Beitragspflicht zur Sozialversicherung
Auslieferungsfahrer
Abgrenzung selbständiger Tätigkeit von abhängiger Beschäftigung
Unternehmerrisiko
Überwiegende Merkmale
Tatbestand
Streitig ist im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens nach §
7a Viertes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IV) die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) in ihrer Tätigkeit als Auslieferungsfahrerin für die Klägerin vom 1.2.2013
bis 31.3.2014 in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung, in der sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der
Arbeitsförderung.
Die Klägerin betrieb das I (SAT) M ab dem 1.2.2013 auf der Grundlage des mit der I Logistik Gruppe Deutschland GmbH (I) geschlossenen
Satellitendepot-Vertrages vom 11.2.2013, mit welchem sie sich zur Zustellung von Sendungen auf der "letzten Meile" verpflichtete.
In diesem Vertrag, auf den im Übrigen Bezug genommen wird, heißt es auszugsweise:
"1. Vertragsgegenstand
1.1 Gegenstand des Vertrages ist die Durchführung der Sendungszustellung und -abholung sowie aller damit verbundenen Nebenleistungen
durch den Auftragnehmer in dem in Anlage 1 definierten Zustellgebiet. [ ...]
1.3 I überlässt dem Auftragnehmer die für die Abwicklung der Vertragspflichten standardisierten Formulare und Unterlagen für
das Berichtswesen sowie die für die Erbringung der Vertragsleistung erforderlichen EDV-Geräte ("Sachmittel") gemäß Anlage
2/Beilage 1 gegen Entgelt zum Gebrauch. Die überlassenen Sachmittel sind einsatzbereit zu halten und ausschließlich im Rahmen
dieses Vertrages einzusetzen. I ist bei Bedarf ein zentralseitiger Zugriff auf die Daten am SAT zu gewähren. [ ...]
3. Servicequalität
I ist den eigenen Auftraggebern gegenüber zur Einhaltung exzellenter Qualitäten verpflichtet. [ ...].
3.2 Der Auftragnehmer ist für die ordnungsgemäße Durchführung der Aufgaben verantwortlich. Er hat die Serviceanforderungen
sicherzustellen, die ihm seitens der I bekannt gemacht werden. Diese sind insbesondere aus dem "Abwicklungshandbuch SAT-Depot"
und dem "I-Qualitätshandbuch (für Zusteller)" im jeweils aktuellen Stand ersichtlich, deren Kenntnisnahme der Auftragnehmer
bestätigt. [ ...]
3.4 Der Auftragnehmer stellt sicher, dass er bzw. die von ihm eingesetzten Erfüllungsgehilfen während der Zustell- und Abholtätigkeit
anhand ihrer vollständigen Oberkörper-Bekleidung und eines Namensschildes als I-Partner zu erkennen sind. [ ...]
3.5 Zur gemeinsamen Überprüfung der Abwicklungs- und Servicequalität gewährt der Auftragnehmer der I für die Dauer der Zusammenarbeit
ein nichtwiderrufliches Zutrittsrecht hinsichtlich der Geschäftsräume, die der Auftragnehmer zum Sendungsumschlag nutzt. Dies
umfasst auch die Durchführung regelmäßiger Qualitätsaudits, um die Einhaltung der Verpflichtungen aus diesem Vertrag und den
dazugehörigen Leistungsvereinbarungen zu überprüfen. [ ...].
4. Sozialstandard [ ...]
4.2 Der Auftragnehmer verpflichtet sich, den "Verhaltenskodex - Sozialstandards und Beschäftigungsbedingungen der I Logistik
Gruppe Deutschland für den Umgang mit Mitarbeitern und Vertragspartnern in der Paketdistribution" (nachfolgend "Verhaltenskodex")
zu beachten, deren Kenntnisnahme der Auftragnehmer bestätigt. [ ...].
5. Vergütung
5.1 Für die vom Auftragnehmer vertraglich zu erbringenden Leistungen wird die in Anlage 1 festgelegte Vergütung zuzüglich
der jeweils geltenden Mehrwertsteuer gezahlt. Vergebliche Kundenanfahrten werden nicht vergütet. Die Abrechnung zwischen dem
Auftragnehmer und der I erfolgt monatlich nachträglich per Gutschrift, aus der die erbrachten Leistungen ersichtlich sind.
Maßgebend für die Berechnung der monatlichen Mengen sind die Auswertungen der I der mittels Scanner erfassten zugestellten
und der beim Kunden abgeholten Sendungen sowie der Zeitpunkt der Übertragung der Scannerdaten durch den Auftragnehmer an die
I [ ...]."
Die Klägerin befindet sich in Liquidation (Eintragung vom 10.8.2017 im Handelsregister des Amtsgerichts (AG) L, HRB xxx). Einzelvertretungsberechtigter Liquidator ist Herr M.
Die 1965 geborene Beigeladene zu 1) meldete am 18.9.2012 ein Gewerbe mit der Tätigkeit "Kleintransporte" an, das sie zum 31.7.2014
abgemeldet hat. Vom 1.10.2012 bis 31.1.2013 war sie bereits als Kurierfahrerin für die I1 GmbH tätig und auf der Grundlage
des "Sub-Unternehmervertrages" vom 10.10.2012, auf dessen weiteren Inhalt Bezug genommen wird, mit der Entgegennahme, dem
Transport und dem Verteilen von Sendungen des I-Versandes betraut. Sie erwarb am 21.11.2012 ein Kraftfahrzeug der Marke D
zu einem Kaufpreis von 14.150,00 EUR.
Vom 1.2.2013 bis 31.3.2014 war die Beigeladene zu 1) auf der Grundlage des "Sub-Unternehmervertrages" (SubV) vom 7.2.2013
für die Klägerin tätig, der wörtlich wie folgt lautet:
"§ 1 Vertragsgegenstand
Der UN beauftragt den SUB mit der Entgegennahme von Sendungen sowie deren Transport und Verteilung. Diesbezüglich sind auch
Nachnahmen gemeint. Die Sendungen sind an die entsprechenden Empfänger auszuliefern. Des Weiteren sind so genannte Retouren
anzunehmen und zu transportieren. Die Zustellung der Sendungen erfolgt ausschließlich zu den in den Tourenberichten ausgedruckten
Bedingungen. Eigenunterschriften sind nicht zulässig und werden strafrechtlich verfolgt.
Der Subunternehmer haftet für die ihm übergebenen Sendungen im vollen Umfang. Sendungsverluste oder Schäden sind in voller
Höhe zu tragen. Bei wiederholtem Sendungsverlust behält sich das Unternehmen vor, Strafanzeige zu stellen.
Der SUB übt seine Tätigkeit eigenverantwortlich aus, zeitlich, räumlich und örtlich; hierzu zählt auch das Tragen der Dienstkleidung.
Des Weiteren ist bei der Auslieferung der Sendungen das I-schild deutlich und sichtbar für jedermann im Fahrzeug zu befestigen.
Bedient sich der SUB anderer Personen zur Vertragserfüllung, so hat er sicherzustellen, dass die Tätigkeit mit größter Sorgfalt
ausgeübt wird.
Bei Krankheit und ähnlichen Ausfällen sollte man sich selber Ersatz suchen
§ 2 Vergütung
Für die gemäß den Bestimmungen dieses Vertrages durchgeführten Leistungen enthält der SUB die in der Anlage 1 festgelegte
Vergütung.
Die Begleichung der Vergütung erfolgt mit max. 30 tägigen Zahlungszielen.
Für Versicherungen jeglicher Art hat der SUB selbst zu sorgen. Mit der Vergütung sind sämtliche Aufwendungen des SUB abgegolten.
