Tatbestand
Der Kläger begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Neufeststellung seiner Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder
nach Altersteilzeit (im Folgenden: Altersrente) unter Berücksichtigung einer Ersatzzeit wegen Internierung/Verschleppung bzw.
der Rückkehrverhinderung und unter Anwendung von Entgeltpunkten (EP-West) anstelle von Entgeltpunkten (Ost) - EP-Ost -.
Der am 00.00.1939 in K., T., Russland, geborene Kläger wurde 1941 gemeinsam mit seiner Familie in eine Sondersiedlung in L.,
Kasachstan, umgesiedelt. Die Entlassung aus der Sondersiedlung erfolgte gemäß Erlass des Präsidiums des obersten Sowjets der
UdSSR vom 13.12.1955 im Januar 1956. Mit einem am 27.08.1991 beim Bundesverwaltungsamt (BVA) eingegangen Antrag begehrte der
Kläger die Aufnahme als Aussiedler in die Bundesrepublik Deutschland (BRD) und gab u.a. an, dass er beabsichtige, seinen Wohnort
in Nordrhein-Westfalen zwecks Familienzusammenführung zu nehmen. Mit Aufnahmebescheid vom 29.09.1993 wurde die Übersiedlung
in die BRD genehmigt. Am 19.12.1993 traf der Kläger im Bundesgebiet ein und wurde dem Land Brandenburg, Landesaufnahmeeinrichtung
in Q., zugewiesen. Die Verteilung gem. § 8 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge - Bundesvertriebenengesetz - (BVFG) erfolgte in die Nähe der am 22.09.1993 eingereisten und Brandenburg zugeteilten Tochter im Familienverband. Am 22.12.1993
erfolgte die Anmeldung in Q. Der Kläger meldete sich beim Arbeitsamt D. arbeitslos, bezog Eingliederungshilfe und besuchte
einen Sprachkurs. Am 15.05.1994 zogen der Kläger und seine Ehefrau nach X.-C. in Nordrhein-Westfalen. Der Kläger ist Spätaussiedler
gem. § 4 BVFG.
Mit Bescheid vom 28.12.1999 bewilligte die Beklagte dem Kläger antragsgemäß Altersrente ab dem 01.01.2000 i.H.v. damals 1.025,69
DM brutto. Der Berechnung der Altersrente lagen u.a. Beitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) vom 01.05.1954 bis zum 30.09.1954, vom 01.05.1955 bis zum 30.09.1955, vom 01.05.1956 bis zum 30.09.1956 sowie vom 26.03.1957
bis zum 12.12.1993 zugrunde. Die Monatsrente errechnete sich aus 0,051 EP-West und 24,3578 EP-Ost.
Den Antrag des Klägers vom 31.12.2004 auf Neufeststellung der bisher gewährten Leistung nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wegen der "Verfassungswidrigkeit der angewendeten FRG-Vorschriften", lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 23.01.2008 ab, da keine weiteren rentenrechtlich relevanten Zeiten
geltend gemacht bzw. keine Nachweise für eine höhere Bewertung vorgelegt worden seien.
Der Kläger legte am 28.01.2008 Widerspruch ein und bat um Berücksichtigung einer Ersatzzeit für Verschleppung bzw. "Kommandantura"
ab dem 14. Lebensjahr, da die Zeit der Kommandanturaufsicht stets als feindliche Maßnahme i.S.d. §
250 Abs.
1 Nr.
3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) zu verstehen sei. Darüber hinaus machte der Kläger geltend, dass bei der Berechnung seiner Altersrente die FRG-Zeiten zu Unrecht mit EP-Ost bewertet worden seien. Er habe in den neuen Bundesländern keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet,
da er dort weniger als sechs Monate in einem Übergangswohnheim verweilt habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 03.07.2008 wies
die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück und führte zur Begründung aus, dass der Berechnung der Rente
für FRG-Zeiten weiterhin EP-Ost zu Grunde zu legen seien. Der Kläger habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet begründet
und dort nach dem 31.12.1991 einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem FRG erworben. Auch der Aufenthalt in Übergangswohnheimen begründe einen gewöhnlicher Aufenthalt i.S.d. §
30 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I). Einen gewöhnlichen Aufenthalt könne auch derjenige haben, der sich als Gast in einer fremden Wohnung oder in wechselnden
Unterkünften aufhalte. Erforderlich sei zwar keine ständige, wohl aber eine regelmäßige Anwesenheit. Auf Prognosen über spätere
Entwicklungen, Veränderungswünsche oder Absichten sowie einen bestimmten Domizilwillen bzw. die Freiwilligkeit des Aufenthalts
komme es nicht an. Eine Ersatzzeit ab dem 14. Lebensjahr für die Zeit der Kommandanturaufsicht unter dem Gesichtspunkt Internierung
oder Verschleppung könne nicht festgestellt werden, da der Kläger nicht durchgehend einen Rückkehrwillen gehabt habe. Der
Kläger selbst habe - seinen Angaben in dem "Fragebogen zur Prüfung der eventuellen Anrechenbarkeit von Ersatzzeiten gem. §
250 SGB VI" folgend - nach der Entlassung aus der Internierung am 13.12.1955 erstmals im März 1991 den Gedanken gefasst, das Herkunftsgebiet
zu verlassen, um den ständigen Aufenthalt bzw. Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland zu nehmen.
