Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe
Voraussetzungen für eine Klagerücknahmefiktion
Rückwirkende Bewilligung von PKH
Unzulässigkeit der Anfechtungsklage wegen fehlender Angabe einer ladungsfähigen Anschrift (hier lediglich Angabe von Postfachadressen)
1. Es ist grundsätzlich nicht zulässig, das Hauptsacheverfahren abzuschließen, ohne zuvor über einen Prozesskostenhilfeantrag
zu entscheiden. Das gilt auch für die Anwendung der Vorschriften über die Klagerücknahmefiktion.
2. Für eine Betreibensaufforderung i.S.v. §
102 Abs.
2 S. 1
SGG ist das Unterlassen von Mitwirkungshandlungen erforderlich, die für die Feststellung entscheidungserheblicher Tatsachen bedeutsam
und nach der Rechtsansicht des Gerichts notwendig sind, um den Sachverhalt zur Entscheidungsreife aufzuklären.
3. Die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift dient nicht der Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts, sondern
der Ergänzung der in §
92 Abs.
1 S. 1
SGG zwingend vorgeschriebenen Inhalte einer Klageschrift.
4. Enthält die Klageschrift keine zustellungsgeeignete und damit auch keine ladungsfähige Anschrift, ist die Klage nach herrschender
Meinung jedenfalls dann unzulässig, wenn die Angabe ohne weiteres möglich ist und kein schützenswertes Interesse hinsichtlich
der Geheimhaltung einer Adresse entgegensteht. Die Angabe einer Postfachadresse oder die Angabe "postlagernd" genügen insoweit
nicht.
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
Das Sozialgericht hat zutreffend die hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung i.S.v. §
73a Abs.
1 S. 1
SGG i.V.m. §
114 ZPO verneint.
1. Ausgehend vom Standpunkt des Sozialgerichts, dass das Verfahren aufgrund der Rücknahmefiktion des §
102 Abs.
2 S. 1
SGG beendet ist, verletzt die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag erst nach Ablauf der Frist des §
102 Abs.
2 S. 1
SGG und bei angenommener Erledigung des Verfahrens allerdings den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (vgl. hierzu Beschluss
des BSG vom 04.12.2007 - B 2 U 165/06 B). Im Hinblick auf die vom Bundesverfassungsgericht betonte Funktion der Prozesskostenhilfe, den rechtsstaatlich gebotenen
Rechtsschutz zugänglich zu machen, ist es grundsätzlich nicht zulässig, das Hauptsacheverfahren abzuschließen, ohne zuvor
über einen Prozesskostenhilfeantrag zu entscheiden. Das gilt auch für die Anwendung der Vorschriften über die Klagerücknahmefiktion.
Ist der Prozesskostenhilfeantrag - wie im vorliegenden Fall wegen Nichtvorlage einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse - noch nicht bewilligungsreif (vgl. zum Begriff der Bewilligungsreife BVerfG, Beschluss vom 14.04.2010 - 1 BvR 362/10), muss ggf. zuerst eine Frist nach §
73a Abs.
1 S. 1
SGG i.V.m. §
118 Abs.
2 S. 4
ZPO zur Glaubhaftmachung der Angaben zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, zur Substantiierung des Prozesskostenhilfeantrags
oder Beantwortung bestimmter Fragen gesetzt werden. Erst bei fruchtlosem Verstreichen der Frist ist der Prozesskostenhilfeantrag
abzulehnen. Auch kann vor der Entscheidung über einen Prozesskostenhilfeantrag einem Beteiligten das Betreiben des Gerichtsverfahrens
nicht aufgegeben werden (Beschluss des Senats vom 20.11.2013 - L 19 AS 1186/13 B; so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.04.2013 - L 5 KR 605/12). Die vom Sozialgericht angenommene Beendigung des Verfahrens durch eine Klagerücknahmefiktion schließt damit eine rückwirkende
Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht aus.
2. Ohnehin ist fraglich, ob das Verfahren nach §
102 Abs.
2 S. 1
SGG beendet worden ist. Es bestehen Zweifel, ob die Voraussetzungen für eine Rücknahmefiktion vorgelegen haben (vgl. hierzu BVerfG,
Beschluss vom 17.09.2012 - 1 BvR 2254/11; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.04.2013 - L 5 KR 605/12). Die Rücknahmefiktion greift in das (Prozess-)Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art.
19 Abs.
4 GG bzw. in die entsprechenden im Einzelfall betroffenen materiellen Grundrechte ein. Zwar ist dies grundsätzlich zulässig. Nach
der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. etwa Beschlüsse vom 27.10.1998 - 2 BvR 2662/95 und vom 17.09.2012 - 1 BvR 2254/11) darf ein Gericht im Einzelfall (erst dann) von einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses ausgehen, wenn das Verhalten eines
Verfahrensbeteiligten Anlass zu der Annahme bietet, dass ihm an einer Sachentscheidung nicht mehr gelegen ist. Für eine Betreibensaufforderung
i.S.v. §
102 Abs.
2 S. 1
SGG genügt dagegen bereits das Unterlassen einer Mitwirkungshandlung, die für die Feststellung entscheidungserheblicher Tatsachen
bedeutsam und nach der Rechtsansicht des Gerichts notwendig ist, um den Sachverhalt zur Entscheidungsreife aufzuklären (BSG, Urteil vom 01.07.2010 - B 13 R 74/09 R). Der Gesetzgeber nimmt insoweit auf die sich aus §
103 SGG ergebenden Mitwirkungspflichten Bezug (BR-DRs. 820/07, S. 24). §
102 Abs.
2 SGG dient dabei nicht der Sanktionierung eines Verstoßes gegen prozessuale Mitwirkungspflichten oder des unkooperativen Verhaltens
eines Beteiligten. Die Rücknahmefiktion soll nur die Voraussetzungen für die Annahme eines weggefallenen Rechtsschutzinteresses
festlegen und gesetzlich legitimieren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.09.2012 - 1 BvR 2254/11).