Sollte der SUB seinen Auftrag nicht ausführen können, so wird dieser weitergegeben, die Vergütung hierfür erhält der vertretende
Auftragnehmer. Sollten der U GmbH dadurch Mehrkosten entstehen, so können diese im Wiederholungsfalle (ausgenommen Krankheit,
Familienfälle etc.) dem ursprünglichen Vertragspartner in Rechnung gestellt werden.
§ 3 Haftung
Der Subunternehmer haftet für alle Personen-, Sach- und Vermögensschäden, die er oder sein Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfe
im Zusammenhang mit der Durchführung seines Auftrages verursachen.
Nach Beendigung oder Auflösung des Vertrages wird vom SUB mit letzter Rechnungsstellung eine Sicherheitskaution von 200,-
EUR einbehalten. Diese dient der U GmbH um evtl. mutmaßliche Verluste des SUB auszugleichen. Nach Ablauf von 1 Jahr (Zeitraum
wird vom I-versand als Schadensmeldung beansprucht) werden dem SUB diese 200,- EUR ausbezahlt.
§ 4 Laufzeit des Vertrages
Der Vertrag tritt mit Unterschrift beider Vertragspartner zum 01.02.2013 in Kraft. Er kann von beiden Seiten mit einer Frist
von 4 Wochen gekündigt werden. Unberührt bleibt das Recht beider Vertragspartner, den Vertrag bei Vorliegen eines wichtigen
Grundes fristlos zu kündigen. Dazu gehören insbesondere: Diebstahl, Betrug und Unzuverlässigkeit. Bei Auflösung der GmbH enden
die Verträge automatisch. Die ersten 3 Monate zählen als Probezeit. Die Arbeitszeiten sind in der Regel Montag bis Samstag
§ 5 Konkurrenzklausel und Vertraulichkeit
Jegliche Erkennungszeichen des Auftraggebers sind ausschließlich während der für den UN durchgeführten Leistungen zu benutzen.
§ 6 Schlussbestimmungen
Änderungen des Vertrages sind mündlich und schriftlich zulässig. Mündliche Änderungen müssen binnen 7 Werktagen festgehalten
werden.
Gerichtsstand ist M
Für diese Arbeit benötigen Sie ein eigenes Fahrzeug.
Betriebsstätte: C-straße 00 M
Anlage 1
Die U GmbH behält sich vor, Planmengenanpassungen und Sendungspreisänderungen vorzunehmen.
Für das Zustellgebiet gelten folgende Preise:
Sendungen mit Quittung 00,90 EUR pro Sendung
Sendungen ohne Quittung 00,25 EUR pro Sendung
Sendungen Abhol-Retouren / Mitnahme-Retouren 00,60 EUR pro Sendung
PPS Sendungen 00,25 EUR pro Sendung
Der Subunternehmer verpflichtet sich, die ausgewiesene Mehrwertsteuer dem zuständigen Finanzamt abzuführen. Bei Anwendung
der umsatzsteuerlichen Kleinunternehmerregelung hat der Sub eine entsprechende Bescheinigung vorzulegen. Der Sub versichert,
ein Gewerbe angemeldet zu haben und teilt seine Steuernummer mit."
Ihre vertraglichen Pflichten erfüllte die Beigeladene zu 1) nach Erhalt des Qualitätshandbuchs für Zusteller (im Folgenden:
Qualitätshandbuch) und des Verhaltenskodex der I, die sie nach Beendigung des Vertragsverhältnisses zur Klägerin an diese
zurückgab, persönlich ohne eigenes Personal sowie mit ihrem eigenen Kraftfahrzeug der Marke D.
Im Qualitätshandbuch finden sich Erläuterungen zu den jeweiligen Abwicklungsschritten und Serviceleistungen der I. Konkret
sind dort Verhaltensregeln zum Tourbeginn, der Zustellung der Sendungen, dem Verhalten bei nichtzustellbaren Sendungen, der
Abwicklung von Retouren, Erläuterungen der weiteren Serviceleistungen der I sowie zum Tourenende enthalten. Im Übrigen wird
auf den Inhalt des vom Senat beigezogenen Qualitätshandbuchs Bezug genommen, der im Wesentlichen auch für den Streitzeitraum
Geltung hatte. Sämtliche Vorgaben des Qualitätshandbuchs wurden von der Beigeladenen zu 1) eingehalten.
Sie übte ihre Tätigkeit für die Klägerin regelmäßig von Montag bis Samstag aus. Montags arbeitete sie ca. 2 bis 3 Stunden
wegen des an diesem Wochentag üblicherweise geringeren Sendungsaufkommens, an den übrigen Werktagen ca. 4 bis 5 Stunden, gelegentlich,
z. B. vor Weihnachten, auch 7 bis 8 Stunden, insgesamt damit regelmäßig etwa 25 Stunden pro Woche.
Die Klägerin holte mit ihren Mitarbeitern die auszuliefernden Sendungen aus L und transportierte diese zu ihrem SAT. Dort
wurden sie von ihren Mitarbeitern abgeladen, auf die Bezirke verteilt und eingescannt. Sodann erfolgte im Büro des SAT der
Ausdruck des jeweiligen "Tourenberichts", bei denen es sich um die Orientierungslisten nach den Vorgaben gemäß der Seiten
15 ff des Qualitätshandbuch handelte. Täglich waren etwa 20 bis 25 Touren zu fahren. Insgesamt waren 27 Fahrer für die Klägerin
tätig, die alle auf der Grundlage des auch im Verhältnis zur Beigeladenen zu 1) verwendeten SubV tätig waren. 2 bis 3 dieser
Fahrer, die über entsprechend größere Fahrzeuge verfügten, waren für Großpakete und schwere Sendungen zuständig. Die Zahl
der Fahrer entsprach rechnerisch der der täglich zu fahrenden Touren. Die Klägerin stellte die Touren nach Bezirken, die jeweils
die zu diesen gehörenden Straßen umfassten, zusammen. Einige Fahrer lieferten im Wesentlichen in einem festen Bezirk aus.
Im Übrigen konnten sich die Fahrer - so auch die Beigeladene zu 1) - in der zeitlichen Reihenfolge ihres Eintreffens morgens
bzw. vormittags im SAT aus den noch nicht vergebenen Touren eine aussuchen. Jeder übernahm die von der Klägerin der jeweiligen
Tour zugeordneten Sendungen nebst von dieser zur Verfügung gestellten Scanner und ausgedruckter Orientierungsliste.
Die Beigeladene zu 1) holte zwischen 8 und 12 Uhr die von ihr auszuliefernden Sendungen im SAT der Klägerin ab und brachte
die Retouren des Vortags zurück. Sie erhielt zu der konkreten Tour einen Scanner und eine Orientierungsliste. Gelegentlich
musste sie noch auf die Aushändigung dieser Sachen warten, gelegentlich übernahm sie selbst die Erfassung der Sendungen mittels
Scanner und ließ sich die Orientierungsliste im Büro der Klägerin ausdrucken. In dieser Orientierungsliste war jede auszuliefernde
Sendung unter Angabe des Empfängers, dessen Adresse und eventueller Vorgaben in zeitlicher Hinsicht, z.B. Zustellung im Sonderservice,
im Eilservice, in einem bestimmten Zeitfenster oder an einem bestimmten Wochentag, enthalten. Die konkrete Tourenplanung war
ihr überlassen. Die vorgegebenen Zeitfenster hielt sie stets ein. Sie fuhr täglich andere Strecken in verschiedenen Bezirken,
wobei sie sich mit einem Navigationsgerät orientierte. Die für die Ausführung ihrer Tätigkeit neben dem Scanner erforderlichen
Arbeitsmittel wie Vordrucke (z.B. Benachrichtigungskarten) und Aufkleber (z.B. Retourenaufkleber) erhielt die Beigeladene
zu 1) von der Klägerin. Die Auslieferung der Sendung wurde mittels Scanner edv-technisch erfasst und in diesem vom Kunden
unterschrieben. Täglich lieferte sie 40 bis 70 Pakete aus. Nicht ausgelieferte Sendungen gingen an das SAT als Retoure zurück.
