Zahlbarmachung der Renten von Ghettobeschäftigten als rassisch Verfolgte des NS-Regimes
Antrag und Anspruchsbeginn
Tatbestand
Streitig ist der Beginn einer der Klägerin zustehenden Regelaltersrente nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus
Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).
Die Klägerin wurde am 00.00.1928 in Rumänien geboren. Sie ist jüdischen Glaubens. Sie lebt in Israel und ist israelische Staatsbürgerin.
Am 17.07.1988 stellte die Klägerin in Israel einen Antrag auf eine Hinterbliebenenrente.
Am 11.10.2002 beantragte sie durch ihren nunmehrigen Bevollmächtigten bei der Beklagten eine Rente nach dem ZRBG ab dem 01.07.1997.
Weitere Informationen vermittelte sie auch auf Nachfrage der Beklagten nicht. Am 03.03.2004 nahm die Klägerin den Antrag (wiederum
durch ihren Bevollmächtigten) zurück.
Am 12.10.2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten "die Überprüfung (des) Ablehnungsbescheides nach § 44 SGB X und die Anerkennung von Beitragszeiten sowie die Rentenzahlung nach dem ZRBG". Sie verwies in diesem Zusammenhang auf die
neue Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Die Klägerin gab in diesem Zusammenhang an, im Zeitraum von März 1943 bis März 1944 im Ghetto Tropowa in Transnistrien
interniert gewesen zu sein. Sie habe Arbeiten in der Landwirtschaft geleistet. Diesbezüglich hatte die Klägerin im Jahr 1964
eine Entschädigung nach dem Entschädigungsgesetz für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG) in Höhe von DM 4650,-
und im Jahr 2007 vom Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen eine Anerkennungsleistung in Höhe von EUR 2000,-
erhalten.
Mit Bescheid vom 24.08.2010 gewährte die Beklagte der Klägerin eine Regelaltersrente in Höhe von EUR 212,56 monatlich für
den Zeitraum ab dem 01.10.2009. Sie erkannte hierbei die Zeit vom 01.03.1943 bis zum 18.03.1944 als Beitragszeit nach dem
ZRBG und die Zeit vom 19.03.1944 bis zum 31.12.1949 als Ersatzzeit an.
Die Klägerin erhob am 09.09.2010 Widerspruch gegen diesen Bescheid. Der Rentenbeginn sei am 01.07.1997 anzusetzen. Sie sei
im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als ob sie ihren Antrag bereits am 30.06.2003 gestellt
hätte. Die Rentenversicherungsträger hätten durch ihre restriktive Gesetzesauslegung in der Vergangenheit, die insbesondere
Sachbezüge nicht für ausreichend gehalten habe und bestimmte Gebiete von der Einbeziehung in das ZRBG ausgeschlossen habe,
die Antragsteller davon abgehalten, den Aufwand eines früheren Antragsverfahrens zu betreiben. Damit hätten sie die sich aus
dem Sozialrechtsverhältnis ergebende Verpflichtung zur gebotenen Förderung sozialer Rechte verletzt.
Zudem liege ein Verstoß gegen Art.3 des
Grundgesetzes (
GG) vor. Die "Berücksichtigung von offenen Verfahren und der damit einhergehenden Rechtsfolge Rentenbeginn 1997" beruhe auf
Zufälligkeiten, die der Personengruppe der Verfolgten nicht zugemutet werden könne.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.01.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach §
19 des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB IV) würden Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung nur auf Antrag erbracht. Der Rentenantrag löse gemäß §
115 Abs.1 S.1
SGB VI das Verwaltungsverfahren aus. Er bestimme in Zusammenhang mit §
99 SGB VI den Rentenbeginn. Mit §
3 ZRBG habe der Gesetzgeber keine Spezialregelung zur allgemeinen Regelung des §
99 SGB VI geschaffen. Dieser regele nur, dass ein bis zum 30.06.2003 gestellter Rentenantrag als ein zum 18.06.1997 gestellter Antrag
gelte und stelle somit eine Antragsfiktion, aber keine spezielle Beginnsvorschrift dar. Die Klägerin habe ihren Antrag am
12.10.2009 und damit nach dem 30.06.2003 gestellt. Aus dem Antrag vom 11.10.2002 könne sie keine Rechte mehr herleiten, weil
sie diesen am 03.03.2004 zurückgenommen habe. Diese Rücknahme erfasse auch den israelischen Rentenantrag.
Ein Überprüfungsantrag gemäß § 44 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) könne bereits deshalb keinen Erfolg haben, weil mit dem Bescheid vom 24.08.2010 auch erstmalig über das Begehren der Klägerin
entschieden worden sei. § 44 SGB X könne auch in Verbindung mit einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht zu einem Erfolg des Widerspruchs führen.
Eine rechtswidrige Pflichtverletzung könne bereits deshalb nicht festgestellt werden, weil das Bundessozialgericht erstmals
in seinen Urteilen vom 02.06.2009 und 03.06.2009 die Tatbestandsmerkmale nach dem ZRBG "gegen Entgelt" und "aus eigenem Willensentschluss"
erweiternd ausgelegt habe. Die Klägerin habe ihre Anträge in Ansehung dieser Rechtsprechung zurückgenommen.
Am 19.01.2011 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage gegen den Bescheid vom 24.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.01.2011 erhoben. Sie
hat vorgetragen, dass der im Jahr 1988 bei der Israelischen Nationalversicherung gestellte Antrag als fristgerechter Antrag
nach dem ZRBG zu werten sei. Der Senat habe im Verfahren L 14 R 3/08 entschieden, dass der beim israelischen Versicherungsträger gestellte Antrag auch für die deutsche Altersrente zu berücksichtigen
sei. Die Beklagte hat vorgetragen, dass der israelische Antrag durch die Antragsrücknahme vom 26.02.2004 "verbraucht" sei.
Mit Urteil vom 22.02.2013 hat das SG Düsseldorf die Klage ohne mündliche Verhandlung abgewiesen. Der Rentenbeginn sei mit
dem 01.10.2009 zutreffend angesetzt, weil die Klägerin erst am 12.10.2009 die Rente nach dem ZRBG beantragt habe. Weder aus
dem in Israel gestellten Rentenantrag aus dem Jahr 1988 noch aus dem Antrag der Klägerin vom 09.10.2002 folge etwas anderes.
Denn diese Anträge habe die Klägerin zurückgenommen. Gemäß dem Urteil des BSG vom 07.02.2012 - B 13 R 40/11 R - erfasse eine der Antragsrücknahme vergleichbare bestandskräftige Ablehnung eines in Deutschland gestellten Rentenantrags
auch den zuvor in Israel gestellten Rentenantrag. Der Klägerin stehe weiter kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zur
Seite. Dieser setze zunächst eine dem Sozialleistungsträger zurechenbare behördliche Pflichtverletzung voraus. Die Beklagte
habe ihre Pflicht zur Aufklärung der Bevölkerung gemäß §
13 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB I) aber nicht verletzt. Insbesondere habe sie keine fehlerhafte Allgemeininformation zum ZRBG verfasst. Die Beklagte habe lediglich
in Parallelfällen das ZRBG gemäß der damaligen Rechtsprechung des BSG restriktiv ausgelegt und insbesondere ein die Versicherungspflicht dem Grunde nach auslösendes Entgelt als Voraussetzung
gesehen. Die Annahme einer Pflichtverletzung scheide bereits deshalb aus, weil die Beklagte sich im Einklang mit der höchstrichterlichen
Rechtsprechung befunden habe. Zudem sei keine Kausalität zwischen einer unterstellten Pflichtverletzung der Beklagten und
der Rücknahme des Rentenantrags durch die Klägerin zu erkennen. Andere Antragsteller hätten sich durch die restriktive Bewilligungspraxis
der Beklagten nämlich nicht davon abhalten lassen, ihren Rentenantrag weiterzuverfolgen und gegebenenfalls gerichtlich überprüfen
zu lassen.
