Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gegen einen Sanktionsbescheid
Mitwirkungspflichten des Hilfebedürftigen
Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums
Zwang zur Änderung einer bisherigen Lebensführung
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gegen einen Sanktionsbescheid des
Antragsgegners.
Der im Jahr 1973 geborene Antragsteller ist diplomierter Wirtschaftsingenieur. Er ist alleinstehend und bezog Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts vom Antragsgegner. Kosten für Unterkunft und Heizung macht er gegenüber dem Antragsgegner nicht
geltend.
Mit Eingliederungsbescheiden vom 14.09.2016 und 30.03.2017 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 30.09.2016 und 05.05.2017
verpflichtete der Antragsgegner den Antragsteller, in den Zeiträumen vom 14.09.2016 bis zum 13.03.2017 und vom 30.03.2017
bis zum 29.09.2017 Bewerbungsbemühungen zu unternehmen. Der Bescheid vom 14.09.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 30.09.2016 ist nach der Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde durch das BSG (Beschluss vom 19.10.2017 - B 14 AS 360/17 B) bestandskräftig. Gegen den Bescheid vom 30.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.05.2017 hat der Antragsteller
erfolglos geklagt (Urteil des SG Aachen vom 22.03.2018 - S 2 AS 418/17), die hiergegen eingelegte Berufung vom 27.04.2018 ist unter dem Aktenzeichen L 7 AS 682/18 beim Senat anhängig.
Der Antragsteller kam den ihm auferlegten Obliegenheiten durchgehend nicht nach. Mit Bescheiden vom 11.04.2016 und 12.10.2016
in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 30.05.2016 und 18.10.2016 stellte der Antragsgegner Sanktionen iHv 30 bzw 60
Prozent des Regelbedarfs des Antragstellers und mit Bescheid vom 14.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
21.02.2017 einen vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeldes II des Antragstellers fest. Zuletzt stellte er mit Sanktionsbescheid
vom 23.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.06.2017 einen vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeldes
II für den Zeitraum vom 01.07.2017 bis zum 30.09.2017 und mit Sanktionsbescheid vom 15.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 11.10.2017 einen vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeldes II für den Zeitraum vom 01.10.2017 bis zum 31.12.2017 fest.
Beide Sanktionen begründete der Antragsgegner damit, dass der Antragsteller entgegen den Verpflichtungen aus dem Eingliederungsbescheid
vom 30.03.2017 keinerlei Bewerbungsbemühungen nachgewiesen habe. Gegen den Sanktionsbescheid vom 23.06.2017 hat der Antragsteller
am 02.08.2017 bei dem SG Aachen Klage erhoben (S 4 AS 595/17), gegen den Sanktionsbescheid vom 15.09.2017 hat der Kläger am 08.11.2017 bei dem SG Aachen Klage erhoben. Dieses hat die
Klage mit Gerichtsbescheid vom 26.03.2018 abgewiesen. Hiergegen richtet sich die beim Senat am 27.04.2018 erhobene Berufung
L 7 AS 683/18.
Mit Bescheid vom 14.09.2017 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für
den Zeitraum vom 01.10.2017 bis zum 30.09.2018 in Gestalt des Regelbedarfs in Höhe von monatlich 409 EUR.
Mit Schreiben vom 11.10.2017 lud der Antragsgegner den Antragsteller zu einem Beratungsgespräch am 26.10.2017 ein. Der Antragsteller
erschien zu diesem Gespräch nicht und erklärte mit Schreiben vom 07.11.2017, er nehme entsprechende Einladungen nicht an und
sei nicht an Beratungsdienstleistungen des Antragsgegners interessiert.