Soweit sie Retouren entsprechend der Orientierungsliste abzuholen hatte, wurden diese von ihr ebenfalls mittels Scanner erfasst.
Bei Nachnahmen nahm sie die Beträge entgegen und lieferte diese im Depot ab. Zum Ende einer Tour schaltete sie den Scanner
aus, der sodann für sie gesperrt war. Am nächsten Morgen wurde der Scanner im SAT ausgelesen und wieder freigeschaltet. Die
Beigeladene zu 1) trug bei der Auslieferung private Kleidung und kennzeichnete ihr Kraftfahrzeug nur anfänglich mit einer
I-Beschilderung.
In Vertretungsfällen wurde die Tour des ausgefallenen Fahrers aufgeteilt. Andere Fahrer konnten Teile hiervon übernehmen.
Anweisungen der Klägerin erfolgten hierzu nicht. Teilweise fuhr der Liquidator der Klägerin selbst Sendungen aus, teilweise
erfolgte die Auslieferung liegengebliebener Pakete erst am nächsten Tag.
Nach den von der Klägerin beigebrachten, von ihr erstellten Gutschriften erhielt die Beigeladene zu 1) netto folgende Vergütung:
- 2/2013
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898,20 EUR
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- 3/2013:
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1.202,00 EUR
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- 4/2013:
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1.183,10 EUR
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- 5/2013:
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1.180,70 EUR
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- 6/2013:
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1.230,45 EUR
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- 7/2013:
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1.120,00 EUR
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- 8/2013:
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1.133,75 EUR
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- 9/2013:
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792,90 EUR
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- 10/2013:
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1.326,25 EUR
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- 11/2013:
|
1.328,45 EUR
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- 12/2013:
|
924,35 EUR
|
Im Zeitraum von Januar bis März 2014 erhielt sie eine Vergütung von monatlich zwischen 900,00 und 1.200,00 EUR netto. Die
genaue Abrechnung ihrer Vergütung erfolgte auf der Grundlage der von der Klägerin vorgenommen Auswertung der im Scanner gespeicherten
Daten. Ihre Kraftfahrzeugkosten für Benzin und Wartung betrugen ca. 200,00 EUR bis 250,00 EUR im Monat, sodass sie nach Abzug
dieser Kosten monatlich zwischen ca. 900,00 und 1.000,00 EUR verdiente. Bei Abwesenheit infolge Urlaub oder Krankheit erhielt
sie keine Vergütung.
Am 30.8.2013 stellte die Beigeladene zu 1) einen Antrag auf Statusfeststellung nach §
7a SGB IV mit dem Begehren festzustellen, dass in ihrer Tätigkeit im Kurierdienst für die Klägerin eine abhängige Beschäftigung nicht
vorliegt. Nach Anhörung der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) mit Schreiben vom 21.11.2013 stellte die Beklagte mit Bescheiden
vom 20.12.2013 gegenüber der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) fest, dass die Beigeladene zu 1) ihre Tätigkeit als Auslieferungsfahrerin
bei der Klägerin ab dem 1.2.2013 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausübe und in diesem Versicherungspflicht
in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung
ab diesem Zeitpunkt bestehe. Auf dem Bescheid im Übrigen wird Bezug genommen.
Dagegen erhoben sowohl die Beigeladene zu 1) als auch die Klägerin jeweils mit Schreiben vom 8.1.2014 Widerspruch, die am
14.1.2014 [(Beigeladene zu 1)] und am 17.1.2014 (Klägerin) bei der Beklagten eingingen. Zur Begründung trug die Klägerin vor,
die Beigeladene zu 1) unterliege keinen Weisungen. Sie sei weder in ihre Arbeitsorganisation eingebunden, noch könne sie zu
Beginn ihrer Tätigkeit ersehen, was sie an dem Tag als Einkommen erlösen werde. Es sei ihr freigestellt, weitere Ausfahrten,
z.B. für Printmedien, zu übernehmen und sich jederzeit der Unterstützung von Erfüllungsgehilfen zu bedienen. Es stehe der
Beigeladenen zu 1) frei, Paketsendungen nicht anzunehmen und die Ausfahrt abzulehnen. Die Klägerin habe der Beigeladenen zu
1) die Option offeriert, Sendungen auszufahren. Hierzu habe es keine Vorgaben zur Route und zu den Auslieferungszeiten gegeben.
Die Beigeladene zu 1) habe das Risiko des Warenuntergangs getragen und entsprechend gehaftet.
Die Beklagte wies die Widersprüche mit den Widerspruchsbescheiden vom 16.7.2014 als unbegründet zurück. Auf die Begründung
wird Bezug genommen.
Dagegen hat die Klägerin am 15.8.2014 zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt hat. Sie hat zur Begründung ihre Ausführungen aus dem
Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft.
Die Klägerin hat beantragt,
1.
den Bescheid der Beklagten vom 20.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.7.2014 aufzuheben,
2.
festzustellen, dass die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) als Kurierfahrerin bei der Klägerin seit dem 1.2.2013 nicht im Rahmen
eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wird.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat maßgeblich auf ihre Bescheide verwiesen.
Das SG hat im Einverständnis mit den Beteiligten am 5.5.2015 mit Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden. Es hat mit diesem
Urteil den Bescheid vom 20.12.2013 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 16.7.2014 aufgehoben und festgestellt, dass
die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) als Kurierfahrerin bei der Klägerin seit dem 1.2.2013 nicht im Rahmen eines abhängigen
Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wird. Auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils wird Bezug genommen.
