Anspruch auf Arbeitslosengeld II
Rechtswidrigkeit einer Entziehungsentscheidung nach einer Nachholung der Mitwirkung
Gründe
Nach §
73 a SGG in Verbindung mit §§
114,
115 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
1. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs
hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Die hier streitige Versagung findet ihre Rechtsgrundlage in §
66 Abs.
1 Satz 1
SGB I. Danach kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistungen bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise
versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistungen nicht nachgewiesen sind, und derjenige, der eine Sozialleistung
beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§
60 bis
62,
65 SGB I nicht nachkommt und dadurch die Aufklärung des Sachverhaltes erheblich erschwert wird. Die Leistungsentziehung hindert nicht
das Entstehen eines Leistungsanspruchs oder das Bestehen des subjektiven Leistungsrechts, vielmehr gehen die Leistungsansprüche
vom Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Entziehungsentscheidung, d.h. zukunftsgerichtet für die Dauer der Entziehungsentscheidung
unter.
Das Sozialgericht geht mit der Annahme fehl, dass es für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit des Entziehungsbescheids auf
den Zeitpunkt des Erlasses desselben (hier: 02.07.2017) ankommt. Vielmehr wird die Entziehungsentscheidung mit der Nachholung
der Mitwirkungshandlung rechtswidrig, was jedoch nicht unmittelbar zum Wiederaufleben der Leistungsansprüche, sondern lediglich
zu einem Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die nachträgliche Erbringung der entzogenen Sozialleistungen
führt (Voelzke in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB I, 3. Aufl. 2018, §
66 SGB I, Rn. 65). Mit der nachgeholten Mitwirkungshandlung müsste der (sodann rechtswidrige) Entziehungsbescheid von der Behörde
- oder ggf. durch das Gericht - nachträglich aufgehoben werden.
Darüber hinaus dürfte §
66 Abs.
1 Satz 1
SGB I von vornherein nicht zu einer Entziehungs- oder Versagungsentscheidung gegenüber Personen ermächtigen, die selbst keine Mitwirkungspflicht
verletzt haben, sondern mit einer anderen Person, die eine eigene Mitwirkungspflicht verletzt hat, in einer Bedarfsgemeinschaft
i.S. des § 7 Abs. 3 SGB II leben oder deren Anspruch auf Sozialleistungen in sonstiger Weise von Umständen abhängig ist, die in der Person des zur Mitwirkung
Verpflichteten begründet liegen (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht vom 21.06.2016 - L 6 AS 121/13 -, Rn. 41, juris; SG Potsdam vom 09.04.2014 - S 40 AS 1288/11 - juris). Denn für eine solche Zurechnung dürfte es an der dafür erforderlichen normativen Grundlage fehlen (Zieglmeier,
NZS 2012, 135, 137 m. w. N.; zu Sanktionen BSG vom 02.12.2014 - B 14 AS 50/13 R, juris).
Unabhängig davon war der Entziehungsbescheid zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife über das Prozesskostenhilfegesuch zumindest
in Bezug auf die am Verfahren beteiligten Kläger - teilweise - rechtswidrig geworden, weil davon auszugehen ist, dass die
Klägerin zu 1) ihrer Mitwirkungspflicht vollumfänglich nachgekommen ist. Dem am 00.00.2002 geborenen Kläger zu 2) sowie dem
am 00.00.2015 geborenen Kläger zu 3) wurden in den dem Entziehungsbescheid vorangegangenen Aufforderungen zur Mitwirkung vom
10.5.2017 (Bl. 182 d. VA) und 23.5.2017 (Bl. 187 d. VA) keine eigenen Mitwirkungsobliegenheit auferlegt. Die Erfüllung der
Mitwirkungsobliegenheit der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (Lebensgefährte und der 22-jährige Sohn der Klägerin
zu 1) können für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe im hiesigen Verfahren keine Bedeutung erlangen, weil diese nicht am
Rechtsstreit beteiligt sind.