Am 19.12.2017 erließ der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller wiederum einen Eingliederungsbescheid. Dieser bezog sich
auf den Zeitraum vom 19.12.2017 bis zum 18.06.2018, soweit nichts anderes bestimmt wurde, längstens jedoch bis zum Ende des
Leistungsanspruchs. Der Antragsgegner führte aus, der Bescheid entspreche im Wesentlichen dem Inhalt einer mit dem Antragsteller
zu schließenden Eingliederungsvereinbarung. Hauptziel sei die Aufnahme einer Beschäftigung des Antragstellers auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt. Der Antragsgegner bot dem Antragsteller Bewerbungsgespräche an und sicherte ihm zu, ihn pro schriftlicher Bewerbung
mit einem Betrag von 5 EUR (bis zu 300 EUR insgesamt im Jahr) und mit Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen zu unterstützen,
das Bewerberprofil des Antragstellers mit Stellenangeboten abzugleichen und ihn für geeignete Stellen vorzuschlagen sowie
bei entsprechenden Voraussetzungen über einen Eingliederungszuschuss oder Einstiegsgeld zu unterstützen. Unter "Aufgaben des
Kunden" heißt es unter anderem: "Ich reiche eine vollständige aktualisierte Bewerbungsmappe bis zum 05.01.2018 ein", "Ich
bemühe mich regelmäßig um eine Arbeitsstelle ( ...) und bewerbe mich mindestens 5 mal kalendermonatlich ( ...)", "Ich halte
meine Eigenbemühungen vollständig (d.h. alle Sparten werden ausgefüllt) auf dem beigefügten Aktionsplan fest und lege den
Aktionsplan der job-com unaufgefordert jeweils bis zum 3. des Folgemonats vor." In der Rechtsfolgenbelehrung führt der Antragsgegner
aus: "Sollten Sie ohne wichtigen Grund gegen eine Ihnen aufgrund dieses Verwaltungsaktes auferlegten Pflichten verstoßen -
insbesondere Eigenbemühungen nachzuweisen - werden die in ihrem letzten Leistungsbescheid gewährten Alg II-Leistungen für
die Dauer von drei Monaten um 100% gemindert. In diesem Falle erhalten Sie weder Regelbedarfe, Mehrbedarfe noch Unterkunftskosten."
Der Auszahlungsanspruch mindere sich mit Anfang des Kalendermonats, der auf das Wirksamwerden des Sanktionsbescheides folge.
Den Widerspruch wies der Antragsgegner mit Bescheid vom 10.01.2018 zurück. Gegen das klageabweisende Urteil des SG Aachen
vom 26.02.2018 richtet sich die am 10.04.2018 bei dem Senat erhobene Berufung L 7 AS 562/18.
Der Antragsteller wies in den Folgemonaten keine Bewerbungsbemühungen beim Antragsgegner nach. Nach entsprechender Anhörung
stellte der Antragsgegner mit Bescheid vom 01.02.2018 eine Minderung der Leistungen des Antragstellers für den Zeitraum vom
01.03.2018 bis zum 31.05.2018 um 100 Prozent fest. Der Antragsteller erhob gegen diesen Bescheid Widerspruch, den der Antragsgegner
mit Widerspruchsbescheid vom 02.05.2018 zurückwies. Gegen den Bescheid vom 01.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 02.05.2018 hat der Kläger am 04.05.2018 Klage erhoben (S 4 AS 440/18), gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid vom 10.07.2018 hat der Kläger am 19.07.2018 Berufung eingelegt (L 7 AS 1189/18).
Mit Bescheid vom 16.05.2018 stellte der Antragsgegner eine Minderung der Leistungen des Antragstellers für den Zeitraum vom
01.06.2018 bis zum 31.08.2018 um 100 Prozent fest. Er hob den "vorangegangenen Bewilligungs- bzw. Änderungsbescheid" insofern
auf. Der Antragsteller habe am 03.02.2018, 03.03.2018 und 03.04.2018 keinen Aktionsplan eingereicht. Die im Anhörungsverfahren
vorgebrachten Gründe führten zu keiner anderen Entscheidung. Sofern der Antragsteller sich nachträglich dazu bereit erkläre,
seinen Pflichten nachzukommen, könne die Minderung der Leistungen auf 60 Prozent des Regelbedarfs begrenzt werden. Bei einer
Minderung um mehr als 30 Prozent sei es möglich, ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen zu erbringen. Der Krankenversicherungsschutz
erlösche aufgrund der Sanktion, könne durch die Gewährung von Sachleistungen aber wieder ausgelöst werden.