Gegen das ihr am 13.5.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 1.6.2015 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht sie weiterhin
geltend, dass die Beigeladene zu 1) für die Klägerin im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung tätig gewesen sei. Die Beigeladene
zu 1) habe ihre Tätigkeit in einer übergeordneten Organisation ausgeübt, in der sie funktionsgerecht dienend tätig gewesen
sei. Die Beigeladene zu 1) habe die Serviceanforderungen aus dem "I-Qualitätshandbuch (für Zusteller)" beachten müssen. Sie
sei hinsichtlich Ort, Zeit und Art der Tätigkeit weisungsgebunden gewesen. Dies ergebe sich bereits aus dem SubV, nach dem
sie ihre Tätigkeit in einem festgelegten Zustellgebiet auszuführen habe und sich die Bedingungen der Auslieferungen aus den
Tourenberichten ergäben. Zur Ausübung ihrer Tätigkeit habe die Beigeladene zu 1) die Arbeitsorganisation der Klägerin genutzt,
da sie die zu befördernden Güter aus den Lagerräumen der Klägerin morgens abhole, mit einem verpflichtend von der Klägerin
zu mietenden Handscanner einscannt und die nicht zustellbaren Güter abends wieder bei der Klägerin abliefere. Die Fahrtroute
ergebe sich aus den Adressen der auszuliefernden Güter unter Beachtung etwaiger Zeitvorgaben hinsichtlich der Erreichbarkeit
der Empfänger. Gegen die Annahme einer selbständigen Tätigkeit spreche auch die Form der Vergütung. Die Beigeladene zu 1)
habe keine Möglichkeit, über die Höhe des Entgeltes frei zu verhandeln. Die Höhe der Vergütung habe sich nach der Anzahl der
auszuliefernden Güter und den dafür jeweils von der Klägerin festgelegten Stückpreisen laut Anlage zum SubV gerichtet. Der
Abrechnungsmodus spreche deutlich für eine starke Eingliederung der Beigeladenen zu 1) in die Betriebsorganisation der Klägerin,
die soweit gehe, dass die Beigeladene zu 1) die Feststellung der Höhe ihrer monatlichen Ansprüche gänzlich der Klägerin überlasse
bzw. ihr selbst eine Feststellung offensichtlich nicht möglich sei. Soweit die Beigeladene zu 1) ein eigenes Fahrzeug eingesetzt
habe, stelle dieses kein erhebliches unternehmerisches Risiko dar, da die Beigeladene zu 1) aufgrund der Ausgestaltung der
Tätigkeit und deren Vergütung keine wesentlichen eigenen unternehmerischen Gestaltungsspielräume habe nutzen können. Die Durchführung
der Auftragsabwicklung sei einseitig durch die Klägerin vorgegeben worden. Die Beigeladene zu 1) habe nach den Einlassungen
im Ausgangsverfahren die geschuldete Leistung persönlich erbracht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 5.5.2015 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Sie trägt vor, eine bindende, gelebte Verpflichtung zur Nutzung von "I-Kleidung" und
/ oder Beschilderung am Kfz habe es innerhalb des Vertragsverhältnisses zwischen der Beigeladenen zu 1) und der Klägerin nicht
gegeben. Die Beachtung eines "I-Qualitätshandbuchs" sei nicht Gegenstand des Auftragsverhältnisses zwischen der Beigeladenen
zu 1) und der Klägerin gewesen. Ein festes Tourengebiet habe es nicht gegeben. Die Beigeladene zu 1) habe autark entscheiden
können, welche Waren sie transportiere. Es habe keine zeitlichen Vorgaben über die Zustellung gegeben, es habe nicht den Service
der "Wunschzustellung bzw. Feierabendservice" gegeben. Die Fahrerin habe autonom entschieden, wann sie ausliefere. Die Behauptung,
die Beigeladene zu 1) überlasse die Feststellung der Höhe der monatlichen Ansprüche der Klägerin, sei eine Unterstellung.
Die Fahrerin habe anhand der von ihr geladenen Pakete sehr wohl nachhalten - und "buchführen" - können, wie hoch ihr Einkommen
sei. Unzutreffend sei die Annahme der Beklagten, es seien lediglich "unternehmerische Risiken" aufgebürdet worden, ohne dass
diesen unternehmerische Chancen gegenüber gestanden hätten. Die Option, andere Güter zu transportieren (z.B. Printmedien),
Erfüllungsgehilfen/eigene Angestellte einzusetzen, werde genauso wie die Autonomie der zeitlichen Einteilung und des einzusetzenden
Aufwands von der Beklagten übersehen und nicht gewürdigt.
Die Klägerin hat auf Nachfrage des Senats mitgeteilt, dass ihr die Vorlage des "Qualitätshandbuches" nicht möglich sei, da
keine Verbindung mehr zur I bestehe und dieses Handbuch nach Beendigung der Geschäftsbeziehung von den Mitarbeitern der I
mitgenommen worden sei. Auch die "Tourenberichte" könnten nicht beigebracht werden, da diese während der Geschäftsbeziehung
der I übersandt worden seien.
Die Beigeladene zu 1) trägt vor, laut dem SubV hätten sie Dienstkleidung tragen müssen. Die Oberbekleidung sei von ihr nur
teilweise getragen worden, weil sie viel zu groß gewesen und sehr unbequem gewesen sei. Sie habe sie deshalb während der Fahrt
ausgezogen. Des Weiteren sei bei Auslieferung der Sendungen das Schild deutlich im Fahrzeug zu befestigen gewesen. Im Zustellgebiet
habe jeder eine feste Tour gehabt. Die Tourenberichte hätten mit Rechnungsstellung abgegeben werden müssen. Die Tourenberichte
seien ihnen nicht ausgehändigt worden, sodass sie keine Kopien hätten machen können. Das Qualitätshandbuch und der Verhaltenskodex
der Fa. I sei eine Broschüre, die nach Beendigung der Geschäftsbeziehung an die Klägerin hätten abgegeben werden müssen. Die
Überlassung des Scanners sei nur während der Fahrten erfolgt. Sie hätten am Ende wieder abgegeben werden müssen, somit lägen
auch keine Ablichtungen vor. Zu den Touren müsse sie sagen, dass sie im Raum M und teilweise auch L in verschiedenen Bezirken
unterwegs gewesen sei.
Der Senat hat von der Fa. I Germany GmbH folgende Unterlagen beigezogen, auf deren Inhalt Bezug genommen wird:
- Verhaltenskodex (Stand: Februar 2011)
- I Qualitätshandbuch (16. Auflage, April 2015)
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 6.12.2017 hat die Beklagte den Bescheid vom 20.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 16.7.2014 dahingehend abgeändert, dass die darin enthaltenen Feststellungen für den Zeitraum vom 1.2.2013 bis zum 31.3.2014
gelten.
Der Senat hat in diesem Termin den Liquidator der Klägerin und die Beigeladene zu 1) persönlich gehört. Wegen des Ergebnisses
wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte
der Beklagten, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Der Senat hat in Abwesenheit von Vertretern der Beigeladenen zu 2) bis 4) verhandeln und entscheiden können, da er sie
mit ordnungsgemäßen Terminmitteilungen auf diese Möglichkeiten hingewiesen hat.
II. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere nach den §§
143,
144 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft und form- und fristgerecht erhoben worden (§§
151 Abs.
1,
3,
64 Abs.
1,
3,
63 SGG). Die vollständig abgefasste Entscheidung ist der Beklagten am 13.5.2015 zugestellt worden. Die Berufungsschrift ist bei
dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen am 1.6.2015 eingegangen.
III. Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben und den Bescheid vom 20.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.7.2014
aufgehoben.
Die gegen den streitgegenständlichen Bescheid in seiner nunmehr gültigen Fassung gerichtete Klage ist zulässig. Statthafte
Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§§
54 Abs.
1 Altern. 1, 55 Abs.
1 Nr.
1,
56 SGG).
Die Klage ist jedoch unbegründet, da der angefochtene Bescheid in der nunmehr gültigen Fassung rechtmäßig ist und die Klägerin
damit nicht im Sinne des §
54 Abs.
2 Satz 1
SGG beschwert. Denn die Beklagte hat im Rahmen des §
7a Abs.
1 SGB IV formell und materiell rechtmäßig festgestellt, dass die Beigeladene zu 1) in ihrer Tätigkeit als Auslieferungsfahrerin für
die Klägerin vom 1.2.2013 bis 31.3.2014 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung, in der
sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.
1. Rechtsgrundlage der getroffenen Feststellung zur Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) ist §
7a Abs.
1 Satz 1
SGB IV. Nach dieser Vorschrift können die Beteiligten schriftlich eine Entscheidung beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt,
es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren
zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet.
2. Der nach ordnungsgemäßer Anhörung (§
7a Abs.
4 SGB IV i.V.m. §
24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch [SGB X]) der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) (Schreiben vom 21.11.2013) ergangene Verwaltungsakt
ist auch im Übrigen formell rechtmäßig. Die Beklagte war abweichend von §
28h Abs.
