Beschwerde gegen die einstweilige Verpflichtung zur Erbringung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II an einen bulgarischen Staatsangehörigen
Notwendigkeit von (hier fehlenden) Feststellungen des Sozialgerichts zur Hilfebedürftigkeit und zum tatsächlichen Aufenthalt
des Hilfesuchenden, der sich allein zur Arbeitssuche in Deutschland aufhält
Pflicht zur Durchführung von Amtsermittlungen im Rahmen der Prüfung des Anordnungsanspruchs
Glaubhaftmachung des Aufenthaltsortes
Zusammenhang zwischen Leistungsanspruch und Ortsanwesenheit
Gründe
I.
Der Antragsgegner wendet sich gegen seine einstweilige Verpflichtung zur Erbringung von Grundsicherungsleistungen nach dem
SGB II.
Der am 00.00.1987 geborene Antragsteller ist bulgarischer Staatsbürger. Er hält sich seit 2009 in der Bundesrepublik Deutschland
auf. Zusammen mit seinem Vater und einer Schwester bewohnte er in L eine gemeinsame Wohnung bis zu deren Räumung am 16.05.2014.
Wo er sich nachfolgend aufgehalten hat und aufhält, geht aus den Akten nicht hervor und ist auch dem Antragsgegner nicht bekannt.
Am 17.01.2014 und 28.01.2014 sprach der Antragsteller bei einer Dienststelle des Antragsgegners vor, gab an, bei seinem Vater
zu wohnen und bat um Prüfung, ob ihm aufstockend zu seiner bulgarischen Militärrente ein Anspruch nach dem SGB II zustehe. Aufgrund einer per E-Mail übermittelten Bitte des Flüchtlingshilfevereins "B e.V." versandte der Antragsgegner Antragsformulare
an den Antragsteller, die mit dem Vermerk "Empfänger nicht zu ermitteln" am 20.02.2014 zurückliefen.
Am 22.05.2014 hat der Antragsteller unter der o.a. Anschrift beim Sozialgericht Köln beantragt, den Antragsgegner zur Gewährung
von Leistungen nach dem SGB II, hilfsweise die Stadt L zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII einstweilig zu verpflichten. Er sei obdachlos, mittellos und werde teilstationär in der Tagesklinik C behandelt. Anträge
des Antragstellers, seines Vaters und seiner Schwester seien ignoriert oder abgelehnt worden. Dem Antrag beigefügt ist ein
ärztliches Attest der LVR-Klinik L - C vom 05.05.2014, in dem eine teilstationäre psychiatrische Behandlung wegen paranoider
Schizophrenie ab dem 04.04.2014 angegeben wird. Der Antragsgegner hat darauf hingewiesen, dass der Aufenthaltsort des Antragstellers
seit der Wohnungsräumung am 16.05.2014 unbekannt sei. Der Antragsteller sei zudem wegen Aufenthalts allein zur Arbeitsuche
nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.
Mit Beschluss vom 13.06.2014 hat das Sozialgericht den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem
Antragsteller vorläufig Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 22.05.2014 bis zum 31.08.2014 in Höhe des dem Antragsteller zustehenden Regelbedarfssatzes abzüglich
eventueller Einkünfte aus einer "militärischen Rente" zu gewähren. Auf die Begründung wird Bezug genommen.
Gegen den am 16.06.2014 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners vom 11.07.2014. Unabhängig davon,
dass der Antragsteller von Leistungen wegen Aufenthalts allein zur Arbeitsuche ausgeschlossen sei, habe das Sozialgericht
weder Feststellungen zur Hilfebedürftigkeit noch zum tatsächlichen Aufenthalt des Antragstellers getroffen, obwohl es sich
hierzu angesichts des aktenkundigen Sachverhalts hätte gedrängt sehen müssen.
Dem Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts hat der Senatsvorsitzende mit Beschluss vom
22.07.2014 stattgegeben.
II.
Die zulässige Beschwerde ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht begründet.
