Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen von einem Personaldienstleistungsunternehmen nach der Entscheidung des BAG
zur Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft CGZP
Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Nachzahlungsbescheid
Zulässigkeit der Geltendmachung der Beitragsnachforderung auf der Basis einer Schätzung des equal-pay-Lohnes
Aufzeichnungspflichten des Arbeitgebers im Falle der Nichtigkeit eines Tarifvertrages wegen fehlender Tariffähigkeit der Gewerkschaft
Kein Entgegenstehen von Vertrauensschutzgesichtspunkten im Hinblick auf die Beitragsnachforderung auf der Grundlage des geschuldeten
equal-pay-Lohnes wegen der Unwirksamkeit der von der CGZP geschlossenen Tarifverträge
Prüfung der Verjährung von Beitragsansprüchen
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen einen Betriebsprüfungsbescheid
der Antragsgegnerin, mit dem diese sie auf Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in Anspruch nimmt.
Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft der O-Gruppe und verfügt über die Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Überlassung von Arbeitnehmern.
Sie hatte in der Vergangenheit Tarifverträge mit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen
(CGZP) abgeschlossen und angewandt.
Mit Bescheid vom 28.8.2010 schloss die Antragsgegnerin eine "stichprobenweise" durchgeführte Betriebsprüfung betreffend den
Zeitraum vom 1.1.2006 bis zum 31.12.2009 ohne Beanstandungen ab. Im Anschluss an die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
(BAG) vom 14.12.2010 zur Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft CGZP, deren Entscheidungsgründe am 28.2.2011 veröffentlicht
wurden, führte die Antragsgegnerin in der Zeit vom 3.2.2014 bis zum 24.2.2014 erneut eine Betriebsprüfung bei der Antragstellerin
für den Prüfzeitraum 1.1.2006 bis 31.12.2009 durch.
Die Antragsgegnerin forderte sodann Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 103.550,66 Euro von der Antragsgegnerin nach (Bescheid
v. 7.4.2014). Zur Begründung führte sie aus, in den Arbeitsverträgen zwischen der Antragstellerin und den bei ihr beschäftigten
Leiharbeitnehmern werde für den gesamten Prüfzeitraum auf die mit der CGZP geschlossenen Haustarifverträge in der jeweils
gültigen Fassung verwiesen. Auf der Basis der dort vorgesehenen Vergütungen habe die Antragstellerin die Beiträge für die
Leiharbeitnehmer gezahlt sowie Meldungen und Beitragsnachweise zur Sozialversicherung abgegeben. Wegen der Unwirksamkeit des
Tarifvertrages hätten die Beiträge jedoch nach §
10 Abs.
4 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (
AÜG) nach den Entgeltansprüchen vergleichbarer Arbeitnehmer der Stammbelegschaft des Entleihers berechnet werden müssen. Sie,
die Antragsgegnerin, habe die Höhe der Arbeitsentgelte geschätzt. Hierzu sei sie befugt gewesen, weil eine Ermittlung der
geschuldeten Arbeitsentgelte - wenn überhaupt - nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich gewesen wäre. Eine große Anzahl
der Beschäftigungsverhältnisse habe nur bis zu drei Monaten gedauert. Es sei nur im geringen Umfang möglich gewesen, schriftliche
Erklärungen über equal-pay-Löhne zu bekommen. Es zeige sich eine durchschnittliche Lohndifferenz zwischen Leiharbeitnehmern
und vergleichbaren Stammarbeitnehmern von 24 %. Dieser Prozentsatz gründe sich im Wesentlichen auf die Studie des Instituts
für Arbeitsmarkt- und Berufsforschungen (IAB) "Lohndifferenzial Zeitarbeit" vom 14.4.2011. Zudem sei zu berücksichtigen, dass
die Antragstellerin teilweise übertarifliche Arbeitsentgelte gezahlt habe. In diesen Fällen sei die 27%-Methode angewandt
worden. Im Übrigen wird auf die Begründung Bezug genommen.
Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin am 22.4.2014 Widerspruch erhoben und am 20.5.2014 bei dem Sozialgericht (SG) Dortmund einstweiligen Rechtsschutz und zugleich bei der Antragsgegnerin die Aussetzung der Vollziehung beantragt. Sie hat
vorgetragen: Der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 sei gegenwartsbezogen. Eine Rückwirkung lasse sich auch aus der tarifrechtlichen
Rechtsprechung des BAG im Übrigen nicht ableiten. Da das BAG in seinem Beschluss bislang nicht bekannte Anforderungen an die
Tariffähigkeit einer Spitzenorganisation aufgestellt habe, komme eine Nachforderung von Beiträgen für die Zeit vor dem 14.12.2010
einer aus verfassungsrechtlichen Gründen verbotenen echten Rückwirkung gleich. Darüber hinaus verletzte die Anwendung dieser
Entscheidung ihren Anspruch auf rechtliches Gehör. Des Weiteren komme der Antragsgegnerin keine Schätzungsbefugnis zu, da
die Antragstellerin ihre Aufzeichnungspflichten nicht verletzt habe. Die vorgenommene Schätzung weise methodische Mängel auf
und sei nicht nachvollziehbar dargelegt. Ebenso sei der Prüfbescheid vom 26.8.2010 bestandskräftig geworden. Sie hat ferner
die Einrede der Verjährung erhoben. Letztlich liege bereits aufgrund der Höhe der Forderung eine unbillige Härte vor. Dabei
sei nicht nur das Kreditvergabeverbot deutscher Kreditinstitute an Zeitarbeitsunternehmen zu berücksichtigen sondern auch,
dass sie, die Antragstellerin, im Falle eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren mit dem nicht als gering einzuschätzenden Insolvenzrisiko
der Einzugsstellen im Falle der Rückforderung belastet wäre.
