Grundsicherung für Arbeitsuchende
Antrag auf vorläufige Verpflichtung zur Übernahme von Zahlungsrückständen aus einem Stromlieferungsvertrag
Voraussetzungen für einen Anspruch auf Übernahme von Stromschulden
Notwendigkeit des Ausschöpfens aller zumutbaren Selbsthilfemöglichkeiten
Versuch einer Ratenzahlungsvereinbarung oder eines Lieferantenwechsels als zumutbare Selbsthilfemaßnahme
Gründe
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners, die Zahlungsrückstände der Antragstellerin
aus dem Stromliefervertrag mit den Stadtwerken E in Höhe von 929,52 Euro zu übernehmen, zu Recht abgelehnt.
Gemäß §
86b Abs.
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann das Gericht der Hauptsache einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis (Anordnungsanspruch) treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint
(Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO)).
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, weil die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat. Der Senat
nimmt diesbezüglich zur Vermeidung von Wiederholungen nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage zunächst auf die zutreffenden
Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Beschluss Bezug (§
142 Abs.
2 Satz 3
SGG).
Er hält weiterhin an seiner Rechtsprechung fest, dass ein Anspruch auf Übernahme von Stromschulden durch Gewährung eines entsprechenden
Darlehens nach § 22 Abs. 8 Zweites Buch Sozialbuch (SGB II) voraussetzt, dass zunächst alle zumutbaren Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft worden sind. Dies folgt aus § 2 Abs. 1 SGB II, der bestimmt, dass eine leistungsberechtigte Person zunächst sämtliche zur Verfügung stehenden anderen Mittel und Möglichkeiten
einzusetzen hat, bevor öffentliche Leistungen zur Schuldentilgung in Anspruch genommen werden dürfen [vgl. Beschluss des erkennenden
Senats vom 16.06.2014 - L 2 AS 932/14 B ER unter Hinweis auf die Rechtsprechung des 12. Senats des LSG NRW (Beschluss vom 08.10.2012 -. L 12 AS 1442/12 B ER RdNr. 20 bei [...]]. Dieser Grundsatz der Vorrangigkeit der Selbsthilfemöglichkeiten gilt in besonderem Maße für die
Übernahme rückständiger Energiekosten, da der Leistungsträger sonst zum Ausfallbürgen der Energieversorgungsunternehmen werden
würde. Das Risiko des Energieversorgers, die von ihm an seinen Kunden erbrachten Leistungen auch abgegolten zu erhalten, muss
deshalb zunächst in dem zu Grunde liegenden rein zivilrechtlichen Rechtsverhältnis geklärt werden, bevor ein etwaiger Einstand
des Leistungsträgers und damit eine Risikoüberleitung auf den Steuerzahler in Betracht kommt (siehe auch Beschluss des erkennenden
Senates vom 13.05.2013 - L 2 AS 313/13 B ER, RdNn. 48 bei [...]).
Zumutbare Selbsthilfemöglichkeiten hat die Antragstellerin aber nicht hinreichend ausgeschöpft. Hierzu gehört jedenfalls,
dass sich der Leistungsberechtigte bei einer angekündigten oder schon erfolgten Stromsperre zunächst an seinen Energieversorger
wendet, um zu versuchen, mit diesem eine Ratenzahlungsvereinbarung zu treffen. Einen solchen ernsthaften Versuch hat die Antragstellerin
aber nicht glaubhaft gemacht. Sie hat lediglich einen Kontoauszug der Stadtwerke E vom 10.04.2015 vorgelegt, in dem handschriftlich
festgestellt wird: "Eine Ratenzahlung auf offene Abschläge wird abgelehnt." Unklar bleibt diesbezüglich, welchen konkreten
Antrag die Antragstellerin zu diesem Zeitpunkt gestellt hat und aus welchen Gründen die Ablehnung erfolgt ist. Anhaltspunkte
dafür, dass sich die Antragstellerin nach dem Schreiben vom 10.08.2015, mit dem die Stadtwerke E die Zahlung der angemahnten
Rückstände und die Unterbrechung der Belieferung ab dem 18.08.2015 angekündigt haben, erneut an diese gewendet hat, um nunmehr
eine Zahlungsregelung zu vereinbaren, sind nicht ersichtlich. Nach Aktenlage ist vielmehr davon auszugehen, dass sie sich
ohne weitere Bemühungen eine Versorgungsunterbrechung durch den Energieversorger zu verhindern, unmittelbar und ausschließlich
an den Antragsgegner gewendet hat, um von diesem ein Darlehen für die nunmehr auf insgesamt 929,52 Euro angewachsenen Stromschulden
zu erhalten. Ein ernsthafter Wille zur Selbsthilfe ist aufgrund dieses Verhaltens nicht erkennbar.
