Vorläufige Gewährung von Leistungen in Form der Regelleistung vor dem Hintergrund der Anwendbarkeit des Leistungsausschluss
nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II
Beschwerde gegen die Eilentscheidung zugunsten der Arbeitssuchenden
Prüfung des Rechtsschutzbedürfnisses hinsichtlich der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
Gründe
I.
Im zugrunde liegenden Verfahren streiten die Beteiligten vor dem Hintergrund der Anwendbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
des Sozialgesetzbuches (SGB) II um die Gewährung von Leistungen in Form der Regelleistung für den Antragsteller zu 2).
Die Antragsteller stammen aus Polen. Im Oktober 2013 beantragte die Antragstellerin zu 1) für sich und ihre beiden Kinder
(Antragsteller zu 3) und 4)) sowie ihren Lebensgefährten, den Antragsteller zu 2) Leistungen nach dem SGB II. Ausweislich einer Gesprächsnotiz vom 11.10.2013 wurde der Antragstellerin zu 1) erklärt, ihre Kinder seien in den ersten
drei Monaten nach der Einreise und ihr Lebenspartner vom Leistungsbezug ganz ausgeschlossen. Mit Bescheid vom 14.10.2013 wurden
sodann vorläufig Leistungen für die Zeit vom 01.10.2013 bis 31.03.2014 i. H. v. 801,50 Euro monatlich für die Antragstellerin
zu 1) und die Antragsteller 3) und 4) bewilligt. Die Leistungen umfassten Regelleistungen und Bedarfe für Unterkunft und Heizung
(KdU). Die vorläufige Bewilligung wurde mit schwankendem Einkommen begründet. Nach Wegfall der Erwerbstätigkeit der Antragstellerin
zu 1) zum 29.11.2013 wurden mit Bescheid vom 19.11.2013 ab 01.12.2013 bis 31.03.2014 monatlich 1.211,50 Euro für die Antragstellerin
zu 1) und die Antragstellerin zu 3) und 4) bewilligt (Änderungsbescheid hierzu wegen Anpassung der Miethöhe für die Zeit ab
01.01.2014 bis 31.01.2014 mit Datum vom 17.01.2014).
Am 13.02.2014 beantragte die Antragstellerin zu 1) die Weiterbewilligung von Leistungen für die Zeit ab 31.03.2014. Die Bewilligung
erfolgte zunächst mit Bescheid vom 14.02.2014 für den Zeitraum 01.04.2014 bis 30.09.2014 vorläufig, ein Änderungsbescheid
hierzu datiert vom 21.02.2014. Weitere Änderungsbescheide datieren vom 11.03.2014 und 17.03.2014.
Gegen den Änderungsbescheid vom 17.03.2014, mit dem der Antragsgegner ausführte, er bewillige für die Zeit vom 01.03.2014
bis 31.03.2014 aufgrund eingetretener Änderungen Leistungen i. H. v. 762,30 Euro, legten die Antragsteller am 02.04.2014 Widerspruch
ein. Zur Begründung führten sie aus, es werde nicht die gesamte Entscheidung für fehlerhaft gehalten, die Rechtswidrigkeit
ergebe sich allein aus dem Umstand, dass der Antragsteller zu 2) keine Leistungen erhalte. Es dürfte kein Ausschlusstatbestand
nach § 7 SGB II greifen. Er sei als EU-Ausländer freizügigkeitsberechtigt und daher nicht vom Leistungsausschluss betroffen. Im Übrigen wurde
hinsichtlich vergangener Zeiträume ein Antrag nach § 44 SGB X gestellt.
Am 07.04.2014 ersuchten die Antragsteller beim Sozialgericht Detmold um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Zur Begründung
wiederholten sie ihr Vorbringen aus dem genannten Widerspruch.
Klarstellend wiesen sie darauf hin, dass die Leistungen nach dem SGB II in Form der Regelleistung begehrt würden.
Der Antragsgegner vertrat die Auffassung, dem Antrag fehle es am Rechtschutzbedürfnis. Die in dem Verfahren gestellten Anträge
bezögen sich auf bereits abgeschlossenen Leistungszeiträume aus der Vergangenheit.
Hierauf erwiderten die Antragsteller, mit dem Widerspruch vom 02.04.2014 sei auch ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt worden, der sich insbesondere auf den Änderungsbescheid vom 21.02.2014 beziehe, der wiederum den Zeitraum vom 01.04.2014
bis 30.09.2014 umfasse. Im Übrigen sei für eine Regelungsanordnung ein Widerspruch keine zwingende Voraussetzung.
Mit Beschluss vom 16.05.2014 hat das Sozialgericht Detmold den Antragsgegner verpflichtet, dem Antragsteller zu 2) Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II i. H. der ihm zustehenden Regelleistung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ab 07.04.2014 (Eingang des Eilantrags
bei Gericht) längstens bis zum 30.07.2014 zu gewähren und im Übrigen den Eilantrag zurückgewiesen. Hinsichtlich des Antragstellers
zu 2) lägen die Voraussetzungen des §
86b Abs.