Am 28.02.2013 hat die Klägerin Berufung gegen das Urteil eingelegt.
Sie sei im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als ob der Antrag bereits am 30.06.2003 gestellt
worden sei. Die Rentenversicherungsträger hätten durch ihre restriktive Gesetzesauslegung in der Vergangenheit, die insbesondere
Sachbezüge nicht für ausreichend gehalten habe und bestimmte Gebiete von der Einbeziehung in das ZRBG ausgeschlossen habe,
die Antragsteller davon abgehalten, den Aufwand eines früheren Antragsverfahrens zu betreiben. Damit hätten sie die sich aus
dem Sozialrechtsverhältnis ergebende Verpflichtung zur gebotenen Förderung sozialer Rechte verletzt. Im vorliegenden Fall
ergebe sich dies insbesondere daraus, dass sie sich in Ghettos in Transnistrien aufgehalten habe. Bis zum Jahr 2009 habe die
Beklagte ausdrücklich ausgeführt, dass das ZRBG auf Ghettos in Transnistrien keine Anwendung finde. Aufgrund der in vielen
Fällen geäußerten Rechtsauffassung seien andere Personen davon abgehalten worden, einen Rentenantrag zu stellen. Im Hinblick
auf den von ihr angenommenen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch verweist die Klägerin auf die Urteile des Bundessozialgerichts,
13RJ23/95, 13 RJ 5/95 und 12 RK 27/88. Die Unrichtigkeit eines Bescheides sei aus heutiger Sicht und nicht aus der Sicht des Zeitpunkts der Bescheiderteilung zu
beurteilen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.02.2013 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 24.08.2010
in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2011 zu verurteilen, ihr Regelaltersrente bereits ab 01.07.1997 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im vorliegenden Fall sei eine Pflichtverletzung der Beklagten schon deshalb nicht anzunehmen, weil die Klägerin vor ihrer
Antragstellung im November 2009 überhaupt keine Angaben gemacht habe, die eine Prüfung ihres Anspruchs ermöglicht hätten.
Die von der Klägerin zitierten Urteile des BSG seien nicht auf den vorliegenden Sachverhalt zu übertragen.
Insbesondere sei das Urteil vom 21.06.1990 - 12 RK 27/88 - deshalb nicht anwendbar, weil die Beklagte im vorliegenden Fall (dort abweichend: Herausgabe eines Merkblatts) keine Allgemeininformation
erteilt habe. Das BSG habe auch angemerkt, dass die Versäumung einer Frist nicht mit einer fehlerhaften Beratung oder Auskunft begründet werden
könne, wenn sich der Antragsteller erst nach dem Ablauf dieser Frist an die Behörde gewandt habe.
Zur weiteren Sachverhaltsdarstellung und hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Prozessakte
und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Der wesentliche Inhalt dieser Akten ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Bescheid der Beklagten
vom 24.08.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.01.2011 nicht rechtswidrig ist und die Klägerin nicht in ihren
Rechten verletzt, §
54 Absatz
2 SGG. Denn die Beklagte hat rechtmäßig entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung der Regelaltersrente vor dem
01.10.2009 und damit auch nicht für die Zeit vom 01.07.1997 bis zum 30.09.2009 hat.
Gemäß §
99 SGB VI hat die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung ihrer Regelaltersrente erst für die Zeit ab dem 01.10.2009 (dazu I.). Ein früherer
Rentenbeginn kann weder aufgrund aufgrund einer Verlängerung der Rentenantragsfrist entsprechend der Rechtsprechung des BSG zur Verlängerung von Nachentrichtungsfristen (dazu II.) noch aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (dazu
III) noch unter Berücksichtigung des sog. Wiedergutmachungsgedankens (dazu IV) angenommen werden.
I.
Gemäß §
99 SGB VI hat die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung ihrer Regelaltersrente erst für die Zeit ab dem 01.10.2009. Die Anspruchsvoraussetzungen
für eine Regelaltersrente der Klägerin nach §
35 SGB VI und nach Maßgabe des ZRBG waren für sie zwar mit (dem rückwirkenden) Inkrafttreten des ZRBG vom 20.06.2002 (Artikel 1 des
Gesetzes vom 20.06.2002, veröffentlicht am 27.06.2002, BGBl I, 2074) zum 01.07.1997 (Artikel 3 Absatz 2 des Gesetzes vom 20.06.2002)
erfüllt, weil sie bereits im Dezember August 1993 ihr 65. Lebensjahr vollendet hatte, Zeiten nach dem ZRBG vom 01.03.1944
bis zum 18.03.1944 vorliegen und sie hierdurch auch die allgemeine Wartezeit erfüllt.
Weitere Voraussetzung für die Gewährung einer Altersrente an die Klägerin war aufgrund der Vorschrift des §
115 Absatz
1 Satz 1
SGB VI aber ein wirksamer Rentenantrag.
Mit dem Inkrafttreten der §§
19 Satz 1
SGB IV und 115 Absatz 1 Satz 1
SGB VI am 01.01.1992 ist nämlich das Antragsprinzip eingeführt worden: Danach werden Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung
grundsätzlich nur auf Antrag erbracht. Erst der Rentenantrag löst regelmäßig das Verwaltungsverfahren aus. Der Rentenantrag
ist dabei auch für den Rentenbeginn nach §
99 SGB VI maßgeblich. Danach wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen
für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des 3. Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem
die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (§
99 Absatz
1 Satz 1
SGB VI). Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente
beantragt wird, §
99 Absatz
1 Satz 2
SGB VI.
§
99 Absatz
1 Satz 2
SGB VI gestaltet einen materiell-rechtlichen, die fälligen und ab dem 01.01.1992 entstandenen Einzelansprüche aus einem Recht auf
Regelaltersrente vernichtenden Einwand aus. Dieser greift dann Platz, wenn der Antrag mehr als drei Kalendermonate nach Ablauf
des Monats gestellt wird, in dem das Recht auf Rente entstanden ist (BSG, Urteil vom 02.08.2000, B 4 RA 54/99 R, SozR 3 2600 § 99 Nr. 5 (Rdnr. 17)). Nachdem die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen für eine Regelaltersrente nach §
35 SGB VI und nach Maßgabe des ZRBG mit (dem rückwirkenden) Inkrafttreten des ZRBG zum 01.07.1997 erfüllt hatte, war der dritte Kalendermonat
nach Ablauf dieses Monats der Oktober 1997.
Da aber nach §
99 Absatz
1 Satz 2
SGB VI bei späterer Antragstellung eine Rente aus eigener Versicherung erst vom Antragsmonat an geleistet wird, war Rente ab dem
01.10.2009 zu leisten. In diesem Zusammenhang kommt als maßgeblicher Antrag auch allein der Antrag der Klägerin vom 12.10.2009
in Betracht. Die Klägerin kann sich weder auf ihren früheren Antrag vom 11.10.2002 noch auf den im Jahr 1988 in Israel gestellten
Antrag auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente berufen.
Die Klägerin kann sich zunächst nicht auf ihren Antrag vom 11.10.2002 berufen, weil der nunmehrige, auch schon im damaligen
Verfahren mandatierte Klägerbevollmächtigte diesen Antrag am 03.03.2004 zurückgenommen hat.
Ebensowenig kann sie sich auf den im Jahr 1988 in Israel gestellten Antrag auf Hinterbliebenenrente berufen. Zwar hat das
Bundessozialgericht mit Urteil vom 19.04.2011 - B 13 R 20/10R - [...] - (die Entscheidung des Senats vom 12.02.2010, L 14 R 3/08 - [...] bestätigend) entschieden, dass ein in Israel gestellter Antrag auf Altersrente gemäß Art.27 Abs.2 S.1 des Abkommens
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit (Abk Israel SozSich) auch für die deutsche
Altersrente zu berücksichtigen ist. Der israelische Antrag gilt jedoch - sowohl formell als auch materiell - zugleich als
Antrag auf "entsprechende Leistung".
