Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen bei Unwirksamkeit eines Tarifvertrages mangels Tariffähigkeit der sog. Arbeitnehmerorganisation
Equal-pay auch für Leiharbeitnehmer und rückwirkende Abrechnung unabhängig von faktischer Zahlung
Gründe
I.
Die Antragstellerin, ein Personaldienstleistungsunternehmen, wehrt sich im einstweiligen Rechtsschutz gegen die Verpflichtung,
Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen.
Im Anschluss an die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14.12.2010 zur Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft
Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) führte die Antragsgegnerin eine Betriebsprüfung
bei der Antragstellerin durch und kam zu einer Nachforderung in Höhe von 77.441,07 Euro (Bescheid vom 28.11.2011). Zur Begründung
führte sie aus, in den Arbeitsverträgen zwischen der Antragstellerin und den bei ihr beschäftigten Leiharbeitnehmern werde
für den gesamten Prüfzeitraum auf den Tarifvertrag zwischen der CGZP und dem Arbeitgeberverband mittelständischer Personaldienstleister
(AMP) verwiesen. Auf der Basis der dort vorgesehenen Vergütungen habe die Antragstellerin die Beiträge für die Leiharbeitnehmer
gezahlt sowie Meldungen und Beitragsnachweise zur Sozialversicherung abgegeben. Wegen der Unwirksamkeit des Tarifvertrages
hätten die Beiträge jedoch zutreffend nach den Entgeltansprüchen vergleichbarer Arbeitnehmer der Stammbelegschaft des Entleihers
berechnet werden müssen. Die Höhe des insofern zusätzlich geschuldeten Arbeitsentgeltes sei zu schätzen gewesen. Hierzu sei
sie befugt, weil eine Ermittlung der geschuldeten Arbeitsentgelte - wenn überhaupt - nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich
gewesen wäre. Zwar sei vorliegend feststellbar, dass Arbeitsentgelte grundsätzlich bestimmten Beschäftigten zuzuordnen seien,
jedoch sei die personenbezogene Ermittlung der geschuldeten Arbeitsentgelte aufgrund der großen Anzahl der zu überprüfenden
Beschäftigungsverhältnisse, der zum Teil sehr kurzen Dauer der jeweiligen Beschäftigungsverhältnisse, der Anzahl der Entleiher
und der Dauer der jeweiligen Überlassungszeiträume nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich. Eine große Anzahl der
Beschäftigungsverhältnisse habe zudem lediglich bis zu 3 Monaten gedauert, und die Überlassung der Mitarbeiter sei an viele
unterschiedliche Entleiher erfolgt. Bei der Schätzung ging die Antragsgegnerin wie folgt vor:
- Die Beschäftigten wurden nach Qualifikation gruppiert. - Auf Basis der geleisteten Gesamtstunden aller Beschäftigten wurden
für die Gruppen spezifische Bruttolohnsummen je Gruppe und je Kalenderjahr ermittelt - Die Gruppenlohnsummen wurden um Lohnzahlungen
aufgrund von Zeiten, in denen keine equal-Pay-Ansprüche bestanden (bzw. bestehen konnten), bereinigt. Dies waren:
- verleihfreie Zeiten - Zeiten von zuvor arbeitslosen Leiharbeitnehmern in den ersten 6 Wochen ihrer Beschäftigung - Zeiten,
für die vom Verleiher Mindestentgelte nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz gezahlt wurden - Zeiten der Kurzarbeit im Verleih-Betrieb
- Zeiten des Verleihs in ein im Ausland ansässiges Unternehmen - Zeiten, in denen equal-Pay-Ansprüche erfüllt wurden
- Je Gruppe wurde eine repräsentative Stichprobe unter Einbeziehung unterschiedlicher Entleiher nach dem Zufallsprinzip gebildet.
