Kein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung
Berücksichtigung der Funktionsbeeinträchtigungen durch Gesundheitsstörungen infolge einer Dysthymie
Keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder schwere spezifische Leistungsbehinderung
Kein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit
Verweisbarkeit eines Verkaufsreisenden im Automatengeschäft auf den allgemeinen Arbeitsmarkt
Tatbestand
Im Streit ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1956 geborene Kläger hat eine Ausbildung zum Stahlbauschlosser ohne Abschluss durchlaufen. Weiterhin hat er von März 1983
bis September 1984 eine Umschulung zum Bürokaufmann absolviert. Anschließend war der Kläger arbeitslos. Von Januar 1987 bis
Januar 1988 durchlief er nach eigenen Angaben eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bei der Stadtbücherei der Stadt H. Ab 1991
war der Kläger als Verkaufsfahrer für Tabakwaren bzw. als Verkaufsreisender im Automatengeschäft tätig. Das Beschäftigungsverhältnis
wurde im Februar 2015 aufgelöst. Seitdem übte der Kläger noch geringfügige versicherungsfreie Beschäftigungsverhältnisse,
zuletzt als Kleinbusfahrer, aus. Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente waren zuletzt
am 31.12.2016 erfüllt (siehe Schreiben der Beklagten vom 28.02.2018). Seit Juli 2017 bezieht der Kläger Altersrente für schwerbehinderte
Menschen.
Der Kläger beantragte am 05.03.2015 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten. Diese zog unter anderem
einen Entlassungsbericht der F-klinik - Klinik für Psychosomatische Medizin - N bei. In der Klinik N hatte der Kläger im Zeitraum
06.01.2014 bis 03.02.2014 eine Rehabilitationsmaßnahme durchlaufen. Die dort behandelnden Ärzte hatten im Wesentlichen eine
Dysthymia, eine kombinierte Persönlichkeitsstörung sowie einen Ösophagusverschluss festgestellt und entließen den Kläger als
arbeitsunfähig. Das Leistungsvermögen für die letzte berufliche Tätigkeit sei aufgehoben. Der Kläger sei jedoch vollschichtig
für leichte bis mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne Zwangshaltungen mit Einschränkungen für die Umstellungs-
und Anpassungsfähigkeit einsetzbar.
Nach Auswertung der eingeholten Behandlungsunterlagen lehnte die Beklagte die Gewährung der beantragten Rente mit Bescheid
vom 20.03.2015 ab. Der Kläger sei trotz der festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen in der Lage, vollschichtig
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein.
Hiergegen erhob der Kläger am 20.04.2015 Widerspruch. Zur Begründung teilte er mit, dass er sich außer Stande sehe, einer
regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Er verwies auf ein Attest seiner behandelnden Ärzte der Institutsambulanz H. Neben
seiner psychischen Erkrankung leide er auch an erheblichen Rückenbeschwerden, Schwerhörigkeit, Bluthochdruck und einer Funktionsstörung
im Bereich der Speiseröhre.
Die Beklagte ließ den Kläger daraufhin durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L und durch den Facharzt für
Orthopädie Dr. N untersuchen. Dr. L stellte auf der Grundlage einer Untersuchung im Oktober 2015 eine leichte bis mittelgradige
depressive Episode und eine Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Zügen fest. Als Verkaufsfahrer sei der Kläger nicht
mehr einsetzbar. Es liege aber ein mehr als sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten
ohne Akkordarbeiten, ohne besonderen Zeitdruck und ohne Nachtschicht vor. Tätigkeiten mit gehobenen Ansprüche an das selbstständige
Handeln und Denken, die Reaktionsfähigkeit und das Umstellungsvermögen sollten vermieden werden. Dr. N diagnostizierte auf
seinem Fachgebiet bei dem Kläger auf der Grundlage einer Untersuchung im Januar 2016 ein rezidivierendes Lumbalsyndrom bei
degenerativen Veränderungen und eine Gonarthrose links. Der Kläger besitze ein mehr als sechsstündiges Leistungsvermögen für
leichte körperliche Tätigkeiten. Arbeiten in kniender oder gehockter Haltung seien zu vermeiden. Die Arbeiten sollten in wechselnder
Körperhaltung und überwiegend im Sitzen durchgeführt werden.