Die Hinterbliebenenrenten gemäß §
33 Abs.4
SGB VI leiten sich jedoch anders als die Altersrenten gemäß §
33 Abs.2
SGB VI aufgrund der Vorschrift des §
46 Abs.1
SGB VI nicht aus dem Konto des Hinterbliebenen, sondern aus dem Konto des verstorbenen Versicherten ab, so dass sie nicht als einer
Altersrente "entsprechende Leistung" gewertet werden können.
Der aus §
99 SGB VI resultierende Rentenbeginn am 01.10.2009 erfährt durch §
3 Absatz 1 Satz 1 ZRBG keine Änderung. Nach dieser Vorschrift gilt (nur) ein bis zum 30.06.2003 gestellter Antrag auf Rente
aus der gesetzlichen Rentenversicherung als am 18.06.1997 gestellt. Wurde der Antrag bis zum 30.06.2003 gestellt, wird durch
§ 3 Absatz 1 Satz 2 ZRBG das Antragsdatum fiktiv auf den 18.06.1997 festgesetzt. Damit wurden jene Berechtigten, die durch
die Verkündung des ZRBG am 27.06.2002 davon Kenntnis erlangten und sich aufgrund dieses Gesetzes binnen gut einen Jahres nach
seiner Verkündung zu einem Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung veranlasst sahen, so behandelt, als hätten
sie den Antrag bereits am Tage des BSG-Urteils (vom 18.06.1997, 5 RJ 66/95, BSGE 80, 250) über die rentenversicherungsrechtliche Behandlung von Beschäftigungen in einem Ghetto gestellt (vgl. BSG, Urteil vom 03.05.2005, B 13 RJ 34/04 R, BSGE 94, 294 (Rdnr. 29)). Dass bereits 65-jährige Berechtigte mit erfüllter Wartezeit aufgrund des rückwirkenden Inkrafttretens des ZRBG
vom 20.06.2002 zum 01.07.1997 trotz erst am 27.06.2002 erfolgter Verkündung des ZRBG und damit erstmalig gegebener Möglichkeit
zur Kenntnisnahme dieses Gesetzes einen Antrag bis spätestens Oktober 1997 hätten stellen müssen, um die zwingende Folge eines
Anspruchsverlusts nach §
99 Absatz
1 Sätze 1 und 2
SGB VI zu vermeiden, wurde durch §
3 Absatz
1 Satz 1 ZRBG modifiziert. Die Vorschrift regelt nämlich nicht selbst unmittelbar den Rentenbeginn, sondern fingiert lediglich
den maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung (BSG, Urteil vom 07.02.2012, B 13 R 40/11 R, BSGE 110, 97 (Rdnr. 22 m.w.N.)).
Die amtliche Überschrift des § 3 Absatz 1 ZRBG ("Besonderheiten beim Rentenbeginn") verdeutlicht dabei, dass die Regelung
nicht selbst den Rentenbeginn für "Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto" festlegt, sondern lediglich Besonderheiten
hinsichtlich eines einzelnen für den Rentenbeginn nach §
99 SGB VI bedeutsamen Umstandes - des Zeitpunktes der Antragstellung - normiert. Dies geht auch aus der Regelung des § 1 Absatz 2 ZRBG
hervor, wonach dieses Gesetz "die rentenrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen
Unrechts in der Sozialversicherung" (WGSVG) ergänzt. Nach § 7 WGSVG ergänzen jedoch wiederum diese Vorschriften "zugunsten von Verfolgten die allgemein anzuwendenden Vorschriften des
Sechsten Buches Sozialgesetzbuch".
Dem aus §
99 SGB VI resultierenden Rentenbeginn am 01.10.2009 steht nicht entgegen, dass die Klägerin möglicherweise von der Frist des §
99 Absatz
1 Satz 1
SGB VI und vom rückwirkenden Inkrafttreten des am 27.06.2002 veröffentlichten ZRBG zum 01.07.1997 keine Kenntnis hatte. Eine Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand gemäß § 27 Absatz 1 Satz 1 SGB X kann ihr nicht zugebilligt werden. Zwar ist eine Wiedereinsetzung grundsätzlich auch bei Versäumung einer Frist des materiellen
Sozialrechts zulässig, wenn die betreffende Regelung dies ausdrücklich bestimmt oder ihre Auslegung dies ergibt (BSG, Urteile vom 25.10.1988, 12 RK 22/87, BSGE 64, 153 ff.; vom 21.05.1996, 12 RK 43/95, SozR 3 5070 § 21 Nr. 3; vom 22.10.1996, 13 RJ 23/95, BSGE 79, 168 ff.). Ob danach eine Wiedereinsetzung bei Versäumung der Dreimonatsfrist des §
99 Absatz
1 Satz 1
SGB VI, der eine Wiedereinsetzung nicht ausdrücklich vorsieht, im Wege der Auslegung zulässig wäre, kann indes offenbleiben (so
auch BSG, Urteil vom 22.10.1996, a.a.O.). Denn gemäß § 27 Absatz 3 SGB X kann nach Ablauf eines Jahres seit dem Ende der versäumten Frist (hier Oktober 1997) die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt
werden oder die versäumte Handlung - hier Antrag auf Regelaltersrente - nicht mehr nachgeholt werden, außer wenn dies vor
Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Dafür, dass die Klägerin bis zum Ablauf des Oktober 1998 durch
höhere Gewalt an der rechtzeitigen Antragstellung gehindert gewesen sein soll, ist nichts ersichtlich. Wegen Nichteinhaltung
der Jahresfrist konnte ein allenfalls erstmalig für den 12.10.2009 anzunehmender Antrag auf Wiedereinsetzung nicht zu einer
solchen führen. Hinzu kommt, dass die Klägerin auch bei bestehender Unkenntnis der Fristen-Regelung des §
99 Absatz
1 Satz 1
SGB VI nicht im Sinne des § 27 Absatz 1 SGB X ohne ihr Verschulden gehindert war, diese Frist einzuhalten, weil sich dies aus dem Grundsatz der formellen Publizität bei
der Verkündung von Gesetzen ergibt. Danach gelten Gesetze mit ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt allen Normadressaten als
bekannt, ohne Rücksicht darauf, ob und wann diese tatsächlich davon Kenntnis erhalten haben (BSG, Urteil vom 21.06.1990, 12 RK 27/88, BSGE 67, 90 ff.); dieser Grundsatz ist auch für die Beantwortung der Frage bedeutsam, welche Gründe eine etwa zulässige Wiedereinsetzung
rechtfertigen können und ob dazu auch die Unkenntnis von dem Recht und der Befristung seiner Ausübung geeignet ist (BSG, Urteil vom 09.02.1993, 12 RK 28/92, BSGE 72, 80 ff.). Eine Unkenntnis solcher Rechte, deren befristete Ausübung im Gesetz selbst ausdrücklich geregelt ist, kann eine Wiedereinsetzung
nicht rechtfertigen (BSG, Urteile vom 21.05.1996 und 22.10.1996, a.a.O.).
Da eine etwaige Rechtsunkenntnis der Klägerin über die Frist des §
99 SGB VI eine Wiedereinsetzung nicht begründen kann, scheidet auch eine Nachsichtgewährung aus, falls für sie bei einer grundsätzlichen
Anwendung der Wiedereinsetzung auch auf Fristen des materiellen Sozialrechts überhaupt noch Raum sein sollte (vgl. BSG, Urteil vom 27.09.1983, 12 RK 7/82, SozR 5750 Art. 2 § 51a Nr. 55).
II.