Der Kläger hat am 14.07.2008 Klage erhoben und vorgetragen, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil
vom 17.02.2005, Az.: B 13 RJ 25/04 R) die Zeit der Kommandanturaufsicht, der er zusammen mit seinen Eltern unterstanden habe, den objektiven Tatbestand des
Festgehaltenwerdens aufgrund feindlicher Maßnahmen erfülle. Bei dem Tatbestand der Rückkehrverhinderung/des Festgehaltenwerdens
teilten Kinder im Hinblick auf ihre völlige rechtliche und wirtschaftliche Abhängigkeit von den Eltern deren Schicksal. Es
sei daher allein auf den Rückkehrwillen der Eltern abzustellen. Dabei komme es im Übrigen allein darauf an, inwieweit während
der geltend gemachten Ersatzzeit ein Rückkehrwillen bestanden habe. Darüber hinaus seien EP-West bei der Rentenneufeststellung
zu berücksichtigen, da er aufgrund der Kürze seines Aufenthaltes keinen gewöhnlichen Aufenthalt in den neuen Bundesländern
begründet habe. Ein Verbleib im Übergangswohnheim sei nicht beabsichtigt gewesen. Am 19.12.1993 seien er, seine Ehefrau und
sein Sohn nach Deutschland gekommen. Sie seien aber nicht - wie beabsichtigt - in Düsseldorf gelandet, sondern in Frankfurt.
Sie hätten Flugtickets für Düsseldorf gehabt, wo ihre Verwandten sie auch erwartet hätten. Im Flugzeug nach Düsseldorf seien
jedoch keine Plätze mehr frei gewesen, so dass sie in ein Flugzeug nach Frankfurt gesteckt worden seien. Zunächst seien sie
zwei Tage in der Nähe von Frankfurt untergebracht worden und anschließend in Q. in der ehemaligen DDR. Seine Tochter sei bereits
drei Monate vorher aus Kasachstan ausgereist und dort (in Q.) mit dem Schwiegersohn eingereist. Das sei im Computer festgehalten
worden und sie seien dann einfach dorthin geschickt worden. Sie hätten zwar immer gesagt, dass sie nach Deutschland zu ihren
Verwandten in Nordrhein-Westfalen gewollt hätten, dies sei aber von den Behörden nicht berücksichtigt worden. Sie seien zunächst
in einen Sprachkurs gesteckt worden, den sie viereinhalb Monate hätten absolvieren müssen. Die Verwandten in Westdeutschland,
zu denen sie regelmäßig Kontakt gehabt hätten, seien dann zum Rathaus nach H. gegangen und hätten nachgefragt, ob es nicht
möglich wäre, sie nach Westdeutschland zu holen. Nachdem hierzu die Erlaubnis erteilt worden sei, hätten die Verwandten für
sie eine Wohnung in C. gesucht. Sodann seien sie im Mai 1994 nach X.-C. gezogen. Ergänzend hat der Kläger darauf hingewiesen,
dass sich die Beklagte in einem Streitverfahren seiner Ehefrau bereit erklärt habe, bei der Berechnung ihrer Altersrente auch
für die nach dem FRG zurückgelegten Beitragszeiten EP-West zu Grunde zu legen.
Das Sozialgericht hat die Zeugen U. T. und S. L. schriftlich befragt und die Ehefrau des Klägers im Termin zur mündlichen
Verhandlung am 07.05.2010 als Zeugin gehört. Wegen der Angaben der Zeugen wird auf die schriftlichen Erklärungen vom vom 03.05.2009
und 12.05.2009 sowie den Inhalt des Sitzungsniederschrift vom 07.05.2010 verwiesen.