Gestützt auf diese sozialmedizinische Beurteilung wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17.05.2016,
dem Kläger zugegangen am 20.05.2016, zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 20.06.2016 Klage bei dem Sozialgericht erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, er sei aufgrund
seiner erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen außer Stande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts
mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Das Sozialgericht hat zunächst Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers, namentlich der praktischen Ärztin U und
des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. L (Behandler seit April 2016, Nachfolger von Dr. X, Behandlerin seit
Januar 2012) und von Prof. Dr. X1 beigezogen. Anschließend hat das Sozialgericht den Kläger durch den Facharzt für Psychiatrie
und Psychotherapie Dr. C untersuchen lassen. Dieser hat auf der Grundlage zweier Untersuchungstermine im Juni 2017 bei dem
Kläger eine Dysthymie, einen Zustand nach mittelgradiger depressiver Episode, eine Persönlichkeitsakzentuierung mit narzisstischen
Zügen (DD: narzisstische Persönlichkeitsstörung), ein rezidivierendes Lumbalsyndrom mit degenerativen Veränderungen, eine
Gonarthrose links und eine Ösophagusstenose diagnostiziert. Der Kläger könne leichte körperliche Arbeiten in wechselnder Körperhaltung
mindestens sechs Stunden arbeitstäglich an fünf Tagen in der Woche mit den betriebsüblichen Unterbrechungen verrichten. Arbeiten
in gebückter oder hockender Haltung sollten ebenso vermieden werden wie Arbeiten unter Stress und Leistungsdruck. Arbeiten
mit gesteigerten Anforderungen an das Konzentrationsvermögen könnten nicht mehr verrichtet werden, ebenso solche mit gesteigertem
Publikumsverkehr. Die Tätigkeiten sollten nur noch in Tagschicht in geschlossenen Räumen durchgeführt werden. Der Kläger könne
keine Tätigkeiten mit Anforderungen an die Daueraufmerksamkeit verrichten. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen sei
die Umstellungsfähigkeit für neue Tätigkeiten gegeben. Die sozialmedizinische Wegefähigkeit sei erhalten. Es bestehe weitgehende
Übereinstimmung mit Dr. L. Mit der Einschätzung des behandelnden Arztes Dr. L bestehe dahingehend Übereinstimmung, dass eine
reduzierte Stressbelastbarkeit festzustellen sei. Es sei daraus aber nicht ableitbar, dass eine ausreichende Belastbarkeit
für den ersten Arbeitsmarkt nicht gegeben sei.
Mit Urteil vom 25.09.2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass
dem Kläger der für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erforderliche Nachweis einer zeitlichen Einschränkung
seines Leistungsvermögens nicht gelungen sei. Auch ergebe sich eine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes nicht unter den Gesichtspunkten
einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung und einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen, die die Benennung
einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich machen würden. Dabei werde auch die bei dem Kläger seit seiner Jugend vorliegende
Speiseröhrenverengung berücksichtigt. Entsprechend der Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen sei davon auszugehen,
dass der Kläger bei vollschichtiger Tätigkeit keine zusätzlichen Pausenzeiten zur Nahrungsaufnahme benötige. Der Kläger habe
auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, denn er sei nicht berufsunfähig.
Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit des Klägers als Verkaufsfahrer für Tabakwaren und Automatenbefüller sei als ungelernte Tätigkeit
einzuordnen. Der Kläger könne daher auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden. Die Beklagte sei nicht zur Benennung
einer konkreten Verweisungstätigkeit verpflichtet.