Ein früherer Rentenbeginn als zum 01.10.2009 kann der Klägerin auch nicht aufgrund einer Verlängerung der Rentenantragsfrist
entsprechend der von ihrem Bevollmächtigten angeführten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Verlängerung von Nachentrichtungsfristen
(Urteile vom 01.12.1978, 12 RAr 56/77, SozR 4100 § 141 e Nr. 4; vom 12.10.1979, 12 RK 15/78, SozR 5070 § 10 a Nr. 2; vom 24.10.1985, 12 RK 48/84, SozR 5070 § 10 a Nr. 13; vom 26.06.1985, 12 RK 23/84 - [...] -; vom 03.05.2005, B 13 RJ 34/04 R, BSGE 4 2600 § 306 Nr. 1) eingeräumt werden.
Etwaige Rechtsprechung zur Verlängerung von Nachentrichtungsfristen ist auf den vorliegenden Fall schon dadurch nicht übertragbar,
dass die Antragstellung nach dem ZRBG nicht an eine Frist gebunden ist. Die in § 3 des ZRBG genannte Frist bis zum 30.06.2003
führt lediglich zu einer Fiktivverlegung des Rentenantrags auf den 18.06.1997 (= Tag des BSG-Urteils B 5 RJ 66/95 (BSGE 80, 250) über die rentenversicherungsrechtliche Behandlung von Beschäftigungen in einem Ghetto). Jedoch war und ist auch nach Juni
2003 jederzeit die Möglichkeit zur Geltendmachung eines Rentenanspruchs auf der Grundlage des ZRBG gegeben.
Auch im Übrigen sind die diesbezüglich vom Bevollmächtigten der Klägerin genannten Entscheidungen auf den vorliegenden Fall
nicht übertragbar. Die Entscheidung des 12. Senats des BSG vom 12.10.1979 hatte keine Verlängerung einer Antragsfrist oder einer Nachentrichtungsfrist zum Inhalt. Vielmehr erweiterte
der 12. Senat des BSG den unter § 10 a WGSVG fallenden Personenkreis auch auf solche Personen, die nach Kriegsende nicht in den Geltungsbereich des WGSVG zurückgekehrt waren, so dass auch diese die durch § 10 a WGSVG geregelte Möglichkeit zur Beitragsentrichtung längstens für die Zeit bis zum 31.12.1955 nutzen konnten. Ebenso wenig befasst
sich die Entscheidung des 13. Senats des BSG vom 03.05.2005 mit der Verlängerung einer Antragsfrist oder einer Nachentrichtungsfrist. Vielmehr hat der 13. Senat des BSG dort eine Rechtsfortbildung zur Schließung einer gesetzgeberischen Lücke im ZRBG dahingehend vorgenommen, dass die Vorschrift
des §
306 Absatz
1 SGB VI für Bestandsrentner, die bereits vor dem 18.06.1997 (= Tag des BSG-Urteils B 5 RJ 66/95 (BSGE 80, 250) über die rentenversicherungsrechtliche Behandlung von Beschäftigungen in einem Ghetto) eine Altersrente bezogen haben, und
die vor dem 30.06.2003 einen Antrag auf Zahlung der Rente unter Bezugnahme auf das ZRBG gestellt hatten, nicht nachteilig
anzuwenden ist, und zwar aus Gründen der Gleichbehandlung. Aus dem Leitsatz des Urteils des 12. Senats vom 24.10.1985 ergibt
sich wiederum der Grund, warum hier eine ursprünglich (am 31.12.1975) bereits abgelaufene Ausschlussfrist (zur Nachentrichtung
von Beiträgen nach § 10 a Absatz 2 WGSVG) neu zu eröffnen war (was dann unter Bezugnahme auf die Entscheidung vom 24.10.1985 erfolgte mit einer Neueröffnung bis zum
31.12.1986); Grund war nämlich, dass durch eine zuvor erfolgte Rechtsprechung des BSG (vom 17.03.1981 bzw. 24.06.1981) eine Gesetzeslücke in der Form geschlossen wurde, als dass für einen weiteren Personenkreis
das Nachentrichtungsrecht erstmals ermöglicht wurde. Der Entscheidung des 12. Senats vom 01.12.1978 lag zugrunde, dass das
BSG die Frist des § 141 e Absatz 1 Satz 2 Arbeitsförderungsgesetz für einen Antrag auf Konkursausfallgeld neu eröffnet hat, weil es insoweit eine planwidrige Unvollständigkeit (Lücke) im
Einführungsgesetz zum Einkommenssteuergesetz von 1974 erkannt hat. In der Entscheidung vom 26.06.1985 wiederum sah sich der
12. Senat des BSG infolge seiner Rechtsprechung vom 27.03.1980, dass in Ausfüllung einer Gesetzeslücke Artikel 2 § 5 b Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes auf Vorstandsmitglieder von großen Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit analog anzuwenden sei, veranlasst, die in dieser
Norm enthaltende Befristung (31.12.1979) auf einen angemessenen Zeitpunkt nach dem Bekanntwerden seines Urteils vom 27.03.1980
zu verschieben.
Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich von den vorgenannten Konstellationen aber dadurch, dass die Rechtsprechung
des BSG zum ZRBG vom 02. und 03. Juni 2009 sich lediglich mit der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und damit mit der reinen
Auslegung eines Gesetzes befasst hat. Es hat aber nicht Gesetzeslücken im Wege richterlicher Rechtsfortbildung geschlossen.
Darüber hinaus führt der - verspätete - Antrag der Klägerin nicht dazu, dass sie von einem Rentenanspruch nach dem ZRBG vollständig
(und auf Dauer) ausgeschlossen wird. Die Verspätung hat lediglich die Folge einer nur eingeschränkten Rückwirkung. Dass im
Übrigen der 13. Senat im Urteil vom 03.05.2005 aus Gründen der Gleichbehandlung gemäß Artikel
3 GG zur Anwendbarkeit des ZRBG auch für Bestandsrentner gelangte (§
306 SGB VI), vorliegend aber schon kein Verstoß gegen Artikel
3 GG erkennbar ist, obwohl die Klägerin unter Anwendung des §
99 SGB VI erst ab dem Monat ihrer Antragstellung eine Regelaltersrente erhält, hat bereits das Sozialgericht im angefochtenen Urteil
zutreffend dargelegt. Die von ihr angenommene Ungleichbehandlung zu anderen Verfolgten mit früherem Rentenbeginn ist durch
den Umstand gerechtfertigt, dass letztere auch zu einem früheren Zeitpunkt Rente beantragt haben. Dies hätte die Klägerin
im Gegensatz zu den Klägern der vom BSG zu §
306 SGB VI entschiedenen Fälle auch in der Hand gehabt.
III.)
Die Klägerin kann auch nicht verlangen, aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so behandelt zu werden, als
hätte sie den Antrag auf eine Leistung aus der deutschen Rentenversicherung spätestens bis zum 30.06.2003 gestellt, um wie
begehrt entsprechend § 3 ZRBG bereits ab dem 01.07.1997 in den Genuss einer Rente zu gelangen. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch,
dessen Rückwirkung zu einem frühesten Rentenbeginn ab dem 01.01.2005 führen könnte (dazu 1.), steht der Klägerin nicht zu.
Eine Pflichtverletzung der Beklagten, die diesbezügliche Voraussetzung wäre, ist nämlich nicht festzustellen.Auch die vom
Bevollmächtigten der Klägerin zitierte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts führt nicht zu einem anderen Ergebnis (dazu
2.).
1.
Bei der hier vorliegenden Erstfeststellung einer Rente könnte einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch der Klägerin selbst
für den Fall seines Vorliegens in entsprechender Anwendung des § 44 Absatz 4 SGB X Rückwirkung nicht bis zum 01.07.1997, sondern nur bis zum 01.01.2005 zukommen. Maßgeblich ist hier der (erstmaligen/ allein
zu berücksichtigende) Antrag der Klägerin auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung aus dem Monat Oktober 2009. Die
in § 44 Absatz 4 SGB X für eine rückwirkende Erbringung von Sozialleistungen festgesetzte zeitliche Grenze von vier Jahren ist nämlich entsprechend
anzuwenden, auch wenn die rückwirkende Gewährung vorenthaltener Leistungen auf einer Erstfeststellung im Rahmen eines sozialrechtlichen
Herstellungsanspruchs beruht (Urteil des erkennenden Senats vom 24.05.2013, L 14 R 432/12 - [...] -; dazu anhängig B 13 R 23/13 R).
