Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Auszahlung von bewilligten Leistungen für Unterkunft und
Heizung für Mai 2017 und Juni 2017 sowie die Weiterzahlung dieser Leistungen ab Juli 2017.
Der am 00.00.1958 geborene Antragsteller bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II von dem Antragsgegner. Mit Bescheiden vom 30.06.2016 und 26.02.2017 bewilligte der Antragsgegner Leistungen für Juli 2016
bis Juni 2017 iHv insgesamt monatlich 717 EUR. Hierin enthalten waren Bedarfe für Unterkunft und Heizung für eine Wohnung
im H 00, E, iHv 313 EUR monatlich.
Da der Antragsteller nach Auffassung des Antragsgegners nur einen auffallend geringen Verbrauch an Strom und Gas hatte, veranlasste
der Antragsgegner am 24.04.2017 einen Hausbesuch seines Ermittlungsdienstes. Nach dessen Feststellungen waren "an allen Elektrogeräten
die Stecker herausgezogen" und sah das "Schlafzimmerbett unbenutzt aus". Bekleidung war vorhanden, Lebensmittel befanden sich
nicht in der Wohnung. Mit Schreiben vom 25.04.2017 forderte der Antragsgegner den Antragsteller zu verschiedenen Angaben und
zur Vorlage von Unterlagen auf. Der Antragsteller erläuterte mit Schreiben vom 26.04.2017 seine Wohnsituation und versicherte,
dass sich sein Lebensmittelpunkt in der Wohnung im H 00 befinde. Mit Bescheid vom 03.05.2017 informierte der Antragsgegner
den Antragsteller über die vorläufige Einstellung der Leistungen für Unterkunft und Heizung ab Mai 2017.
Am 09.06.2017 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Dortmund beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen
Anordnung zu verpflichten, die Unterkunftskosten ab Mai 2017 weiter zu zahlen und die Leistungen ab Juli 2017 zügig zu bewilligen.
Mit Bescheid vom 13.06.2017 hat der Antragsgegner dem Antragsteller für Juli 2017 bis September 2017 Leistungen zur Deckung
des Regelbedarfs iHv 409 EUR monatlich bewilligt. Mit Beschluss vom 04.09.2017 hat das Sozialgericht den Antrag und die Bewilligung
von Prozesskostenhilfe abgelehnt, da noch keine Räumungsklage erhoben worden sei und damit ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft
gemacht worden sei.
Gegen die am 13.10.2017 zugestellte Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 07.11.2017, mit der der
Antragsteller die Zahlung von Leistungen für Unterkunft und Heizung ab Mai 2017 weiter verfolgt.
Laut Mitteilung des Antragsgegners sind die Leistungen ab 01.11.2017 eingestellt worden, weil der Antragsteller seit November
2017 "aufgrund Arbeitsaufnahme" nicht mehr hilfebedürftig sei.
II.
Die zulässige Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die beantragte einstweilige
Anordnung abgelehnt.
Der einstweilige Rechtsschutz richtet sich auch für die Monate Mai 2017 und Juni 2017 nach §
86b Abs.
2 SGG, da die vorläufige Leistungseinstellung gem. §§ 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II i.V.m. §
331 Abs.
2 SGB III ohne Verwaltungsakt erfolgt, der mit Widerspruch und Anfechtungsklage iSd §
86b Abs.
1 SGG angefochten werden könnte (in diesem Sinne auch LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 03.09.2012 - L 19 AS 1603/12 B). Einstweilige Anordnungen sind nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung
zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt
grundsätzlich Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung.
Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung
(Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 ZPO). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung zu ermitteln. Können ohne Eilrechtsschutz
jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist
eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange der Antragsteller
umfassend zu berücksichtigen hat (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 05.09.2017 - L 7 AS 1419/17 B ER und vom 21.07.2016 - L 7 AS 1045/16 B ER).
Für die Monate Mai 2017 und Juni 2017 ergibt der Anordnungsanspruch auf Zahlung der Unterkunftskosten sich aus §§ 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II in der bis zum 31.07.2016 geltenden (und seither insoweit nicht geänderten) Fassung i.V.m. §
331 Abs.
2 SGB III. Hiernach hat der Antragsgegner eine vorläufig eingestellte laufende Leistung unverzüglich nachzuzahlen, soweit der Bescheid,
aus dem sich der Anspruch ergibt, zwei Monate nach der vorläufigen Einstellung der Zahlung nicht mit Wirkung für die Vergangenheit
aufgehoben ist. Da der Antragsgegner nach eigenem Vorbringen (Schriftsatz vom 19.06.2017) die Bewilligungsbescheide vom 30.06.2016
und 26.02.2017 nicht aufgehoben hat, folgt der Zahlungsanspruch aus dieser Bestimmung, ohne dass es einer Prüfung des Anspruchs
im Übrigen bedarf.