Gegen das ihm am 12.10.2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13.11.2017, einem Montag, Berufung eingelegt.
Zur Begründung hat der Kläger im Wesentlichen ausgeführt, er sei nach Auffassung seines Psychiaters Dr. L nicht in der Lage,
auch nur leichte Arbeitstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr als drei Stunden zu verrichten. Der Sachverständige
Dr. C gehe davon aus, dass die depressive Erkrankung wesentlich mit Konflikten an seinem früheren Arbeitsplatz in Zusammenhang
gestanden und sich durch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses eine Besserung ergeben habe. Demgegenüber sehe sein behandelnder
Arzt einen chronifizierten Zustand. Die Medikation sei gleichbleibend. Dies verdeutliche gerade den chronifizierten Zustand.
Im Übrigen habe das Sozialgericht ihn hinsichtlich des Anspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit
zu Unrecht nur der Stufe der ungelernten Tätigkeiten zugeordnet. Er besitze eine abgeschlossene Berufsausbildung als Bürokaufmann.
Diese kaufmännische Ausbildung sei ihm bei seiner letzten Tätigkeit als Verkaufsfahrer für Tabakwaren und Automatenfüller
zugutegekommen. Neben der reinen Fahrtätigkeit gehörten auch die Erfassung und Abrechnung der mit den Tabakautomaten erzielten
Umsätze sowie die Warennachbestellung, Kundenbetreuung und Marktbeobachtung vor Ort zu seinen regelmäßigen festen Tätigkeiten
bei seinem früheren Arbeitgeber, der Firma I Tabakwaren. Er gehöre daher zumindest zur Gruppe der Facharbeiter. In einer beigefügten
"fachärztlichen Stellungnahme" vom 26.09.2017 hat der behandelnde Psychiater Dr. L ausgeführt, dass der Kläger infolge langer
Rechtstreitigkeiten mit dem Arbeitgeber zermürbt und verbittert sei. Es bestünden erhebliche anhaltende Einschränkungen der
Stressbelastbarkeit, Umstellungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit. Aus fachärztlicher Sicht sei das Leistungsvermögen des
Klägers aufgehoben.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 25.09.2017 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20.03.2015
in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.05.2016 zu verurteilen, ihm unter Zugrundelegung eines Leistungsfalls zum Zeitpunkt
der Antragstellung Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen
zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat zunächst eine Arbeitgeberauskunft der Firma I Tabakwaren eingeholt. Danach war der Kläger von November 1991
bis September 1996 bei der übernommenen Firma Tabak H als Verkaufsfahrer, von Oktober 1996 bis Dezember 2003 als Verkaufsreisender
im Handelsgeschäft und von Juni 2008 bis Februar 2015 als Verkaufsreisender im Automatengeschäft beschäftigt gewesen. Die
Tätigkeit habe die bedarfsgerechte Bedienung der Großhandelskunden und der Absatzstellen (Automaten) nach festgelegten Tagestouren
umfasst. Diese Tätigkeiten hätten eine Lehre nicht vorausgesetzt, sondern das Großhandelsgeschäft eine Anlernzeit von sechs
Wochen und das Automatengeschäft eine Anlernzeit von drei Monaten. Ob der Kläger diese Anlernzeiten durchlaufen habe, könne
nicht mitgeteilt werden, da dieser durch eine Unternehmensübernahme zur Firma I gelangt sei. Voraussetzungen seien der Führerschein
der Klasse B sowie "kaufmännische Grundlagen" gewesen. Eine völlig ungelernte Kraft habe die o.g. Anlernzeiten zurücklegen
müssen. Die Tätigkeit setze besonderes Verantwortungsbewusstsein und besondere Zuverlässigkeit voraus. Dies resultiere aus
dem Umgang mit Bargeld. Die Firma I sei nicht tarifvertragsgebunden.