- Die tatsächlichen Arbeitsentgelte vergleichbarer Arbeitnehmer der Entleiher für die in der Stichprobe definierten Leiharbeitnehmer
wurden ermittelt. - Die Stichprobe wurde ausgewertet und ein Durchschnittswert je Gruppe gebildet. - Hieraus ergaben sich
die folgenden prozentualen Lohnabstände:
Gruppe 2005 1,06 %, Gruppe Helfer 2006 3,02 %, Gruppe Facharbeiter 2006,2,5 % Gruppe Helfer 2007 2,24 % Gruppe Facharbeiter
2007 1,34 % Gruppe Helfer 2008 1,55 % Gruppe Facharbeiter 2008 1,44 % Gruppe Helfer 2009 1,74 % Gruppe Facharbeiter 2009 0,92
%
- Die prozentualen Durchschnittswerte wurden zur Ermittlung der Arbeitsentgeltdifferenz auf alle Leiharbeitnehmer der Gruppe
angewendet.
Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin Widerspruch. Außerdem hat sie einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Sie hat
vorgetragen:
Der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 sei gegenwartsbezogen. Eine Rückwirkung lasse sich aus der tarifrechtlichen Rechtsprechung
des BAG im Übrigen nicht ableiten. Da das BAG in seinem Beschluss bislang nicht bekannte Anforderungen an die Tariffähigkeit
einer Spitzenorganisation aufgestellt habe, komme eine Nachforderung von Beiträgen für die Zeit vor dem 14.12.2010 einer aus
verfassungsrechtlichen Gründen verbotenen echten Rückwirkung gleich. Es könne zudem sein, dass in den an die Arbeitnehmer
geleisteten Zahlungen auch Einmalzahlungen enthalten seien. Die Antragsgegnerin verletze in den CGZP-Fällen ihre Verpflichtung
zur Amtsermittlung. Die Antragstellerin hat sich schließlich auf die Bestandskraft vormaliger Prüfbescheide berufen sowie
die Einrede der Verjährung erhoben.
Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten und hat vorgetragen:
Aufgrund der eindeutigen Aussagen des BAG Beschluss vom 14.12.2010 sei die CGZP auch in den vor 2009 liegenden Zeiträumen
nicht tariffähig gewesen. Der gute Glaube an die Tariffähigkeit werde nicht geschützt. Die nachgeforderten auf laufendes,
geschuldetes Arbeitsentgelt erhobenen Beiträge seien zum Zeitpunkt der Verkündung des BAG-Beschlusses auch noch nicht verjährt
gewesen.
Das Sozialgericht (SG) hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 5.12.2011 gegen den Bescheid vom 28.11.2011 angeordnet
(Beschluss vom 18.1.2012). Es überwiege vorliegend das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Vollzugsinteresse
der Antragsgegnerin, da sich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ergäben. Es sei zunächst
für das Gericht offen, ob die Antragsgegnerin zum gegenwärtigen Zeitpunkt berechtigt sei, auch mit Wirkung für die Vergangenheit
Sozialversicherungsbeiträge nachzufordern, denn der Beschluss des BAG habe nur festgestellt, dass die CGZP gegenwartsbezogen
nicht tariffähig sei. Für Zeiträume davor lägen zwar mittlerweile obergerichtliche, jedoch keine höchstrichterlichen Entscheidungen
vor. Da aber ausschließlich der Arbeitsgerichtsbarkeit die gerichtliche Beurteilung der Tariffähigkeit einer Tarifvertragspartei
zustehe, sei bis zu einer (höchstrichterlichen) arbeitsgerichtlichen Entscheidung durch die Sozialgerichte das entsprechende
Primat zu respektieren. Im Übrigen käme die Anwendung einer geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung zulasten der beitragspflichtigen
Arbeitgeber praktisch einer Rechtsänderung gleich. Rechtsänderungen unterlägen aber einem verfassungsrechtlich garantierten
Rückwirkungsverbot. Insoweit sei den betroffenen Arbeitgebern Vertrauensschutz zuzubilligen. Im Übrigen stünden die Folgen
einer zu raschen Ermöglichung der Vollstreckung für die Vergangenheit vor einer gesetzlich ausdrücklich für vorgreiflich befundenen
fachgerichtlichen letztinstanzlichen Klärung in keinem Verhältnis zu den daraus resultierenden wirtschaftlichen Belastungen
der Antragstellerin im Besonderen und darüber hinaus der ca. 1600 Zeitarbeitsunternehmen im Allgemeinen. Sie läge auch nicht
im Interesse der Antragsgegnerin bzw. der vorliegend 43 Einzugsstellen, auf die insofern ein unverhältnismäßiger, weil ggf.
rückgängig zumachender Aufwand zukäme. Auch dränge die Vollstreckung in zeitlicher Hinsicht nicht.