Für die Monate Juli 2017 bis Oktober 2017 gilt: Zwar hat der Antragsgegner Umstände vorgetragen, die Anlass zu Zweifeln geben,
dass die Wohnung des Antragsteller tatsächlich von diesem bewohnt wird, weshalb weitere Ermittlungen durch den Antragsgegner
(§ 20 SGB X) geboten sind. Indes wiegen die Zweifel nicht so schwer, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden
muss, dass der Antragsteller die Wohnung nicht bewohnt. Der Antragsgegner hat bislang nur einen schlichten Verdacht, dass
der Antragsteller bei einer anderen Person wohnt, ohne dass er hierzu bislang substantiierte Einzelheiten dargelegt oder glaubhaft
gemacht hat. Auch die Ergebnisse des Hausbesuchs sind allenfalls verdachtsbegründend, keinesfalls aber eindeutig. Unter Berücksichtigung
des existenzsichernden Charakters der Leistungen für Unterkunft und Heizung sind diese mindestens im Wege der Folgenabwägung
zuzusprechen.
Für die Zeit ab November 2017 hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, weil er seither nach
dem Vorbringen des Antragsgegners über Einkommen verfügt, das die Hilfebedürftigkeit (§§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 SGB II) ausschließt.
Abweichend zur Entscheidung des Sozialgerichts, deren Begründung verfassungsrechtlich nicht mehr vertretbar ist, hat der Antragsteller
einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Mit Beschluss vom 01.08.2017 (1 BvR 1910/12) hat das BVerfG klargestellt, dass in Verfahren des Eilrechtsschutzes zu den Kosten der Unterkunft nicht allein schematisch
auf die Erhebung der Räumungsklage abgestellt werden darf, sondern zu prüfen ist, welche Folgen im konkreten Einzelfall drohen.
Der Senat hält daher an seiner ständigen Rechtsprechung, nach der es für die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes weder
einer Räumungsklage noch einer "Kündigungslage" bedarf, fest. Hierzu hat der Senat u.a. ausgeführt (Beschluss vom 04.05.2015
- L 7 AS 139/15 B ER):
"Nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.) ergibt sich aus Art.
1 Abs.
1 GG in Verbindung mit Art.
20 Abs.
1 GG ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Dieses Grundrecht ist dem Grunde nach unverfügbar
und muss eingelöst werden. Als Grundrecht ist die Norm nicht nur Abwehrrecht gegen Eingriffe des Staates. Der Staat muss die
Menschenwürde positiv schützen. Wenn einem Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen
Mittel fehlen, weil er sie weder aus seiner Erwerbstätigkeit, noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter erhalten
kann, ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages
verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür dem Hilfebedürftigen zur Verfügung stehen.
Mit dieser objektiven Verpflichtung aus Art.
1 Abs.
1 GG korrespondiert ein Leistungsanspruch des Grundrechtsträgers, da das Grundrecht die Würde jedes individuellen Menschen schützt
und sie in solchen Notlagen nur durch materielle Unterstützung gesichert werden kann. Der unmittelbar verfassungsrechtliche
Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich auf diejenigen Mittel, die zur
Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet das gesamte Existenzminimum
durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die die physische Existenz des Menschen umfasst. Zu dieser physischen Existenz
gehört nach ausdrücklicher Rechtsprechung des BVerfG (Urteil vom 09.02.2010 a.a.O. Rn. 135) auch die Gewährleistung von Unterkunft
und Heizung (vergl. hierzu jüngst SG Mainz Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 - S 3 AS 130/14 mwN). Der elementare Lebensbedarf eines Menschen ist nach der Rechtsprechung des BVerfG grundsätzlich in dem Augenblick zu
befriedigen, in dem er besteht (BVerfG Urteil vom 09.02.2010 aaO Rn. 140). Die Versagung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung
führt damit unmittelbar und sogleich zu einer Bedarfsunterdeckung, die bei glaubhaft gemachter Hilfebedürftigkeit den Kernbereich
des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums berührt (in diesem Sinne auch LSG Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 28.01.2015 - L 11 AS 261/14 B; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 22.07.2014 - L 10 AS 1393/14 B ER, L 10 AS 1394/ B ER PKH). Es ist den Betroffenen gerade nicht zuzumuten, einen zivilrechtlichen Kündigungsgrund entstehen
zu lassen, eine Kündigung hinzunehmen, eine Räumungsklage abzuwarten und auf die nachfolgende Beseitigung der Kündigung zu
hoffen (in diesem Sinne auch LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 29.01.2015 - L 6 AS 2085/14 B ER mit zutreffendem Hinweis auf den Grundrechtsschutz nach Art
13 GG; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 28.01.2015 - L 11 AS 261/14 B; SG Berlin Beschluss vom 05.01.2015 - S 205 AS 27758/14 ER; Bayerisches LSG Beschluss vom 19. 03. 2013 - L 16 AS 61/13 B ER). Denn die prozessuale Konsequenz der Anerkennung eines im Moment der Bedarfsentstehung bestehenden verfassungsrechtlichen
Anspruchs auf Gewährleistung des Existenzminimums folgt aus Art.
