Gründe
I.
Streitig ist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Klageverfahren, in dem die Kläger vom Beklagten höhere Regelleistungen
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum April bis September 2011 begehren.
Die 1961 und 1964 geborenen Kläger zu 1) und 2) stehen mit ihrer 1989 geborenen Tochter, der Klägerin zu 3), bei dem Beklagten
im Bezug von laufenden Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 09.11.2011 bewilligte der Beklagte Leistungen für den Zeitraum vom 01.04.2011 bis 30.09.2011. Einen Antrag
der Kläger vom 23.02.2012 auf Überprüfung dieses Bescheides gem. § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 29.02.2012 und Widerspruchsbescheid vom 02.05.2012 ab. Hiergegen haben die Kläger am
01.06.2012 Klage beim Sozialgericht Dortmund mit dem Begehren höherer Leistungen erhoben und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
gestellt. Sie machen geltend, dass die ab Januar 2011 geltenden Regelsätze nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
aus seiner Entscheidung vom 09.02.2010 entsprächen und daher verfassungswidrig seien.
Das SG hat den PKH-Antrag mit Beschluss vom 25.07.2012 abgelehnt. Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage bestehe nicht. Die
von den Klägern geltend gemachte Verfassungswidrigkeit des neuen Regelbedarfs sei nicht ersichtlich. Das Gericht vermöge unter
Berücksichtigung des dem Gesetzgeber bei der Festlegung der Regelbedarfe zustehenden Gestaltungsspielraums hinreichende Anhaltspunkte
für eine Verfassungswidrigkeit des ab 01.01.2011 für alleinstehende Leistungsberechtigte geltenden Regelbedarfs nicht zu erkennen.
Gegen den ihnen am 30.07.2012 zugestellten Beschluss haben die Kläger am 23.08.2012 Beschwerde eingelegt und sich insbesondere
auf ihr bisheriges Vorbringen bezogen. Die Klage habe hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Die Kläger führen für andere Bewilligungszeiträume weitere Klageverfahren vor dem Sozialgericht. Über die dortigen Anträge
auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nach dem derzeitigen Aktenstand bisher nicht entschieden worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsakten des
Beklagten und der Akten der Verfahren S 27 AS 2206/12, S 27 AS 2207/12, S 27 AS 2209/12 und S 27 AS 3198/12 verwiesen. Dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Zu Unrecht hat es das Sozialgericht abgelehnt, den Klägern Prozesskostenhilfe für das vorliegende Klageverfahren zu bewilligen.
Voraussetzung für die Gewährung von PKH ist nach §
73 a Abs.1 Satz 1 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) i.V.m. §
114 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) unter anderem, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig sowie
die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint (§§ 73a, 121 Abs. 2
ZPO).
Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht nach vorläufiger Prüfung (vgl. hierzu BVerfG Beschluss vom 07.05.1997
- 1 BvR 296/94 - NJW 1997, 2745) den Standpunkt des Antragstellers auf Grund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder
doch für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer
in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl. 2012, §
73a Rn 7a; ständige Rspr des erkennenden Senats, z.B. Beschluss vom 16.11.2011 - L 12 AS 1526/11 B). Der Erfolg braucht nicht sicher zu sein, muss aber nach den bisherigen Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für
sich haben. Ist ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte,
ist der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abzulehnen (vgl. BSG Beschluss vom 17.02.1998 - B 13 RJ 83/97 R - SozR 3-1750 § 114 Nr. 5; BVerfG Beschluss vom 14.04.2003 - 1 BvR 1998/02 - NJW 2003, 296; BVerfG Beschluss vom 29.09.2004 - 1 BvR 1281/04 - NJW-RR 2005, 140). Wird eine Rechtsfrage aufgeworfen, die in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, aber klärungsbedürftig ist, muss PKH ebenfalls
bewilligt werden. Klärungsbedürftig in diesem Sinn ist nicht bereits jede Rechtsfrage, die noch nicht höchstrichterlich entschieden
ist. Vielmehr ist maßgeblich, ob die entscheidungserhebliche Rechtsfrage im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung
oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen schwierig erscheint (BVerfG Beschluss vom
13.03.1990 - 2 BvR 94/88 [...] Rn 29 - BVerfGE 81, 347). Ist dies der Fall muss die bedürftige Person die Möglichkeit haben, ihren Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren zu vertreten
und ggf. Rechtsmittel einlegen zu können (BVerfG Beschluss vom 10.12.2001 - 1 BvR 1803/97 [...] Rn 9 - NJW-RR 2002, 793).
Streitig ist im vorliegenden Verfahren die Höhe der zu bewilligenden Regelleistungen im Zeitraum April bis September 2011
(im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens). Der Senat hat bereits entschieden, dass es sich bei der Frage, ob auch die ab 01.01.2011
geltenden höheren Regelsätze verfassungswidrig sind, um eine schwierige, bisher nicht höchstrichterlich geklärte Rechtsfrage
handelt. Einem diesbezüglichen Verfahren kann nicht von vornherein die hinreichende Erfolgsaussicht abgesprochen werden (vgl.
Beschluss des erkennenden Senats vom 04.01.2012 - L 12 AS 2100/11 B m.w.N.; vgl. auch LSG NRW Beschluss vom 28.09.2012 - L 6 AS 1895/11 B; Beschluss vom 09.08.2012 - L 7 AS 617/12 B; Beschluss vom 06.08.2012 - L 19 AS 734/12 B, aA Beschluss vom 15.12.2011 - L 2 AS 1774/11 B). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass das BSG mit Urteil vom 12.07.2012 (Verfahren B 14 AS 153/11 R) die Höhe des Regelbedarfs für Alleinstehende für verfassungsgemäß angesehen und eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht
abgelehnt hat. Unabhängig von der Frage, ob die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Regelsätze letztlich vom Bundesverfassungsgericht
zu entscheiden ist (vgl. hierzu LSG NRW Beschluss vom 28.09.2012 - L 6 AS 1895/11 B; Beschluss vom 09.08.2012 - L 7 AS 617/12 B), kann die bisher ergangene Entscheidung des BSG zu den Regelsätzen für Alleinstehende, die bei Entscheidungsreife des PKH-Antrags im vorliegenden Fall noch nicht vorlag,
nicht unmittelbar auf den Fall der in Bedarfsgemeinschaft lebenden Kläger übertragen werden.
