Gründe
I.
Die Antragsteller begehren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Die 1971 geborene Antragstellerin zu 1) ist die Mutter der Antragsteller zu 2) bis 5). Die Familie erhielt - gemeinsam mit
dem mittlerweile nach Rumänien verzogenen Ehemann der Antragstellerin zu 1) N H - bis Juni 2017 Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts.
Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige. Sie leben seit Anfang 2016 in der Bundesrepublik Deutschland in einer
Mietwohnung. Die Antragstellerin zu 1) war von Januar 2017 bis zum 15.06.2017 beschäftigt als Reinigungskraft bei der Fa.
N L Sie erzielte dort ein regelmäßiges monatliches Nettoentgelt i.H.v 450 EUR. Die am 00.00.2000 geborene Antragstellerin
zu 2), der am 00.00.2003 geborene Antragsteller zu 3) und der am 00.00.2007 geborene Antragsteller zu 4) gingen in dieser
Zeit und gehen auch heute noch zur Schule. Von September 2017 bis November 2017 war sie vollschichtig bei der Arbeitnehmerüberlassung
"V Personalservice GmbH" beschäftigt. Sie war jedenfalls im Februar 2018 beschäftigt als Zustellerin bei Fa "B ". Für Februar
2018 ist ein Monatsverdienst iHv 205,14 EUR nachgewiesen. Seit Ende Mai 2018 arbeitet die Antragstellerin zu 5) in einem Cafe
in L als geringfügig beschäftigte Reinigungskraft.
Den Weiterbewilligungsantrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 23.11.2017 ab, über den am 12.12.2017 eingelegten Widerspruch
ist nach Aktenlage noch nicht entschieden.
Am 05.01.2018 haben die Antragsteller beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Leistungszahlung
zu verpflichten. Sie haben Schulbescheinigungen sowie Unterlagen über das Beschäftigungsverhältnis der Antragstellerin zu
5) vorgelegt und sich darauf berufen, der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2c) SGB II sei europarechtswidrig.
Mit Beschluss vom 22.02.2018 hat das Sozialgericht den Antrag und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Antragsteller
hätten keine Unterlagen vorgelegt, aus denen ihre Hilfebedürftigkeit ersichtlich ist.
Hiergegen richtet sich die am 12.03.2018 erhobene Beschwerde der Antragsteller. Sie haben ergänzend ausgeführt, ihren Lebensunterhalt
vom Kindergeld und Einkommen eines weiteren Sohnes der Antragstellerin zu 1), der aber seiner Partnerin und seinem Kind vorrangig
verpflichtet sei, zu bestreiten. Außerdem erhielten sie Unterstützung von einer in Italien lebenden Schwester der Antragstellerin
zu 1) iHv 800 EUR monatlich. Die Schwester leiste die Unterstützung, weil die Antragstellerin zu 1) ihr mitgeteilt habe, dass
die Familie keine "Sozialhilfe" erhalte und deshalb bedürftig sei. Die Antragsteller haben in einem Erörterungstermin am 07.06.2018
Kontoauszüge und die Kopie eines Mietvertrages vorgelegt.
II.
Die zulässige Beschwerde ist - nach Rücknahme des ursprünglichen Antrags des Antragstellers zu 6) begründet. Zu Unrecht hat
das Sozialgericht den Antrag abgelehnt.
Einstweilige Anordnungen sind nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung
zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt
grundsätzlich Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung.
Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung
(Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 ZPO). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung zu ermitteln. Können ohne Eilrechtsschutz
jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist
eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange der Antragsteller
umfassend zu berücksichtigen hat (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 05.09.2017 - L 7 AS 1419/17 B ER und vom 21.07.2016 - L 7 AS 1045/16 B ER).
Die Antragstellerin zu 1) hat das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht (Nr. 1), ist erwerbsfähig (Nr. 2), im tenorierten Umfang hilfebedürftig (Nr. 3) und hat ihren gewöhnlichen
Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (Nr. 4). Die Antragsteller zu 2) bis 5) sind als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft
der Antragstellerin zu 1) nach § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II leistungsberechtigt.