Die Antragstellerin hat beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 22.4.2014 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 7.4.2014 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Aufgrund der eindeutigen Aussagen des BAG im Beschluss vom 14.12.2010 sei die CGZP auch in den vor 2009 liegenden Zeiträumen
nicht tariffähig gewesen. Die 2005 noch bestehenden Tarifverträge seien inzident aufgehoben worden. Fortan habe die CGZP im
eigenen Namen Tarifabschlüsse abgeschlossen (LAG Berlin-Brandenburg v. 9.1.2012, 24 TaBV 1285/11, Rn. 142). Der gute Glaube an ihre Tariffähigkeit werde nicht geschützt. Die nachgeforderten, auf geschuldetes laufendes
Arbeitsentgelt erhobenen Beiträge seien zum Zeitpunkt der Verkündung des BAG-Beschlusses auch noch nicht verjährt gewesen.
Einer Aufhebung des Bescheides vom 14.4.2010 habe es nicht bedurft. Dieser Bescheid habe keine Feststellungen zur Beitragspflicht
nach dem equal-pay-Prinzip getroffen. Sie, die Antragsgegnerin, habe sich zudem seinerzeit auf eine Stichprobenprüfung beschränken
dürfen. Die Betriebsprüfung diene nicht dem Schutz der Arbeitgeber oder ihrer Entlastung. Zum Zeitpunkt der Betriebsprüfung
habe aufgrund fehlender bzw. ungeeigneter Rückläufe aus einer Befragung der Abrechnungsstelle (O Verwaltungs- und Beteiligungs
GmbH) kein tatsächlicher Vergleichslohn der Stammarbeiter bei den Verleihern ermittelt werden können, daher sei eine Schätzung
erfolgt.
Mit Schreiben vom 28.5.2014 hat die Antragsgegnerin die außergerichtliche Aussetzung der Vollziehung abgelehnt, da an der
Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes keine ernstlichen Zweifel bestünden und die Vollziehung für die Antragstellerin
keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Zur Abwendung wesentlicher
Nachteile, wie vorliegend die eingeschränkte Rückforderung nach §
26 Abs.
2 SGB IV sowie den hohen Arbeitsaufwand durch die vorzunehmenden Meldekorrekturen, ist bis zur abschließenden rechtlichen Klärung
im Widerspruchsverfahren, bei Klageerhebung bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Klageverfahrens, die Erstattung von Meldungen
nach der Datenerfassungs- und Übermittlungsverordnung (DEÜV) ausgesetzt worden.
Das SG hat mit Beschluss vom 5.6.2014 die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 7.4.2014
abgelehnt. Auf die Begründung wird Bezug genommen.
Gegen den ihr am 6.6.2014 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 12.6.2014 Beschwerde erhoben. Sie wiederholt und
vertieft ihren bisherigen Vortrag. Die Forderung sei verjährt. Die 30jährige Verjährungsfrist finde keine Anwendung. Das Rundschreiben
der Antragsgegnerin vom 23.12.2010, mit welchem diese Betroffene von der Entscheidung des BAG informiert habe, habe sie nicht
erhalten.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des SG Dortmund vom 5.6.2014 abzuändern und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 22.4.2014 gegen den
Bescheid der Antragsgegnerin vom 7.4.2014 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält den Beschluss des SG für zutreffend und vertieft ihre bisherigen Ausführungen. Ergänzend verweist sie darauf, dass auch wenn die Antragstellerin
ihr Rundschreiben vom 23.12.2010 nicht erhalten habe, dieses auch in Parallelfällen der Abrechnungsstelle der O-Gruppe zugesandt
worden sei. Dieser habe sich auch die Antragstellerin bedient, so dass sie sich das dortige Wissen habe zurechnen lassen müssen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Antragsgegnerin.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist teilweise begründet.
Dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 7.4.2014 ist
lediglich für die Nachforderungen für das Jahr 2006 zu entsprechen. Im Übrigen ist der Antrag unbegründet.
Nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben,
diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG bei Entscheidungen über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen sowie der darauf entfallenden Nebenkosten einschließlich
der Säumniszuschläge (vgl. zu Letzteren: Senat, Beschluss v. 7.1.2011, L 8 R 864/10 B ER, NZS 2011, 906; Beschluss v. 9.1.2013, L 8 R 406/12 B ER, Beschluss v. 27.6.2013, L 8 R 114/13 B ER m.w.N.; jeweils [...]). Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise dennoch durch das Gericht angeordnet
wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Aufschubinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen
Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an §
86a Abs.
3 Satz 2
SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die
Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge
hätte.
Da §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
des Bescheides ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs, hier des Widerspruchs, zumindest
überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise
noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt
der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (vgl. Senat, Beschluss v.
7.1.2011, a.a.O.; Beschluss v. 10.1.2012, L 8 R 774/11 B ER, [...]; Beschluss v. 10.5.2012, L 8 R 164/12 B ER, NZS 2012, 948; Beschluss v. 9.1.2013, a.a.O.; Beschluss v. 27.6.2013, a.a.O.; [...], Beschluss v. 11.5.2015, L 8 R 106/15 B ER, [...] jeweils m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien bestehen nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung
keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 7.4.2014, soweit die Antragsgegnerin damit Beiträge zur
Sozialversicherung für die Zeit ab 1.1.2007 nachfordert.