2.
Der Klägerin steht ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch mit der Folge eines frühest- möglichen Rentenbeginns ab dem
01.01.2005 nicht zu (dazu a.). Die von ihrem Bevollmächtigten angesprochenen Urteile des Bundessozialgerichts erfassen die
hier vorliegende Konstellation nicht (dazu b.).
a.)
Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung
des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger entweder seine Verpflichtung nach §
13 SGB I zur Aufklärung der Bevölkerung über ihre sozialen Rechte durch unrichtige oder missverständliche Allgemeininformationen (BSG, Urteile vom 16.12.1993, 13 RJ 19/92, SozR 3 1200 § 14 Nr. 12 und vom 23.05.1996, 13 RJ 17/95, SozR 3 5750 Art. 2 § 6 Nr. 15) oder die ihm aufgrund eines Gesetzes oder konkreten Sozialrechtsverhältnisses dem Versicherten
gegenüber erwachsenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Beratung, zur Auskunft und zu Hinweisen nach §§
14 und
15 sowie 115 Absatz
6 SGB VI, nicht verletzt hätte (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteile des BSG vom 16.12.1993, 13 RJ 19/92, SozR 3-1200 § 14 Nr 12 m.w.N. und vom 25.01.1996, 7 RAr 60/94, SozR 3-3200 § 86a Nr 2). Voraussetzung ist weiter, dass die verletzte Pflicht dem Sozialleistungsträger gerade gegenüber
dem Versicherten oblag, diesem also ein entsprechendes subjektives Recht einräumt, dass die objektiv rechtswidrige Pflichtverletzung
zumindest gleichwertig (neben anderen Bedingungen) einen Nachteil des Versicherten bewirkt hat und dass die verletzte Pflicht
darauf gerichtet war, den Betroffenen gerade vor den eingetretenen Nachteilen zu bewahren (Schutzzweckzusammenhang). Schließlich
muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden
können, das heißt die Korrektur durch den Herstellungsanspruch darf dem jeweiligen Gesetzeszweck nicht widersprechen.
Die Beklagte hat weder im Rahmen ihrer Verpflichtung nach §
13 SGB I zur Aufklärung der Bevölkerung über deren sozialen Rechte diese unrichtig oder missverständlich informiert (dazu aa.) noch
hat sie ihr aufgrund eines Gesetzes oder konkreten Sozialrechtsverhältnisses gegenüber der Klägerin obliegende und dieser
ein entsprechendes subjektives Recht einräumende Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Beratung und Auskunft nach §§
14 und
15 SGB VI (dazu bb.) bzw. zum Hinweis nach §
115 Absatz
6 SGB VI (dazu cc.), verletzt.
aa.)
Die Klägerin kann ihren sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht auf eine Verletzung der allgemeinen Aufklärungspflicht
nach §
13 SGB I stützen. Nach §
13 SGB I sind die Leistungsträger, ihre Verbände und die sonstigen im SGB genannten öffentlich-rechtlichen Vereinigungen verpflichtet,
im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Bevölkerung über ihre Rechte und Pflichten nach dem SGB aufzuklären. Unter "Aufklärung"
ist dabei die allgemeine und abstrakte Unterrichtung der Bevölkerung, insbesondere aller von den sozialen Rechten und Pflichten
möglicherweise Betroffenen, die im Einzelnen in der Regel nicht bekannt sind, zu verstehen (vgl. Hauck/Haines,
SGB I, K § 13 Rdn. 5). Diese Aufklärungspflicht begründet nach der Rechtsprechung des BSG regelmäßig kein subjektives Recht des Versicherten gegenüber dem Versicherungsträger. Aus ihrer Verletzung erwächst dem Betroffenen
daher grundsätzlich kein Herstellungsanspruch (BSG, Urteil vom 21.06.1990, 12 RK 27/88, BSGE 67, 90). Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn ein Versicherungsträger eine unrichtige oder missverständliche Allgemeininformation,
zum Beispiel in Merkblättern oder Broschüren, verbreitet hat und ein Versicherter dadurch etwa von der rechtzeitigen Ausübung
eines Gestaltungsrechts abgehalten worden ist (BSG, Urteile vom 16.12.1993, 13 RJ 19/92, SozR 3 1200 § 14 Nr. 12 und vom 23.05.1996, 13 RJ 17/95, SozR 3 5750 Art. 2 § 6 Nr. 15). Dabei kann auch eine unrichtige Information durch ausländische Stellen dem deutschen Rentenversicherungsträger,
zumindest im Sinne einer wesentlichen Mitursache, zuzurechnen sein, wenn dieser die ausländischen Verbindungsstellen seinerseits
unzutreffend, etwa über bestehende Antragsfristen, informiert hat (BSG, Urteil vom 23.05.1996, a.a.O.). Dass die Beklagte vorliegend eine solche unrichtige oder missverständliche (Allgemein-)Information
der Bevölkerung in Israel im Hinblick auf das ZRBG, auf etwaige Antragsfristen oder zu den Ghettos in Transnistrien erteilt
oder den israelischen Versicherungsträger entsprechend unrichtig informiert hätte, wäre allerdings von der Klägerin darzulegen
und nachzuweisen.
Im vorliegenden Fall ist aber zunächst nicht erkennbar, dass die Beklagte vor dem Jahr 2009 eine Allgemeininformation im Hinblick
auf den Anwendungsbereich des ZRBG herausgegeben hat. Darüber hinaus ist die damalige Rechtsauffassung der Beklagten insbesondere
zum Entgeltbegriff des ZRBG auch nicht "unrichtig", weil sie in Übereinstimmung mit der damaligen höchstrichterlichen Rechtsprechung
stand.
Das Bundessozialgericht hat noch in seinem Urteil vom 07.10.2004 - B13 RJ 59/03 R - [...] - ausgeführt, dass auch ein Anspruch
nach § 1 Abs.1 ZRBG nur gegeben sei, wenn die von der Rechtsprechung aufgeführten Kriterien der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit
für eine versicherungspflichtige Beschäftigung in einem Ghetto erfüllt seien (Rdnr.50). Auch bei Arbeiten, die unter den Bedingungen
der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zustandegekommen seien, sei eine Differenzierung zwischen einer sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigung einerseits und einer nichtversicherten Beschäftigung andererseits geboten (Rdnr.44). Das BSG hat mit diesem Urteil das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 22.10.2003 - L 8 RJ 90/01 - [...] - geändert und im Fall einer Klägerin, die für die Tätigkeit in einer Militärkantine im Ghetto Lodz eine überdurchschnittliche
Verpflegung erhalten hatte, die Merkmale der Entgeltlichkeit, der Versicherungspflicht und der Freiwilligkeit abgelehnt.
Als Entgelt gemäß § 1226
RVO a.F. i.V.m. § 160
RVO a.F. seien zunächst nur die Gegenleistungen anzusehen, die zum Umfang und der Art der geleisteten Arbeit noch in einem angemessenen
Verhältnis stünden (Rdnr.38). Obwohl auch freier Unterhalt grundsätzlich dem Begriff des Entgelts unterfallen könne, sei eine
Beschäftigung für die nur freiwilliger Unterhalt gewährt worden sei, gemäß § 1227
RVO a.F. nicht versicherungspflichtig gewesen.Als freier Unterhalt sei dasjenige Maß von Wirtschaftsgütern anzusehen, das zur
unmittelbaren Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Arbeitnehmers erforderlich sei, nicht aber das, was darüber
hinausgehe (Rdnr.36-38).