Gegen den ihr am 19.1.2012 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 25.1.2012 Beschwerde erhoben. Sie wiederholt
und vertieft zur Begründung ihre bisherigen Ausführungen.
Die Antragstellerin tritt der Beschwerde entgegen.
Die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin ist zum Verfahren beigezogen worden.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist teilweise begründet. Dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung
des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 28.11.2011 ist lediglich für die Monate November 2005 bis Dezember
2006 zu entsprechen. Im Übrigen ist der Antrag unbegründet.
Nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben,
diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG bei Entscheidungen über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen sowie der darauf entfallenden Nebenkosten. Die
Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise dennoch durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer
umfassenden Abwägung des Aufschubinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung
des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an §
86a Abs.
3 Satz 2
SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die
Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge
hätte.
Da §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
des Bescheides ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs, hier des Widerspruchs, zumindest
überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise
noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt
der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (vgl. Senat, Beschluss v.
7.1.2011, L 8 R 864/10 B ER, NZS 2011, 906 [907 f.]; Beschluss v. 10.1.2012, L 8 R 774/11 B ER, [...] und sozialgerichtsbarkeit.de; jeweils m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien bestehen nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung
keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 28.11.2011, soweit die Antragsgegnerin damit Beiträge zur
Sozialversicherung für die Zeit ab 1.1.2007 nachfordert (vgl. bereits Senat, Beschluss v. 10.5.2012, L 8 R 164/12 B ER, [...]).
1. Ermächtigungsgrundlage für die Nachforderung ist § 28p Abs. 1 Satz 5 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IV). Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe
der Arbeitnehmer in der Sozialversicherung gegenüber den Arbeitgebern. Diese Vorschrift deckt Betriebsprüfungen außerhalb
der turnusmäßigen Prüfungen von Amts wegen auch dann, wenn keiner der in § 28p Abs. 1 Sätze 2 oder 3
SGB IV ausdrücklich geregelten Ausnahmefälle (Antrag des Arbeitgebers, Unterrichtung durch die Einzugsstelle) vorliegt (vgl. Senat,
Beschluss v. 18.2.2010, L 8 B 13/09 R ER, [...]).
2. Es bestehen keine überwiegenden Zweifel, dass die Antragsgegnerin dem Grunde nach verpflichtet ist, für die von ihr beschäftigten
Arbeitnehmer höhere als die bislang entrichteten Beiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zu entrichten.
a) Nach §
28e Abs.
1 Satz 1
SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag, d.h. die für einen versicherungspflichtigen Beschäftigten zu zahlenden
Beiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung (§
28d Satz 1 und
2 SGB IV) zu entrichten. Bei versicherungspflichtig Beschäftigten wird der Beitragsbemessung in allen Zweigen der Sozialversicherung
das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung zugrunde gelegt (§ 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Fünftes Buch
Sozialgesetzbuch i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch, § 162 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch, § 342 Drittes Buch Sozialgesetzbuch). Arbeitsentgelt sind nach §
14 Abs.
1 Satz 1
SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht,
unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang
mit ihr erzielt werden.
b) Die von der Antragstellerin auf dieser Grundlage für den Streitzeitraum zu entrichtenden Beiträgen sind nach dem Arbeitsentgelt
zu berechnen, das vergleichbaren Arbeitnehmern in den Betrieben der jeweiligen Entleiher gezahlt wurde (§
10 Abs.
4 AÜG in der hier maßgeblichen Fassung von Art. 6 Nr.
5 Buchst. b) des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt v. 23.12.2002, BGBl. I S. 4607; sog. equal-pay-Prinzip). Diese Rechtsfolge sah (und sieht auch nach geltendem Recht) §
10 Abs.
4 AÜG für den Fall vor, dass der Verleiher, hier die Antragstellerin, mit den Leiharbeitnehmern eine nach §
9 Nr. 2
AÜG unwirksame Vereinbarung geschlossen hatte.