19 Abs.
4 GG: Es muss sichergestellt sein, dass gegen eine Versagung der existenznotwendigen Mittel effektiver Rechtsschutz zur Verfügung
steht (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). Ein "Vertrösten" des Antragstellers auf Rechtsschutz zu einem späteren Zeitpunkt - nach Erhebung einer Räumungsklage durch
den Vermieter - ist hiermit nicht vereinbar. Zudem stellt es - auch unabhängig von der Anerkennung eines Grundrechts auf Gewährleistung
des Existenzminimums - einen nach geänderter Auffassung des Senats nicht hinnehmbaren Wertungswiderspruch dar, wenn ein Gericht
von einem Bürger, der Rechtsschutz gegen eine Behördenentscheidung sucht, verlangt, dass dieser sich gegenüber einem Dritten
vertragswidrig verhält, indem er seine vertraglich geschuldete Miete nicht vollständig zahlt und damit die Kündigung des Mietverhältnisses
provoziert."
Der Senat hat auch in Ansehung der genannten Entscheidung des BVerfG keinen Anlass, diese Rechtsprechung (im Sinne einer engeren
Auslegung des Anordnungsgrundes) zu modifizieren: Soweit das BVerfG ausführt (Beschluss vom 01.08.2017 - 1 BvR 1910/12 Rn. 16): "daher ist bei der Prüfung, ob ein Anordnungsgrund für den Eilrechtsschutz vorliegt, im Rahmen der wertenden Betrachtung
zu berücksichtigen, welche negativen Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger Art ein Verlust gerade
der konkreten Wohnung für die Betroffenen hätte", hält der Senat es bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein
gebotenen summarischen Prüfung für nicht weiter begründungsbedürftig und grundsätzlich glaubhaft gemacht, dass der Verlust
einer Wohnung immer Nachteile mit sich bringt, die - bei Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs - vom Betroffenen nicht
hingenommen werden müssen. So hat auch das BVerfG in seiner jüngsten Rechtsprechung zu den Unterkunftskosten (Beschluss vom
10.10.2017 - 1 BvR 617/14) betont, dass es sich bei den Kosten für Unterkunft und Heizung um eine der "grundrechtsintensivsten Bedarfspositionen" handelt.
Ausnahmen hiervon sind denkbar, wenn die Wohnung nicht erhaltenswert erscheint, etwa weil es sich um eine "Schrottimmobilie"
handelt oder Kinder unzureichend mit Wohnraum versorgt sind.
Ausnahmen von dem Grundsatz, dass es für die Annahme eines Anordnungsgrundes weder einer Räumungsklage noch einer "Kündigungslage"
bedarf, sind zudem auch nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschlüsse vom 04.05.2015 - L 7 AS 139/15 B ER und vom 16.11.2015 - L 7 AS 1729/15 B ER) möglich, wenn nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen Prüfungsdichte belastbare Anhaltspunkte dafür
bestehen, dass die vertraglichen Pflichten des Antragstellers jedenfalls während der Nichtzahlung von Leistungen zur Deckung
des Unterkunftsbedarfs gestundet sind, etwa weil es sich um ein Mietverhältnis unter Verwandten handelt oder eine sonstige
Nähebeziehung zwischen dem Vermieter und dem Anspruchsteller besteht. Gleiches gilt, wenn feststeht, dass das Mietverhältnis
trotz Zusprechens der Leistungen nicht erhalten werden kann und es daher nur noch darum geht, Ansprüche des Vermieters zu
sichern. Zweifeln an der Ernsthaftigkeit eines Mietzinsverlangens ist im Rahmen der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs
nachzugehen.
Schließlich weist der Senat nochmals zur Klarstellung darauf hin, dass die vorstehenden Ausführungen für die Übernahme der
laufenden Miete gelten. Die Übernahme von Mietschulden nach § 22 Abs. 8 SGB II richtet sich nach anderen Maßstäben (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 18.07.2014 - L 7 AS 982/14 B ER).
Prozesskostenhilfe steht dem Antragsteller nicht zu, da er nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war und Gerichtskosten
nicht angefallen sind (§
183 SGG). Auch insoweit ist die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG und berücksichtigt, dass der Antragsteller im Wesentlichen erfolgreich war und die Zurückweisung der Beschwerde ab November
2017 nur auf einer Änderung der Umstände beruht.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§
177 SGG).