Tatbestand
Der Kläger wendet sich mit seiner Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts, in dem die Übernahme außergerichtlicher
Kosten für ein Widerspruchsverfahren nach § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X versagt wurden.
Der am 00.00.1980 geborene Kläger bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. In seinem Weiterbewilligungsantrag vom 14.12.2017 gab der Kläger keine Unterkunftskosten und kein Erwerbseinkommen an. Mit
Bescheid vom 20.12.2017 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen iHv monatlich 416 EUR für Februar 2018 bis Juli 2018.
Aufgrund eines Datenabgleichs erfuhr der Beklagte im Frühjahr 2018, dass der Kläger als Lagerarbeiter auf Teilzeitbasis von
der Firma H GmbH beschäftigt wurde. Hierüber hatte der Kläger zuvor keine Mitteilung gemacht. Nach Aufforderung seitens des
Beklagten durch die Mitwirkungsschreiben vom 25.04.2018 und 13.06.2018, legte der Kläger am 25.06.2018 seinen Arbeitsvertrag
vor, aus dem sich ein Arbeitsbeginn am 05.04.2018 und eine regelmäßige monatliche Arbeitszeit auf Basis einer 20 Stundenwoche
ergab. Die Vergütung wurde mit 9,49 EUR brutto je Stunde vereinbart mit Geldzufluss zum 15. des Folgemonats.
Gestützt hierauf hob der Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 20.12.2017 mit Bescheid vom 28.06.2018 für Juli 2018 auf. Durch
die Beschäftigungsaufnahme sei die Hilfebedürftigkeit im Juli 2018 weggefallen und der Bewilligungsbescheid insoweit nach
§ 48 SGB X aufzuheben. Zugleich forderte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 28.06.2018 zur Vorlage der Lohnabrechnungen und Kontoauszüge
auf.
Der Kläger widersprach unter dem 09.07.2018. Es sei nicht ersichtlich, warum die Leistungen aufgehoben wurden. Im Nachgang
reichte der Kläger die Lohnabrechnungen und Lohnzuflussnachweise ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.03.2019 wurde der Widerspruch des Klägers als unbegründet zurückgewiesen. Den im Widerspruchsverfahren
vorgelegten Lohnabrechnungen und Kontoauszügen sei ein zugeflossenes Erwerbseinkommen zu entnehmen, welches Hilfebedürftigkeit
ausschließe. Die im Widerspruchsverfahren ggf. entstandenen notwendigen Aufwendungen des Klägers könnten nach § 63 SGB X nicht erstattet werden.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 13.03.2019 hat der Kläger am 16.04.2019 Klage bei dem Sozialgericht Köln erhoben und geltend
gemacht, ein Aufhebungsbescheid ohne vorherige Anhörung des Klägers sei rechtswidrig. Von einer Anhörung habe auch nicht nach
§ 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X abgesehen werden dürfen. Der Beklagte habe daher gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X die außergerichtlichen Kosten des Klägers aus dem Widerspruchsverfahren zu tragen.
Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, die Kosten des Widerspruchsverfahrens bezüglich des Widerspruchs vom 09.07.2018 wegen des Aufhebungsbescheides
vom 28.06.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides aufzuheben und auszusprechen, dass der Beklagte die Kosten des Widerspruchsverfahrens
zu tragen hat und die Hinzuziehung des Bevollmächtigten erforderlich war.
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Eine Anhörung sei vor dem Aufhebungsbescheid gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X entbehrlich gewesen.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 02.08.2019 die Klage abgewiesen. Streitig sei
allein die Übernahme der Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Aufhebungsbescheid vom 28.06.2018. Mangels Erfolg des
Widerspruchs sei eine Kostenerstattung nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht in Betracht gekommen. Eine Kostenerstattung nach § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X sei auch ausgeschlossen, da auf eine Anhörung vor dem Aufhebungsbescheid nach § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X habe verzichtet werden können.