aa) Nach §
9 Nr. 2
AÜG konnte ein Tarifvertrag vom equal-pay-Prinzip abweichende Regelungen zulassen. Zudem konnten im Geltungsbereich eines Tarifvertrages
nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren. Von dieser Möglichkeit
haben die Antragstellerin und ihre Arbeitnehmer nach den unwidersprochenen Feststellungen der Antragsgegnerin Gebrauch gemacht,
indem sie in ihren Arbeitsverträgen auf die zwischen der CGZP und dem AMP geschlossenen Tarifverträge verwiesen haben.
bb) Diese Vereinbarung war voraussichtlich unwirksam.
(1) §
9 Nr. 2
AÜG setzt für den Fall einer Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien einen wirksamen Tarifvertrag voraus. Das gilt auch, wenn
die Anwendung der tariflichen Regelungen arbeitsvertraglich vereinbart wird (vgl. Schüren in Schüren/Hamann,
AÜG, 4. Aufl. 2010, §
9 Rdnr. 102; vgl. auch BT-Drs. 17/5238, S. 16 zu Buchst. d); a.A. Kilian, NZS 2011, 851 [852]). Dafür sprechen der Wortlaut ("Geltungsbereich"), aber auch der Charakter der Vorschrift als Ausnahmeregelung zum
equal-pay-Prinzip.
(2) Die Unwirksamkeit der genannten Tarifverträge folgt daraus, dass die CGZP im Streitzeitraum voraussichtlich weder eine
tariffähige Arbeitnehmervereinigung im Sinne des § 2 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz (TVG) noch eine tariffähige Spitzenorganisation im Sinne von § 2 Abs. 2 und 3 TVG war. Das ergibt sich zum einen aus dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 (1 ABR 19/10, NZA 2011, 289). Zwar hat das BAG in diesem Beschluss ausgeführt, es habe lediglich gegenwartsbezogen über die Tariffähigkeit der CGZP zu
entscheiden (a.a.O., [...]Rdnr. 33). Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob dem Beschluss im Übrigen hinreichende Anhaltspunkte
für ein Fehlen der Tariffähigkeit der CGZP auch zu einem früheren Zeitpunkt zu entnehmen sind. Denn zwischenzeitlich hat das
LAG Berlin-Brandenburg (Beschluss v. 9.1.2012, 24 TaBV 1285/11 u.a., DB 2012, 693) entschieden, dass die CGZP auch am 29.11.2004, 16.6.2008 und 9.7.2008 und damit zu Zeitpunkten nicht tariffähig war, die
gemeinsam mit der Entscheidung des BAG den hier zu beurteilenden Zeitraum vollständig umfassen.
(3) Der Senat hat das vorliegende Verfahren nicht bis zur Rechtskraft des Beschlusses des LAG-Berlin-Brandenburg nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG auszusetzen. Dies gilt unbeschadet der unter den Landesarbeitsgerichten umstrittenen Frage, ob die Tarifunfähigkeit der CGZP
auch für die Zeit vor der Satzungsänderung vom 8.10.2009 aufgrund des Beschlusses des BAG vom 14.12.2010 als geklärt anzusehen
ist (verneinend z.B. LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 16.2.2012, 10 Sa 453/11, [...]). Zwar spricht viel dafür, dass diese Vorschrift auch für andere Gerichtsbarkeiten als die Arbeitsgerichtsbarkeit
gilt (vgl. BVerwG, Beschluss v. 25.7.2006, 6 P 17/05, NZA 2006, 1371 [1372]). Jedoch ist im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz nach §
86b SGG nur eine vorläufige möglichst zeitnahe Klärung herbeizuführen, mit der eine Aussetzung - ebenso wie im Übrigen in den Fällen
des Vorlagebeschlusses nach Art.