Mit Urteil vom 07.05.2010 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, die Altersrente des Klägers ab Januar 2000 unter
Berücksichtigung von EP-West und einer Ersatzzeit vom 26.05.1953 bis 30.04.1954, 01.10.1954 bis 30.04.1955, 01.10.1955 bis
30.04.1956 sowie vom 01.10.1956 bis zum 31.12.1956 neu festzustellen. Zur Begründung hat das Sozialgericht im Wesentlichen
ausgeführt, dass der Kläger nach Kriegsende ohne Kriegsteilnehmer gewesen zu sein, durch feindliche Maßnahmen an der Rückkehr
verhindert gewesen sei bzw. dort festgehalten worden sei. Die Zeit der Kommandanturaufsicht sei stets als feindliche Maßnahme
i.S.d. §
250 Abs.
1 Nr.
3 SGB VI anzusehen, die sich gezielt gegen die deutsche Volksgruppe gerichtet habe. Während der Zeit der Kommandanturaufsicht, der
der Kläger mit seinen Eltern in Kasachstan unterstanden habe, sei der objektive Tatbestand des Festgehaltenwerdens zweifelsfrei
erfüllt. Für die Zeit nach der Entlassung des Klägers aus der Kommandanturaufsicht gelte nichts anderes. Das allgemeine Ausreiseverbot
in der UdSSR habe sich derart ausgewirkt, dass es sich auch nach dem Jahr 1956 als feindliche Maßnahme dargestellt habe. Der
Kläger habe auch einen Rückkehr- bzw. Ausreisewillen seiner Eltern während der Kommandanturaufsicht und danach glaubhaft gemacht.
Aufgrund der Ausführungen des Klägers, der Zeugenaussage seiner Ehefrau sowie der im Rahmen schriftlicher Anhörung erfolgten
Angaben der Zeugen T. und L. bestünden keinerlei Zweifel, dass die Eltern des Klägers und auch der Kläger selbst während und
nach der Kommandanturaufsicht einen Rückkehr- bzw. Ausreisewillen nach Deutschland gehabt hätten. Auch sei die Altersrente
auf der Grundlage von EP-West zu berechnen. Die Beklagte habe zu Unrecht angenommen, dass der Kläger nach dem 31.12.1990 seinen
gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verlegt
habe. Der Kläger habe nach der Einreise in die Bundesrepublik durch den weniger als sechs Monate andauernden Aufenthalt in
dem Übergangswohnheim in Brandenburg keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet begründet. Von einem gewöhnlichen Aufenthalt
des Klägers im Rechtssinne in der Bundesrepublik sei erstmalig mit der Wohnsitznahme am 15.05.1994 in Westdeutschland auszugehen.
Einen gewöhnlichen Aufenthalt habe jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhalte, die erkennen ließen, dass er an diesem
Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweile. Eine zeitliche Vorgabe enthalte diese Vorschrift nicht. Ergänzend
könne die Regelung in §
9 Abgabenordnung (
AO) als eine Art Faustregel herangezogen werden. Danach sei als gewöhnlicher Aufenthalt stets und von Beginn an ein zeitlich
zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen. Bei dem hier vorliegenden weniger als sechs Monate
dauernden Aufenthalt sei mangels konkreter Anhaltspunkte nicht von der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts auszugehen.
Zwar könne der Aufenthalt in einem Übergangswohnheim für Spätaussiedler einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen, Voraussetzung
sei jedoch, dass der Betreffende sich an dem Ort oder in dem Gebiet "bis auf Weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs
aufhalte und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen habe. Einen solchen zukunftsoffenen Aufenthalt hätten der Kläger
und seine Ehefrau in dem Übergangswohnheim in Brandenburg nicht gehabt. Der Aufenthalt in dem Übergangswohnheim im Beitrittsgebiet
sei nicht beabsichtigt und nicht erwünscht gewesen. Nur aufgrund der Ankunft an dem falschen Flughafen seien der Kläger und
seine Familie nach der Einreise in die BRD nicht - wie beabsichtigt - bei den Verwandten in Westdeutschland untergekommen,
sondern von den deutschen Behörden dem Übergangswohnheim in Brandenburg zugewiesen worden, wo die zuvor eingereiste Tochter
gelebt habe. Dort hätten sich der Kläger und seine Ehefrau weder freiwillig aufgehalten, noch hätten sie sich mit der Unterbringung
abgefunden. Vielmehr habe reger Kontakt mit den Verwandten in Westdeutschland bestanden, die im Mai 1994 schließlich eine
behördliche Erlaubnis zum Umzug nach X.-C. hätten erreichen können, die auch unverzüglich genutzt worden sei. Bei diesen objektiv
wie subjektiv vorliegenden Verhältnissen sei der Aufenthalt von ca. fünfeinhalb Monaten in dem Übergangswohnheim in Brandenburg
nur als vorübergehendes Verweilen einzustufen.