Weiter hat der Senat die Behandlungsdokumentation der psychiatrischen Institutsambulanz H beigezogen. Unter anderem findet
sich hier im Dezember 2016 ein Bericht des Klägers über einen aktuellen Arbeitsvertrag auf 450 EUR Basis als Fahrer eines
Kleinbusses. Der sozialmedizinische Dienst der Beklagten hat diese Verlaufsdokumentation ausgewertet. Die Verlaufsdokumentation
zeige deutliche Widerstände des Klägers gegen die intensiven psychotherapeutischen Bemühungen, die darauf ausgerichtet sein,
ihm die Akzeptanz seiner Situation zu vermitteln. Da in der Verlaufsdokumentation keine Diagnosen benannt oder Schweregrade
der depressiven Symptomatik angegeben würden, könne diese zur Leistungsbeurteilung nur sehr bedingt insofern herangezogen
werden, als eine Chronifizierung der dysfunktionellen Einstellung des Klägers hierdurch deutlich werde, die psychotherapeutisch
schwer angehbar sei. Andererseits zeige sich, dass sich der Kläger immer wieder um berufliche Tätigkeiten bemüht habe, bei
denen er auch seine teilweise Integrationsfähigkeit unter Beweis stelle, so dass die Verlaufsdokumentation nicht gegen die
bisherige sozialmedizinische Beurteilung der Beklagten spreche.
Der Kläger ist der Einschätzung des ärztlichen Dienstes entgegengetreten. Er habe sich nie irgendwelchen psychotherapeutischen
Bemühungen widersetzt. Sein gesundheitlicher Zustand habe sich nicht verbessert. Er sei nach wie vor in intensiver psychotherapeutische
Behandlung in der Fachklinik in H. Der eingeholten Auskunft des früheren Arbeitgebers sei zu widersprechen. Es handele sich
gerade nicht um eine bloße Anlerntätigkeit. Er verweise auf die bereits in der Berufungsbegründung ausgeführten kaufmännischen
Aspekte der Tätigkeit. Diese Tätigkeiten ließen sich nicht durch bloßes Anlernen innerhalb kürzester Zeit erlernen. Außerdem
habe er bei Eintritt in die Firma I Tabakwaren schon jahrelange Berufserfahrung gehabt. Aufgrund dieser Berufserfahrung sei
er in der Lage gewesen, die Tätigkeit innerhalb kürzester Zeit auch bei der Firma I Tabakwaren fortzuführen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie Verwaltungsakte der Beklagten
verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 20.03.2015 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 17.05.2016 ist rechtmäßig. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller
Erwerbsminderung (siehe nachfolgend unter a)). Darüber hinaus besteht auch kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung
bei Berufsunfähigkeit (siehe nachfolgend unter b)).
a) Nach §
43 Abs
2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (
SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie - neben
der Erfüllung versicherungsrechtlicher Voraussetzungen - voll erwerbsgemindert sind. Gemäß §
43 Abs
2 S 2
SGB VI sind Versicherte voll erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter
den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Über die gesetzliche Definition
des Leistungsfalles der vollen Erwerbsminderung hinaus sind auch die Versicherten voll erwerbsgemindert, die noch einer Erwerbstätigkeit
von drei bis unter sechs Stunden täglich nachgehen können und damit den Tatbestand der teilweisen Erwerbsminderung nach §
43 Abs
1 S 2
SGB VI erfüllen, denen der Teilzeitarbeitsmarkt jedoch verschlossen ist. Nicht erwerbsgemindert sind gemäß §
43 Abs
3 SGB VI hingegen Versicherte, die unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich
erwerbstätig sein können. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung liegen nach §
43 Abs
1 bzw. Abs
2 S 1 Nr
2 und
3 SGB VI vor, wenn der Versicherte in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine
versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt hat (sogenannte 3/5-Belegung) und vor Eintritt der Erwerbsminderung
die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.
