Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Verwaltungsaktsqualität einer Meldeaufforderung
Gründe:
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Soweit der Antragsteller ursprünglich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 11. Mai 2011 gegen die
Meldeaufforderung vom 6. Mai 2011 beantragt hatte und in der Zwischenzeit der Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 2011 (W 3947/11) erlassen worden ist, kann sich sein Begehren im Beschwerdeverfahren bei verständiger Würdigung nur auf die von ihm vor dem
Sozialgericht Berlin erhobene Klage (Aktenzeichen: S 138 AS 15988/11) beziehen.
Zu Recht ist das Sozialgericht im angefochtenen Beschluss zum Begehren des Antragstellers (stillschweigend) von einem allgemeinen
Rechtsschutzbedürfnis ausgegangen. Dieses fehlt auch nicht etwa, weil eine Meldeaufforderung kein Verwaltungsakt darstelle
(so aber der Antragsgegner im Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 2011). Die sog Meldeaufforderung nach §
309 des Sozialgesetzes Drittes Buch (
SGB III), worauf §
59 des Sozialgesetzes Zweites Buch (SGB II) verweist, ist zunächst in der Entscheidung des BSG vom 20. März 1980 (SozR 4100
§ 132 Nr. 1 S 7) als Verwaltungsakt qualifiziert worden, weil sie die allgemeine Mitwirkungspflicht für den Einzelfall mit
Verpflichtungswirkung gegenüber dem Adressaten konkretisiere. In einer späteren Entscheidung des BSG vom 29. September 1987
(BSGE 62, 173, 175 = SozR 4100 § 132 Nr. 4) ist die Qualifizierung der Meldeaufforderung nach § 132 des bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) als Verwaltungsakt jedoch ausdrücklich offen gelassen worden (offen gelassen auch in BSGE 87, 31, 38 = SozR 3-4100 § 134 Nr 22). Der erkennende Senat neigt zur Auffassung, dass in einer Meldeaufforderung ein Verwaltungsakt
iSd § 31 Sozialgesetz Zehntes Buch (SGB X) zu erblicken ist, jedenfalls dann, wenn wie hier, die Meldeaufforderung mit der Androhung versehen ist, ein (weiteres) Meldeversäumnis
(erneut) nach §
32 SGB II sanktionieren zu wollen (in diesem Sinne auch Düe in Niesel/Brandt,
SGB III, 5. Aufl., §
309 RdNr 6; Winkler in Gagel,
SGB III §
309 RdNr 20). Zwar setzt die Sanktion eines Meldeversäumnisses den Erlass eines Sanktionsbescheides voraus. Insoweit bedarf es
eines weiteren verwaltungsseitigen Umsetzungsschrittes und kann nicht allein in der Meldeaufforderung die Verfügung einer
Sanktion zu erblicken sein. Allerdings dient die Meldeaufforderung nicht nur der Aufklärung von Sachverhalten oder der Vorbereitung
einer den Einzelfall regelnden Entscheidung, sondern begründet auch eine selbständige Obliegenheit, zu einem bestimmten Zeitpunkt,
aus einem bestimmten Grund, an einem bestimmten Ort zu sein und stellt damit im Sinne einer Vorabentscheidung gleichzeitig
das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals einer Sanktion iSd §
32 SGB II fest (in diesem Sinne Behrend in Eicher/Schlegel,
SGB III, Ausgabe November 2004, zu §
309 Rnr. 54 mwN). Darüber hinaus sprechen für einen Verwaltungsakt §
39 Nr. 3 SGB II und §
336a Satz 1 Nr. 4
SGB III, deren gesetzgeberische Existenz sich nicht erklären lässt, wenn ausdrücklich geregelt wird, dass Widerspruch und Klage keine
aufschiebende Wirkung bei Aufforderungen nach §
59 SGB II iVm §
309 SGB III haben, sich bei der Agentur für Arbeit oder einer sonstigen Dienststelle der Bundesagentur persönlich zu melden.
Die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage liegen indessen nicht vor.
Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung
haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen (§
86 b Abs.1 S. 1 Nr. 2
SGG). Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann das Gericht die Aufhebung
der Vollziehung anordnen (§
86 b Abs.
1 S. 2
SGG). Nach §
86 a Abs.
2 Nr.
4 SGG i. V. m. §
39 Nr.
1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der eine Meldeaufforderung zum Gegenstand hat,
keine aufschiebende Wirkung (s.o.). Im Rahmen der Prüfung des §
86 b Abs.
1 S. 2
SGG ordnet das Gericht die aufschiebende Wirkung an, wenn der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und der Betroffene dadurch
in seinen subjektiven Rechten verletzt ist; demgegenüber wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet, wenn die Klage voraussichtlich
aussichtslos ist (Keller, in Meyer-Ladewig u. a.,
SGG, 9. Aufl., zu §
86b Rnr. 12 ff. m. w. N.). Sind die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, ist eine allgemeine Interessenabwägung
vorzunehmen, wobei die Aussichten des Hauptsacheverfahrens mitberücksichtigt werden können. Es gilt der Grundsatz: Je größer
die Erfolgsaussichten sind, umso geringer werden die Anforderungen an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers sein (Keller,
aaO.). Bei der Interessenabwägung ist in den Fällen des §
86 a Abs.
2 Nrn. 1 bis 4
SGG zudem zu berücksichtigen, dass aufgrund der vom Gesetzgeber in diesen Fällen grundsätzlich angeordneten sofortigen Vollziehung
ein Regel-Ausnahmeverhältnis zugunsten des Vollziehungsinteresses abzuleiten ist (Keller, aaO., m. w. N.). Die aufschiebende
Wirkung kann daher in diesen Fällen nur angeordnet werden, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten
feststellbar ist.
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Meldeaufforderung vom 6. Mai 2011 schon nicht offensichtlich rechtswidrig; insbesondere
genügt sie den formellen Anforderungen. In dem Aufforderungsschreiben muss der Ort, der Tag, die Tageszeit der Meldung hinreichend
bestimmt sein und der Meldezweck zumindest stichwortartig mitgeteilt werden. Diese Voraussetzungen sind der Meldeaufforderung
aber zu entnehmen. Der Antragsteller wurde zum "05.05.2011 um 8:30 Uhr in das Jobcenter Berlin-Lichtenberg, Gotlindestr. 93,
10365 Berlin, Haus 1, Aufg. C, Zimmer 336" zum Gespräch eingeladen. Zum Zweck wurde angeführt: "Anhörung zum Meldeversäumnis,
Angebot einer Fördermaßnahme, Fertigung einer neuen Eingliederungsvereinbarung". Das war ausreichend und musste nicht weiter
vom Antragsgegner begründet oder erläutert werden. Der Senat teilt ausdrücklich die schon vom Sozialgericht angeführte Begründung,
"eine ins Einzelne gehende Darstellung ist nicht erforderlich". Ist der angefochtene Bescheid schon (auch sonst) nicht offensichtlich
rechtswidrig, sondern offensichtlich rechtmäßig, erübrigen sich etwaige Interessensabwägungen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §
193 SGG in entsprechender Anwendung.
Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar; §
177 SGG.