Gegen das ihr am 26.05.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 04.06.2010 Berufung eingelegt. Das Sozialgericht habe zu
Unrecht angenommen, dass der Kläger erst mit seinem Zuzug in Westdeutschland einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe.
Nach der Rechtsprechung des BSG seien für die Beurteilung, ob ein gewöhnlicher Aufenthalt vorliege, die objektiv gegebenen
tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls im entscheidungserheblichen Zeitraum entscheidend. Auf "Prognosen" über spätere
Entwicklungen, auf Veränderungswünsche oder -absichten oder auf den Willen des Betroffenen, sich an einem Ort aufzuhalten
oder einen Wohnsitz zu begründen, komme es nicht an. Es sei deshalb ohne Bedeutung, ob der Kläger in dem Übergangswohnheim
in Brandenburg auf Dauer habe bleiben wollen oder den Wunsch gehabt habe, in den Westen zu den Verwandten zu ziehen. Es komme
allein darauf an, dass sich der Kläger dort faktisch für längere Zeit aufgehalten habe und beispielsweise allein schon wegen
des zu absolvierenden Sprachkurses auch habe aufhalten müssen. Bei seinem Einzug in das Übergangswohnheim - gemeinsam mit
seiner Ehefrau - habe nicht festgestanden, wann sein Aufenthalt dort beendet sein würde, so dass dieser schon vom Wortsinn
her zukunftsoffen gewesen sei. Dies gelte insbesondere deshalb, da Spätaussiedler auf die Bundesländer verteilt würden und
keine unbegrenzte Freizügigkeit genössen. Ein Land müsse den Spätaussiedler abweichend von der durch das Bundesverwaltungsamt
festgelegten Verteilung nicht aufnehmen. Für einen gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der neuen Länder spräche auch der Bezug
von Eingliederungshilfe seitens des Klägers. Eingliederungshilfe werde an Spätaussiedler gezahlt, wenn sie neben anderen Voraussetzungen
arbeitslos seien, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stünden und sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet hätten. Bereits
hieraus folge, dass die Leistungen nur an Personen gezahlt würden, die in der Bundesrepublik nicht nur einen vorübergehenden
Aufenthalt begründet hätten. Der Kläger habe daher spätestens bei Antragstellung auf Eingliederungshilfe beabsichtigt, sich
nicht nur vorübergehend im Bundesgebiet aufzuhalten. Da der Antrag im Land Brandenburg gestellt worden sei, habe der Kläger
seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort genommen. Die Regelung des §
9 AO könne zu keinem anderen Ergebnis führen. In dieser Vorschrift sei - bezogen auf das Abgabenrecht - eine besondere Regelvermutung
für den gewöhnlichen Aufenthalt eingefügt worden, die sich in der hier einschlägigen Vorschrift des §
30 SGB I so nicht finde. Die Auslegung des Sozialgerichts, dass aus dieser Vorschrift des Abgabenrechts folge, dass erst bei einem
zeitlich zusammenhängenden Aufenthalt von mehr als sechs Monaten von einem gewöhnlichen Aufenthalt auszugehen sei, gehe fehl.
§
9 Abs.
2 AO schließe lediglich aus, dass bei einem Aufenthalt dieser Länge im Inland nicht von einem gewöhnlichen Aufenthalt auszugehen
sei. Auch nach dieser Vorschrift sei bei einem zunächst zukunftsoffenen Aufenthalt vom ersten Tag an von einem gewöhnlichen
Aufenthalt auszugehen. Auch könne keine Ersatzzeit nach §
250 Abs.
1 Nr.
3 SGB VI angenommen werden. Zwar sei die Zeit der Kommandanturaufsicht stets als feindliche Maßnahme anzusehe, jedoch sei ein Rückkehrwille
des Klägers bzw. der Eltern des Klägers während der Zeit der Kommandanturaufsicht nicht glaubhaft. Der Zeuge T. vermute nur,
dass ein Rückkehrwille bestanden habe, wisse es aber nicht, da über solche Angelegenheiten nicht gesprochen worden sei. Die
Zeugin L. habe angegeben, sie wisse nicht, ob ein solcher Wunsch bestanden habe. Der eigenen Aussage des Klägers sei kein
großer Beweiswert beizumessen, da sie im Widerspruch zur Aussage im Kontenklärungsverfahren stehe. Damals habe der Kläger
angegeben, dass der erstmalige Rückkehrwille im Jahr 1991 entstanden sei. Eine Anerkennung als Ersatzzeit nach §