Von der Klägerin zu 1) wurde mit der Aufforderung zur Mitwirkung vom 10.5.2017, welche inhaltsgleich am 23.5.2017 gegenüber
der Klägerin zu 1) nochmals wiederholt wurde, lediglich
- die Vorlage der Kontoauszüge für den Zeitraum ab Januar 2017
- sowie Nachweise über den Zufluss des Gehalts (Kontoauszug oder Barquittung) seit November 2016 und eine Auflistung, an welchen
Tagen gearbeitet wurde, und
- Angaben zur geltend gemachten Erstausstattung verlangt.
Mit Schreiben vom 28.05.2017 erfolgte die - seitens des Beklagten nicht näher konkretisierte - Stellungnahme zur begehrten
Erstausstattung (Bl. 198 d. VA). Darüber hinaus führte der Beklagte im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (S 2 AS
3282/ 17 ER) mit Schriftsatz vom 21.8.2017 aus, dass die Klägerin am 8.6.2017 die Quittungen über ihren Verdienst für Februar
bis April 2017 vorgelegt hat. Zudem hat die Klägerin zu 1) auch ein Schreiben des Arbeitgebers über eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses
mit Wirkung zum 11.5.2017 vorgelegt (Bl. 25 d. GA zum ER-Verfahren). Mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 12.6.2017
wurden sodann auch die Kontoauszüge für den Zeitraum vom 23.12.2016 bis zum 1.6.2017 eingereicht (Bl. 213 ff. d. VA).
Somit fehlten zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags lediglich noch die Verdienstbescheinigungen
für den Zeitraum November 2016 bis Januar 2017 sowie die Einzelaufstellung der Arbeitstage. Diesbezüglich ist jedoch davon
auszugehen, dass - zumindest zu diesem Zeitpunkt - der Beklagte sich durch einen geringeren Aufwand als die Klägerin zu 1)
die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann / konnte, so dass eine insoweit fehlende Mitwirkung die Aufklärung des
Sachverhaltes nicht erheblich erschwert wurde, wie §
66 Abs.
1 S. 1
SGB I dies voraussetzt. So findet sich in den Akten vorliegend ein Gesprächsvermerk über eine persönliche Vorsprache der Klägerin
zu 1) (Bl. 192 d. VA). Dort erfolgten weitere Angaben zum Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber Herrn Schiller. Allerdings
verzichtete der Beklagte auf eine eigene Vernehmung des Arbeitgebers, obwohl dieser die Klägerin zu 1) ausweislich des Gesprächsvermerks
persönlich zum Gesprächstermin begleitet hat. Bei der persönlichen Vernehmung des Arbeitsgebers durch den Leistungssachbearbeiter
des Beklagten hätte es sich allerdings um eine Maßnahme mit einem geringeren Aufwand zur Ermittlung von Arbeitszeit und Arbeitsentgelt
gehandelt, als von der Klägerin zu 1) Quittungen und Aufstellungen für einen vergangenen Zeitraum zu fordern, die der Klägerin
zu 1) unter Umständen nicht einmal (mehr) vorlagen. Dies insbesondere unter Beachtung der Tatsache, dass es dem Beklagten
ausweislich des Vermerks um den Ausschluss eines Scheinarbeitsverhältnisses ging. Daneben bestand für den Beklagten die Möglichkeit,
eine Arbeitgeberauskunft (§ 57 ASGB II) einzuholen.
2. Ausgehend von dem eingereichten Antragsvordruck sind die Kläger aufgrund der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
aktuell nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen. Diese verfügen lediglich über Einkommen aus Kindergeld
i.H.v. 389,00 EUR sowie über kein nennenswertes Vermögen.
3. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist erforderlich (§
73a SGG i.V.m. §
121 Abs.
2 ZPO) und die Rechtsverfolgung ist auch nicht mutwillig. Es wird auf die Ausführungen zu Ziffer 1. verwiesen.
4. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten (§
73a SGG i.V.m. §
127 Abs.
4 ZPO).
5. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§
177 SGG).