirkungen der europarechtlichen Rechtsnormen
auf die nationalen Gesetze lässt sich auch dem beim BSG unter dem Aktenzeichen B 4 AS 9/13 R geführten Verfahren entnehmen. Das BSG hat das Verfahren nach Artikel 267 Abs. 1 und 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union ausgesetzt, um eine Vorabentscheidung des EuGH zu verschiedenen Fragen einzuholen, u.a. ob das Gleichbehandlungsgebot des
Artikel IV VO (EG) 883/2004 mit Ausnahme des Exportausschlusses des Artikel 70 Abs. 4 VO (EG) 883/2004 auch für die besonderen
beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne von Artikel 70 Abs. 1, 2 VO (EG) 883/2004 gilt (BSG, EuGH-Vorlage vom 12.12.2013- B 4 AS 9/13 R -). Aufgrund der Komplexität der bei Subsumtion des Sachverhalts zu klärenden Rechtsfragen kann die Rechtslage in einem
einstweiligen Rechtschutzverfahren nicht abschließend beurteilt werden, sodass anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden
ist (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05).
Diese Folgenabwägung fällt zu Gunsten der Antragsteller aus. Hierbei sind insbesondere die Bedeutung der beantragten Leistungen
für die Antragsteller gegen die fiskalischen Interessen des Antragsgegners, die vorläufig erbrachten Leistungen im Fall des
Obsiegens in der Hauptsache möglicherweise nicht zurückzuerhalten, abzuwägen. Das Interesse des Antragsgegners muss im konkreten
Fall hinter den Interessen der Antragsteller zurücktreten. In Anbetracht dessen, dass die Leistungen der Grundsicherung für
Arbeitssuchende nach dem SGB II der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen, kann den Antragstellern in dem Lichte des Artikels 1 i.V.m. Artikel
19 Abs.
4 GG verankerten Gebotes effektiven Rechtschutzes und der Menschenwürde nicht zugemutet werden, ohne jede staatliche Existenzsicherung
eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (LSG NRW Beschluss vom 03.04.2013 - L 7 AS 2403/12 B).
Auch das Votum des Generalanwalts X zu seinen Schlussäntragen vom 20.05.2014 bei dem EuGH in der Rechtssache zu dem AZ C -
333/13 zeigt in gleicher Weise in seiner Umfänglichkeit und Komplexität auf, dass die Beurteilung der entscheidenden Rechtsfrage
des Leistungsausschlusses offen ist und in dem vorliegenden einstweiligen Verfahren nicht zuverlässig beantwortet werden kann.
Die Entscheidungsfindung reduziert sich daher auf die nach dem Beschluss des BVerfG vorzunehmende und vorliegend dargestellte
Folgenabwägung.
Der für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nach §
86 b Abs.
2 SGG erforderliche Anordnungsgrund ergibt sich für die mittellosen Antragsteller aus der Eigenschaft der streitigen Leistungen
als Existenzsicherung zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens.
Der Leistungsbeginn 27.05.2014 ergibt sich aus dem Umstand, dass an diesem Tag der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen
Anordnung beim Sozialgericht Düsseldorf eingegangen ist und in Eilverfahren der Grundsatz gilt, dass Leistungen nicht für
einen vor diesem Tag liegenden Zeitraum zu bewilligen sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Da das Verfahren aus den dargestellten Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, war den Antragstellern bei Vorliegen
der Voraussetzungen im Übrigen - Bedürftigkeit und fehlende Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung - Prozesskostenhilfe zu bewilligen
(§§ 73a
SGG, 114 ff
ZPO).
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).