Am 28.05.2018 erhob der Antragsteller Widerspruch gegen diesen Bescheid. Dieser verstoße gegen sein Grundrecht auf Gewährleistung
eines menschenwürdigen Existenzminimums.
Ebenfalls am 28.05.2018 hat der Antragsteller beim SG Aachen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs
beantragt. Er hat sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Weiter bezieht er sich auf seinen Vortrag im Berufungsverfahren L
7 AS 562/18. Dort führt er unter anderem aus: "Auch ist es mir unmöglich, einen Antrag auf ergänzende Sachleistungen bei dem Beklagten
zu stellen. Bei Menschen, die mich unter Sanktionsandrohung gegen meinen geäußerten Willen als freier Mensch zum Lügen zwingen
wollen, mich befehligen und bevormunden, Gutscheine erbetteln zu müssen, weil ich mich weigere zu lügen und auf meine o.g.
Grundrechte zu verzichten, ist für mich undenkbar."
Mit Beschluss vom 21.06.2018 hat das SG den Antrag abgelehnt. Es bestünden keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Insbesondere widersprächen
die Sanktionsregelungen der §§ 31 ff. SGB II nicht dem
Grundgesetz. Der dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Teilhabeleistungen eingeräumte Spielraum ermögliche abgesenkte Leistungen
bei Pflichtverletzungen und stehe einem Sanktionssystem nicht schlechthin entgegen. Aus dem
Grundgesetz lasse sich kein Anspruch auf das vom Kläger begehrte bedingungslose Grundeinkommen ableiten. Das Grundrecht auf Gewährleistung
eines menschenwürdigen Existenzminimums sei außer aus Art.
1 Abs.1
GG auch aus dem Sozialstaatsprinzip abzuleiten. Es verbiete sich, einen absoluten, nicht einschränkbaren Geltungsanspruch einzufordern.
Am 30.06.2018 hat der Antragsteller Beschwerde gegen den ihm am 23.06.2018 zugestellten Beschluss erhoben.
Der Antragsgegner hat den Widerspruch des Antragstellers mit Widerspruchsbescheid vom 18.07.2018 zurückgewiesen. Der Antragsteller
hat gegen den Bescheid vom 16.05.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2018 beim SG Aachen Klage erhoben
(S 21 AS 684/18).
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt.
Gegenstand des Verfahrens ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Sanktionsbescheid vom
16.05.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.07.2018.
Nach §
86b Abs.
1 Nr.
2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen - wie hier gem. § 39 Nr. 1 SGB II - Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung
des Aufschubinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes
andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an §
86a Abs.
3 Satz 2
SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die
Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge
hätte. Da § 39 Nr. 1 SGB II das Vollzugsrisiko bei Sanktionsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
des Bescheides ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs, hier des Widerspruchs, zumindest
überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Maßgebend ist, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung
mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (st. Rspr. des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom
02.03.2017 - L 7 AS 57/17 B ER, vom 24.03.2016 - L 7 AS 372/16 B ER und vom 19.03.2014 - L 7 AS 321/14 B ER; Keller in Meyer-Ladewig,
SGG, 12. Aufl., §
86b Rn. 12a ff mwN).
Hier überwiegt das Aussetzungsinteresse nicht das Vollzugsinteresse. Der angefochtene Bescheid ist nach der im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht rechtswidrig.
Rechtsgrundlage für die gegenüber dem Antragsteller festgestellte Sanktion ist § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II. Indem der Antragsteller nach dem Erlass des Eingliederungsbescheides vom 19.12.2017 keinerlei Bewerbungsbemühungen nachgewiesen
hat, hat er sich geweigert, in dem Eingliederungsbescheid festgelegte Pflichten zu erfüllen. Der Antragsgegner war aufgrund
der früheren Sanktionierung vom 01.02.2018 nicht gehindert, die hier streitige Sanktion festzustellen. Die Verpflichtung zum
Nachweis von monatlichen Bewerbungsbemühungen in einem "Aktionsplan" ist nicht als einheitliche "Dauerverpflichtung" für den
Gesamtzeitraum des Eingliederungsbescheides anzusehen. Aufgrund der Formulierung im Eingliederungsbescheid, wonach der Nachweis
monatlich zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgen muss, entsteht sie vielmehr monatlich neu und kann damit auch während des
Geltungszeitraums eines Eingliederungsbescheids mit mehreren Sanktionen belegt werden.