250 Abs.
1 Nr.
2 SGB VI sei nicht möglich, da der Kläger nicht innerhalb von zwei Monaten nach dem Wegfall der Reisebeschränkung im Juli 1991 (Zeitpunkt
des Inkrafttretens des Vertrages vom 09.11.1990 über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken) ausgereist sei und er auch nicht nachgewiesen habe, dass er
sich ab diesem Zeitpunkt um eine Ausreise bemüht habe. In Anbetracht der Tatsache, dass der Bruder des Klägers bereits 1992
in die BRD zugezogen sei, habe er sich selbst offensichtlich nicht direkt um eine Ausreise bemüht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 07.05.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, dass die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden sei und verweist auf seinen bisherigen Vortrag.
Der Senat hat im Termin zur mündlichen Verhandlung den Sohn des Klägers X. L. und Frau S. L. als Zeugen gehört. Wegen der
Aussagen der Zeugen wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 29.08.2011 verwiesen.
Sodann hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 29.08.2011 die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln
vom 07.05.2010 insoweit zurückgenommen, als sie zur Anerkennung einer Ersatzzeit von Dezember 1953 bis Dezember 1955 verurteilt
worden ist. Der Kläger hat seine Klage auf Anerkennung einer Ersatzzeit über den 31.12.1955 hinaus zurückgenommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte, die den Kläger betreffende Verwaltungsakte
der Beklagten (Az: 04 261239 K 031) sowie die in Kopie beigezogene Akte des BVA (Az: I 94 SU 2474/1 S) verwiesen, die Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Nach teilweiser Rücknahme der Berufung durch die Beklagte und teilweiser Rücknahme der Klage durch den Kläger jeweils in Bezug
auf die Anerkennung von Ersatzzeiten ist nur noch streitig, ob die Beklagte zu Recht bei der Berechnung des Altersruhegeldes
des Klägers EP-Ost zu Grunde gelegt hat.
Die insoweit zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der
Bescheid der Beklagten vom 23.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2008 ist (insoweit) nicht rechtswidrig
und verletzt den Kläger nicht gemäß §
54 Abs.
2 S. 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) in seinen Rechten. Die Beklagte hat zutreffend entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides
vom 28.12.1999 hat.
Nach § 44 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit
sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden
ist, der sich als unrichtig erweist. Der Bescheid vom 28.12.1999 ist jedoch nicht rechtswidrig. Der Kläger hat keinen Anspruch
auf Berücksichtigung von EP-West an Stelle von EP-Ost.
Nach §
64 SGB VI errechnet sich der Monatsbetrag der Rente, indem die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte,
der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden. Dabei unterscheidet
das Rentenrecht - bis zur Herstellung einheitlicher Einkommensverhältnisse in den alten und neuen Bundesländern - zwischen
EP-West und EP-Ost (§
254b SGB VI). Erstere werden mit dem aktuellen Rentenwert, letztere mit dem (etwas geringeren) Rentenwert (Ost) vervielfältigt (§
255a SGB VI).
Für in Deutschland zurückgelegte Beitragszeiten hängt die Zuordnung zu EP-West bzw. EP-Ost im Grundsatz davon ab, ob sie im
Beitrittsgebiet oder in den alten Bundesländern zurückgelegt worden sind (§
254d SGB VI). Soweit - wie vorliegend - im nichtdeutschen Herkunftsland zurückgelegte Beitragszeiten in Anwendung des FRG ebenfalls mit Entgeltpunkten berücksichtigt werden, findet Art. 6 § 4 Abs. 6 des Gesetzes zur Neuregelung des Fremdrenten- und Auslandsrentenrechts (FANG) Anwendung.