2 SGB IV für die Feststellung der Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) im Rahmen der Statusfeststellung nach §
7a Abs.
1 Satz 1
SGB IV zuständig (§
7a Abs.
1 Satz 3
SGB IV). Ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragstellung, dem 30.8.2013, ein Verfahren zur Feststellung der
Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) in der streitigen Auftragsbeziehung als Auslieferungsfahrerin der Klägerin mit
der Folge einer nach §
7a Abs.
1 Satz 1 a.E.
SGB IV ausgelösten formellen Sperrwirkung nicht eingeleitet.
3. Die streitgegenständlichen Bescheide sind auch materiell rechtmäßig. Zu Recht hat die Beklagte festgestellt, dass die Beigeladene
zu 1) in ihrer Tätigkeit als Auslieferungsfahrerin der Klägerin vom 1.2.2013 bis zum 31.3.2014 der Versicherungspflicht in
den vorgenannten Zweigen der Sozialversicherung unterlag.
a) Der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung unterliegen Personen, die gegen
Arbeitsentgelt beschäftigt sind (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch [SGB V], § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch
Elftes Buch [SGB XI], § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI], § 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes
Buch [SGB III]).
Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer Beschäftigung ist §
7 Abs.
1 SGB IV. Beschäftigung in diesem Sinne ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Sie erfordert damit
stets den Vollzug eines entsprechenden Rechtsverhältnisses, wie etwa des im Gesetz exemplarisch genannten Arbeitsverhältnisses
(vgl. BSG, Urteil v. 24.9.2008, B 12 KR 27/07 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 10). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in
die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist.
Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist
und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit
kann eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine
selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die
Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild
der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (BSG, Urteil v. 18.11.2015, B 12 KR 16/13 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 25; Urteil v. 11.11.2015, B 12 KR 10/14 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 28; Urteil v. 11.11.2015, B 12 KR 13/14 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 26; jeweils m.w.N.; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Abgrenzung: BVerfG, Beschluss v. 20.5.1996, 1 BvR 21/96, SozR 3-2400 § 7 Nr. 11).
Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung bzw. der selbständigen Tätigkeit
setzt dabei voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer
Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d.h. den
Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden (BSG, Urteil v. 18.11.2015, a.a.O.; Urteil v. 29.7.2015, B 12 KR 23/13 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 24).
Bei der Feststellung des Gesamtbilds kommt dabei den tatsächlichen Verhältnissen nicht voraussetzungslos ein Vorrang gegenüber
den vertraglichen Abreden zu (vgl. BSG, Urteil v. 29.8.2012, a.a.O., juris; ebenso Urteil v. 25.1.2006, B 12 KR 30/04 R, USK 2006-8; Urteil v. 28.5.2008, B 12 KR 13/07 R, Die Beiträge, Beilage 2008, 333, 341 f.): Nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen sind die das Gesamtbild bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse die rechtlich relevanten Umstände,
die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine "Beschäftigung" vorliegt,
ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen
worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen
Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen
Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur
der Rechtsbeziehung gehen der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist.
Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen
ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten
zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen
abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird, und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich
zulässig ist (BSG, Urteil v. 28.9.2011, a.a.O., juris; Senat, Urteil v. 29.6.2011, L 8 (16) R 55/08; Senat, Urteil v. 24.9.2014, L 8 R 1104/13; Senat, Urteil v. 30.4.2014, L 8 R 376/12, jeweils juris).
b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze steht zur Überzeugung des Senats aufgrund der festgestellten abgrenzungsrelevanten Indizien
und nach Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalles entsprechend ihrem Gewicht sowohl in vertraglicher als auch in tatsächlicher
Hinsicht fest, dass die Beigeladene zu 1) in dem von dem angefochtenen Bescheid erfassten Zeitraum für die Klägerin im Rahmen
eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses tätig geworden ist.
(1) Ausgangspunkt der Statusbeurteilung ist der zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) geschlossene SubV vom 7.2.2013.
(a) Mit diesem begründeten die Vertragsparteien gem. § 4 ein unbefristetes Dauerschuldverhältnis. Entgegen der Ansicht der
Klägerin handelt es sich bei dem Vertrag vom 7.2.2013 nicht lediglich um einen Rahmenvertrag, welcher eine auf Dauer angelegte
Geschäftsbeziehung eröffnete, jedoch (im Voraus) nur bestimmte Einzelheiten künftig abzuschließender Verträge festlegte (BSG, Urteil v. 30.10.2013, a.a.O.; Senat, Urteil v. 30.9.2015, L 8 R 584/11, juris). Die vertragliche Vereinbarung der Beteiligten war gerade nicht darauf angelegt, dass die Klägerin allmorgendlich
der Beigeladenen zu 1) mit der Bereitstellung der Paketsendungen einen Transportauftrag anbot, welchen sie annehmen oder ablehnen
konnte. Stattdessen haben sich die Vertragsparteien bereits nach dem Wortlaut der Vereinbarung auf eine dauerhafte Leistungspflicht
der Beigeladenen zu 1) geeinigt, welche die Klägerin auch durchsetzen konnte. Hätte die Beigeladene zu 1) demnach an einzelnen
Tagen Zustellungen verweigert, wäre sie in Verzug geraten. Diese Vertragsauslegung wird auch durch die tatsächlich geübte
Praxis bestätigt. Die Beigeladene zu 1) übte nach ihren glaubhaften Erklärungen, denen der Liquidator der Klägerin nicht widersprochen
hat, ihre Tätigkeit für die Klägerin regelmäßig von Montag bis Samstag und damit an sechs Tagen in der Woche aus. Darüber
hinaus verfügte die Klägerin über genau die Zahl an Fahrern, die der Zahl der zu fahrenden Touren entsprach.
(b) Der SubV bringt zwar seiner Bezeichnung und einigen Regelungen nach den Willen der Vertragsparteien zum Ausdruck, ein
selbständiges Dienstverhältnis zu begründen, enthält jedoch auch eine Reihe von Regelungen, die eher arbeitsvertragstypisch
sind. So verpflichtete sich die Beigeladene zu 1) gegenüber der Klägerin nach Maßgabe der in § 1 näher ausgestalteten Tätigkeit
zur regelmäßigen Auslieferung von Sendungen einschließlich des Transports von Retouren an regelmäßig sechs Tagen pro Woche,
von Montag bis Samstag (§ 4), beginnend am 1.2.2013.
Hinsichtlich einzelner Sendungen war der Beigeladenen zu 1) vertraglich kein Ablehnungsrecht eingeräumt. Es war im Einzelnen
bestimmt, welche Sendungen die Beigeladene zu 1) zu transportieren hatte (§ 1). Dabei hatte sie die in den Orientierungslisten
enthaltenen Bedingungen in zeitlicher, örtlicher und inhaltlicher Hinsicht einzuhalten. Die tatsächliche Vertragspraxis, die
hiervon nicht abwich, untermauert dies. Überdies erfolgte die Vertragsabwicklung nach Aushändigung des Qualitätshandbuchs
durch die Klägerin an die Beigeladene zu 1) unter strikter Beachtung der darin enthaltenen Vorgaben, womit die Vertragsparteien
zumindest konkludent die verbindliche Geltung der Vorgaben des Qualitätshandbuchs für das streitgegenständliche Vertragsverhältnis
vereinbarten.