Zudem hat das BSG aufgrund des Umstandes, dass die Klägerin die Arbeit vom jüdischen Komitee zugewiesen bekommen habe, keine Freiwilligkeit
der von ihr geleisteten Arbeit angenommen.
Noch mit Beschluss vom 22.03.2007 - B 5 R 16/07 B - [...] - hat das BSG eine Nichtzulassungsbeschwerde mit der Begründung zurückgewiesen, dass ein Anspruch nach § 1 Abs.1 S.1 Nr.1 ZRBG die Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit der Beschäftigung voraussetze und damit an die von der Rechtsprechung
aufgestellten Kriterien für eine versicherungspflichtige Beschäftigung in einem Ghetto anknüpfe und diese Rechtsfrage als
geklärt anzusehen sei.
Auch die frühere Auffassung der Beklagten, dass die in einem Ghetto in Transnistrien verrichtete Arbeit keinen Anspruch nach
§ 1 Abs.1 S.1 Nr.1 ZRBG begründen könne, war nicht "unrichtig". Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat noch in seinen
Entscheidungen vom 27.01.2006 und vom 03.02.2006 - L 4 RJ 126/04 - [...] - und L 4 RJ 57/05 - [...] - die Auffassung vertreten, dass Transnistrien nicht gemäß § 1 Abs. 1 S.1 Nr.2 ZRBG in das Deutsche Reich eingegliedert
oder vom Deutschen Reich besetzt gewesen sei. Das Deutsche Reich habe in Transnistrien keine Gebietshoheit ausgeübt und keine
Herrschaftsgewalt gegenüber der Bevölkerung in Anspruch genommen. Das BSG hat mit seinem Urteil vom 19.05.2009 - B 5 R 26/06 R - [...] - die Sache L 4 R 57/05 zur Entscheidung an das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen und den völkerrechtlichen Status Transnistriens
in den Jahren 1941 bis 1944 offengelassen.
Überdies stellen die vorgenannten Bescheidungen in Parallelfällen jedenfalls aufgrund ihrer bloßen Inter - Partes - Wirkung
keine Allgemeininformation im Sinne von §
13 SGB I dar. Auch ansonsten sind fehlerhaft erfolgte Allgemeininformationen der israelischen Bevölkerung oder des israelischen Versicherungsträgers
durch die Beklagte zum ZRBG, zu etwaigen Antragsfristen und insbesondere zu den Ghettos in Transnistrien sowie deren Zugang
bei der Klägerin dem Senat nicht bekannt. Im Übrigen geht der Senat von einem erheblichen Bekanntheitsgrad des ZRBG und bestehender
Antragsfristen in der israelischen Bevölkerung auch bereits für die Zeit bis (zu dem für § 3 ZRBG maßgeblichen Zeitpunkt) Juni 2003 beziehungsweise für die Zeit bis (zur "Rechtsprechungswende" des BSG) 2009 aus, weil dies die bereits bis dahin gestellten sehr zahlreichen Anträge nach diesem Gesetz widerspiegeln.
bb.)
Durch die vom Bevollmächtigten der Klägerin gerügte restriktive Verwaltungspraxis bzw. Auslegung des ZRBG hat die Beklagte
der Klägerin gegenüber auch keine Pflichten zur individuellen Beratung nach §
14 SGB I oder zur individuellen Auskunft nach §
15 SGB I verletzt.
Zunächst liegt keine fehlerhafte Auskunft oder Beratung der Beklagten gegenüber der Klägerin vor.
Wie das Sozialgericht im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt hat (und wie unter aa.) ausgeführt wurde), liegt in der
früheren restriktiven Auslegungspraxis des ZRBG durch die Beklagte schon deshalb keine Pflichtverletzung, weil sich die Beklagte
hierbei auf die damalige höchstrichterliche Rechtsprechung gestützt hat. Zudem hat die Beklagte hierdurch nicht gegenüber
der Klägerin gehandelt, weil sich die Verwaltungspraxis nur auf beschiedene Parallelfälle anderer Antragsteller mit allenfalls
ähnlicher Fallgestaltung bezogen hat und daher nur zwischen diesen Inter- Partes - Wirkung entfaltet. Zudem wäre, wie das
Sozialgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, auch kein kausaler Nachteil zu einer unterstellten Pflichtverletzung zu
erkennen, weil zahlreiche andere Antragsteller, die ebenfalls Beitragszeiten nach dem ZRBG geltend gemacht haben, durch das
Erfordernis eines versicherungspflichtigen Entgelts und einer "freiwilligen" Beschäftigungsaufnahme auch in der Zeit bis 2009
nicht davon abgehalten worden sind, ihren Rentenantrag zu stellen und dessen Ablehnung gegebenenfalls gerichtlich überprüfen
zu lassen.
Der Beklagten ist weiter nicht vorzuwerfen, dass sie eine Beratung oder Auskunft gegenüber der Klägerin pflichtwidrig nicht
vorgenommen hat. Eine solche Verpflichtung der Beklagten bestand nicht.
Voraussetzung für das Entstehen einer Beratungspflicht nach §
14 SGB I ist ein Beratungsbegehren oder zumindest ein konkreter Anlass zur Beratung (BSG, Urteile vom 21.03.1990, 7 RAr 36/88, BSGE 66, 258, vom 16.12.1993, 13 RJ 19/92, a.a.O. und vom 16.06.1994, 13 RJ 25/93, SozR 3-1200 §
14 Nr. 15). Für eine Auskunftspflicht im Sinne des §
15 SGB I ist es ebenfalls erforderlich, dass ein entsprechender Informationsbedarf der Versicherten für den zuständigen Versicherungsträger
oder eine andere auskunftspflichtige Stelle offen zu Tage tritt (BSG, Urteil vom 28.09.1976, 3 RK 7/76, BSGE 42, 224). Im Rahmen ihrer Beratungspflicht nach §
14 SGB I bzw. ihrer Auskunftspflicht nach §
15 SGB I §§
14 und
15 SGB I hat die Beklagte nicht die Pflicht, all diejenigen möglicherweise Anspruchsberechtigten erst noch zu ermitteln, die in absehbarer
Zeit Anspruch auf Rente haben könnten, um sie über die Voraussetzungen der Rentengewährung zu informieren.
Im vorliegenden Fall scheidet nach diesen Maßgaben das Entstehen einer Beratungspflicht aus. Vor dem Neuantrag am 12.10.2009
(und damit auch vor der Rücknahme des Erstantrags am 03.03.2004) war für die Beklagte aufgrund der fehlenden Angaben der Klägerin
über ihre Internierung im Ghetto trotz entsprechender Nachfrage der Beklagten im Jahr 2003 (Ort des Ghettos, ausgeführte Arbeit
etc.) nämlich nicht einmal erkennbar, in welcher Weise ein Informationsbedarf der Klägerin entstehen konnte.
Anhaltspunkte für einen der Beklagten zuzurechnenden Beratungsfehler des israelischen Sozialversicherungsträgers bestehen
nicht (zu den Voraussetzungen Landessozialgericht Berlin, Urteil vom 15.07.1986, L 2 An 135/85 -[...] - und BSG, Urteil vom 22.02.1989, 5 RJ 42/88 SozR 6961 § 7 Nr. 2; anders BSG, Urteile vom 21.06.1990, 12 RK 27/88, BSGE 67, 90 und vom 23.05.1996, B 13 RJ 17/95, SozR 3 5750 Artikel 2 § 6 Nr. 15, wenn der deutsche Rentenversicherungsträger die ausländische Verbindungsstelle unzutreffend
informiert hat und diese dann ihrerseits den Versicherten unrichtig informiert).
cc.)