1. Ermächtigungsgrundlage für die Nachforderung ist § 28p Abs. 1 Satz 5
SGB IV. Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe
der Arbeitnehmer in der Sozialversicherung gegenüber den Arbeitgebern. Diese Vorschrift deckt Betriebsprüfungen außerhalb
der turnusmäßigen Prüfungen von Amts wegen auch dann, wenn keiner der in § 28p Abs. 1 Sätze 2 oder 3
SGB IV ausdrücklich geregelten Ausnahmefälle (Antrag des Arbeitgebers, Unterrichtung durch die Einzugsstelle) vorliegt (vgl. Senat,
Beschluss v. 18.2.2010, L 8 B 13/09 R ER, [...]; Beschluss v. 10.5.2012, L 8 R 164/12 B ER, a.a.O.; Senat, Beschluss v. 25.6.2012, L 8 R 382/12 B ER, [...]).
Es bestehen keine überwiegenden Zweifel, dass die Antragstellerin dem Grunde nach verpflichtet ist, für die von ihr beschäftigten
Arbeitnehmer höhere als die bislang entrichteten Beiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zu entrichten.
Nach §
28e Abs.
1 Satz 1
SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag, d.h. die für einen versicherungspflichtigen Beschäftigten zu zahlenden
Beiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung (§
28d Satz 1 und
2 SGB IV), zu entrichten. Bei versicherungspflichtig Beschäftigten wird der Beitragsbemessung in allen Zweigen der Sozialversicherung
das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung zugrunde gelegt (§ 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch
Fünftes Buch [SGB V] i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch [SGB XI], § 162 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes
Buch [SGB VI], § 342 Sozialgesetzbuch Drittes Buch [SGB III]). Arbeitsentgelt sind nach §
14 Abs.
1 Satz 1
SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht,
unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang
mit ihr erzielt werden.
Die von der Antragstellerin auf dieser Grundlage für den Streitzeitraum zu entrichtenden Beiträgen sind nach dem Arbeitsentgelt
zu berechnen, das vergleichbaren Arbeitnehmern in den Betrieben der jeweiligen Entleiher gezahlt wurde (§
10 Abs.
4 AÜG in der hier maßgeblichen Fassung von Art. 6 Nr.
5 Buchst. b) des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt v. 23.12.2002, BGBl. I S. 4607; sog. equal-pay-Prinzip). Diese Rechtsfolge sah (und sieht auch nach geltendem Recht) §
10 Abs.
4 AÜG für den Fall vor, dass der Verleiher, hier die Antragstellerin, mit den Leiharbeitnehmern eine nach §
9 Nr. 2
AÜG unwirksame Vereinbarung geschlossen hatte.
Nach §
9 Nr. 2 Satz 1
AÜG sind Vereinbarungen, die für den Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher schlechtere als die im
Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich
des Arbeitsentgelts vorsehen, unwirksam. Nach §
9 Nr. 2 Satz 2
AÜG konnte jedoch ein Tarifvertrag vom equal-pay-Prinzip abweichende Regelungen zulassen. Zudem konnten im Geltungsbereich eines
Tarifvertrages nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren. Von
dieser Möglichkeit haben die Antragstellerin und ihre Arbeitnehmer nach den unwidersprochenen Feststellungen der Antragsgegnerin
Gebrauch gemacht, indem sie in ihren Arbeitsverträgen auf die mit der CGZP geschlossenen, im maßgeblichen Zeitraum geltenden
Haustarifverträge, insbesondere den Manteltarifvertrag, die Entgelttarifverträge West und die Entgeltrahmentarifverträge,
verwiesen haben.
Nach der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung erweist sich diese Vereinbarung als rechtswidrig. §
9 Nr. 2
AÜG setzt für den Fall einer Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien einen wirksamen Tarifvertrag voraus. Das gilt auch, wenn
die Anwendung der tariflichen Regelungen arbeitsvertraglich vereinbart wird (vgl. Schüren in Schüren/Hamann,
AÜG, 4. Aufl. 2010, §
9 Rdnr. 102; vgl. auch BT-Drs. 17/5238, S. 16 zu Buchst. d); a.A. Kilian, NZS 2011, 851 [852]). Dafür sprechen der Wortlaut ("Geltungsbereich"), aber auch der Charakter der Vorschrift als Ausnahmeregelung zum
equal-pay-Prinzip.
Die Unwirksamkeit der Tarifverträge folgt daraus, dass die CGZP im Streitzeitraum weder eine tariffähige Arbeitnehmervereinigung
im Sinne des § 2 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz (TVG) noch eine tariffähige Spitzenorganisation im Sinne von § 2 Abs. 2 und 3 TVG war. Neben dem Beschluss des BAG v. 14.12.2010 (1 ABR 19/10, NZA 2011, 289) folgt dies aus dem Beschluss des LAG Berlin-Brandenburg v. 9.1.2012, 24 TaBV 1285/11 u.a., (DB 2012, 69), der rechtskräftig ist (BAG, Beschluss v. 22.5.2012, 1 ABN 27/12, [...]). Mit der Rechtskraft dieses Beschlusses steht fest, dass die CGZP auch im zeitlichen Geltungsbereich ihrer
Satzungen v. 11.12.2002 und 5.12.2005 nicht tariffähig war (BAG, Beschlüsse v. 23.5.2012, 1 AZB 58/11 und 1 AZB 67/11, [...]; Senat, Beschluss v. 10.5.2012, a.a.O., [...]; Senat, Beschluss v. 25.6.2012, a.a.O., [...]; Senat, Beschluss v. 6.5.2013,
L 8 R 1057/12 B ER, sozialgerichtsbarkeit.de). Entgegen der Ansicht der Antragstellerin bezieht sich diese Feststellung nicht nur auf die
Feststellung der Tarifunfähigkeit an drei Tagen (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Nichtannahmebeschluss v. 25.4.2015, 1 BvR 2314/12, [...]). Für eine Fortgeltung der Tarifverträge der Mitgliedsgewerkschaften der CGZP aus 2003 sieht der Senat ebenfalls keinen
Anhalt und verweist auf die Ausführungen des LAG Berlin-Brandenburg (Beschluss v. 9.1.2012, a.a.O., [...] Rn. 142). Zudem
vermag die Argumentation der Antragstellerin im Hinblick auf die Regeln der "fehlerhaften Gesellschaft" nicht zu überzeugen.