100 Abs.
1 Grundgesetz (vgl. hierzu LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 19.5.2011, L 6 AS 704/11 B ER u.a.; Beschluss v. 27.9.2010, L 20 AY 79/10 B ER; jeweils [...]) unvereinbar ist (wie hier: Bayerisches LSG, Beschluss
v. 22.3.2012, L 5 R 138/12 B ER; [...]).
c) Die Beitragsansprüche sind gegebenenfalls unabhängig davon entstanden, ob die nach dem equal-pay-Prinzip geschuldeten Arbeitsentgelte
den Arbeitnehmern tatsächlich zugeflossen sind.
aa) Nach §
22 Abs.
1 Satz 1
SGB IV entsteht der Beitragsanspruch, sobald seine im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen.
Der Anspruch auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag entsteht dabei, wenn der Arbeitsentgeltanspruch entstanden ist, selbst
wenn der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt nicht oder erst später gezahlt hat. Insoweit folgt das Sozialversicherungsrecht -
anders als das Steuerrecht - nicht dem Zufluss-, sondern dem sog. Entstehungsprinzip (BSG, Urteil v. 3.6.2009, B 12 R 12/07 R, SozR 4-2400 § 23a Nr. 5; Urteil v. 26.1.2005, B 12 KR 3/04 R, SozR 4-2400 § 14 Nr. 7; Urteil v. 14.7.2004, B 12 KR 7/04 R, SozR 4-2400 § 22 Nr. 1; jeweils m.w.N.; zur Verfassungsmäßigkeit des Entstehungsprinzips BVerfG, Beschluss v. 11.9.2008,
1 BvR 2007/05, SozR 4-2400 § 22 Nr. 3).
bb) Auch im vorliegenden Fall ist die Vorschrift des §
22 Abs.
1 Satz 1
SGB IV und nicht etwa §
22 Abs.
1 Satz 2
SGB IV anwendbar, wonach bei einmalig gezahltem Arbeitsentgelt der Beitragsanspruch erst mit Zufluss entsteht. In der Literatur
wird insoweit zwar die Auffassung vertreten, der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 wirke konstitutiv mit der Folge, dass Arbeitsentgelt-
und Beitragsansprüche erst ab diesem Zeitpunkt entstehen könnten. Es handele sich somit nicht um Ansprüche auf laufendes Arbeitsentgelt,
für die nach §
22 Abs.
1 Satz 1
SGB IV das Entstehungsprinzip gelte, sondern um nachträglich rückwirkende Lohnerhöhungen, die wie Einmalzahlungen nach §
22 Abs.
1 Satz 1
SGB IV zu behandeln seien (vgl. Plagemann/Brand, NJW 2011, 1488 [1490 f.]; Tuengerthal/Andorfer, BB 2011, 2939 [2940]). Der Senat folgt dieser Ansicht jedoch nicht (wie hier: Berchtold, SozSich 2012, 70 [71]). Aus der Vorlagepflicht nach § 97 Abs. 5 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) ergibt sich vielmehr, dass die Entscheidung im Beschlussverfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG die Tarifunfähigkeit lediglich deklaratorisch feststellt (vgl. BAG, Urteil v. 15.11.2006, 10 AZR 665/05, NZA 2007, 448 [451], Rdnr. 22).
d) Gegen die Geltendmachung der Beitragsnachforderung in einem Summenbescheid (§
28f Abs.
2 Satz 1
SGB IV) auf der Basis einer Schätzung des equal-pay-Lohnes (§
28f Abs.
2 Satz 3
SGB IV) bestehen keine ernsthaften Bedenken.
aa) Nach §
28f Abs.
2 Satz 1
SGB IV kann der prüfende Rentenversicherungsträger den Beitrag in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung von
der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen, wenn dieser die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß
erfüllt hat. Das ist hier der Fall. Die Aufzeichnungspflichten umfassen nicht nur das gezahlte, sondern auch das beitragspflichtige
Arbeitsentgelt (§ 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Beitragsverfahrensverordnung bzw. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 der bis zum 30.6.2006 geltenden Beitragsüberwachungsverordnung), hier also den equal-pay-Lohn. Diesen hat die Antragstellerin erkennbar nicht ordnungsgemäß aufgezeichnet. Die Aufbewahrungsfristen
nach §
28f Abs.