Auf eine Verletzung der Hinweispflicht nach §
115 Absatz
6 Satz 1
SGB VI kann die Klägerin ihren Herstellungsanspruch ebenfalls nicht stützen. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch ist zwar
nicht auf die Verletzung der Pflichten aus §§
14,
15 SGB I beschränkt, sondern kommt auch bei andersartiger Fehl- oder Nichtinformation der Versicherten in Betracht (BSG, Urteil vom 08.11.1995, 13 RJ 5/95, SozR 3 2600 § 300 Nr. 5). Als Pflicht, deren Verletzung grundsätzlich geeignet ist, einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zu begründen,
kommt insofern auch die aus §
115 Absatz
6 Satz 1
SGB VI resultierende Hinweispflicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift sollen die Träger der Rentenversicherung die Berechtigten
in geeigneten Fällen darauf hinweisen, dass sie eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen; die Rentenversicherungsträger
können dabei in gemeinsamen Richtlinien bestimmen, unter welchen Voraussetzungen solche Hinweise erfolgen sollen (Satz 2 a.a.O).
Sinn und Zweck des §
115 Absatz
6 SGB VI ist es, die nicht ausreichend Informierten vor Nachteilen aus dem Antragsprinzip zu bewahren (Hauck/Haines,
SGB VI-Kommentar, §
115, RdNr. 12; Gemeinschaftskommentar-
SGB VI / Meyer, §
115, RdNr. 4). Die Vorschrift wurde durch das Rentenreformgesetz 1992 zugleich mit §
99 SGB VI eingeführt, in dem die Auswirkung des Antragszeitpunktes auf den Rentenbeginn bestimmt wird. Da durch §
99 SGB VI gravierendere Folgen an die Antragstellung bzw. deren Zeitpunkt geknüpft werden als nach dem altem Recht der
RVO, ist als Korrektiv hierfür die Regelung des §
115 Absatz
6 SGB VI vorgesehen. Die Beklagte war im vorliegenden Fall aber nicht verpflichtet, der Klägerin einen Hinweis auf die Möglichkeit
des Bezugs einer Altersrente und auf den bei Überschreitung der Frist des §
99 Absatz
1 Satz 1
SGB VI eintretenden Anspruchsverlust zu erteilen. Die Verpflichtung der Beklagten zur Hinweiserteilung scheidet dabei zwar nicht
bereits deshalb aus, weil die Klägerin sich nicht rechtzeitig rat- oder auskunftsuchend an die Beklagte gewandt hätte, denn
für das Entstehen einer Verpflichtung des Versicherungsträgers zur Erteilung eines Hinweises ist eine Anfrage der Versicherten
nicht erforderlich (BSG, Urteil vom 22.10.1996, 13 RJ 23/95, BSGE 79, 168). Die Adressaten derartiger Hinweise (anders als etwa bei §
13 SGB I) müssen für den Versicherungsträger aber konkret bestimmbar sein, weil die Regelung den Schutz der Einzelnen bezweckt; nur
so kann davon ausgegangen werden, dass diesen auch ein subjektives Recht auf Erteilung eines Hinweises zustehen soll (Hauck/Haines,
SGB VI-Kommentar, §
115, RdNr. 13).
Unter Berücksichtigung der Ausführungen zu bb.) konnte eine entsprechende Hinweispflicht der Beklagten jedoch bereits deshalb
nicht bestehen, weil der Beklagten aufgrund der vor dem Jahr 2009 völlig fehlenden Informationen über die Natur des Aufenthalts
der Klägerin im Ghetto überhaupt nicht erkennbar war, worauf die Klägerin gegebenenfalls hinzuweisen war. Dies gilt unabhängig
davon, dass die Rechtsauffassung der Beklagten aus der ex-post-Perspektive jedenfalls nicht unrichtig war.
b.)
Zu einem anderen Ergebnis gelangt man auch nicht unter Berücksichtigung der vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin angeführten
Entscheidungen des BSG (BSG, Urteile vom 15.12.1983, 12 RK 6/83 -[...] -; vom 21.06.1990, 12 RK 27/88, BSGE 67, 90; vom 08.11.1995, 13 RJ 5/95, SozR 3 2600 § 300 Nr. 5), ohne dass es insoweit auf ein Verschulden der Beklagten ankomme (BSG, Urteile vom 12.10.1979, 12 RK 47/77, BSGE 49, 76; vom 09.05.1979, 9 RV 20/87, SozR 3100, § 44 Nr. 11; vom 15.12.1983, 12 RK 6/83 -[...] -; vom 28.02.1984, 12 RK 31/83, SozR 1200 § 14 Nr. 16; vom 24.10.1985, 12 RK 48/84, SozR 5070 § 10 a Nr. 13).
Diese Entscheidungen haben nicht den ihnen vom Bevollmächtigten zugesprochenen Inhalt. Sie sind insbesondere auf den vorliegenden
Fall nicht dahingehend übertragbar -, dass das für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch erforderliche Fehlverhalten
eines Versicherungsträgers darin liegen kann, dass dieser bis zum Zeitpunkt geänderter höchstrichterlicher Rechtsprechung
in größerer Zahl negative Bescheidungen erlassen hat, die aus der Ex- Post-Sicht der geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung
seitdem nicht mehr haltbar erscheinen, und aufgrund derer Berechtigte von einer Antragstellung abgehalten worden sind oder
sein könnten. Vielmehr fordern (auch) die vom Bevollmächtigten genannten Entscheidungen des 12. Senats des BSG für einen Herstellungsanspruch, dass das gerügte Verhalten - etwa eine fehlerhafte Gesetzesanwendung - bereits im Zeitpunkt
der Ausübung fehlerhaft gewesen sein muss, wozu die spätere Erkenntnis der Fehlerhaftigkeit aus der Rückschau nicht ausreicht.
Dass diese Anforderungen an den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zu stellen sind, ist nicht nur den vom Bevollmächtigten
angeführten Entscheidungen des 12. Senats des BSG zu entnehmen. Dies entspricht auch der Rechtsprechung weiterer Senate des BSG, so zum Beispiel der Rechtsprechung des 7. Senats (Urteil vom 25.01.1996, 7 RAr 60/94, SozR 3 3200 § 86 a Nr. 2), der ausgeführt hat, dass der Leistungsträger, wenn seine - negative - Auskunft über eventuelle
Leistungsansprüche im Zeitpunkt ihrer Erteilung der Gesetzeslage und dem Stand des eingeleiteten Gesetzgebungsverfahrens entsprach,
bei einer späteren, im Zeitpunkt der Auskunftserteilung nicht erkennbaren Gesetzesänderung zugunsten des Betroffenen nicht
verpflichtet ist, den durch eine verspätete Antragstellung bedingten Nachteil im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
auszugleichen. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des heute für das Recht der Rentenversicherung zuständigen 13. Senats
des BSG (Urteil vom 08.11.1995,13 RJ 5/95, SozR 3 2600 § 300 Nr. 5), der ausgeführt hat, dass ein Herstellungsanspruch nicht in Betracht kommt, wenn die dem Versicherten günstigen Voraussetzungen
erst später bekannt wurden oder nachgewiesen werden konnten.