Für den Senat steht unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze und des Ergebnisses der Beweisaufnahme fest, dass der
Kläger jedenfalls bis zum 31.12.2016 nicht erwerbsgemindert im Sinne des §
43 Abs
1 und
2 SGB VI war. Zu diesem Zeitpunkt erfüllte der Kläger letztmalig die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der 3/5-Belegung.
aa) Bis zu dem vorgenannten Zeitpunkt war der Kläger noch in der Lage, körperlich leichte, geistig einfache Tätigkeiten mehr
als sechs Stunden arbeitstäglich unter betriebsüblichen Bedingungen zu verrichten. Der Senat stützt diese Feststellung insbesondere
auf die schlüssige und in sich widerspruchsfreie Diagnostik und Leistungseinschätzung des neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen
Dr. C. Hiernach bestehen bei dem Kläger eine Dysthymie, ein Zustand nach mittelgradiger depressiver Episode sowie eine Persönlichkeitsakzentuierung
mit narzisstischen Zügen, differentialdiagnostisch als narzisstische Persönlichkeitsstörung einzuordnen. Weiter hat Dr. C
die von Dr. N festgestellten orthopädischen Erkrankungen, für deren wesentliche Verschlechterung kein Anhalt erkennbar ist,
namentlich ein rezidivierendes Lumbalsyndrom mit degenerativen Veränderungen, eine Gonarthrose links, sowie die seit Jahrzenten
bestehenden Ösophagusstenose einbezogen. In der Gesamtschau dieser Erkrankungen ist der Sachverständige Dr. C überzeugend
zu der Feststellung gelangt, dass der Kläger noch leichte körperliche Arbeiten in wechselnder Körperhaltung mindestens sechs
Stunden arbeitstäglich an fünf Tagen in der Woche unter betriebsüblichen Bedingungen verrichten kann. Arbeiten in gebückter
oder hockender Haltung sollen hierbei ebenso vermieden werden wie Arbeiten unter Stress und Leistungsdruck. Arbeiten mit gesteigerten
Anforderungen an das Konzentrationsvermögen können nicht mehr verrichtet werden, ebenso wie solche mit gesteigertem Publikumsverkehr.
Die Tätigkeiten sollen nur noch in Tagschicht in geschlossenen Räumen durchgeführt werden. Der Kläger kann auch keine Tätigkeiten
mit Anforderungen an die Daueraufmerksamkeit verrichten. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen ist die Umstellungsfähigkeit
für neue Tätigkeiten gegeben. Diese Feststellungen decken sich im Wesentlichen mit denjenigen des im Widerspruchsverfahren
gehörten Dr. L. Auch die Klinik N sah das zeitliche Leistungsvermögen des Klägers nach der im Januar und Februar 2014 durchgeführten
Rehabilitationsmaßnahme als uneingeschränkt an.
Dass der behandelnde Psychiater Dr. L hiervon abweichend das Leistungsvermögen des Klägers als auf unter drei Stunden abgesunken
ansieht, vermochte den Senat hingegen nicht zu überzeugen. Dr. L stützt seine Einschätzung auf die Diagnosen einer mittelgradigen
depressiven Episode, Anpassungsstörungen und sonstige spezifische Persönlichkeitsstörungen und die hieraus resultierenden
erheblichen anhaltenden Einschränkungen der Stressbelastbarkeit, Umstellungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit. Dr. C folgend
vermag der Senat jedenfalls die Schlussfolgerung eines auf unter drei Stunden abgesunkenen Leistungsvermögens nicht nachzuvollziehen.