1 Satz 1 und 4
SGB IV) waren bei Durchführung der jetzt streitbefangenen Betriebsprüfung auch noch nicht abgelaufen. Auf ein Verschulden seitens
der Antragstellerin kommt es nicht an (BSG, Urteil v. 7.2.2002, B 12 KR 12/01 R, SozR 3-2400 § 28f Nr. 3).
bb) Soweit derzeit erkennbar, ist weder die Höhe der Arbeitsentgelte selbst noch ihre Zuordnung zu einzelnen Beschäftigten
ohne für den Rentenversicherungsträger, auf den es entscheidend ankommt (vgl. Senat, Urteil v. 28.4.2010, L 8 R 30/09, [...]), unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand festzustellen (§
28f Abs.
2 Sätze 2 und 3
SGB IV). Die Antragstellerin ist den dahingehenden Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht entgegengetreten.
cc) Auch gegen die Höhe der Schätzung bestehen im Rahmen der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung
keine ernsthaften Bedenken. Die Antragsgegnerin hat im Bescheid detailliert dargestellt, wie sie die Schätzung im Einzelnen
vorgenommen hat. Die Vorgehensweise ist in sich schlüssig und wird auch weder der Art nach noch im Ergebnis von der Antragstellerin
kritisiert. Sie bleibt im Übrigen mit einem Lohndifferenzial von höchstens 3,02 % erheblich unter einer Veröffentlichung des
Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vom 14.4.2011, die von einem durchschnittlichen Lohndifferenzial zwischen
originär beschäftigten Arbeitnehmern und Leiharbeitnehmern von 22 % ausgeht, wobei lediglich unter Berücksichtigung individueller
Umstände im Einzelfall ein absinkendes Lohndifferenzial auf 15 % angedacht wird (vgl. http://doku.iab.de/grauepap/2011/Lohndifferenzial
% 20 Zeitarbeit.pdf).
3. Es ist nach dem gegenwärtigen Sachstand nicht ersichtlich, dass der Nachforderung von Beiträgen bindende Bescheide (§
77 SGG) aus früheren Betriebsprüfungen entgegenstünden. Die Beteiligten haben derartige Bescheide nicht vorgelegt und auch zu ihren
konkreten Verfügungssätzen nicht vorgetragen. Hierauf kommt es jedoch entscheidend ein. Der Rechtsauffassung, etwaige frühere
Bescheide müssten nach §§ 44 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch in jedem Fall aufgehoben werden, soweit sie denselben Zeitraum
betreffen wie der nunmehr angegriffene Bescheid, folgt der Senat demgegenüber nicht (vgl. zur Begründung im Einzelnen Beschluss
v. 10.5.2012, a.a.O.).
4. Vertrauensschutzgesichtspunkte stehen der Beitragsnachforderung der Antragsgegnerin nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht
entgegen.
a) Der gute Glaube an die Wirksamkeit eines Tarifvertrages, namentlich an die Tariffähigkeit einer Vereinigung, wird grundsätzlich
nicht geschützt (vgl. BAG, Urteil v. 15.11.2006, a.a.O. Rdnr. 23). Der Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP zu in der
Vergangenheit liegenden Zeiträumen steht auch nicht das Verbot der echten Rückwirkung von Rechtsfolgen auf einen bereits abgeschlossenen
Sachverhalt bzw. das rechtsstaatliche Gebot des Vertrauensschutzes entgegen (vgl. im Einzelnen LAG Berlin, Beschluss v. 9.1.2012,
a.a.O., Rdnr. 176 ff.).
b) Die Rechtsprechung, wonach ein Arbeitgeber sich bis zur Mitteilung einer geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung
durch die Einzugsstelle auf die bisherige Rechtsprechung verlassen darf (vgl. BSG, Urteil v. 18.11.1980, 12 RK 59/79, SozR 2200 § 1399 Nr. 13), lässt sich entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht (Zeppenfeld/Faust, NJW 2011, 1643 [1647]) nicht auf den vorliegenden Fall übertragen. Denn es gab vor dem 14.12.2010 weder eine sozial- noch eine arbeitsgerichtliche
höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach die CGZP als tariffähig anzusehen war.
5. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist daher lediglich insoweit anzuordnen, als Beitragsansprüche für die Zeit
vor dem 1.1.2007 nach gegenwärtigem Sachstand mit überwiegender Wahrscheinlichkeit verjährt sind.
a) Nach §
25 Abs.
1 Satz 1
SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Gemäß §
23 Abs.
1 Satz 2
SGB IV in der Fassung der Bekanntmachung v. 23.1.2006 (BGBl. I, S. 86) wurden im Jahr 2006 Beiträge, die nach dem Arbeitsentgelt zu bemessen waren, in voraussichtlicher Höhe der Beitragsschuld
spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des Monats fällig, in dem die Beschäftigung, mit der das Arbeitsentgelt erzielt
wurde, ausgeübt worden ist. Damit sind alle im Jahr 2006 fällig gewordenen Beitragsansprüche mit Ablauf des 31.12.2010 nach
der Regelverjährungsfrist verjährt.
b) Demgegenüber bestehen zumindest ernsthafte Zweifel, ob die Regelung des §
25 Abs.
1 Satz 2
SGB IV eingreift, wonach Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres verjähren,
in dem sie fällig geworden sind. Zwar kommt diese Vorschrift auch dann zum Tragen, wenn der Vorsatz zur Vorenthaltung der
Beiträge bei ihrer Fälligkeit noch nicht vorlag, jedoch bis zum Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist eingetreten ist (BSG, Urteil v. 30.3.2000, B 12 KR 14/99 R, SozR 3-2400 § 25 Nr. 7), wobei bedingter Vorsatz ausreicht (BSG, Urteil v. 26.1.2005, B 12 KR 3/04 R, SozR 4-2400 § 14 Nr. 7). Ob die Antragstellerin indessen vor Eintritt der Verjährung für die im Jahr fällig gewordenen Beiträge
für die Zeit von Dezember 2005 bis Dezember 2006 am 31.12.2010 bereits den Eintritt einer rückwirkenden Beitragspflicht für
möglich gehalten hat, kann nur nach Maßgabe des jeweiligen Einzelfalles festgestellt werden. Allein der Umstand, dass der
Beschluss des BAG am 14.12.2010 verkündet worden ist, reicht insoweit nicht aus. Einzelfallbezogene Feststellungen der Antragsgegnerin
sind hierzu bislang nicht getroffen worden. Demgegenüber hat sie aber selbst in einem Schreiben vom 22.12.2010 an die Antragstellerin
ausgeführt, es liege noch keine schriftliche Entscheidungsbegründung vor, und es lasse sich noch nicht mit letzter Sicherheit
sagen, wie die Frage der Rückwirkung der Entscheidung auf Beitragsansprüche, die seit Januar 2006 fällig geworden seien, zu
beantworten sei.
6. Es ist nicht ersichtlich oder vorgetragen, dass die Vollziehung des Beitragsbescheides für die Antragstellerin eine unbillige
Härte bedeuten würde. Allein die mit der Zahlung auf eine Beitragsforderung für den Antragsteller verbundenen wirtschaftlichen
Konsequenzen führen nicht zu einer solchen Härte, da sie lediglich Ausfluss der Erfüllung gesetzlich auferlegter Pflichten
sind. Darüber hinausgehende, nicht oder nur schwer wiedergutzumachende Nachteile sind nicht erkennbar.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
155 Abs.
1 Satz 1
Verwaltungsgerichtsordnung. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren gemäß §
197a SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 4 Gerichtskostengesetz entspricht der ständigen Senatspraxis, im einstweiligen Rechtsschutz von einem Viertel des Hauptsachenstreitwerts auszugehen
(zuletzt: Senat, Beschluss v. 21.2.2012, L 8 R 1047/11 B ER, [...]).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).