Gegen den ihm am 13.08.2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 23.08.2019 Beschwerde wegen der Nichtzulassung
der Berufung erhoben. Der Bewilligungsbescheid vom 20.12.2017 habe nicht ohne Anhörung und Ermessensausübung aufgehoben werden
dürfen. Zudem habe er auf die Leistungsbewilligung bis Juli 2018 vertrauen dürfen. Mit dem Bewilligungsbescheid vom 20.12.2017,
der Leistungen bis Juli 2018 vorsah, habe der Beklagte einen besonderen Vertrauensschutz geschaffen, zumal bereits zuvor Leistungen
für die Monate Dezember 2016 bis April 2017 nicht zur Auszahlung gekommen seien. Das Sozialgericht habe verkannt, dass eigentlich
der Berufungsstreitwert erreicht sei, denn zu dem aufgehobenen Regelbedarf von 416 EUR für Juli 2018 hätten die Kranken- und
Pflegeversicherungsbeiträge, die der Beklagte für ihn zu leisten habe, hinzuaddiert werden müssen.
Mit Beschluss vom 18.10.2019 hat der Senat die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom
02.08.2019 zugelassen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 02.08.2019 zu ändern und den Beklagten unter Änderung des Widerspruchsbescheides
vom 13.03.2019 zu verpflichten, die außergerichtlichen Kosten des Klägers aus dem Widerspruchsverfahren wegen des Aufhebungsbescheides
vom 28.06.2018 zu erstatten.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat auf das erstinstanzliche Urteil verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und allein durch den berichterstattenden Richter
einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte
sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte aufgrund der Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§
153 Abs.
1,
124 Abs.
2 SGG) und ausschließlich durch den berichterstattenden Richter entscheiden (§
155 Abs.
3 und
4 SGG). Haben die Beteiligten - wie hier - das Einverständnis iSd §
155 Abs.
3 und
4 SGG erklärt, kann der konsentierte Einzelrichter entscheiden. Die Entscheidung steht in seinem Ermessen. Bei der Ausübung des
Ermessens ist zu berücksichtigen, dass die Entscheidung eines Kollegiums eine höhere Richtigkeitsgewähr als diejenige eines
einzelnen Richters bietet. Die volle Senatsbesetzung ist in der Regel geboten, wenn die Sache grundsätzliche Bedeutung hat,
wie sie der Senat hier mit Annahmebeschluss vom 18.10.2019 bejaht hat (L 7 AS 1421/19 NZB - vgl. zu alle dem: Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl., §
155 Rn. 13). Trotz grundsätzlicher Bedeutung kommt aber eine Entscheidung durch den Vorsitzenden oder Berichterstatter in Betracht,
wenn die Einzelrichterentscheidung im Interesse einer zügigen Abwicklung des Verfahrens erfolgt und der Sache keine nennenswerte
Breitewirkung beizumessen ist (Keller, a.a.O.). Aufgrund der Covid 19-Pandemie war die Ansetzung eines Verhandlungstermins
mit voller Senatsbesetzung in dieser Sache kurz- und mittelfristig nicht absehbar, sodass aus dem Gesichtspunkt der Verfahrensbeschleunigung
eine Einzelrichterentscheidung geboten war (vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch den Referentenentwurf der Bundesregierung COVID-19
ArbGG/SGG-AnpassungsG). Die vorliegende Fallkonstellation (keine Anhörung trotz vollständigem Leistungswegfall) ist zudem im allgemeinen Prozessspektrum
eine seltene Ausnahmekonstellation, der quantitativ keine große Bedeutung zukommt. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht war der
Sache keine besondere Bedeutung beizumessen. Aus diesem Grund haben die Beteiligten auch in Kenntnis des Beschlusses des Senats
vom 18.10.2019 ihr Einverständnis mit einer Einzelrichterentscheidung erklärt.
Die vom Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat es das Sozialgericht abgelehnt
dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Klägers aus dem Widerspruchsverfahren aufzuerlegen.
Soweit ein Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat,
demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen
Aufwendungen Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X zu erstatten. Dies gilt nach § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X auch, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach
§ 41 SGB X unbeachtlich ist.