Diesbezüglich verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des BAG (Urteil v. 13.3.2013, 5 AZR 242/12, [...]). Danach ist die These vom fehlerhaften Tarifvertrag, die zur Vermeidung einer Rückabwicklung die Unwirksamkeit vollzogener
Tarifverträge ex nunc annimmt, bei der Vereinbarung tariflicher Regelungen gemäß §
9 Nr. 2
AÜG ungeeignet. Denn es geht in diesem Fall nicht um die Rückabwicklung vollzogener Tarifverträge, sondern um die Rechtsfolge
des Scheiterns einer vom Gesetz nach §§
9 Nr.
2, 10 Abs.
4 AÜG eröffneten Gestaltungsmöglichkeit. Dabei muss nicht rückabgewickelt werden.
Die Beitragsansprüche sind zudem unabhängig davon entstanden, ob die nach dem equal-pay-Prinzip geschuldeten Arbeitsentgelte
den Arbeitnehmern tatsächlich zugeflossen sind. Nach §
22 Abs.
1 Satz 1
SGB IV entsteht der Beitragsanspruch, sobald seine im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen.
Der Anspruch auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag entsteht dabei, wenn der Arbeitsentgeltanspruch entstanden ist, selbst
wenn der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt nicht oder erst später gezahlt hat. Insoweit folgt das Sozialversicherungsrecht -
anders als das Steuerrecht - nicht dem Zufluss-, sondern dem sog. Entstehungsprinzip (BSG, Urteil v. 3.6.2009, B 12 R 12/07 R, SozR 4-2400 § 23a Nr. 5; Urteil v. 26.1.2005, B 12 KR 3/04 R, SozR 4-2400 § 14 Nr. 7; Urteil v. 14.7.2004, B 12 KR 7/04 R, SozR 4-2400 § 22 Nr. 1; jeweils m.w.N.; zur Verfassungsmäßigkeit des Entstehungsprinzips BVerfG, Beschluss v. 11.9.2008,
1 BvR 2007/05, SozR 4-2400 § 22 Nr. 3; Senat, Beschluss v. 10.5.2012, a.a.O., [...]; Senat, Beschluss v. 25.6.2012, a.a.O., [...]). Auf
die Geltendmachung des Anspruchs kommt es hingegen nicht an.
Auch im vorliegenden Fall ist die Vorschrift des §
22 Abs.
1 Satz 1
SGB IV und nicht etwa §
22 Abs.
1 Satz 2
SGB IV anwendbar, wonach bei einmalig gezahltem Arbeitsentgelt der Beitragsanspruch erst mit Zufluss entsteht. In der Literatur
wird insoweit zwar die Auffassung vertreten, der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 wirke konstitutiv mit der Folge, dass Arbeitsentgelt-
und Beitragsansprüche erst ab diesem Zeitpunkt entstehen könnten. Es handele sich somit nicht um Ansprüche auf laufendes Arbeitsentgelt,
für die nach §
22 Abs.
1 Satz 1
SGB IV das Entstehungsprinzip gelte, sondern um nachträglich rückwirkende Lohnerhöhungen, die wie Einmalzahlungen nach §
22 Abs.
1 Satz 1
SGB IV zu behandeln seien (vgl. Plagemann/Brand, NJW 2011, 1488 [1490 f.]; Tuengerthal/Andorfer, BB 2011, 2939 [2940]). Der Senat folgt dieser Ansicht jedoch nicht (wie hier: Berchtold, SozSich 2012, 70 [71]). Aus der Vorlagepflicht nach § 97 Abs. 5 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) ergibt sich vielmehr, dass die Entscheidung im Beschlussverfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG die Tarifunfähigkeit lediglich deklaratorisch feststellt (vgl. BAG, Urteil v. 15.11.2006, 10 AZR 665/05, NZA 2007, 448 [451], Rdnr. 22; Senat, Beschluss v. 10.5.2012, a.a.O., [...]; Senat, Beschluss v. 25.6.2012, a.a.O., [...]; Senat, Beschluss
v. 6.5.2013, a.a.O.).
Gegen die Geltendmachung der Beitragsnachforderung auf der Basis einer Schätzung des equal-pay-Lohnes (§
28f Abs.
2 Satz 3
SGB IV) bestehen im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung keine ernsthaften Bedenken.
Nach §
28f Abs.