Hiernach werden bei Berechtigten nach dem FRG, die a) ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet haben und dort nach dem 31. Dezember 1991 einen Anspruch auf Zahlung
einer Rente nach dem FRG erwerben, b) nach dem 31. Dezember 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verlegen und dort nach dem 31. Dezember 1991 einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach
dem FRG erwerben oder c) nach dem 31. Dezember 1991 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne
das Beitrittsgebiet in das Beitrittsgebiet verlegen und bereits vor Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts einen Anspruch
auf Zahlung einer Rente nach dem FRG haben, für nach dem FRG anrechenbare Zeiten Entgeltpunkte (Ost) ermittelt; im Falle von Buchstabe c gilt dies nur, sofern am 31. Dezember 1991 Anspruch
auf Zahlung einer Rente nach dem FRG nicht bestand. Dies gilt auch für die Zeiten eines weiteren Rentenbezuges aufgrund neuer Rentenfeststellungen, wenn sich
die Rentenbezugszeiten ununterbrochen aneinander anschließen. Bei Berechtigten nach Satz 1 Buchstabe a und c, die ihren gewöhnlichen
Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verlegen, verbleibt
es für Zeiten nach dem FRG bei den ermittelten Entgeltpunkten (Ost).
Die Voraussetzungen des Buchstabe b des Art. 6 § 4 Abs. 6 FANG sind vorliegend erfüllt, denn der Kläger hat nach dem 31. Dezember
1990, nämlich am 15.05.1994, seinen gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet - vorliegend aus dem Ort Q. - in das Gebiet
der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet, nach X.-C., verlegt und dort nach dem 31. Dezember 1991, im Dezember
1999, einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem FRG erworben.
Der Kläger hatte nach seiner Übersiedlung in die BRD bis zu seinem Umzug nach X.-C. seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet.
Nach §
30 Abs.
3 S. 2
SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem
Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.
Diese Vorschrift erfasst eine einheitliche Begriffsbestimmung für alle vom SGB erfassten Sozialleistungsbereiche. Sie bezieht
sich in erster Linie auf die (einseitige) Kollisionsnorm des §
30 Abs.
1 SGB I. Danach gelten die Vorschriften dieses Gesetzbuches für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in
seinem Geltungsbereich haben. Darin kommt hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass "Wohnsitz" und "gewöhnlicher Aufenthalt"
grundsätzlich als einheitliche Anknüpfungspunkte für die Anwendung aller Rechtsmaterien (der "Sachnormen") des SGB dienen
sollen (BSG, Urteil vom 09.08.1995, Az: 13 RJ 59/93, in SozR 3-1200 § 30 Nr 15, m.w.N.).
Soweit einige Senate des BSG die Auffassung vertreten, dass sich die konkrete rechtliche Bedeutung des Ausdrucks "gewöhnlicher
Aufenthalt" u.a. erst aus dem Gesetz, das ihn verwende und nach dessen Sinn und Zweck er verstanden werden müsse, ergebe -
sog. Einfärbungslehre" - (vgl. BSG, Urteil vom 09.10.84, Az: 12 RK 5/83; Urteil vom 27.09.1990, Az: 4 REg 30/89, Urteil vom 28.07.1992, Az: 5 RJ 4/92, in SozR 3-2600 § 56 Nr 3, zuletzt BSG, Urteil vom 03.04.2001, Az: B 4 RA 90/00 R, in: SozR 3-1200 § 30 Nr 21), vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen.
Entgegen der Auffassung des 5. Senats des BSG (Urteil vom 28.07.1992, aaO) ist die in §
37 S. 1
SGB I allgemein vorgesehene Möglichkeit, in den besonderen Teilen des SGB von Vorschriften des
SGB I und SGB X abweichende Regelungen zu treffen, gerade kein Beleg dafür, dass der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts nur hinreichend
unter Berücksichtigung des Zweckes des Gesetzes bestimmt werden könne, in welchem er gebraucht wird. Wenn nach §
37 S. 1
SGB I das Erste und das Zehnte Buch des SGB für alle Sozialleistungsbereiche dieses Gesetzbuches gelten, soweit sich aus den übrigen
Büchern nichts abweichendes ergibt, so spricht dies vielmehr dafür, dass die Begriffsumschreibung in §
30 Abs.
3 S. 2
SGB I grundsätzlich einheitlich auszulegen ist. Davon abweichende, besondere Begriffsbestimmungen müssen sich konkret und deutlich
aus den betreffenden spezialgesetzlichen Regelungen ergeben. Soweit der Gesetzgeber den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts
für einen bestimmten Sozialleistungsbereich nicht ausdrücklich modifiziert, liegt es näher, ein den Aufenthalt betreffendes,
zusätzlich aus dem jeweiligen Normzusammenhang ableitbares Merkmal nicht in den allgemeinen, von §
30 Abs.
3 S 2
SGB I geprägten Begriff hineinzuinterpretieren, sondern es als gesonderte Anspruchsvoraussetzung aufzufassen. Auch wenn der 4.