Die in größerer Zahl ergangenen negativen Bescheidungen der Beklagten bis zum Jahr 2009 standen aber in Einklang mit der bis
zur "Rechtsprechungswende" des BSG zum ZRBG im Jahr 2009 bestehenden damaligen höchstrichterlichen Rechtsprechung, die die unbestimmten Rechtsbegriffe des "Entgelts"
und des Beschäftigungsverhältnisses "aus eigenem Willensentschluss" restriktiv ausgelegt hatte (vgl. etwa Urteil vom 07.10.2004,
B 13 RJ 59/03, BSGE 93, 214, und Beschluss vom 22.03.2007, B 5 R 16/07 B -[...] -). Dass Erfolgsaussicht für die Durchsetzung ihrer Ansprüche für die Klägerin erst aufgrund der Urteile des BSG von Juni 2009 bestand und vorher nicht, beruht somit nicht auf einem objektiven Fehlverhalten der Beklagten durch etwaige
Falschanwendung von Gesetzen bzw. Rechtsprechung im Zeitpunkt der Anwendung. Aus dem gleichen Grund führen auch die vom Bevollmächtigten
angeführten Entscheidungen des BSG vom 12.10.1979, 09.05.1979, 15.12.1983, 28.02.1984 und 24.10.1985 (alle a.a.O.) nicht weiter, nach denen ein - hier nicht
vorliegendes - im Zeitpunkt der Ausübung bereits objektiv fehlerhaftes Verhalten der Verwaltung, das einen Herstellungsanspruch
begründet, nicht subjektiv schuldhaft zu sein braucht. Beim Fehlen eines objektiven Fehlverhaltens kommt es auf die Frage
der subjektiven Vorwerfbarkeit nicht mehr an. Deutlich wird dies insbesondere aus der vom Bevollmächtigten angeführten Entscheidung
des BSG vom 12.10.1979 (12 RK 47/77), in der das BSG ausgeführt hat, dass der sozialrechtliche Herstellungsanspruch auf Seiten des Versicherungsträgers grundsätzlich kein Verschulden
voraussetze, also (auch) bestehe, wenn der Versicherungsträger im Zeitpunkt der Auskunftserteilung eine bereits damals objektiv
unrichtige Auskunft erteilt habe, er zu diesem Zeitpunkt aber von der Richtigkeit seiner Rechtsansicht habe ausgehen dürfen.
Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass zum einen wegen der verspäteten Antragstellung eine der notwendigen Anspruchsvoraussetzungen
nicht erfüllt ist und zum anderen eine Pflichtverletzung der Beklagten nicht vorliegt, die eine Ersetzung des nicht rechtzeitig
gestellten Antrags im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ermöglichen könnte.
IV.
Die von der Klägerin erstrebte Rechtsanwendung - Gewährung einer Altersrente auf der Grundlage des ZRBG bereits für die Zeit
ab dem 01.07.1997 trotz Versäumung der Antragsfrist des §
99 Absatz
1 Satz 1
SGB VI - ist schließlich auch unter Berücksichtigung des sogenannten Wiedergutmachungsgedankens nicht möglich. Denn zugunsten der
Klägerin wirkt sich hier auch nicht der vom Bundesgerichtshof (BGH) zum Entschädigungsrecht entwickelte Grundsatz aus, dass
eine Gesetzesauslegung, die möglich ist und dem Ziel entspricht, das zugefügte Unrecht so bald und so weit wie irgend möglich
wiedergutzumachen, den Vorzug gegenüber jeder anderen Auslegung verdient, die die Wiedergutmachung erschwert oder zunichte
macht (Urteile des BGH vom 26.02.1960, IV ZR 255/59, RzW 1960, 262; vom 22.02.2011, IX ZR 113/00, BGH Report 2001, 372). Zwar ist hiervon bei der Auslegung einschlägiger Vorschriften auch das BSG ausgegangen; der Bevollmächtigte der Klägerin hat die einschlägigen Entscheidungen des BSG auch (in anderem Zusammenhang) genannt (Urteile vom 26.10.1976, 12/1 RA 81/75, SozR 5070 § 9 Nr. 1; vom 12.10.1979, 12 RK 15/78, SozR 5070 § 10 a Nr. 2; vom 28.02.1984, 12 RK 50/82, SozR 5070 § 9 Nr. 7). Dennoch führt dies hier nicht zu einem anderen Ergebnis. Der Gesetzgeber hat mit dem ZRBG zur Wiedergutmachung
erlittenen Unrechts Rentenzeiten, die mit in einem Ghetto verrichteter Arbeit erworben wurden, unabhängig von weiteren Voraussetzungen
(insbesondere nach dem FRG) als Regelaltersrente zahlbar gemacht. Anders als etwa bei der Zuerkennung eines festen Entschädigungsbetrags handelt es
sich damit bei den auf der Grundlage des ZRBG gezahlten Leistungen um Renten, die dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung
nach dem
SGB VI folgen. Die aus dieser Konzeption folgenden Konsequenzen, wie etwa der Verfall von Rentenansprüchen für die Vergangenheit
bei Versäumung der Antragsfrist, treten aber bei allen Renten gleichermaßen ein und widersprechen insofern auch nicht dem
Wiedergutmachungsgedanken.
Aus dem gleichen Grund lässt sich auch kein anderes Ergebnis aus §
2 Absatz
2 Halbsatz 2
SGB I ableiten, wonach bei der Auslegung der Vorschriften des SGB sicherzustellen ist, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend
verwirklicht werden.
Nach alledem hat die Klägerin keinen Anspruch auf den Beginn der Regelaltersrente vor dem 01.10.2009 und damit auch nicht
auf Zahlung von Regelaltersrente für die Zeit vom 01.07.1997 bis zum 30.09.2009. Im Übrigen wirkt es sich zu Gunsten der Klägerin
aus, dass die Beklagte für den Zugangsfaktor (§
77 Absatz
2 Satz 1 Nr.
2 b SGB VI) davon ausgegangen ist, dass die Klägerin die Altersrente nach Erreichen der Regelaltersgrenze erst zum 01.10.2009 in Anspruch
genommen hat, so dass die Beklage insofern die Rente auch nach einem höheren Zugangsfaktor als bei einem (begehrten) Rentenbeginn
zum 01.07.1997 berechnet hat (vgl. § 3 Absatz 2 ZRBG). Angesichts des hohen Lebensalters der Klägerin dürfte sich allerdings
ihr wirtschaftliches Interesse eher auf eine (größere) Nachzahlung als auf eine laufende höhere Rente richten. Zu dem weiteren
Vortrag des Bevollmächtigten , dass die Regelungen der §§ 3 ZRBG und 44 SGB X sowie das Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs je nachdem, ob es sich um ein Überprüfungsverfahren oder eine
Erstbescheidung handele, zu sehr unterschiedlichen Folgen für den Rentenbeginn führen würden (Rentenbeginn ab 1997, ab 2005
oder erst ab Rentenantragstellung) und dies den Betroffenen schwierig zu vermitteln sei, ist auf Folgendes hinzuweisen: Überprüfungsanträgen
nach Ablehnungsbescheiden, die seit 2009 - fußend auf der "Rechtsprechungswende" des Bundessozialgerichts vom 02.06.2009 und
03.06.2009 zur Auslegung der Rechtsbegriffe des "Entgelts" und des Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses "aus eigenem
Willensentschluss" - gestellt wurden, kann nach § 44 Absatz 4 SGB X Rückwirkung maximal bis 2005 und nicht bis 1997 zukommen (vgl. allerdings die anhängigen zahlreichen Revisionen im 5. und
13 Senat des BSG zu der Frage: " Kann eine Rente bei Berechtigten des Personenkreises des § 1 ZRBG im Falle eines erstmaligen Rentenantrages noch vor Juli 2003 schon ab dem 01.07.1997 beginnen, wenn bereits eine bestandskräftig
gewordene Ablehnung des Rentenantrags vorlag und die Rente erst danach aufgrund eines Überprüfungsverfahrens bewilligt wurde
unter Anwendung von § 44 SGB X oder §
100 Absatz
4 SGB VI). Auch Erstbescheidungen aufgrund erstmaliger Antragstellung seit der "Rechtsprechungswende" in 2009 könnte selbst bei Vorliegen
eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs Rückwirkung nur in Anwendung des § 44 Absatz 4 SGB X (Urteil des erkennenden Senats vom 24.05.2013, L 14 R 432/12 - [...] -; dazu anhängig B 13 R 23/13 R) und damit ebenfalls maximal bis 2005 und nicht bis 1997 zukommen. Liegen die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
allerdings nicht vor, können Rentenleistungen in Einklang mit §
99 SGB VI erst ab dem Antragsmonat gewährt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Absatz
1 SGG.
Die Revisionszulassung folgt aus §
160 Absatz
2 Nr.
1 SGG, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.