2 Satz 1 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) vor. Der Anordnungsanspruch sei gegeben, weil die Antragsteller hilfebedürftig seien. Für die vom Antragsteller zu 2) abgesehen
übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft habe der Antragsgegner dies nicht in Frage gestellt. Auch die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen
des § 7 Abs. 1 SGB II seien gegeben. Bei der Frage, ob der Antragsteller zu 2) nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei, weil er sich allein zum Zweck der Arbeitssuche in Deutschland aufhalte, ob das Europäische Fürsorgeabkommen
(EFA) durch den von der BRD erklärten Vorbehalt außerkrafttrete oder ob § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II aufgrund der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 4 VO (EG)883/2004 hinter diesem zurücktrete, handele es sich um umstrittene Rechtsfragen, die bisher in Rechtsprechung und
Literatur nicht einheitlich beantwortet seien. Aufgrund der Komplexität dieser Rechtsfragen könne in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren
keine abschließende Entscheidung getroffen werden, sodass anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden sei. Diese falle im Hinblick
auf die Existenzsicherung der streitigen Leistungen für den Antragsteller zu 2) aus. Ohne die Gewährung der Leistungen drohten
existenzielle Nachteile, die aus eigener Kraft nicht abgewendet werden könnten. Weil eine Entscheidung durch den EuGH noch
Jahre dauern könnte, sei wegen der Dringlichkeit eine Eilentscheidung zu Gunsten der Antragsteller geboten.
Der Beschluss wurde dem Antragsgegner am 21.05.2014 zugestellt.
Hiergegen richtet sich seine Beschwerde vom 27.05.2014. Der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung sei auch
hinsichtlich des Antragstellers zu 2) abzulehnen. Es fehle dem Antrag bereits am Rechtschutzbedürfnis. Die gestellten Anträge
bezögen sich lediglich auf zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits abgeschlossene Leistungszeiträume aus der Vergangenheit.
Eine Hauptsache, auf die sich künftige Leistungszeiträume bezögen, liege derzeit nicht vor. Der Widerspruch vom 02.04.2014
richte sich gegen einen Änderungsbescheid vom 17.03.2014, der sich allein auf dem Leistungszeitraum 01.03.2014 bis 31.03.2014
beziehe. Der Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X sei im Hinblick auf vergangene Zeiträume gestellt worden. Der Beschluss des Sozialgerichts befasse sich nicht mit diesem
bereits in der 1. Instanz gehaltenen Vortrag des Antragsgegners. Im Übrigen sei der Tenor des Beschlusses nicht sachgerecht,
da er keine zeitliche Beschränkung auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens enthalte.
Die Antragsteller beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Auffassung des Antragsgegners werde nicht geteilt. Der Überprüfungsantrag sei im Bezug auf laufende Bewilligungszeiträume
gestellt worden.
Wegen der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte, die der
Senat beigezogen hat und deren Inhalt er seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat sowie auf den Vortrag der Beteiligten im
Übrigen Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben, sie ist aber nicht begründet.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners fehlt es dem Begehren auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes nicht am Rechtschutzbedürfnis.
Zwar ist dem Antragsgegner darin Recht zu geben, dass der mit dem Widerspruch vom 02.04.2014 angefochtene Änderungsbescheid
vom 17.03.2014 sich nur auf den Leistungszeitraum März 2013 bezieht, also einen bei Eingang des Antrags auf Gewährung vorläufigen
Rechtschutzes beim Sozialgericht Detmold in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, jedoch haben die Antragsteller zeitgleich
einen Antrag auf Überprüfung bindend gewordener Bescheide nach § 44 SGB X gestellt. In dieser Konstellation ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht generell ausgeschlossen (vgl. hierzu
Keller in Meyer-Ladewig,
SGG, 10. Auflage 2012 §
86b Rdz. 29c). Dieser Antrag ist unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsprinzips auszulegen nach dem Begehren der Antragsteller.
Das Begehren der Antragsteller ist gerichtet auf die Einbeziehung des Antragstellers zu 2) in die Leistungsbewilligung für
die Zeit ab 01.10.2013. Hierbei handelt es sich zwar wiederrum um einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, jedoch hat
das Sozialgericht die Leistungsbewilligung im Rahmen des vorläufigen Rechtschutzverfahrens auf die Zeit ab Eingang des Antrags
beim Sozialgericht Detmold am 07.04.2014 beschränkt. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist auch dieser Zeitraum noch
streitgegenständlich, denn der vom Antrag nach § 44 SGB X umfasste Änderungsbescheid vom 21.02.2014 bewilligt Leistungen für die Zeit von April bis September 2014, umfasst damit noch
einen laufenden Leistungszeitraum. Dieser Änderungsbescheid war bereits am 07.04.2014 bindend, da er nicht mit dem Widerspruch
angefochten wurde, denn dieser bezog sich expressis verbis nur auf den Bescheid vom 17.03.2014. Der Änderungsbescheid vom
21.02.2014 wurde mangels entgegenstehender Angaben als einfacher Brief zur Post gegeben. Geht man davon aus, dass die Aufgabe
zur Post am 22.02.2014 erfolgte, gilt dieser Verwaltungsakt nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X am dritten Tag nach Aufgabe zur Post, also am 25.02.2014 als zugestellt. Die einmonatige Widerspruchsfrist des §