Inhaltlich und örtlich waren der Beigeladenen zu 1) keine Freiheiten eingeräumt: Welche Sendung in welcher Weise an welchen
Empfänger unter welcher Anschrift auszuliefern oder bei diesem abzuholen war, war der Beigeladenen zu 1) von der Klägerin
verbindlich in der Gestalt der jeweiligen Orientierungsliste vorgegeben. Soweit sie in der tatsächlichen Praxis nach ihrem
Vorbringen in einem gewissen Maße auswählen konnte, welche der von der Klägerin gebildeten Touren sie jeweils fuhr, waren
ihr keine entsprechenden vertraglichen Rechte eingeräumt, sondern diese Praxis war lediglich Ausdruck der spezifischen Betriebsorganisation
der Klägerin. Im Übrigen konnte sie sich nur zwischen den von der Klägerin zusammengestellten Touren nach Maßgabe der bei
ihrem Eintreffen noch vorhanden gewesenen Verfügbarkeit entscheiden.
Bei der Art und Weise ihrer Tätigkeit war sie in ein enges, ihr von der Klägerin vorgegebenes Korsett eingebunden. Von zentraler
Bedeutung waren insoweit die edv-technische Erfassung der Abholung und Auslieferung jeder Sendung und Retoure mittels der
von der Klägerin der Beigeladenen zu 1) zur Verfügung gestellten Scanner einschließlich der dazugehörigen Software sowie die
strikte Beachtung der von I im Qualitätshandbuch detailliert dargelegten Vorgaben für Zusteller. Ein Abweichen der Beigeladenen
zu 1) hiervon war nicht möglich und erfolgte nach ihren eigenen, insoweit glaubhaften Angaben auch nicht.
In zeitlicher Hinsicht ergab sich die Verpflichtung der Beigeladenen zu 1) die Sendungen morgens bzw. vormittags in einem
vorgegebenen Zeitfenster im SAT abzuholen und noch am selben Tag auszuliefern, wobei es bei einigen Sendungen genauere Vorgaben
zu einem Zeitfenster oder einer vom Kunden gewünschten konkreten Zeit gab. Im Hinblick auf den Zuschnitt der Touren als Teilzeittätigkeit,
der mit Ausnahme des Montags eine Arbeitszeit der Beigeladenen zu 1) von täglich 4 bis 5 Stunden erforderte, blieben der Beigeladenen
zu 1) naturgemäß gewisse zeitliche Freiheiten. Diese traten allerdings hinter ihre Verpflichtungen gegenüber der Klägerin
in jedem Fall zurück. So bekundete die Beigeladene zu 1) glaubhaft im Verhandlungstermin vor dem Senat, dass sie jede zeitliche
Vorgabe der Klägerin verkörpert in der Orientierungsliste zu befolgen hatte und auch tatsächlich befolgte. Die Beigeladene
zu 1) bestätigte im Verhandlungstermin vor dem Senat ausdrücklich, dass die besonderen zeitlichen Vorgaben bei Zustellungen
im Sonderservice (Seite 22 des Qualitätshandbuchs) von ihr einzuhalten waren. Dies galt für Zustellungen im Eil-Service mit
Zustellzeiten von 8 bis 14 Uhr oder 12 bis 18 Uhr, am Wunsch-Tag oder in Wunsch-Zeitfenstern von 10 bis 13 Uhr, 12 bis 15
Uhr, 14 bis 17 Uhr oder 18 bis 21 Uhr. Diese Zustellungen im Sonderservice waren in der Orientierungsliste und auf den Sendungen
vermerkt und stellten damit arbeitgeberseitige Weisungen der Klägerin gem. §§ 106 Satz 1 Gewerbeordnung, 315
Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) an die Beigeladene zu 1) dar.
Eine ausgesprochen arbeitsvertragstypische Regelung ist die zur Probezeit von drei Monaten in § 4. Für die durchgeführten
Leistungen wurde eine Vergütung pro zugestellter bzw. abgeholter Sendung nach Maßgabe der Anlage 1 vereinbart (§ 2), wobei
sich die Klägerin vorbehielt, einseitig Planmengenanpassungen und Sendungspreisänderungen vorzunehmen. Es war eine Dienstkleidung
zu tragen und bei der Auslieferung der Sendungen ein I-schild deutlich und sichtbar für jedermann im Fahrzeug zu befestigen
(§ 1).
(c) Soweit der Beigeladenen zu 1) in § 1 SubV das Recht eingeräumt wurde, sich anderer Personen zur Vertragserfüllung zu bedienen,
handelt es sich nicht um eine Regelung, die ohne weiteres für eine Selbständigkeit der Beigeladenen zu 1) spricht. Zwar haben
nach der Rechtsprechung des BSG Arbeitnehmer ihre Arbeitsleistung in der Regel höchstpersönlich zu erbringen und dürfen sich hierbei nicht Dritter als Erfüllungsgehilfen
bedienen (vgl. BSG, Urteil v. 18.12.2001, B 12 KR 8/01 R, SozR 3-2400 § 7 Nr. 19), so dass daraus grundsätzlich ein Indiz für ein Arbeitsverhältnis folgt. Da nach §
613 Satz 1
BGB der zur Dienstleistung Verpflichtete die Dienste demgegenüber nur "im Zweifel" in Person zu leisten hat, kann der zur Leistung
Verpflichtete dagegen berechtigt sein, die Leistung durch Dritte erbringen zu lassen (BAG, Urteil v. 19.11.1997, 5 AZR 653/96, BAGE 87, 129). Die Möglichkeit, Dritte zur Leistungserbringung einsetzen zu dürfen, stellt aber nur eines von mehreren im Rahmen der Gesamtwürdigung
zu berücksichtigenden Anzeichen dar, das gegen die Annahme eines Arbeitsverhältnisses spricht (vgl. BSG Urteil v. 17.12.2014, B 12 R 13/13 R, SozR 4-2400 § 28p Nr. 4; BSG, Urteil v. 31.3.2015, B 12 KR 17/13 R, USK 2015-21). Der dadurch ggf. geschaffene Gestaltungsspielraum der Beigeladenen zu 1) hat vorliegend das Gesamtbild der
Tätigkeit nicht geprägt (vgl. BAG, Urteil v. 19.11.1997, 5 AZR 653/96, BAGE 87, 129). Denn zunächst hat sie von dem Recht, Dritte einzusetzen, tatsächlich keinen Gebrauch gemacht. Stattdessen wurde sie in
den wenigen Fällen der urlaubs- und krankheitsbedingten Abwesenheit durch andere Fahrer der Beigeladenen zu 1) vertreten.
(d) Hinsichtlich Zeit, Ort, Umfang und Art der Tätigkeit räumte daher die Vertragsgestaltung des SubV der Klägerin damit arbeitsvertragstypisch
weitgehende Weisungsrechte ein. Eine hiervon abweichende Vertragspraxis ist nicht ersichtlich. Geringe Freiheiten hinsichtlich
der Fahrtroute können keinen maßgeblichen Gesichtspunkt für Selbständigkeit darstellen, zumal durch festliegende Zustelladressen
und Zeitvorgaben bestimmte nicht änderbare Vorgaben bestanden.
(2) Auf dieser vertraglichen Grundlage war die Beigeladene zu 1) in einem für sie fremden Betrieb, nämlich dem der Klägerin
eingegliedert und - wie bereits oben dargelegt - im Sinne einer funktionsgerecht dienenden Teilhabe weisungsgebunden tätig.