Die Hilfebedürftigkeit der Antragsteller ist glaubhaft gemacht. Sie entfällt nicht im Umfang der von der Schwester der Antragstellerin
zu 1) geleisteten Zuwendungen, denn nach dem glaubhaften Vorbringen der Antragstellerin zu 1) im Erörterungstermin am 07.06.2018
handelt es sich hierbei um Zahlungen, die lediglich anstelle von beantragten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
aufgrund eines familiären Näheverhältnisses erbracht werden und damit anrechnungsfrei sind (hierzu ausführlich BSG Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 46/11 R). Ggfs. verbleibenden Zweifeln an der Hilfebedürftigkeit hat der Antragsgegner im Widerspruchs- bzw. Hauptsacheverfahren
nachzugehen. Den Betrag des anzurechnenden Einkommens der Antragstellerin zu 5) hat der Senat an dem aktenkundigen bisherigen
Einkommen orientiert.
Der Leistungsanspruch der Antragsteller entfällt nicht aufgrund des seit dem 29.12.2016 geltenden Leistungsausschlusses des
§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, wonach Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen
keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben.
Zwar verfügt die Antragstellerin zu 1) nicht mehr über ein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin oder ein anderweitiges Aufenthaltsrecht
außerhalb des Aufenthaltsrechts zur Arbeitsuche. Dennoch sind den Antragstellern im Wege der Folgenabwägung Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II einstweilen zuzusprechen.
Die Antragsteller zu 2) - 4) verfügen über ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/11. Danach können die Kinder eines
Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates beschäftigt ist oder beschäftigt
gewesen ist, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen
dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen. Art. 10 VO (EU) 492/11
verleiht den Kindern eines Arbeitnehmers ein eigenes Recht auf Zugang zum Unterricht an einer allgemeinbildenden Schule und
damit ein autonomes, dh nicht vom Aufenthaltsrecht ihrer Eltern abhängiges, eigenständiges Aufenthaltsrecht. Dieses Recht
gilt für Kinder von Arbeitnehmern wie auch für die Kinder ehemaliger Arbeitnehmer. Art. 10 VO (EU) 492/11 verlangt nur, dass
das Kind mit seinen Eltern oder einem Elternteil in der Zeit in einem Mitgliedstaat lebte, in der dort zumindest ein Elternteil
als Arbeitnehmer wohnte (vgl. EuGH Urteile vom 30.06.2016 - C-115/15, vom 13.06.2013 - C-45/12 I B, vom 08.05.2013 - C-529/11 B und U, vom 14.06.2012 - C-542/09, vom 06.09.2012 - C-147/11/148/11 D und Q und vom 23.02.2010 - C-310/08; 480/08 J und U). Den Antragstellern zu 2) - 4) steht dieses Aufenthaltsrecht zu, da die Antragstellerin zu 1) in einem Beschäftigungsverhältnis
stand, als die Antragsteller zu 2) bis 4) sich in Schulausbildung befanden.
Hieraus leitet sich ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der Antragstellerin zu 1) als sorgeberechtigte Mutter der Antragsteller
zu 2) - 4) ab. Soweit und solange die minderjährigen Kinder eines Arbeitnehmers oder ehemaligen Arbeitnehmers für die Wahrnehmung
ihrer Ausbildungsrechte aus Art. 10 VO (EU) 492/11 weiterhin der Anwesenheit und der Fürsorge des Elternteils bedürfen, um
ihre Ausbildung fortsetzen und abschließen zu können, besteht in gleicher Weise für die Eltern bzw. den Elternteil, die bzw.
der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, ein abgeleitetes Recht auf Aufenthalt aus Art. 10 VO (EU) 492/11.
Dies hat der EuGH damit begründet, dass die Versagung der Möglichkeit für die Eltern, während der Ausbildung ihrer Kinder
im Aufnahmemitgliedstaat zu bleiben, geeignet sein könnte, den Kindern ein - ihnen vom Unionsgesetzgeber zuerkanntes - Recht
zu nehmen. Ohne Belang ist, ob der die elterliche Sorge tatsächlich wahrnehmende Elternteil - wie hier die Antragstellerin
zu 1) - nicht mehr Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat ist (vgl. EuGH Urteile vom 30.06.2016 - C-115/15 und vom 08.05.2013 - C-529/11 B und U). Das Aufenthaltsrecht für den tatsächlich die elterliche Sorge ausübenden Elternteil, dessen Kind sich auf Art.
10 VO (EU) 492/11 berufen kann, besteht auch dann, wenn dieser Elternteil nicht über ausreichende Existenzmittel oder einen
umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügt (EuGH Urteile vom 23.02.2010 - C-310/08; C-480/08 J und U). Zusammen mit dem in Ausbildung befindlichen Kind hat der sorgeberechtigte Elternteil daher ein von diesem abgeleitetes
Aufenthaltsrecht (so auch LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 21.08.2017 - L 19 AS 1577/17 B ER).
Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2c) SGB II steht einer zusprechenden Entscheidung im Wege der Folgenabwägung nicht entgegen (so bereits Beschluss des Senats vom 21.12.2017
- L 7 AS 2044/17 B ER). Zwar sind vorliegend die Voraussetzungen dieser Ausschlussnorm ihrem Wortlaut nach gegeben. Danach sind Ausländer
und Ausländerinnen vom Leistungsbezug ausgeschlossen, die ihr Aufenthaltsrecht (wie hier) allein oder neben einem Aufenthaltsrecht
nach Buchstabe b aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.04.2011 über
die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (Abl. L 141 vom 27.05.2011, S. 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589
(Abl. L 107 vom 22.04.2016, S. 1) geändert worden ist, ableiten. Allerdings wird mit gewichtiger Argumentation geltend gemacht,
dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2c) SGB II gegen das europäische Gemeinschaftsrecht verstößt (LSG Nordrhein-Westfalen Beschlüsse vom 21.08.2017 - L 19 AS 1577/17 B ER, vom 12.07.2017 - L 12 AS 596/17 B ER und vom 01.08.2017 - L 6 AS 860/17 B ER; LSG Schleswig-Holstein Beschluss vom 17.02.2017 - L 6 AS 11/17 B ER; Derksen, info also 2016, 257; Devetzi/Janda, ZESAR 2017, 197). Greift der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2c) SGB II gegenüber der Antragstellerin zu 1) nicht, ist sie als erwerbsfähige Leistungsberechtigte iSd § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II anzusehen und folgt der Leistungsanspruch der übrigen Antragsteller als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 3 Nr.3 a, 4 SGB II) - wie ausgeführt - aus § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II.
Da die Rechtsfrage, ob § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II mit europäischem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, im Hauptsacheverfahren eine Vorlage an den EuGH erfordert, ist unter Beachtung
des Gebots der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art.
19 Abs.
4 S. 1
GG eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG Beschluss vom 17.01.2017 - 2 BvR 2013/16 mwN), in die insbesondere die grundrechtlich relevanten Belange der Antragsteller einzustellen sind. Aus dem Gebot effektiven
Rechtschutzes kann sich die Verpflichtung ergeben, entgegen einer gesetzlichen Norm vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren,
also eine Gesetzesvorschrift nicht anwenden (so im Ergebnis auch LSG Nordrhein-Westfalen Beschlüsse vom 14.09.2017 - L 21 AS 782/17 B ER, vom 21.08.2017 - L 19 AS 1577/17 B ER, vom 16.08.2017 - L 19 AS 1429/17 B ER und vom 12.07.2017 - L 12 AS 596/17 B ER; Beschluss des Senats vom 21.12.2017 - L 7 AS 2044/17 B ER). Hier überwiegt das Interesse der Antragsteller am Erhalt von existenzsichernden Leistungen. Den Antragstellern droht
eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung ihres Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums
(Art.
1 Abs.
1 GG i.V.m. Art.
20 Abs.
1 GG), die durch ein Urteil in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann. Denn es besteht ein aktueller Bedarf an existenzsichernden
Leistungen für eine sechsköpfige Familie mit minderjährigen Kindern. Deren Bedarfsunterdeckung kann nicht, auch nicht vorübergehend,
hingenommen werden.
Der Anordnungsgrund hinsichtlich des Regelbedarfs und der Kosten für Unterkunft und Heizung (Beschluss des Senats vom 06.12.2017
- L 7 AS 2132/17 B ER) ist glaubhaft gemacht.
Die Verpflichtung des Antragsgegners lediglich dem Grunde nach folgt aus einer entsprechenden Anwendung von §
130 SGG. Der Antragsgegner wird bei der Berechnung des Anspruchs das Einkommen aus den Beschäftigungsverhältnissen, und das Kindergeld
anspruchsmindernd berücksichtigen. Hinsichtlich der Dauer der Verpflichtung hat sich der Senat an § 41 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II orientiert und hierbei ergänzend berücksichtigt, dass den Beteiligten ein ausreichender Zeitraum gegeben wird, um eine Fortzahlung
der Leistungen zu prüfen.
Prozesskostenhilfe steht gem. §§ 73a Abs.
1 Satz 1,
114 ZPO für beide Rechtszüge zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG. Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§§ 73a Abs. 1 Satz
1
SGG, 127 Abs. 4
ZPO).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§
177 SGG).