84 Abs.
1 Satz 1
SGG begann damit am 26.02.2014 zu laufen und endete mit Ablauf des 25.03.2014. Der Bescheid war damit am 02.04.2014 bindend und
somit vom Zugunstenantrag umfasst. Mit dem Antragsgegner ist zwar davon auszugehen, dass in der Regel der Zugunstenantrag
sich auf einen Bescheid bezieht, der einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt umfasst, jedoch zeigt die vorliegende
Fallkonstellation, dass dies nicht zwingend ist. Die Gewährung vorläufigen Rechtschutzes kann daher nach Auffassung des erkennenden
Senats in dieser Fallkonstellation nicht mit dem Hinweis versagt werden, es fehle dem Eilverfahren am Rechtschutzbedürfnis.
Eine abweichende Beurteilung ergibt sich nach Auffassung des Senats auch nicht aus dem Umstand, dass der Antragsgegner den
Antrag nach § 44 SGB X noch nicht beschieden hat. Zwar muss sich der Antragsteller i. d. R. zunächst an die Verwaltung wenden und dort einen Leistungsantrag
stellen, jedoch kann ausnahmsweise dann, wenn noch kein förmlicher Antrag auf Leistung gestellt ist, bereits ein Rechtschutzbedürfnis
bestehen, wenn die Sache eilig ist und der Antragsteller aus besonderen Gründen mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen
kann, bei der Behörde kein Gehör zu finden (vgl. hierzu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum
SGG, 10. Auflage 2012 §
86b Rdz. 26b m. w. N.). Nach Ansicht des erkennenden Senats gilt diese Ausnahme erst recht, wenn der Antrag gestellt wurde, aber
noch nicht beschieden ist. Angesichts der existenzsichernden Leistungen ist es dem Antragsteller zu 2) nicht zumutbar, die
Bescheidung des Antrags abzuwarten. Im zugrunde liegenden Sachverhalt ist auch der Ausnahmefall gegeben, dass der Antragsteller
davon ausgehen kann, seinem Begehren beim Antragsgegner nicht durchzudringen. Ausweislich der Gesprächsnotiz vom 11.10.2013
hatte der Antragsgegner der Antragstellerin zu 1) bekanntgegeben, der Auffassung zu sein, der Antragsteller zu 2) sei vom
Leistungsbezug gänzlich ausgeschlossen. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner seine Rechtsansicht in diesem Punkt geändert
hat und daher mit einer positiven Bescheidung des Überprüfungsantrages zu rechnen sei, liegen nicht vor.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist es auch für die Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
nicht erforderlich, dass ein Hauptsacheverfahren bereits anhängig ist (vgl. hierzu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
a. a. O. ldz. 26d).
Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass das Sozialgericht im Tenor des Urteils keine Begrenzung
der Leistungsgewährung auf den Abschluss des Hauptsacheverfahrens vorgenommen hat. Eine solche zeitliche Begrenzung ist nur
sinnvoll, wenn bereits ein Hauptsacheverfahren anhängig ist, was jedoch, wie vorstehend ausgeführt, nicht zwingend erforderlich
ist. Angesichts dessen ist es sachgerecht und ausreichend, die Verpflichtung zur Leistungsgewährung zeitlich zu begrenzen,
was vorliegend vom Sozialgericht mit Festsetzung des Leistungszeitraums bis 30.07.2014 erfolgt ist. Klarstellend hat der Senat
auf die Vorläufigkeit der Leistungsgewährung im Beschlusstenor hingewiesen, auch wenn dies bereits dem Wesen der Gewährung
vorläufigen Rechtschutzes entspricht.
Soweit der Antragsgegner im materiell rechtlicher Hinsicht der Auffassung ist, dem Antragsteller zu 2) stünden wegen der Vorschrift
des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II keine Leistungen mehr zu, verweist der Senat vollumfänglich auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung
und die hierzu vertretene Rechtsansicht. Sie entspricht der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. hierzu z.
B. Beschlüsse des Senats vom 25.06.2014 - L 12 AS 232/14 B ER - und vom 20.08.2014 - L 12 AS 1393/14 B ER - m. w. N.).
Ergänzend und klarstellend weist der Senat in dem Zusammenhang darauf hin, dass auch das Votum des Generalanwaltes Wathelet
zu seinen Schlussanträgen vom 20.05.2014 bei dem EuGH in der Rechtssache zu dem Aktenzeichen C - 333/13 in gleicher Weise
in seiner Umfänglichkeit und Komplexität aufzeigt, dass die Beurteilung der entscheidenden Rechtsfragen des Leistungsausschlusses
offen ist und in den vorliegenden einstweiligen Verfahren nicht zuverlässig beantwortet werden kann. Die Entscheidungsfindung
reduziert sich daher weiterhin auf den Beschluss des BVerfG vorzunehmende und vom Sozialgericht aufgezeigte Folgenabwägung.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.