(a) Die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) ging in einer von der Klägerin vorgegebenen Ordnung auf. Das ist anzunehmen, wenn
das Arbeitsziel und der betriebliche Rahmen vom Auftraggeber gestellt oder auf seine Rechnung organisiert werden, wobei es
ausreicht, dass der Geschäfts- oder Betriebszweck vorgegeben und es dem Beschäftigten überlassen wird, welche Mittel er zur
Erreichung der Ziele einsetzt (vgl. Segebrecht, in: jurisPK-
SGB IV, 3. Aufl. 2016, §
7, Rdnr. 87 ff. m.w.N.; Senat, Urteil v. 6.7.2016, L 8 R 761/14, juris). Ausgehend davon ist unter Berücksichtigung der strukturellen und organisatorischen Gegebenheiten der Arbeit einer
Auslieferungsfahrerin eine Eingliederung der Beigeladenen zu 1) in die von der Klägerin geschaffene betriebliche Ordnung zu
bejahen.
Die Klägerin betrieb das SAT und organisierte die Durchführung der Zustellung von Sendungen auf der sog. letzten Meile in
dem ihr im SAT-Vertrag durch I zugewiesenen Zustellgebiet (§ 1 Ziff. 1.1 SAT-Vertrag). Sie wickelte die Sendungsannahme, die
Lagerung und die Sortierung der zuzustellenden Sendungen ab und verfügte über die dafür notwendige sächliche und personelle
Infrastruktur. Die von ihr aufgrund des SAT-Vertrages vorgehaltene EDV-Anlage ermöglichte die fortwährende digitale Registrierung
der einzelnen Sendungen von der Anlieferung am SAT bis zur Auslieferung beim Kunden durch die Beigeladene zu 1).
Die Klägerin setzte die Beigeladene zu 1) zur Erfüllung ihrer Vertragspflichten gegenüber der I ein. Auf diese von der Klägerin
zur Verfügung gestellte Betriebsorganisation und ihre Eingliederung in diese war die Beigeladene zu 1) zur Ausübung ihrer
Tätigkeit für die Klägerin zwingend angewiesen. In der Betriebsstätte der Klägerin holte die Beigeladene zu 1) die auszuliefernden
Sendungen ab. Retouren und eingenommene Geldbeträge, für die sie von der Klägerin die Inkassovollmacht erhielt, lieferte sie
dort ab. Die Mitarbeiter der Klägerin übernahmen den Transport der Sendungen zum SAT, die Sortierung auf festgelegte Touren,
d.h. Zustellbezirke, die edv-technische Erfassung dieser Sendungen sowie die Freischaltungen der Scanner für die Fahrer und
die Auswertung der darin erfassten Daten. Sämtliche für die Tätigkeit erforderlichen Sachmittel mit Ausnahme des Kraftfahrzeugs
stellte die Klägerin und vereinnahmte diese wieder nach der Beendigung der Vertragsbeziehung: Scanner mit Software, Bekleidung,
Tourenberichte, Qualitätshandbuch, Verhaltenskodex.
Die Klägerin übernahm die Scannerauswertung auch im Hinblick auf die Ermittlung der Höhe der Vergütung der Beigeladenen zu
1). Dementsprechend stellte die Beigeladene zu 1) der Klägerin noch nicht einmal eine Rechnung, sondern erhielt eine "Gutschrift",
also nichts anderes als eine Lohnabrechnung auf der Grundlage eines Stücklohnes.
Eine Vertretung im Falle der urlaubs- oder krankheitsbedingten Abwesenheit stellte nicht die Beigeladene zu 1). Diese wurde
vielmehr durch die Klägerin sichergestellt, indem nach Aufteilung der Tour des abwesenden Fahrers andere für sie tätig gewesene
Fahrer oder der Liquidator der Klägerin selbst die Auslieferungen vornahmen.
(b) Die Weisungsgebundenheit der Beigeladenen zu 1) bestand in örtlicher, zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht entsprechend
den schriftlichen und konkludenten vertraglichen Vereinbarungen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1), wie sie unter 3.
b) (1) im Einzelnen dargestellt wurden.
(3) Für Selbständigkeit sprechende Gesichtspunkte liegen nicht im relevanten Maße vor:
(a) Über eine eigene Betriebsstätte verfügte die Beigeladene zu 1) nicht. Die streitgegenständliche Tätigkeit verrichtete
die Beigeladene zu 1) im Wesentlichen unter Nutzung der Betriebsstätte und - mit Ausnahme des eigenen Kraftfahrzeugs der Beigeladenen
zu 1) - der Betriebsmittel der Klägerin. So findet auch lediglich die Betriebsstätte der Klägerin in der C-straße 00 in M
und eben keine der Beigeladenen zu 1) in dem SubV Erwähnung.
(b) In Bezug auf die ausgeübte Tätigkeit unterlag die Beigeladene zu 1) zudem keinem maßgeblichen unternehmerischen Risiko.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. z.B. BSG, Urteil v. 28.5.2008, B 12 KR 13/07 R, USK 2008-45) ist maßgebliches Kriterium hierfür, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des
Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der tatsächlichen und persönlichen Mittel also ungewiss ist. Erforderlich
ist ein Risiko, das über das Risiko hinausgeht, für den Arbeitseinsatz kein Entgelt zu erzielen (Segebrecht in: jurisPK-
SGB IV, 3. Auflage, §
7 Rdnr. 94). Allerdings ist ein unternehmerisches Risiko nur dann Hinweis auf eine selbständige Tätigkeit, wenn diesem Risiko
auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft gegenüberstehen
(vgl. BSG, Urteil v. 28.5.2008, a.a.O., BSG, Urteil v. 28.9.2011, a.a.O.; Senat, Urteil v. 30.4.2014, L 8 R 376/12, juris).
(aa) Eine solche Ungewissheit ist zunächst nicht festzustellen, soweit es um den Einsatz der Arbeitskraft der Beigeladenen
zu 1) geht. Nach der Vergütungsregelung des SubV konnte die Beigeladene zu 1) eine Vergütung für zugestellte Sendungen und
Mitnahme- und Abholretouren beanspruchen. Ausweislich der vorliegenden Gutschriften der Klägerin erfolgte die Abrechnung der
Vergütung der Beigeladenen zu 1) auf dieser Grundlage. Sie setzte demgemäß ihre Arbeitskraft grundsätzlich nicht mit der Gefahr
des Verlustes ein und trug diesbezüglich nur - wie eine Arbeitnehmerin - das Ausfallrisiko der Klägerin.
Unvergütet blieben danach nur erfolglose Zustellversuche. Durch sie wurde der Beigeladenen zu 1) ein Kostenrisiko aufgebürdet,
aus dem sich allerdings keine erweiterten unternehmerischen Chancen ergaben, weswegen es nicht als maßgebliches unternehmerisches
Risiko anzuerkennen ist.
(bb) Ein unternehmerisches Risiko durch den mit dem Einsatz eines eigenen Kraftfahrzeugs verbundenen Kapitaleinsatz ist nicht
gegeben. Denn dieser erfolgte nicht im Hinblick auf die streitgegenständliche Rechtsbeziehung, sondern für die vorausgegangene
Beschäftigung der Beigeladenen zu 1).
Soweit sie die mit dem Einsatz des eigenen Kraftfahrzeugs verbundenen Kosten nicht von der Klägern ersetzt erhielt, handelte
es sich um die Überbürdung von Kosten, mit der keine unternehmerischen Chancen verbunden waren. Nach dem SubV in Verbindung
mit den aus der Vertragspraxis folgenden konkludenten Vereinbarungen hatte die Beigeladene zu 1) nicht das Recht, Inhalt und/oder
Umfang ihrer Tätigkeit im Wesentlichen selbst zu bestimmen. Sie konnte grundsätzlich keine weiteren Touren übernehmen. Denn
nach der betrieblichen Organisation der Klägerin entsprach die Zahl der für sie tätigen Auslieferungsfahrer der Zahl der täglich
zu fahrenden Touren. Lediglich im Vertretungsfall bestand für die Beigeladene zu 1) die Gelegenheit zur Übernahme von Mehrarbeit,
die vielfach bei Arbeitnehmern ebenso besteht. Ein maßgebliches unternehmerisches Risiko kann daher auch insoweit nicht anerkannt
werden.