Der der Sanktion zugrundeliegende Eingliederungsbescheid vom 19.12.2017 ist nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren
gebotenen summarischen Prüfung rechtmäßig.
Eine Rechtmäßigkeit des Eingliederungsbescheides, nicht nur seine Wirksamkeit und Vollziehbarkeit, ist grundsätzlich Voraussetzung
für die Annahme einer Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II:
Zwar ist u.a. im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht anerkannt, dass ein Verwaltungsakt bereits befolgt werden muss, wenn
er wirksam ist, für eine Befolgungspflicht kommt es grundsätzlich nicht auf die Rechtsmäßigkeit des Bescheides an. Dieser
Grundsatz gilt jedoch unstreitig bereits nur im Bereich der Verwaltungsvollstreckung. Ist - wie hier - die Rechtmäßigkeit
von Sanktionen zu prüfen, ist auch im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht umstritten, ob die Wirksamkeit eines anordnenden
Bescheides ausreicht oder eine Rechtmäßigkeitsprüfung vorzunehmen ist (OLG Koblenz, Beschluss vom 16.03.1998, 1Ss 367/97).
Im Bereich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist darüber hinaus maßgeblich, dass die mit deren Bewilligung
einhergehenden Pflichten nach § 31, 32 SGB II der Sache nach keine echten Rechtspflichten, sondern (nur) Obliegenheiten darstellen, die nicht - wie zB im Polizei- und
Ordnungsrecht - im Interesse der Allgemeinheit Handlungsgebote festlegen, sondern (nur) im jeweiligen Leistungsverhältnis
wirken sollen. Das deutsche Recht kennt grundsätzlich keine Arbeitspflicht. Art
12 Abs.
2 GG verbietet eine solche außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
Obliegenheiten begründen für den Begünstigten - hier den Antragsgegner - weder einen primären Erfüllungsanspruch noch bei
Verletzung einen sekundären Schadensersatzanspruch. Rechtsnachteile für den durch die Obliegenheit Belasteten entstehen nur
dadurch, dass dieser einen ansonsten bestehenden Anspruch verliert. Verletzt der Betroffene eine Obliegenheit, so schmälert
dies seine Rechtsposition. Das fehlende primäre Erfüllungsinteresse der Allgemeinheit rechtfertigt es, abweichend zB zum Polizei-
und Ordnungsrecht, die Befolgungspflicht von der Rechtmäßigkeit der Handlungsaufforderung abhängig zu machen und eine Sanktion
nur bei einer Rechtmäßigkeit der Handlungsaufforderung zuzulassen. So ist es auch im Rahmen der systematisch als Vorläufer
der §§ 31 ff. SGB II zu sehenden Sperrzeitenregelung des §
159 SGB III anerkannt, das eine Sperrzeit wegen eines Meldeversäumnisses gemäß §
159 Abs.1 Satz 2 Nr. 6
SGB III nur festgestellt werden kann, wenn die Meldeaufforderung rechtmäßig war (Karmanski in Brand,
SGB III, 8. Auflage 2017, §
159 Rn. 109).
Die abweichende Auffassung, die einen wirksamen Eingliederungsbescheid für die Rechtmäßigkeit einer Sanktion ausreichen lässt
(vgl. ua SG Berlin, Urteil vom 09.07.2014 - S 205 AS 30970/13) führt auch zu problematischen prozessualen Konsequenzen: Auch wenn ein rechtswidriger Eingliederungsbescheid nach Widerspruch
und Klage aufgehoben würde, müsste es bei einer Sanktionierung bleiben, denn auch in diesem Fall hätte der Hilfebedürftige
zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Pflichtverletzung einer ihm durch wirksamen und vollziehbaren Verwaltungsakt auferlegten
Handlungspflicht nicht genügt. Die Wirksamkeit einer durch den Eingliederungsbescheid auferlegten Obliegenheit könnte nur
durch ein Eilverfahren nach §
86b Abs.