Der Sachverständige Dr. C hat ausdrücklich ausgeführt, mit der Einschätzung des behandelnden Arztes Dr. L bestehe dahingehend
Übereinstimmung, dass eine reduzierte Stressbelastbarkeit festzustellen sei. Es sei daraus aber nicht ableitbar, dass eine
ausreichende Belastbarkeit für den ersten Arbeitsmarkt nicht gegeben sei. Der Umstand, dass der Kläger noch im Dezember 2016
erneut eine, wenn auch geringfügige, Beschäftigung aufgenommen hat, bei der er einen Kleinbus sicher im Straßenverkehr zu
führen hatte, spricht für diese Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen. Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass der
Kläger diese Tätigkeit auf Kosten seiner Gesundheit ausgeübt hat, sind nicht zu erkennen.
bb) Ein Rentenanspruch des Klägers ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen
oder schweren spezifischen Leistungsbehinderung, bei deren Vorliegen die Beklagte eine konkrete Verweisungstätigkeit benennen
müsste. Vor der Feststellung solcher Einschränkungen ist in einem ersten Schritt festzustellen, ob das Restleistungsvermögen
dem Versicherten Verrichtungen oder Tätigkeiten erlaubt (wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen
von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw.), die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise
gefordert werden. Es genügt die Benennung von "Arbeitsfeldern", von "Tätigkeiten der Art nach" oder von "geeigneten Tätigkeitsfeldern",
die der Versicherte ausfüllen könnte (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 09. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R).
Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass der Kläger die vorbenannten Tätigkeitsfelder ausfüllen kann. Der Sachverständige
Dr. C hat lediglich Arbeiten mit gesteigerten Anforderungen an das Konzentrationsvermögen ausgeschlossen. Dies ist nachvollziehbar
vor dem von ihm erhobenen psychopathologischen Befund, in dem der Kläger ohne greifbare kognitive Defizite und ohne Hemmung
oder Minderung des Antriebs beschrieben wird. Auch testpsychologisch zeigten sich keine Hinweise auf eine schwerwiegende Beeinträchtigung
des Kurzzeit- oder Arbeitsgedächtnisses ergeben. Die erkennbaren Hinweise auf Defizite in der geteilten Aufmerksamkeit bzw.
kognitiven Flexibilität schließen eine Tätigkeit in den o.g. ungelernten Arbeitsfeldern des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht
aus. Vor diesem Hintergrund ist auch der benannte Ausschluss von Anforderungen an die Daueraufmerksamkeit zu sehen. Nachvollziehbar
hat der Sachverständige ausdrücklich festgestellt, dass eine fehlende Belastbarkeit für den ersten Arbeitsmarkt aus den Gesundheitsstörungen
des Klägers nicht abzuleiten sei. Dies findet - auch und gerade hinsichtlich der erforderlichen Umstellungsfähigkeit - seine
Bestätigung darin, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 18.07.2018 berichtet hat, dass er, wenngleich ebenfalls
geringfügig, in 2015 und 2016 eine Tätigkeit als Verpacker ausgeübt hat.
b) Der Kläger war bis zum 31.12.2016 auch nicht teilweise erwerbsgemindert bei Berufsunfähigkeit. Denn er war nicht berufsunfähig.
Berufsunfähig sind nach §
240 Abs
2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig
und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als
sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist,
umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des
Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet
werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit
Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden
täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Ausgangspunkt der Prüfung der Berufsunfähigkeit ist der "bisherige Beruf" des Versicherten (BSG Urteil vom 29.06.1989 - 5 RJ 49/88). In der Regel ist dies die zuletzt versicherungspflichtig ausgeübte Beschäftigung oder Tätigkeit. Steht fest, dass die Versicherten
ihre bisherige Berufstätigkeit krankheitsbedingt nicht mehr verrichten können, so sind sie nicht allein schon deswegen berufsunfähig.