2 Satz 1
SGB IV kann der prüfende Rentenversicherungsträger den Beitrag in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung von
der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen, wenn dieser die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß
erfüllt hat. Das ist hier der Fall. Die Aufzeichnungspflichten umfassen nicht nur das gezahlte, sondern auch das beitragspflichtige
Arbeitsentgelt (§ 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Beitragsverfahrensverordnung bzw. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 der bis zum 30.6.2006 geltenden Beitragsüberwachungsverordnung). Zudem gehört zur vollständigen Führung der Entgeltunterlagen, welche die Antragstellerin zudem bei Prüfungen vorzulegen
hat, nach §
12 Abs.
1 AÜG auch der schriftlich abzuschließende Vertrag zwischen Verleiher und Entleiher, wobei u.a. die im Betrieb des Entleihers für
einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgeltes anzugeben
sind. Dies gilt nur dann nicht, wenn die in §
9 Nr. 2
AÜG genannten Voraussetzungen der dortigen Ausnahme vorliegen. Erweist sich daher ein Tarifvertrag wegen fehlender Tariffähigkeit
einer Gewerkschaft als von Anfang an nichtig, sind die Entgeltunterlagen objektiv unvollständig, wenn z.B. Angaben über die
wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgeltes vergleichbarer Arbeitnehmer des Entleihers fehlen. Diese
Angaben sind vom Arbeitgeber nachzuholen, um die Aufzeichnungspflichten ordnungemäß zu erfüllen und damit die Feststellung
der Beitragspflicht zu ermöglichen (Pietrek in: jurisPK-
SGB IV, Stand: 24.4.2013, §
28a Rdnr. 59.5). Dem ist die Antragstellerin nach bisherigem Vortrag nicht nachgekommen. Auf ein Verschulden seitens der Antragstellerin
kommt es hingegen nicht an (BSG, Urteil v. 7.2.2002, B 12 KR 12/01 R, SozR 3-2400 § 28f Nr. 3; Senat, Beschluss v. 10.5.2012, a.a.O., [...]).
Der Senat kann vor diesem Hintergrund offen lassen, ob der Anspruch nach §
10 Abs.
4 AÜG daran scheitert (vgl. dazu LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 29.7.2014, L 1 KR 131/14 B ER, [...]), dass die Antragsgegnerin nicht jeweils eine konkret-individuelle Bezugnahme auf einen Stammarbeitnehmer im
Entleiherbetrieb vorgenommen habe. Jedenfalls hat die Antragstellerin dies vor dem Hintergrund der sie - entgegen ihrer Annahme
- treffenden Pflicht zur Verwahrung der den Anforderungen des §
12 Abs.
1 Satz 3
AÜG entsprechenden Vertragsurkunde nicht in ausreichender Weise in Bezug auf jeden Leiharbeitnehmer und Entleiher dargelegt und
glaubhaft gemacht. Diesbezüglich verbleiben weitere Feststellungen ggf. dem Hauptsacheverfahren überlassen.
Vor diesem Hintergrund ist die Höhe der geschuldeten Arbeitsentgelte nach dem equal-pay Prinzip für den Rentenversicherungsträger,
auf den es entscheidend ankommt (vgl. Senat, Urteil v. 28.4.2010, L 8 R 30/09, [...]), nur mit unverhältnismäßig großem Verwaltungsaufwand festzustellen (§ 28f Abs. 2 Sätze 2 und 3
SGB VI).
Auch gegen die Höhe der Schätzung bestehen im Rahmen der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung keine
ernsthaften Bedenken. Zwar ist die Schätzung keine "Bestrafung" für die Verletzung der Aufzeichnungspflicht, sondern dient
der möglichst genauen Feststellung der Beitragslast des Arbeitgebers (vgl. Krasney, NJW 1989, 1007, 1009). Aus diesem Grund muss der Rentenversicherungsträger von sachlichen und nachvollziehbaren Erwägungen ausgehen und
diese gegebenenfalls auch darlegen können. Diese Voraussetzung ist hier jedoch erfüllt. Im Rahmen der im einstweiligen Rechtsschutz
gebotenen summarischen Prüfung sind die von der Antragsgegnerin herangezogenen Schätzungsgrundlagen und die daraus gezogenen
Folgerungen für den Senat daher nicht zu beanstanden.
Die Antragsgegnerin hat sich als Anhaltspunkt ihrer Schätzung auf eine Veröffentlichung des Instituts für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung v. 14.4.2011 berufen und ist davon ausgehend zum einen von einem Lohndifferenzial von 24% ausgegangen (Schätzung
nach Variante 3a). Zwar spricht die Veröffentlichung "Lohndifferenzial Zeitarbeit" von Lehmer/Ziegler von einem Lohndifferenzial
von 22%. Jedoch berücksichtigt sie auch festangestellte Mitarbeiter der Leiharbeitsfirmen, welche in der Praxis nicht wie
Leiharbeitskräfte entlohnt werden. Ferner bezieht sie sich auch auf Leiharbeitnehmer, die nicht nach CGZP-Tarifen entlohnt
worden. Vor diesem Hintergrund - so die Veröffentlichung - liege die tatsächliche Lohndifferenz eher noch etwas höher als
ausgewiesen. Danach erscheint eine Erhöhung des Lohndifferenzials um 2% im Rahmen der summarischen Prüfung nicht zu beanstanden.
Demgegenüber hat die Antragsgegnerin für Helfer und Facharbeiter im Falle übertariflicher Leistungen die Variante 3b im Rahmen
ihrer Schätzung angewandt. Bei dieser hat sie zwar in einem ersten Schritt das anzuwendende Lohndifferenzial auf 27% erhöht,
jedoch übertarifliche Leistungen angerechnet, um so zu individuellen Erhöhungswerten zu kommen.
Der Senat sieht die IAB-Untersuchung im Rahmen der summarischen Prüfung auch nicht als Grundlage einer Schätzung wegen der
materiellen Betroffenheit der Bundesagentur für Arbeit (BA) als grundsätzlich ungeeignet an. Nach §
282 Abs.
2 SGB III liegt die dortige Aufgabe in der Forschung, woraus sich die Verpflichtung der Einhaltung wissenschaftlicher Standards ergibt.