Die Beiordnung des Rechtsanwalts der Kläger ist auch erforderlich im Sinn von §§ 73a
SGG i.V.m. §
121 Abs.
2 ZPO. Die Erforderlichkeit im Sinne des §
121 Abs.
2 ZPO beurteilt sich nach dem Umfang und der Schwierigkeit der Sache sowie nach der Fähigkeit des Beteiligten, sich mündlich und
schriftlich auszudrücken. Entscheidend ist, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt
mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn im Kenntnisstand und in
den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht. Ein vernünftiger Rechtsuchender wird regelmäßig
einen Rechtsanwalt einschalten, wenn ihm rechtskundige und prozesserfahrene Vertreter einer Behörde gegenüberstehen und er
nicht ausnahmsweise selbst über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, um das Verfahren in jedem Stadium durch sachdienlichen
Vortrag und Anträge effektiv fördern zu können (BVerfG Beschluss vom 24.03.2011 - 1 BvR 1737/10 Rn 16, 18 m.w.N.). Eine andere Bewertung kann dann gelten, wenn der Rechtsuchende mehrere parallele Verfahren betreibt. Lässt
sich die anwaltliche Beratung ohne wesentliche Änderungen auf die übrigen Fälle übertragen, so gebietet es das Grundrecht
auf Rechtsschutzgleichheit nicht, dem unbemittelten Rechtsuchenden für jeden Gegenstand erneut einen Rechtsanwalt beizuordnen
(BVerfG Beschluss vom 30.05.2011 - 1 BvR 3151/10 Rn 16).
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist den Klägern für das vorliegende Verfahren ein Rechtsanwalt beizuordnen. Die Fragen der
Verfassungsmäßigkeit der Regelsätze sind derart komplex, dass auch ein vernünftiger Rechtsuchender hierfür im Rechtsstreit
mit der die Leistungen bewilligenden Behörde, die rechtskundig vertreten eine Fülle derartiger Verfahren führt, regelmäßig
einen Rechtsanwalt einschalten würde. Den Klägern kann dabei nicht entgegengehalten werden, dass es bereits "Musterverfahren"
beim Bundessozialgericht zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelsätze gibt (so auch LSG NRW Beschluss vom 28.09.2012
- L 6 AS 1895/11 B, a.A. LSG NRW Beschluss vom 06.08.2012 - L 19 AS 734/12 B). Die Erforderlichkeit der Beiordnung ist aus der individuellen Sicht des unbemittelten Rechtsuchenden zu prüfen. Diesem
kann auch bei einem bereits anhängigen "Musterverfahren" nicht generell das Recht abgesprochen werden, ein eigenes Verfahren
zu führen. Zum einen bedarf der unbemittelte Rechtsuchende fachkundiger anwaltlicher Beratung, ob die bei ihm bestehende Fallkonstellation
tatsächlich der der "Musterverfahren" entspricht (vgl. auch BVerfG Beschluss vom 08.02.2012 - 1 BvR 1120/11 m.w.N. zum Beratungsbedarf in der Frage, ob Verfahren als parallel anzusehen sind). Konkret in der hier von den Klägern aufgeworfenen
Frage ist die Beurteilung der Parallelität für juristische Laien schwierig. Hinzuweisen ist auf die unterschiedlichen Ansatzpunkte
im Meinungsstand zur eventuellen Verfassungswidrigkeit der Regelsätze, die u.a. nach den betroffenen Leistungsempfängern (Alleinstehender,
Partner, minderjährige Kinder) differenziert. Darüber hinaus ist dem unbemittelten Rechtsuchenden auch nicht möglich zu prüfen,
ob eine Entscheidung zu der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage in den bereits anhängigen - auf seinen Fall passenden - "Musterverfahren"
voraussichtlich tatsächlich ergehen wird oder ob der Rechtsstreit gegebenenfalls aus sonstigen Gründen vom BSG offengelassen werden oder an das Instanzgericht zurückverwiesen werden kann bzw. muss. Im Bereich der Leistungsbewilligung
nach dem SGB II wird die begehrte höchstrichterliche Beantwortung einer bestimmten Rechtsfrage angesichts der Vielzahl der zu klärenden Einzelvoraussetzungen
auch in "Musterverfahren" oftmals nicht erlangt (vgl. z.B. BSG Urteil vom 25.01.2012 - B 4 AS 131/11 R). Auch für diese Beurteilung bedarf der rechtsunkundige Leistungsempfänger der Hilfe eines Anwalts.
Der Notwendigkeit, den Klägern einen Rechtsanwalt beizuordnen, steht vorliegend nicht entgegen, dass sie weitere Verfahren
mit gleichen Fallgestaltungen für lediglich unterschiedliche Zeiträume vor dem Sozialgericht führen. Bisher ist den Klägern
nach dem Aktenstand Prozesskostenhilfe für kein anderes Verfahren bewilligt worden.
Die Kläger sind ausweislich ihrer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage, die
Prozesskosten selbst aufzubringen (§
115 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
73 a Abs.
1 Satz 1
SGG in Verbindung mit §
127 Abs.
4 ZPO.
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).