Die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift dient nicht der Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts, sondern
der Ergänzung der in §
92 Abs.
1 S. 1
SGG zwingend vorgeschriebenen Inhalte einer Klageschrift (vgl. hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11 Aufl., §
92 Rn. 4 m.w.N.). Bei Fehlen von Angaben i.S.v. §
92 Abs.
1 S. 1
SGG sieht §
92 Abs.
2 SGG vor, dass ein Beteiligter vom Gericht unter Fristsetzung mit ausschließender Wirkung zur Ergänzung der Angaben aufgefordert
werden kann. Falls die Ergänzung nicht innerhalb der nach §
92 Abs.
2 SGG gesetzten Frist vorgenommen wird, kann eine Klage als unzulässig abgewiesen werden.
3. Prozesskostenhilfe ist dennoch nicht zu bewilligen, weil die Klage zu keinem Zeitpunkt hinreichende Aussicht auf Erfolg
i.S.d. §§ 73a Abs. 1 S. 1
SGG, 114
ZPO hatte. Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 07.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.11.2013,
mit dem der Beklagte der Klägerin die Bewilligung von Leistungen für die Zeit vom 24.04.2013 bis zum 31.08.2013 wegen fehlender
Mitwirkung nach §
66 SGB I versagt hat. Die gegen diesen Versagungsbescheid erhobene Leistungsklage ist nach §
54 Abs.
4 SGG unzulässig (vgl. hierzu BSG, Beschluss vom 25.02.2013 - B 14 AS 25/14 R m.w.N.). Gegen die Versagung einer Sozialleistung wegen fehlender Mitwirkung ist grundsätzlich nur die reine Anfechtungsklage
i.S.v. §
54 Abs.
2 SGG gegeben.
Gleichfalls ist die erhobene Anfechtungsklage unzulässig, da die Klägerin bislang keine ladungsfähige Anschrift angegeben
hat. Zu den zwingenden Bestandteilen einer wirksamen Klageerhebung bei Gericht gehört es nach §
92 Abs.
1 S. 1
SGG, eine ladungsfähige Anschrift des Klägers zu benennen (BSG, Beschluss vom 18.11.2003 - B 1 KR 1/02 S - SozR 4-1500 § 90 Nr 1; siehe auch BVerwG, Urteil vom 13.04.1999 - 1 C 24/97 - NJW 1999, 2608 und Beschluss vom 14.02.2012 - 9 B 79/11 u.a. - NJW 2012, 1527). Enthält die Klageschrift keine zustellungsgeeignete und damit auch keine ladungsfähige Anschrift, ist die Klage nach herrschender
Meinung jedenfalls dann unzulässig, wenn die Angabe ohne weiteres möglich ist und kein schützenswertes Interesse hinsichtlich
der Geheimhaltung einer Adresse entgegensteht (vgl. dazu Urteil des Senats vom 13.02.2012 - L 19 AS 1861/11 m.w.N.). Die Angabe einer Postfachadresse oder die Angabe "postlagernd" genügen insoweit nicht (vgl. hierzu Leitherer in
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl., §
92 Rn. 4 m.w.N.). Es ist der Klägerin, auch wenn sie sich im Ausland befindet, zuzumuten, eine Adresse (Straße und Hausnummer)
zu benennen, unter der sie sich regelmäßig aufhält und unter der ihre Erreichbarkeit sichergestellt ist (vgl. VG München,
Urteil vom 18.11.2014 - M 5 K 14.2313 m.w.N.). Im vorliegenden Verfahren hat die Klägerin bislang immer nur Postfachadressen
angegeben. Auch im vorliegenden Beschwerdeverfahren hat sie lediglich eine Postfachadresse , nämlich "xxx", in Luxemburg angegeben.
Auch die im Verfahren für die Klägerin tätigen Rechtsanwälte haben sich nicht in der Lage gesehen, dem Sozialgericht eine
ladungsfähige Anschrift mitzuteilen. Die nunmehr für die Klägerin auftretenden Prozessbevollmächtigten geben als Adresse der
Klägerin "Postfach xxx, Frankfurt am Main" an. Soweit die Klägerin vorübergehend im Verfahren eine Adresse in Großbritannien
angegeben hat, hat es sich nach den Ermittlungen im beigezogenen Parallelverfahren S 21 AS 188/14 um eine nicht zustellungsfähige Anschrift gehandelt mit der Folge, dass ein Zustellungsersuchen von der Deutschen Botschaft
in London als nicht durchführbar zurückgereicht wurde.
Deshalb kann dahinstehen, ob die Klägerin bedürftig i.S.v. §§ 73a Abs. 1 S. 1
SGG, 114,115
ZPO ist. Insoweit bestehen erhebliche Zweifel, weil die Klägerin in der am 28.01.2014 erteilten Prozessvollmacht auf eine bestehende
Rechtsschutzversicherung Bezug nimmt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§3 73a Abs. 1 S. 1
SGG, 127 Abs. 4
ZPO).
Dieser Beschluss ist nicht mit einer Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, §
177 SGG.