1 SGG gehindert werden. Im einem solchen Eilverfahren hätte das zuständige Gericht die Rechtmäßigkeit eines Eingliederungsbescheides
zu prüfen, die aber für die Feststellung einer Sanktion gar nicht relevant wäre. Eine auf einer nur summarischen Prüfung der
Rechtmäßigkeit des Eingliederungsbescheides beruhende gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs
oder einer Anfechtungsklage gegen den Eingliederungsbescheid könnte den Vorwurf der Pflichtverletzung und einer Sanktionierung
verhindern, die vollständige Aufhebung desselben im Hauptsacheverfahren aber nicht. Die Frage, ob überhaupt eine Pflichtverletzung
vorliegt, würde allein von der Entscheidung des Gerichts im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen den Eingliederungsbescheid
abhängig gemacht. Zudem wäre das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage gegen einen Eingliederungsbescheid in Ermangelung einer
Relevanz für ein gegen die Sanktion gerichtetes Verfahren problematisch.
Offen bleiben kann, ob und ggfs. in welchem Umfang die Bestandskraft eines Eingliederungsbescheides für die Rechtmäßigkeit
einer Sanktion maßgeblich ist, denn der Bescheid vom 19.12.2017 ist noch nicht bestandkräftig.
Ermächtigungsgrundlage für den Eingliederungsbescheid sind §§ 15 Abs. 2, 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II. Hiernach sollen die in einer Eingliederungsvereinbarung vorgesehenen Regelungen durch Verwaltungsakt getroffen werden, wenn
eine Vereinbarung nach § 15 Abs.2 SGB II nicht zustande kommt. Der Antragsgegner war befugt, einen Eingliederungsbescheid zu erlassen. Nach § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II sollen die Regelungen einer Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt erfolgen, wenn eine Eingliederungsvereinbarung
nicht zustande kommt. Der Senat lässt offen, ob es sich hierbei um eine reine Verfahrensvorschrift handelt und der Grundsicherungsträger
selbst entscheiden kann, welchen Weg er zur Erfüllung des Ziels der Eingliederung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen wählt
(so BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 13/09 R; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.05.2011 - L 19 AS 344/11 B ER, L 19 AS 345/11 B ER) oder die Regelung einen Vorrang der konsensualen Lösung durch eine in gegenseitigem Einvernehmen geschlossene Vereinbarung
vor dem Ersatz der Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt anordnet (so BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 195/11 R; vgl. hierzu auch Urteil des Senats vom 29.01.2015 - L 7 AS 1305/14). Auch nach letztgenannter Ansicht wären die Voraussetzungen für den Erlass des Eingliederungsbescheides gegeben, denn der
Antragsteller hat nach Einladungen zu Beratungsgesprächen beim Antragsgegner mit Schreiben vom 07.11.2017 erklärt, dass er
die Termine nicht wahrnehmen werde und an Beratungsdienstleistungen des Antragsgegners nicht interessiert sei.
Auch der Inhalt des Eingliederungsbescheides ist rechtmäßig. Der Eingliederungsbescheid ist an den Zwecken auszurichten, die
nach dem Regelungskonzept des SGB II mit der zu ersetzenden Eingliederungsvereinbarung verfolgt werden, und es sind die Grenzen einzuhalten, die auch bei einer
vertraglichen Verständigung über die Inhalte der Eingliederungsvereinbarung zu wahren sind. Auch die Regelungen eines Eingliederungsbescheides
müssen danach zunächst den Anforderungen genügen, die für sich aus den möglichen Inhalten nach § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB II abzuleiten sind (BSG, Urteil vom 23. 06.2016 - B 14 AS 42/15 R). Auch für den Eingliederungsbescheid sind die für den öffentlich-rechtlichen Vertrag in § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB X formulierten Maßgaben entscheidend, d.h. einem an den Hilfebedürftigen gerichteten zumutbaren Verlangen muss eine mit diesem
in Zusammenhang stehende, angemessene und konkret bestimmte Gegenleistung der Behörde gegenüberstehen. Dies war hier der Fall.