Das IAB arbeitet dabei unter dem Schutz der Forschungsfreiheit (Art.
5 Abs.
3 GG), wodurch ein fachliches Einzelweisungsrecht, welches in die wissenschaftliche Tätigkeit eingreift und konkrete Vorgaben
hinsichtlich der durchzuführenden Erhebungen und methodischen Ansätze enthält, ausscheidet (allg.M.; vgl. nur Schaumberg in
jurisPK-
SGB III, 2. Aufl. 2014, §
282 Rdnr. 23 m.w.N.; vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 29.7.2014, a.a.O, [...]).
Die nähere Beleuchtung der Binnensystematik der von der Antragsgegnerin gewählten Prozentsätze verbleibt der weiteren Aufklärung
im Hauptsacheverfahren überlassen. Insoweit handelt es sich um eine Differenz von wenigen Prozentpunkten, die nicht die offensichtliche
Rechtswidrigkeit der gesamten Beitragsnachforderung begründen kann (vgl. mit weiteren Ausführungen: LSG Berlin-Brandenburg,
Beschluss v. 29.7.2014 a.a.O.). Auch den weiteren Einwände gegen die Schätzung, wird ggf. im Widerspruchsverfahren bzw. im
gerichtlichen Hauptsacheverfahren nachzugehen sein (Senat, Beschluss v. 10.5.2012, a.a.O., [...]).
2. Die Bestandskraft (§
77 SGG) des Bescheides vom 28.8.2010 betreffend den Prüfzeitraum vom 1.1.2006 bis zum 31.12.2009 steht der Nachforderung von Beiträgen
für denselben Zeitraum durch den Bescheid vom 7.4.2014 nicht entgegen. Dieser Bescheid brauchte daher auch nicht nach § 45 SGB X aufgehoben zu werden.
Die Bindungswirkung eines Bescheides erfasst grundsätzlich nur dessen Verfügungssatz bzw. -sätze, nicht hingegen die Gründe,
die zu der Regelung geführt haben (vgl. BSG, Urteil v. 20.6.1984, 7 RAr 91/83, SozR 4100 § 112 Nr. 23 m.w.N.; Urteil v. 28.6.1990, 7 RAr 22/90, SozR 3-4100 § 137 Nr. 1, BSG, Urteil v. 30.10.2013, B 12 AL 2/11 R, [...]). Ein der Bestandskraft fähiger Verfügungssatz dahingehend, dass die Antragstellerin im Prüfzeitraum sämtliche nicht
gesondert erwähnten Meldepflichten und sonstigen Pflichten ordnungsgemäß erfüllt habe (vgl. § 28p Abs. 1 Satz 1
SGB IV), lässt sich ausgehend vom objektiven Empfängerhorizont (§
133 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) dem Bescheid vom 7.4.2014 nicht entnehmen. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass in dem fraglichen Bescheid
die Beklagte auf den stichprobenartigen Charakter der Betriebsprüfung hingewiesen hat (vgl. Senat, Urteil v. 30.4.2014, L
8 R 981/12, [...]; Senat, Beschluss v. 10.5.2012, a.a.O., [...]).
Eine weitergehende Bindungswirkung folgt auch nicht aus Sinn und Zweck der Betriebsprüfung. Betriebsprüfungen haben unmittelbar
im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten den Zweck, die Beitragsentrichtung zu den
einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Sie sollen einerseits Beitragsausfälle verhindern helfen, andererseits
die Versicherungsträger in der Rentenversicherung davor bewahren, dass aus der Annahme von Beiträgen für nicht versicherungspflichtige
Personen Leistungsansprüche entstehen. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung kommt den Betriebsprüfungen
nicht zu. Sie bezwecken insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm "Entlastung" zu erteilen
(BSG, Urteil v. 14.7.2004, B 12 KR 1/04 R, SozR 4-2400 § 22 Nr. 2; Urteil v. 14.7.2004, B 12 KR 7/04 R, SozR 4-2400 § 22 Nr. 1; Urteil v. 14.7.2004, B 12 KR 10/02 R, SozR 4-5375 § 2 Nr. 1; Urteil v. 30.11.1978, 12 RK 6/76, SozR 2200 § 1399 Nr. 11; Senat, Urteil v. 27.8.2010, L 8 R 203/09, [...]; Jochim in: jurisPK-
SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 28p Rdnr. 70; im Ergebnis a.A. Bayerisches LSG, Beschluss v. 22.3.2012, L 5 R 138/12 B ER, [...]; Urteil v. 18.1.2011, L 5 R 752/08, ASR 2011, 250). Einer solchen Entlastung bedarf es über die gesetzlich vorgesehenen Schutzmechanismen hinaus auch nicht. Denn der Arbeitgeber
hat es in der Hand, eine verbindliche Entscheidung der Einzugsstelle herbeizuführen (§
28h Abs.
2 SGB IV). Darüber hinaus wird er durch das Institut der Verjährung (§
25 SGB IV) ausreichend vor zu weit in die Vergangenheit reichenden Nachforderungen geschützt (BSG, Urteil v. 30.10.2013, a.a.O., [...]; Senat, Urteil v. 30.4.2014, a.a.O., [...]; Senat, Beschluss v. 25.6.2012, a.a.O., [...]).
3. Vertrauensschutzgesichtspunkte stehen der Beitragsnachforderung der Antragsgegnerin nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht
entgegen.