Berufsunfähig sind sie vielmehr dann, wenn sie nicht mit einer ihnen zumutbaren Tätigkeit die gesetzliche Lohnhälfte erzielen
können. Zur Erleichterung der Beurteilung, ob ein Verweisungsberuf benannt werden muss und welcher Verweisungsberuf gegebenenfalls
sozial zumutbar ist, hat das BSG für den Bereich der Angestellten ein sogenanntes Mehrstufenschema entwickelt. Danach sind zu unterscheiden: Ungelernte Berufe
(Stufe 1); Berufe mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren (Stufe 2); Berufe mit einer Ausbildung von mehr als zwei Jahren
(Stufe 3); Berufe, die zusätzliche Qualifikationen oder Erfahrungen oder den erfolgreichen Besuch einer Fachschule voraussetzen
(Stufe 4), zu ihr gehören Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion gegenüber anderen Facharbeitern, Spezialfacharbeiter, Meister,
Berufe mit Fachschulqualifikation als Eingangsvoraussetzung; Berufe, die einen erfolgreichen Abschluss einer Fachhochschule
oder eine zumindest gleichwertige Berufsausbildung voraussetzen (Stufe 5); Berufe, deren hohe Qualität regelmäßig auf einem
Hochschulstudium oder einer vergleichbaren Qualifikation beruht (Stufe 6). Die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit
ist dann nicht erforderlich, wenn der bisherige Beruf der ersten Stufe angehört oder wenn ein sog einfacher Angelernter (Stufe
2, aber Ausbildung bis zu einem Jahr) auf ungelernte Berufe verwiesen wird (vgl. BSG Urteil vom 29.07.2004 - B 4 RA 5/04 R).
Mit dem festgestellten Leistungsvermögen ist der Kläger krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage, seine zuletzt ausgeübte
Tätigkeit zu verrichten.
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze ist der Kläger allerdings als einfacher Angelernter (Angelernter im unteren
Bereich) einzustufen und damit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar, ohne das eine konkrete Verweisungstätigkeit zu
benennen ist.
aa) Abzustellen ist auf die zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung von Juni 2008 bis Februar 2015 als Verkaufsreisender
im Automatengeschäft. Die Tätigkeit des Klägers umfasste die bedarfsgerechte Bedienung der Absatzstellen (Automaten) nach
festgelegten Tagestouren. Diese Tätigkeiten setzten eine Lehre nicht voraus. Vielmehr war für das Automatengeschäft eine Anlernzeit
von drei Monaten erforderlich. Voraussetzungen waren der Führerschein der Klasse B sowie "kaufmännische Grundlagen". Eine
völlig ungelernte Kraft konnte sich die Tätigkeiten innerhalb der genannten Anlernzeit aneignen. Die Tätigkeit setzte mit
Blick auf den erforderlichen Umgang mit Bargeld besonderes Verantwortungsbewusstsein und besondere Zuverlässigkeit voraus.
Der Senat trifft diese Feststellungen auf der Grundlage der Auskunft des Arbeitgebers vom 30.01.2018. Es besteht kein Anhalt
dafür, dass die Auskunft unrichtig oder unvollständig sein könnte. Insbesondere spricht der bloße Umstand, dass der Kläger
sich mit dem Arbeitgeber zuletzt langwierig gerichtlich auseinandergesetzt hat, nicht für wahrheitswidrige Angaben. Denn der
Arbeitgeber war auch in seiner schriftlichen Äußerung gegenüber dem Senat der Wahrheitsplicht eines Zeugen unterworfen. Die
Ausführungen des Klägers, dass neben der reinen Fahrtätigkeit auch die Erfassung und Abrechnung der mit den Tabakautomaten
erzielten Umsätze sowie die Warennachbestellung, Kundenbetreuung und Marktbeobachtung vor Ort zu den Tätigkeitsinhalten gehörten,
widersprechen der Darstellung des Arbeitgebers nicht. Maßgeblich für die Einstufung im Mehrstufenschema ist damit die Angabe
des Arbeitgebers, dass es sich um eine Tätigkeit mit einer Anlernzeit von unter einem Jahr handelte.
bb) Eine höherwertige Einstufung der zuletzt ausgeübten Tätigkeit ergibt sich auch nicht unter dem Aspekt, dass der Kläger
von März 1983 bis September 1984 eine - wenn auch nur anderthalbjährige - Umschulung zum Bürokaufmann absolviert hat. Denn
in diesem Berufsbild ist der Kläger bei der Firm I nicht tätig geworden. In einer 2012 durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme
hat der Kläger selbst seine Tätigkeit dahingehend beschrieben, dass er für ca. 620 Zigarettenautomaten zuständig sei. Er fahre
täglich ca. 100 km. Er bestücke Zigarettenautomaten, sei für die Bestellung von Waren, Abrechnung, Auslieferung zuständig.