Unabhängig davon hat die Antragstellerin auch keine hinreichenden Anstrengungen unternommen, die Stromversorgung durch einen
Wechsel des Stromanbieters zu gewährleisten. Auch der Versuch eines Lieferantenwechsels ist nach Auffassung des Senates aber
eine zumutbare Selbsthilfemaßnahme um eine baldige Wiederaufnahme der Stromversorgung zu erreichen. Der Netzbetreiber ist
dann gemäß § 14 Abs. 4 der Verordnung über den Zugang zu Elektrizitätsversorgungsnetzen (Stromnetzzugangsverordnung) verpflichtet,
eine Stromdurchleitung zum Letztverbraucher unverzüglich wiederherzustellen, und kann dies nicht vom Ausgleich von Zahlungsrückständen
gegenüber dem bisherigen Stromanbieter abhängig machen.
Der Versuch eines Anbieterwechsels war der Antragstellerin auch zuzumuten, obwohl sie ein Pfändungsschutzkonto vorhält und
sich in der Wohlverhaltensphase einer Verbraucherinsolvenz befindet. Dies wäre nur dann nicht der Fall, wenn ein Stromanbieterwechsel
ohne Bonitätsprüfung praktisch unmöglich ist. Hiervon ist aber nicht auszugehen. Nach einer Internetrecherche des Senates
gibt es durchaus auch Stromanbieter, die Neukunden - teilweise nur bei Vorkasse, teilweise aber auch ohne Vorkasse - ohne
Bonitätsprüfung aufnehmen (vgl. z.B. www.bester-stromanbieter.net, www.schufa-nicht-notwendig.de, www.testsieger-berichte.de/2014/07/14stromanbieter-ohne
Bonitätsprüfung). Die hierzu zum Teil zu leistenden Vorauszahlungen werden dabei zum Teil auch nur monatsweise angefordert
und sind daher nicht als unzumutbare Vertragsbedingungen anzusehen. Der Kunde hat diesbezüglich die Möglichkeit, mit Hilfe
eines online auszufüllenden Antrags eine Vielzahl von Stromanbietern anzufragen und die Möglichkeit eines Anbieterwechsels
sowie die vertraglichen Bedingungen zu ermitteln. Angesicht dieser einfachen Möglichkeit, zumindest den Versuch eines Anbieterwechsels
zu unternehmen, sieht der Senat die telefonische Anfrage der Antragstellerin bei zwei Stromanbietern mit der Bitte um Rückruf
nicht als ausreichende Selbsthilfebemühung an. Der Umstand, dass dieser Rückruf nach Angaben der Antragstellerin nicht erfolgt
ist, ist kein ausreichendes Indiz dafür, dass ein Stromanbieterwechsel für sie nahezu unmöglich ist und deshalb als zumutbare
Selbsthilfemöglichkeit vor vornerein ausfällt. Jedenfalls eine schriftliche Anfrage bei verschiedenen Stromanbietern ist aus
Sicht des Senates vor einer Inanspruchnahme des Antragsgegners erforderlich. Solche Anfragen hat die Antragstellerin bisher
aber weder behauptet noch glaubhaft gemacht. Der Umstand, dass sie an einer psychischen Erkrankung leidet, schließt dies nicht
aus, weil keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese so schwerwiegend ist, dass die Antragstellerin aufgrund dieser Erkrankung
nicht mehr dazu in der Lage ist, ihr eigenen Angelegenheiten zu regeln.
Eine Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II durch den Antragsgegner kommt zudem auch bei Ausschöpfung der Selbsthilfemöglichkeiten nur dann in Betracht, wenn diese objektiv
geeignet ist, die Energieversorgung (dauerhaft) zu sichern. Dies setzt voraus, dass die Antragstellerin prognostisch dazu
in der Lage sein wird, die geforderten Abschlagszahlungen künftig weiter zu erbringen. Angesichts der Höhe der monatlichen
Stromabschläge von 176,- Euro kann hiervon nicht ausgegangen werden. Angaben dazu, aus welchen Mitteln diese Stromabschläge
künftig neben der aktuell noch zu übernehmenden Differenz der tatsächlichen Bruttokaltmiete zu den von dem Antragsgegner übernommen
Kosten der Unterkunft und Heizung finanziert werden sollen oder welche Energiesparmaßnahmen sie eingeleitet hat, hat die Antragstellerin
bisher nicht gemacht. Ohne eine Reduzierung des deutlich überhöhten Stromverbrauchs durch Maßnahmen zur sparsameren Energienutzung
- wie beispielweise eine Energieberatung -, deren Notwendigkeit sich der Antragstellerin aufdrängen muss, ist aber bereits
kurzfristig eine erneute Stromsperre zu erwarten. Da insbesondere die Stadtwerke E eine solche Energieberatung kostenlos anbieten,
drängt bietet sich auch aus diesem Grund eine erneute Kontaktaufnahme mit diesen auf.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit einer Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§
177 SGG).