Der gute Glaube an die Wirksamkeit eines Tarifvertrages, namentlich an die Tariffähigkeit einer Vereinigung, wird grundsätzlich
nicht geschützt (vgl. BAG, Urteil v. 15.11.2006, a.a.O. Rdnr. 23). Der Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP zu in der
Vergangenheit liegenden Zeiträumen steht auch nicht das Verbot der echten Rückwirkung von Rechtsfolgen auf einen bereits abgeschlossenen
Sachverhalt bzw. das rechtsstaatliche Gebot des Vertrauensschutzes entgegen (vgl. im Einzelnen BVerfG, Nichtannahmebeschluss
v. 25.4.2015, a.a.O., Rdnr. 16ff.; LAG Berlin, Beschluss v. 9.1.2012, a.a.O., Rdnr. 176 ff.; Senat, Beschluss v. 10.5.2012,
a.a.O., [...]; Senat, Beschluss v. 25.6.2012, a.a.O., [...]). Das BVerfG hat vielmehr ausdrücklich darauf hingewiesen, dass
mit der mangelnden Tariffähigkeit der CGZP hätte gerechnet werden können, da diese von Anfang an in Zweifel gezogen worden
sei. Die mangende Vorhersehbarkeit der genauen Begründung durch das BAG begründe keinen Vertrauensschutz. Die dennoch vollzogene
Anwendung der Tarifverträge habe einerseits zum "Genuss der besonders niedrigen Vergütungssätze" geführt, andererseits zu
der nunmehrigen Realisierung eines - vorhersehbaren - Risikos. Auch aus dem Verhalten anderer Stellen sei kein Vertrauensschutz
zu begründen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 25.4.2015, a.a.O., [...]).
Die Rechtsprechung, wonach ein Arbeitgeber sich bis zur Mitteilung einer geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung durch
die Einzugsstelle auf die bisherige Rechtsprechung verlassen darf (vgl. BSG, Urteil v. 18.11.1980, 12 RK 59/79, SozR 2200 § 1399 Nr. 13), lässt sich entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht (Zeppenfeld/Faust, NJW 2011, 1643 [1647]) nicht auf den vorliegenden Fall übertragen. Denn es gab vor dem 14.12.2010 weder eine sozial- noch eine arbeitsgerichtliche
höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach die CGZP als tariffähig anzusehen war (Senat, Beschluss v. 10.5.2012, a.a.O., [...]).
4. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist daher lediglich insoweit anzuordnen, als Beitragsansprüche für die Zeit
vor dem 1.1.2007 nach gegenwärtigem Sachstand mit überwiegender Wahrscheinlichkeit verjährt sind.
Nach §
25 Abs.
1 Satz 1
SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Gemäß §
23 Abs. 1 Satz 2 SGB wurden im Jahr 2006 Beiträge, die nach dem Arbeitsentgelt zu bemessen waren, in voraussichtlicher Höhe
der Beitragsschuld spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des Monats fällig, in dem die Beschäftigung, mit der das Arbeitsentgelt
erzielt wurde, ausgeübt worden ist. Damit sind alle im Jahr 2006 fällig gewordenen Beitragsansprüche mit Ablauf des 31.12.2010
nach der Regelverjährungsfrist verjährt. Nach der Grundregel verjähren die in 2007 fällig gewordenen Ansprüche am 31.12.2011,
die in 2008 fällig gewordenen Ansprüche am 31.12.2012 und die in 2009 fällig gewordenen Ansprüche am 31.12.2013.
Die Antragsgegnerin kann sich im Rahmen der summarischen Prüfung nur für die Nachforderungen der Jahre 2007 bis 2009 auf §
25 Abs.
1 Satz 2
SGB IV berufen.
Die rechtlichen Voraussetzungen der 30jährigen Verjährungsfrist nach §
25 Abs.
1 Satz 2
SGB IV sind geklärt. Danach ist Voraussetzung, dass der Beitragsschuldner die Beiträge vorsätzlich vorenthalten hat. Es reicht aus,
dass der Vorsatz zur Vorenthaltung der Beiträge bis zum Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist eingetreten ist. Weiter genügt
es, dass der Beitragsschuldner bedingt vorsätzlich gehandelt, er also seine Beitragspflicht für möglich gehalten und die Nichtabführung
der Beiträge billigend in Kauf genommen hat. Diese Voraussetzungen müssen konkret festgestellt, d.h. anhand der Umstände des
Einzelfalles und bezogen auf den betroffenen Beitragsschuldner durch Sachverhaltsaufklärung individuell ermittelt werden.
Die objektive Beweislast trifft im Zweifel den Versicherungsträger, der sich auf die für ihn günstige längere Verjährungsfrist
beruft (BSG, Urteil v. 30.3.2000, B 12 KR 14/99 R, SozR 3-2400 § 25 Nr. 7; Urteil v. 26.1.2005, B 12 KR 3/04 R, SozR 4-2400 § 14 Nr. 7; jeweils m.w.N.). Der erkennende Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass diese Grundsätze auch
für die Nachforderung von Beiträgen auf der Grundlage des geschuldeten Equal-pay-Lohnes wegen der Unwirksamkeit der von der
CGZP geschlossenen Tarifverträge gelten (Beschlüsse v. 10.5.2012, L 8 R 164/12 B ER, v. 25.6.2012, L 8 R 382/12 B ER, v. 20.9.2012, L 8 R 630/12 B ER; v. 7.11.2012, L 8 R 699/12 B ER, jeweils [...]).