Senat des BSG zwar weiter zutreffend darauf hingewiesen hat, dass die in §
30 Abs.
3 S. 2
SGB I zur Umschreibung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts verwendeten Formulierungen ihrerseits unbestimmt sind (Urteil
vom 27.09.1990, aaO), folgt daraus nicht, dass die damit erforderliche weitere Auslegung für jedes Sozialgesetz gesondert
vorgenommen werden müsste oder auch nur dürfte. Ansonsten könnte die in §
37 Satz 1
SGB I zum Ausdruck kommende Vereinheitlichungstendenz praktisch unterlaufen werden, da den Rechtsanwendern die Möglichkeit eröffnet
würde, letztlich alle in Vorschriften des
SGB I enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe spezialgesetzlich "einzufärben" (BSG, Urteil vom 09.08.1995, Az: B 13 RJ 59/93).
Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes ist nach den objektiv gegeben tatsächlichen Verhältnissen zu beurteilen. Danach
ist entscheidend, ob der Kläger den örtlichen Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Beitrittsgebiet
hatte. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Auf
den Domizilwillen des Betroffenen kommt es dabei nicht an BSG, Urteil vom 29.05.1991, Az: 4 RA 38/90).
Unstreitig ist, das der Kläger seinen faktischen Aufenthalt ab dem 22.12.1993 im Beitrittsgebiet, in Q., hatte.
Auch lag der Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse im Beitrittsgebiet. Die Frage, ob nur ein kurzzeitiger oder aber ein die
Verlagerung des Lebensschwerpunktes indizierender andauernder Aufenthalt vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller tatsächlichen
Umstände des Einzelfalles zu beurteilen.
Vorliegend lassen die tatsächlichen Umstände nur den Schluss zu, das der Kläger seinen Lebensschwerpunkt im Beitrittsgebiet
hatte. Der Kläger meldete sich bei der zuständigen Behörde unter der Anschrift "K.-H.-Str. 7, Q." an und lebte dort gemeinsam
mit seiner - ebenfalls unter dieser Anschrift gemeldeten - Ehefrau. Er meldete sich arbeitslos, bezog Eingliederungshilfe
nach § 62a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und nahm an einem Sprachkurs teil. Ein tatsächlicher Bezug zu einem anderen Aufenthaltsort bestand nicht. Der Erklärung
des Klägers - anlässlich seines Antrages auf Ausstellung einer Bescheinigung für Spätaussiedler - folgend hatte er seinen
ständigen Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet aufgegeben. Eine räumliche Verbindung zu den "alten" Bundesländern, insbesondere
zu Nordrhein-Westfalen, bestand ebenfalls nicht. Dies ergibt sich daraus, dass die Verwandten des Klägers nach Einholung einer
Erlaubnis der örtlichen Behörde zunächst eine Wohnung für den Kläger in Nordrhein-Westfalen suchen mussten, bevor er dort
hin umziehen konnte.
Der Aufenthalt war auch dauerhaft, denn er war zukunftsoffen. Für die Frage, ob nach den tatsächlichen Umständen des Einzelfalles
ein zukunftsoffener Aufenthalt anzunehmen ist, ist nicht auf eine rückblickende, sondern eine vorausschauende Betrachtung
abzustellen; erforderlich ist eine auf Grund der tatsächlichen Verhältnisse zu treffende Prognose. Für diese Prognose ist
ebenso wie für den Zeitpunkt der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes maßgeblich auf den Zeitpunkt der Aufenthaltsnahme
an einem bestimmten Ort abzustellen, soweit nicht gerade der Aufenthalt einen Besuchs- oder sonst vorübergehenden Charakter
hatte (BVerwG, Beschluss vom 06.10.2003, Az: 5 B 92/03; zur Prognoseentscheidung auch: BSG, Urteil vom 22.03.1988, Az: 8/5a RKn 11/87, in: BSGE 63, 93-99). In dem insoweit für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes maßgeblichen Zeitpunkt im Dezember 1993 stand noch
nicht fest, wie lange der Kläger in Q. bleiben und wann er in das von ihm für die Wohnsitznahme begehrte Bundesland Nordrhein-Westfalen
ziehen werde. Die Aufenthaltsdauer im Beitrittgebiet war weder voraussehbar noch war sie von vorn herein auf einen bestimmten
Zeitpunkt begrenzt. Für einen Umzug in die Nähe seiner Verwandten nach Nordrhein-Westfalen war zumindest die Anmietung einer
Wohnung oder der Erhalt eines Arbeitsplatzes dort erforderlich (vgl. § 2 Abs. 4 des Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen
Wohnortes für Aussiedler und Übersiedler). Ob und wann diese Voraussetzungen für einen Umzug nach Nordrhein-Wetfalen erfüllt
sein würden, war gänzlich ungewiss.