Gemäß dem Vorspann des Eingliederungsbescheides dient dieser einer Eingliederung des Antragstellers in Arbeit und entspricht
damit dem auch für den Abschluss einer möglichen Eingliederungsvereinbarung maßgeblichen Grundgedanken. Gemessen hieran waren
zunächst die in dem Eingliederungsbescheid für den Antragsteller formulierten Aufgaben angemessen, sinnvoll und zumutbar.
Die Einreichung einer aktualisierten Bewerbungsmappe beim Antragsgegner diente dazu, die beim Antragsteller vorhandenen Fähigkeiten
und beruflichen Erfahrungen festzustellen und mit Angeboten auf dem Stellenmarkt abzugleichen. Es ist dem Antragsteller überdies
zumutbar, pro Monat fünf Bewerbungen - ggf. auch telefonisch - zu tätigen. Die Zahl der zu fertigenden Bewerbungen entzieht
sich schematischen Betrachtungen (BSG Urteil vom 23. 06.2016 - B 14 AS 42/15 R). Im Falle des Antragstellers sind seine berufliche Qualifikation als diplomierter Wirtschaftsingenieur und die aus zahlreichen
Verwaltungs- und Gerichtsverfahren erkennbare Fähigkeit zur Formulierung zu berücksichtigen. Gegen die Rechtmäßigkeit des
Eingliederungsbescheides ist auch nicht einzuwenden, dass in Eingliederungsvereinbarungen grundsätzlich nicht starr an Zielen
festgehalten werden darf, die sich als erfolglos erwiesen haben (BSG Urteil vom 23. 06. 2016 - B 14 AS 42/15 R), denn die Erfolglosigkeit der vom Antragsgegner verfolgten Vermittlungsstrategie beruht nicht auf ihrer Fehlerhaftigkeit,
sondern auf der dauerhaften Weigerung des Antragstellers, sich auf Eingliederungsbemühungen jedweder Natur einzulassen. Weiter
ist es zumutbar, dass der Antragsteller seine Bewerbungsbemühungen zu dokumentieren und dem Antragsgegner monatlich vorzulegen
hat, denn nur so können diese kontrolliert und ggf. durch weitere Hinweise des Antragsgegners optimiert werden.
Die Rechtmäßigkeit des Eingliederungsbescheides scheitert nicht an unzureichenden Gegenleistungen des Antragsgegners. Die
Übernahme von Kosten für Bewerbungen und Fahrtkosten steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den dem Antragsteller auferlegten
Obliegenheiten. Der pauschal gewährte Betrag von 5 EUR für eine Bewerbung scheint ausreichend, zumal Bewerbungen auch telefonisch
oder per E-Mail erfolgen können und Fahrtkosten gesondert übernommen werden. Die Verpflichtungen des Antragsgegners, das Bewerberprofil
des Antragstellers mit Stellenangeboten abzugleichen und ihm geeignete Vorschläge zu machen sowie ihn gegebenenfalls mit einem
Eingliederungszuschuss oder einem Einstiegsgeld zu unterstützen sind nicht zu schematisch, denn die durch die Regelungen des
§ 15 SGB II angestrebte maßgeschneiderte Ausrichtung der Eingliederungsleistungen (BSG Urteil vom 23.06.2016 - B 14 AS 42/15 R) kann nicht unabhängig von der Mitwirkung des Hilfebedürftigen gesehen werden. Verwehrt dieser sich den Eingliederungsbemühungen
vollständig und arbeitet er nicht an der Erstellung eines Bewerberprofils mit, kann der Träger von Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts nur mit den ihm zur Verfügung stehenden Informationen eher allgemeiner Natur arbeiten und seine Bemühungen
hieran ausrichten.
Eine ausreichende schriftliche Belehrung über die Rechtsfolgen liegt vor. Der Antragsteller wird im Eingliederungsbescheid
vom 19.12.2017 ausdrücklich und in hinreichendem Maße darauf hingewiesen, dass sein Arbeitslosengeld II bei einer nochmaligen
Pflichtverletzung ohne wichtigen Grund vollständig entfällt.