(cc) Die Regelungen zur Haftung und Schadenersatzpflichten nach §§ 1, 2, 3 SubV sind gleichfalls keine maßgeblich in die Gewichtung
einzustellenden Indizien für Selbständigkeit. Denn auch Arbeitnehmer müssen ihren Arbeitgebern - wenn auch nur in den Grenzen
der hierzu entwickelten Rechtsprechung (vgl. BAG GS, Beschluss v. 27.9.1994, GS 1/89 (A), AP Nr. 103 zu §
611 BGB Haftung des Arbeitnehmers, BAG, Urteil v. 25.9.1997, 8 AZR 288/96, AP Nr. 111 zu §
611 BGB Haftung des Arbeitnehmers) - grundsätzlich den aus der Verletzung vertraglicher Pflichten entstandenen Schaden ersetzen (vgl.
hierzu nur die Regelung des §
619a BGB).
(c) Die Beigeladene zu 1) war auch nicht in der Gestaltung ihrer Tätigkeit und der Bestimmung ihrer Arbeitszeit im Wesentlichen
frei (Rechtsgedanke des § 84 HGB). Wie die insoweit übereinstimmenden glaubhaften Erklärungen der Beigeladenen zu 1) und des Liquidators der Klägerin im Verhandlungstermin
vor dem Senat ergaben, war die Beigeladene zu 1) an die Vorgaben der Orientierungslisten, die Verwendung der von der Klägerin
zur Verfügung gestellten Betriebsmittel (Scanner, Formulare) sowie die Vorgaben des Qualitätshandbuchs in jeglicher Hinsicht
gebunden. Soweit die Beigeladene zu 1) entgegen § 1 SubV eine Kennzeichnung ihres Kraftfahrzeugs mit einer I-Beschilderung
im Verlauf der Vertragsbeziehung und das Tragen der ihr überlassenen Dienstbekleidung unterließ, kann der Senat dahinstehen
lassen, ob diese Vertragspraxis eine konkludente Aufhebung von vertraglichen Pflichten der Beigeladenen zu 1) zur Folge hatte.
Denn selbst wenn dies so wäre, handelt es sich um Freiheiten der Beigeladenen zu 1) von nur geringer Bedeutung im Gegensatz
zu der für die Statusbeurteilung maßgeblichen Weisungsgebundenheit bezogen auf ihre vertraglichen Hauptleistungspflichten.
(d) Ob die Zusammenarbeit zwischen den an dem Auftragsverhältnis Beteiligten von dem (ursprünglichen) Willen eines der oder
sogar beider Vertragsparteien getragen war, ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht begründen zu
wollen, kann letztlich offenbleiben. Diesem Willen kommt nach der Rechtsprechung des BSG indizielle Bedeutung nämlich nur zu, wenn er den festgestellten sonstigen tatsächlichen Verhältnissen nicht offensichtlich
widerspricht und er durch weitere Aspekte gestützt wird bzw. die übrigen Umstände gleichermaßen für Selbständigkeit wie für
eine Beschäftigung sprechen (vgl. BSG SozR 2200 § 1227 Nr. 17 S. 38; BSG, Urteil v. 28.5.2008, B 12 KR 13/07 R, Die Beiträge 2008, 333 ff. juris Rdnr. 16). Nach diesen Maßstäben kommt einem etwaigen, auf die Begründung eines freien
Mitarbeiterverhältnisses zielenden Willen der an dem Auftragsverhältnis beteiligten Personen schon deshalb keine Indizwirkung
zu, weil überwiegende Gesichtspunkte zugunsten eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses sprechen. In einem solchen Fall
unterliegt der sozialversicherungsrechtliche Status keiner uneingeschränkten Dispositionsfreiheit der Beteiligten (Bundesverfassungsgericht
[BVerfG], Beschluss v. 20.5.1996, 1 BvR 21/96, SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Sozialversicherungsrecht ist öffentliches Recht und steht auch nicht mittelbar dadurch zur Disposition
der am Geschäftsleben Beteiligten, dass diese durch die Bezeichnung ihrer vertraglichen Beziehungen über den Eintritt oder
Nichteintritt sozialrechtlicher Rechtsfolgen verfügen können (Segebrecht in: jurisPK, a.a.O., § 7 Rdnr. 93). Der besondere
Schutzzweck der Sozialversicherung und ihre Natur als eine Einrichtung des öffentlichen Rechts schließen es grundsätzlich
aus, über die rechtliche Einordnung allein nach dem Willen der Vertragsparteien, ihren Vereinbarungen oder ihren Vorstellungen
hierüber zu entscheiden (BSG, Urteil v. 18.12.2001, B 12 KR 8/01, a.a.O.; Urteil v. 3.4.2014, B 5 RE 13/14 R, SozR 4-2600 § 6 Nr. 12, Rdnr. 57).
(e) Der Umstand, dass die Beigeladene zu 1) ein Gewerbe angemeldet hat, spricht gleichfalls nicht entscheidend für eine selbständige
Tätigkeit, da dieses formale Kriterium für die Beurteilung der tatsächlichen Ausgestaltung der zu beurteilenden Tätigkeit
ohne wesentliche Aussagekraft ist. Der sozialversicherungsrechtliche Status eines Betriebsinhabers wird seitens der Gewerbeaufsicht
nicht geprüft (Senat, Urteil v. 17.12.2014, L 8 R 463/11; Senat, Urteil v. 11.5.2016, L 8 R 975/12, jeweils juris).
(4) Weitere in die Gesamtabwägung einzustellende Gesichtspunkte sind nicht ersichtlich. Insgesamt zeigt die Bewertung und
Gewichtung der relevanten Abgrenzungsmerkmale unter Berücksichtigung der durch den Senat festgestellten, tatsächlich praktizierten
Rechtsbeziehung, dass diese im gesamten Streitzeitraum im Wesentlichen der einer abhängigen Beschäftigung entsprach, wogegen
Aspekte, die für eine selbständige Tätigkeit stehen, nicht in einem im Rahmen der Gesamtabwägung überwiegenden Umfang vorhanden
waren.
c) Die Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) erfolgte auch gegen Entgelt (§
14 Abs.
1 SGB IV).
d) Versicherungsfreiheit der Beigeladenen zu 1) in einzelnen Zweigen der Sozialversicherung bestand nicht. Da sie in dem Zeitraum,
in welchem sie für die Klägerin tätig war, insbesondere keine weiteren Tätigkeiten für andere Auftraggeber ausführte, kommt
auch eine Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung nach §
5 Abs.
5 SGB V i.V.m. §
20 Abs.
1 Satz 1
SGB XI nicht in Betracht.
e) Die Beklagte hat den Eintritt der Versicherungspflicht zutreffend auf den 1.2.2013 festgestellt. Ein späterer Eintritt
der Versicherungspflicht in Anwendung des §
7a Abs.
6 SGB IV kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Statusfeststellungsantrag gemäß §
7a Abs.
1 Satz 1
SGB IV nicht innerhalb eines Monats nach Aufnahme der zu beurteilenden Tätigkeit, sondern erst am 30.8.2013 gestellt worden ist.
Gründe für die Zulassung der Revision gem. §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.
Der Streitwert ist auf 5.000,00 Euro festzusetzen (vgl. Senat, Beschluss v. 12.4.2017, L 8 R 104/17 B, juris).