Der Annahme eines dauerhaften Aufenthaltes im Beitrittsgebiet kann auch nicht entgegen gehalten werden, dass sich der Kläger
in einem Übergangswohnheim aufgehalten hat, und schon deshalb der Aufenthalt vorübergehender Natur war. Der Umstand, dass
ein Übergangswohnheim nicht zu einem dauernden Verbleib bestimmt ist, steht der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes
nicht entgegen, denn auch der Aufenthalt des Klägers in dem Übergangswohnheim war zukunftsoffen in dem Sinne, dass der Zeitpunkt
des Verlassens des Übergangswohnheims ungewiss war (vgl.: BVerwG, Urteil vom 18.03.1999, Az: 5 C 11/98, in DVBl 1999, 1126-1128).
Auch steht der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes des Klägers in Q. nicht entgegen, dass es sich um einen - auf Grund
des "Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Aussiedler und Übersiedler" - behördlicherseits zugewiesenen
Aufenthaltsort handelte. Ein Domizilwille, der mit den tatsächlichen Umständen nicht übereinstimmt, ist rechtlich unerheblich
(BSG, Urteil vom 14.09.1994, Az: 5 RJ 10/94). Auf den Umstand, dass der Kläger nach Nordrhein-Westfalen zugewiesen werden wollte und nicht nach Brandenburg, kommt es
somit nicht an. Entscheidend sind allein die tatsächlichen Verhältnisse die vorliegend auf einen zukunftsoffenen und damit
gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers in Brandenburg schließen lassen (s.o.).
Schließlich ist für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthaltes des Klägers in Brandenburg die Dauer des tatsächlichen Aufenthalts
unerheblich. §
30 Abs.
3 SGB I enthält keine zeitliche Bestimmung für das Vorliegen eines gewöhnlichen Aufenthaltes. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts
kann aus §
9 S. 2
AO nicht geschlossen werden, dass bei einem Aufenthalt von weniger als sechs Monaten eher nicht ein gewöhnlichen Aufenthalt
anzunehmen sei. Nach §
9 S. 2
AO ist als gewöhnlicher Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender
Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen. Diese Vorschrift bestimmt lediglich einen Zeitraum, nach dessen Ablauf
immer ein gewöhnlicher Aufenthalt anzunehmen ist. Eine Regelvermutung, dass bei einem kürzeren Aufenthalt dieser nicht gewöhnlich
ist, lässt sich daraus nicht ableiten. Im Übrigen enthält §
30 Abs.
3 SGB I keine §
9 S. 2
AO entsprechende Regelung. Daraus folgt, dass der Gesetzgeber insoweit dem Steuerrecht nicht gefolgt ist und eine dahingehende
gesetzliche Vermutung für das Sozialversicherungsrecht nicht normieren wollte. Die Vorschrift der
Abgabenordnung kann deshalb nicht für den Begriff "gewöhnlicher Aufenthalt" i.S. von §
30 Abs.
3 SGB I ergänzend herangezogen werden (BSG, Urteil vom 22.03.1988, Az: 8/5a Rkn 11/87, in: BSGE 63,93-99). Zudem begegnet die Einbeziehung
eines zeitlichen Moments in dem Sinne, dass rückschauend betrachtet ein bestimmter zeitlicher Umfang des Aufenthaltes die
Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts begründet, erheblichen Bedenken, da für die Frage, ob ein gewöhnlicher Aufenthalt gegeben
ist, eine vorausschauende Betrachtung maßgebend ist. Ist im Zeitpunkt der Prognoseentscheidung die Dauer des Aufenthalts an
einem Ort bereits bekannt, ist dieser Umstand anlässlich der Prüfung der Dauerhaftigkeit/der Zukunftsoffenheit des Aufenthaltes
zu bewerten.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und folgt - unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beklagte in Bezug auf den zurückgenommen Teil der Berufung eine
Kostenanerkenntnis abgegeben hat - der Entscheidung in der Sache.
Der Senat hat die Revision zugelassen, da er bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs des gewöhnlichen Aufenthaltes
von der Rechtsprechung einiger Senate des Bundessozialgerichts abweicht.