Ein wichtiger Grund des Antragstellers dafür, keine Bewerbungsbemühungen vorzulegen, ist nicht erkennbar. Nach der Rechtsprechung
des BVerfG gibt es kein Grundrecht, sich aus Gewissengründen der Steuerzahlung verweigern zu können und deshalb keine bezahlte
Tätigkeit anzunehmen (BVerfG Beschluss vom 26.08.1992 - 2 BvR 478/92).
Zu Recht hat der Antragsgegner auch eine weitere wiederholte Pflichtverletzung gemäß § 31 a Abs.1 Satz 3 SGB II angenommen und einen vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeldes II festgestellt. Aufgrund der mit den Sanktionsbescheiden
vom15.09.2017 und 01.02.2018 festgestellten Pflichtverletzungen lagen jedenfalls zwei Pflichtverletzungen innerhalb der Jahresfrist
des § 31 a Abs.1 Satz 5 SGB II vor.
Auch weitere Zweifel an Rechtmäßigkeit des Bescheides ergeben sich nicht, insbesondere hat der Antragsgegner den Sanktionszeitraum
gemäß § 31 b Abs.1 SGB II zutreffend festgestellt.
Der Senat hat keine durchgreifenden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der den vorliegenden Bescheiden zugrundeliegenden
Sanktionsvorschriften.
Der Vorlagebeschluss des SG Gotha vom 02.08.2016 - S 15 AS 5157/14 führt nicht zu einer anderweitigen Bewertung. Dem verfassungsrechtlichen Gebot zur Wahrung des menschenwürdigen Existenzminimums,
(Art.
1 Abs.
1, 20 Abs.
1 GG) sowie von Freiheitsrechten, namentlich dem Grundrecht der Berufsfreiheit gem. Art.
12 GG (hierzu nur Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 4. Aufl., § 31 Rn. 2) ist durch eine entsprechende verfassungskonforme Auslegung der zu einer Sanktion führenden Obliegenheiten (§ 31 SGB II) zu genügen. Sind diese eingehalten, stellt es weder einen Verstoß gegen die Menschenwürde iVm dem Sozialstaatsprinzip noch
gegen Freiheitsrechte dar, wenn auf eine ungerechtfertigte Weigerung, zumutbare Obliegenheiten zu erfüllen, ein Leistungsanspruch
wegfällt. Die Ausführungen des BVerfG im Beschluss vom 06.05.2016 - 1 BvL 1/15 führen nicht zu einer abweichenden Einschätzung. Das Bundesverfassungsgericht hat keine konkreten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit
des Sanktionensystems geäußert, sondern nur festgestellt, dass gewichtige verfassungsrechtliche Fragen aufgeworfen werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Übrigen bereits deutlich gemacht, dass es keine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung
eines menschenwürdigen Existenzminimums annimmt, wenn der Gesetzgeber den Anspruch auf Leistungen zur Grundsicherung an zumutbare
Bedingungen knüpft. Es nimmt keinen von dem Hilfebedürftigen möglichen Mitwirkungshandlungen losgelösten, allein aus der Hilfebedürftigkeit
resultierenden Anspruch auf Sicherung des Existenzminimums an. Der faktische Zwang, die bisherige Lebensführung zur Sicherung
des Existenzminimums ändern zu müssen, führt nicht zur Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen
Existenzminimums, sondern berührt vielmehr das Grundrecht, das diese vom Hilfebedürftigen anvisierte Lebensgestaltung schützt
(BVerfG Beschluss vom 08.10.2014, 1 BvR 886/11). Die vorliegend betroffene Entscheidung des Antragstellers, keiner Erwerbstätigkeit nachgehen zu wollen, ist zwar durch
das Grundrecht der (negativen) Berufsfreiheit geschützt, dies führt aber nicht zu einem Anspruch auf Finanzierung dieser Entscheidung
durch die Allgemeinheit. Hinzu kommt, dass der Antragsgegner dem Antragsteller Sachleistungen angeboten hat, die auch seinen
gesetzlichen Krankenversicherungsschutz herstellen, so dass ihm trotz der 100-Prozent-Sanktion die unerlässlichen Mittel zur
Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehen (hierzu BSG Urteil vom 29.04.2015 - B 14 AS 19/14 R).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§
177 SGG).