Der Rechtsstreit ist in entsprechender Anwendungen von §
159 Abs.
1 Nr.
2 SGG zurückzuverweisen. Die Vorschrift ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes unter Berücksichtigung seiner Besonderheiten
entsprechend anwendbar (LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 20.11.2006 - L 18 B 1037/06 AS ER, LSG Schleswig-Holstein Beschluss vom 18.11.2011 - L 5 KR 202/11 B, jeweils m.w.N; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Auflage, §
159 Rn. 1, Lüdtke in HK-
SGG, 4. Auflage, §
159 Rn. 3 m.w.N.; zurückhaltend im Hinblick auf Eilbedürftigkeit und Vorläufigkeit der Verfahren Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte,
SGG, 2. Aufl., §
159 Rn. 3).
Die Zurückverweisung erfolgt auf der Grundlage von §
159 Abs.
1 Nr.
2 SGG, weil das sozialgerichtliche Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und (nach den Maßstäben des einstweiligen Rechtsschutzes)
eine umfangreiche und aufwendige Beweisaufnahme notwendig ist. Das Sozialgericht hat die Pflicht zur Durchführung von nach
§
103 SGG gebotene Ermittlungen von Amts wegen im Rahmen der Prüfung des Anordnungsanspruchs verletzt. Insbesondere evident überprüfungsbedürftig
sind die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II und das Nichteingreifen des Ausschlussgrundes für den Bezug von Leistungen nach § 7 Abs. 4 a SGB II.
Weder der Verwaltungsakte noch den gerichtlichen Erklärungen des Antragstellers sind Umstände zu entnehmen, die geeignet sind,
Hilfebedürftigkeit als glaubhaft gemacht anzusehen. Das Sozialgericht hat weder eine entsprechende eidesstattliche Versicherung
des Antragstellers eingeholt, noch irgendwelche Feststellungen zur Höhe der bulgarischen "Militärrente" getroffen, obwohl
es sich mindestens hierzu hätte gedrängt fühlen müssen. Überprüfungsbedürftig ist auch, ob der Antragsteller nach § 7 Abs. 4 a SGB II von Leistungen ausgeschlossen ist, weil er sich ohne Zustimmung außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhält. Allein
die Angabe der postalischen Zustellungsadresse bei der "S Clinik" an der Universität L reicht für die Glaubhaftmachung des
Aufenthaltsortes nicht aus. Nach §§ 77 Abs. 1 SGB II i.V.m § 7 Abs. 4a SGB II in der Fassung des Gesetzes vom 20.07.2006 (BGBl I 1706), die wegen des bislang unterbliebenen Erlasses der im Nachfolgerecht
vorgesehenen Verordnung weiterhin gilt, wird der Zusammenhang zwischen Leistungsanspruch und Ortsanwesenheit wie folgt hergestellt:
"Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der
Erreichbarkeitsanordnung (EAO) definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend." Für Wohnungslose
muss sichergestellt sein, dass der Hilfesuchende jeden Tag für den Träger der Grundsicherung erreichbar ist. Der Senat hat
keine Bedenken gegen die gerichtsbekannte von dem Antragsgegner praktizierte Verfahrensweise, wonach sich der Antragsteller
täglich bei einer anerkannten Beratungs- und Betreuungseinrichtung melden muss, die sich im Zuständigkeitsbereich des Trägers
der Grundsicherung befindet und die sich verpflichtet, dem Träger der Grundsicherung mitzuteilen, wenn sich der Hilfesuchende
dort nicht mehr meldet (Beschluss des Senats vom 28.07.2014 - L 19 AS 1060/14 B ER; LSG Berlin - Brandenburg Beschluss vom 03.08.2008 - L 29 B 2228/07 AS; Thie in LPK-SGB II, 5. Aufl., § 7 Rn. 107; Fachliche Hinweise der BA, Stand 20.12.2013, § 7). Damit kann den Anforderungen der EAO nachgekommen und gleichzeitig sichergestellt werden, dass der Träger der Grundsicherung erfährt, wenn sich der Hilfesuchende
evtl. nicht mehr in seinem Zuständigkeitsbereich aufhält.
Die anzustellenden Ermittlungen sind nach dem im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes geltenden Maßstab der Glaubhaftmachung
und des insoweit reduzierten Prüfungsumfangs umfangreich und aufwändig im Sinne von §
159 Abs.
1 S. 2
SGG.
Bei der im Rahmen seines Ermessens stehenden Entscheidung (z.B. Keller a.a.O. Rn. 5 ff., Lüdke a.a.O. Rn. 8, jeweils mit weiteren
Nachweisen) hat der Senat unter Berücksichtigung der Prozesswirtschaftlichkeit, des Beschleunigungsgebotes und der Effektivität
des Rechtsschutzes berücksichtigt ist, dass es sich um zur Prüfung eines Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
grundlegende Feststellungen handelt, ohne die eine positive Entscheidung zugunsten des Antragstellers ausgeschlossen ist und
die zweitinstanzlichen Ermittlungen und Feststellungen nicht ökonomischer und zeitnäher durchzuführen sein würden, als Feststellungen
und Ermittlungen des Sozialgerichts. Diesem Gesichtspunkt war Vorrang gegenüber einer nicht einmal sicher feststehenden Verzögerung
durch die Zurückverweisung einzuräumen.
Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).