Eine Kostenerstattung nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X kam nicht in Betracht, da der Widerspruch des Klägers nicht erfolgreich war. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Auch eine Kostenerstattung nach § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X scheidet aus. Es ist schon fraglich, ob der Kläger angesichts der Mitwirkungsschreiben vom 25.04.2018 und 13.06.2018 (zur
"abschließenden Klärung Ihres Anspruchs") nicht angehört wurde. Denn dem zu diesem Zeitpunkt sozialversicherungspflichtig
beschäftigten Kläger musste es sich regelrecht aufdrängen, dass durch den Lohnzufluss die Hilfebedürftigkeit weggefallen war,
zumal bei ihm keine Unterkunfts- und Heizbedarfe anfielen. Die Mitwirkungsschreiben können vor diesem Hintergrund als Anhörungsschreiben
ausgelegt werden. Dies kann im Ergebnis aber offen bleiben. Denn selbst wenn der Kläger vor dem Aufhebungsbescheid vom 28.06.2018
nicht nach § 24 Abs. 1 SGB X angehört worden sein sollte, wäre kein Anhörungsmangel gegeben, der nach § 41 SGB X geheilt wurde. Vielmehr war die Anhörung des Klägers vor dem Aufhebungsbescheid in rechtlicher Hinsicht gar nicht erforderlich.
Nach § 24 Abs. 1 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich
zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Von der Anhörung kann nach § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X abgesehen werden, wenn einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen. Da § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X keine weiteren Einschränkungen enthält, gilt die Regelung auch für rückwirkende Anpassungen, die nicht an weitere Voraussetzungen
als den Zufluss von Einkommen geknüpft sind (vgl. BSG Urteil vom 05.02.2004 - B 11 AL 39/03 R; BSG Urteil vom 21.02.2013 - B 10 EG 12/12 R).
§ 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X erfasst jede Anpassung einer einkommensabhängigen Leistung an geänderte Verhältnisse, d.h. neben der teilweisen Bewilligungsaufhebung
auch die vollständige Bewilligungsaufhebung (Sächsisches LSG Beschluss vom 24.07.2014 - L 3 AS 138/12 NZB; Siefert, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., § 24 Rn. 33). Ein Fall der vollständigen Bewilligungsaufhebung ist vorliegend gegeben. Die Leistung an den Kläger wurde durch
die Anrechnung des Erwerbseinkommens von ursprünglich 416 EUR auf 0 EUR reduziert, mithin entsprechend angepasst. Dass nach
der Anpassung eine (Rest-) Bewilligung bestehen bleiben muss, ist dem Wortlaut der Vorschrift nicht zu entnehmen. Anpassen
ist insoweit ein Synonym für aktualisieren oder angleichen (vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/anpassen). Neben dieser
grammatikalischen Auslegung sprechen hierfür auch systematische Erwägungen, denn anders als etwa nach § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X, ist der Ausnahme nach § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X keine quantitative Beschränkung zu entnehmen. Vielmehr soll die Ausnahme in Nr. 5 von den quantitativen Vorgaben der Nr.
7 "unberührt" bleiben (§ 24 Abs. 2 Nr. 7, 2. Halbsatz SGB X). Hierfür spricht auch der Sinn und Zweck der Vorschrift. Grund für das Absehen der Anhörung nach § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X ist, dass der Beteiligte in aller Regel die geänderten Einkommensverhältnisse kennt und ohnehin mit der Anpassung der "einkommensabhängigen
Leistungen" rechnen muss (Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 24 SGB X Rn. 50 [Stand: 01.12.2017]). Bezieht ein Leistungsempfänger so viel Einkommen, dass es - trotz Absetzbeträge nach § 11b SGB II - zum kompletten Verlust der Leistungen führt, gilt dies erst recht.
Das erzielte Erwerbseinkommen führte im allein streitbefangenen Monat Juli 2018 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X zum vollständigem Wegfall des Leistungsanspruchs, sodass die Leistungsbewilligung insoweit (ohne Ermessenserwägungen) aufzuheben
war (§ 40 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. §
330 Abs.
2 SGB III). Da die Leistungen für Juli 2018 noch nicht zugeflossen waren, war eine Erstattungsentscheidung nicht erforderlich, sodass
auch hierfür keine Anhörung erforderlich war (vgl. Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 24 SGB X Rn. 52 [Stand: 01.12.2017]).
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Revisionszulassungsgründe nach §
160 Abs.
2 SGG lagen keine vor (vgl. Sächsisches LSG Beschluss vom 24.07.2014 - L 3 AS 138/12 NZB).