Da es entscheidend ist, ob der Arbeitgeber seine Beitragspflicht tatsächlich für möglich gehalten hat, ist es unerheblich,
ob die Arbeitgeber der Zeitarbeitsbranche spätestens ab dem 14.12.2010 ihre rückwirkende Zahlungspflicht für möglich hätten
halten müssen. Insoweit dürfen die Voraussetzungen des bedingten Vorsatzes nicht mit dem im Zivilrecht geltenden Maßstab der
im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bei Fahrlässigkeit vermischt werden (vgl. § 276 Abs. 2 [BGB]; Senat, Beschluss v. 7.11.2012,
a.a.O.).
Soweit es in diesem Zusammenhang auf die Kenntnis des Arbeitgebers ankommt, ist bei juristischen Personen in erster Linie
auf die Kenntnis der für sie handelnden vertretungsberechtigten Organwalter (vgl. BGH, Urteil v. 8.12.1989, V ZR 246/87, NJW 1990, 975 f. m.w.N.) abzustellen. Handelt es sich - wie im vorliegenden Fall - um eine GmbH, ist also die Kenntnis zumindest eines
der Geschäftsführer maßgebend. Außerdem ist das Wissen derjenigen Mitarbeiter zuzurechnen, die mit der Wahrnehmung der Pflichten
des Arbeitgebers bei der Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gemäß §
28e Abs.
1 Satz 1
SGB IV bevollmächtigt sind (vgl. §
166 Abs.
1 BGB). Darüber hinaus kann das Wissen anderer Mitarbeiter zuzurechnen sein, sofern dieses Wissen bei ordnungsgemäßer Organisation
im Betrieb weiterzugeben und im Rahmen der Erfüllung der Arbeitgeberpflichten abzufragen ist (vgl. BGH, Urteil v. 13.12.2000,
V ZR 349/99, NJW 2001, 359 f.). Schließlich kommt auch die Zurechnung des Wissens eines (selbstständigen) Rechtsanwalts oder Steuerberaters im Rahmen
der Wissensvertretung nach §
166 Abs.
1 BGB in Betracht, soweit die betreffenden Kenntnisse in Wahrnehmung des konkreten Mandats erlangt worden sind (Senat, Beschluss
v. 7.11.2012, a.a.O.).
Im Rahmen der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung sind keine Umstände ersichtlich oder vorgetragen
worden, die in diesem Sinne für eine Kenntnis der Antragstellerin von der Möglichkeit der rückwirkenden Beitragspflicht bereits
im Dezember 2010 sprechen. Bezüglich des Schreibens der Antragsgegnerin vom 23.12.2010 bestreitet die Antragstellerin den
Zugang. Einen Zugangsnachweis hat die Antragsgegnerin nicht erbracht. Ob dieses Schreiben ggf. der Abrechnungsstelle der O-Gruppe,
derer sich die Antragstellerin bedient habe, zur Kenntnis gelangt ist, hat die Antragsgegnerin nicht glaubhaft gemacht.
Das Wissen ihres Prozessbevollmächtigten muss die Antragstellerin sich frühestens ab dem Zeitpunkt der Mandatierung im Jahr
2014 zurechnen lassen.
Die Reichweite des Beschlusses des BAG vom 14.12.2010 war am 31.12.2010 insbesondere hinsichtlich rückwirkender Forderungen
noch nicht geklärt, zumal die schriftlichen Entscheidungsgründe noch nicht vorlagen. Vor diesem Hintergrund ist bis zu einer
Klärung in der Hauptsache für das Jahr 2006 von ernstlichen Zweifeln am bedingten Vorsatz auszugehen, sofern im angefochtenen
Bescheid keine abweichenden einzelfallbezogenen Feststellungen getroffen worden sind bzw. im Rahmen des Verfahrens auf einstweiligen
Rechtsschutz getroffen werden können (Senat, Beschluss v. 20.9.2012, a.a.O.).
Anderes gilt hingegen für die Forderungen der Jahre ab 2007. Zwar müssen hier gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren noch einzelfallbezogene
Feststellungen getroffen werden. Angesichts des gerichtskundigen (§
202 SGG i.V.m. §
291 Zivilprozessordnung) Verlaufs, den die Diskussion um rückwirkende Beitragsforderungen wegen der Tarifunfähigkeit der CGZP im Laufe des Jahres
2011 genommen hat, insbesondere im Hinblick auf die zahlreichen bereits seinerzeit durchgeführten und angekündigten Betriebsprüfungen
erscheint es jedoch zumindest nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die zuständigen Organe eines Unternehmens der gewerblichen
Arbeitnehmerüberlassung bis zum Ende des Jahres 2011 noch keine Kenntnis von einer möglichen Beitragsverpflichtung auch für
das Jahr 2007 hatten. Umstände, die Zweifel an einer dahingehenden Kenntnis im vorliegenden Fall begründen könnten, sind weder
ersichtlich noch von der Antragstellerin vorgetragen worden (Senat, Beschluss v. 20.9.2012, a.a.O.).
Es ist nicht ersichtlich, dass die Vollziehung des Beitragsbescheides für die Antragstellerin eine unbillige Härte bedeuten
würde. Allein die mit der Zahlung auf eine Beitragsforderung für die Antragstellerin verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen
führen nicht zu einer solchen Härte, da sie lediglich Ausfluss der Erfüllung gesetzlich auferlegter Pflichten sind. Darüber
hinausgehende, nicht oder nur schwer wiedergutzumachende Nachteile sind nicht erkennbar.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren gemäß §
197a SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz entspricht der ständigen Senatspraxis, im einstweiligen Rechtsschutz von einem Viertel des Hauptsachenstreitwerts auszugehen
(Senat, Beschluss v. 21.2.2012, L 8 R 1047/11 B ER, [...]).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).