Die Arbeit sei verbunden mit Heben und Tragen von bis z.T. über 100 Kg. Er arbeite im Bücken, Gehen und Sitzen. In der 2014
durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme hat der Kläger ausgeführt, seine Arbeit sei körperlich geprägt durch Bücken und Heben.
Geistig herrsche sehr hoher Zeitdruck. Der Arbeitgeber hat die Tätigkeit als körperlich mittelschwer bezeichnet, wegen des
Tragens von Ware und Münzgeld. Die Tätigkeit sei ca. 50 % im Sitzen und 50% im Gehen und Stehen erfolgt, und zwar überwiegend
im Freien unter jahreszeitbedingten Witterungseinflüssen. Nach Auskunft des Arbeitgebers hat der Kläger keine kaufmännischen
Tätigkeiten ausgeführt. Die Tätigkeit hat lediglich "kaufmännische Grundlagen" erfordert. Ist es auch einem Ungelernten möglich,
sich neben allen anderen betrieblichen Erfordernissen auch diese "Grundlagen" innerhalb einer Einarbeitungszeit von drei Monaten
anzueignen, so können diese, gemessen an den Inhalten der zum Zeitpunkt der Erteilung der Auskunft dreijährigen Ausbildung
zum Bürokaufmann (VO über die Berufsausbildung zum Bürokaufmann/ zur Bürokauffrau vom 13.02.1991 (BGBl I S 425)), keinen prägenden
Charakter besitzen.
Konsequenterweise hat der Kläger noch gegenüber dem im Verwaltungsverfahren gehörten Sachverständigen Dr. L angegeben, er
habe eine Umschulung zum Bürokaufmann absolviert, "in diesem Beruf aber keine Stelle gefunden."
cc) Auch unter dem Gesichtspunkt tarifvertraglicher Einstufung ergibt sich keine höhere Einstufung der Tätigkeit im Mehrstufenschema.
Der Arbeitgeber ist nicht tarifvertragsgebunden. Maßgeblich für die qualitative Einordnung ist in diesem Fall die fiktive
Einordnung in den sachlich nächsten Tarifvertrag. Dies ist vorliegend das Gehalts- und Lohnrahmenabkommens des Groß- und Außenhandels
NRW vom 01.05.1980. Voraussetzung für einen qualifizierten Berufsschutz aufgrund fiktiver tarifvertraglicher Einstufung ist
aber zum einen, dass es sich um einen im Sinne des o.g. Mehrstufenschemas geordneten Tarifvertrag handelt. Eine solche Ordnung
lässt der gerade genannte Tarifvertrag aber weder im Bereich des Lohn- noch im Bereich des Gehaltstarifs erkennen. Insbesondere
fehlt es an der hier maßgeblichen Stufung innerhalb der Gruppe der Angelernten. Zum anderen muss sich die Tätigkeit eindeutig
einer Lohn- oder Gehaltsgruppe zuordnen lassen. Zwar ist der sogenannte Verkaufsfahrer im Lohnrahmenabkommen konkret benannt.
Hierunter ist der Zigarettenautomatenauffüller aber nicht zu erfassen (vgl. BSG Urteil vom 09.10.2007 - B 5b/8 KN 3/07 R).
dd) Die Ausbildung zum Stahlbauschlosser hat der Kläger nicht abgeschlossen.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, §
160 Abs
2 Nrn1 und 2
SGG.