Bestimmtheit eines Beitragsnachforderungsbescheides
Wirtschaftliche Existenzvernichtung als unbillige Härte beachtlich bei gleichbleibender Vollziehungsperspektive
Gründe
I.
Die Antragstellerin, ein Unternehmen im Bereich des Wach- und Sicherheitsgewerbes, begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen
den Bescheid der Antragsgegnerin vom 31.10.2012, mit dem diese Sozialversicherungsbeiträge nebst Säumniszuschlägen für die
Zeit vom 1.8.2007 bis 31.12.2009 in Höhe von insgesamt 49.353,55 Euro nachfordert.
Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, im Rahmen einer Betriebsprüfung sei festgestellt worden, dass die Antragstellerin
bei der Entlohnung von Mitarbeitern zum Teil die im Zeitraum geltenden allgemeinverbindlichen Tarifverträge zur Regelung von
Mindestlöhnen im Bereich des Wach- und Sicherheitsgewerbes in Nordrhein-Westfalen nicht beachtet habe. Grundlage für diese
Feststellungen sei die Gegenüberstellung des jeweils vorgeschrieben Mindestlohns der Lohngruppe 2.0.11 mit den Arbeitsverträgen
und Lohnabrechnungen. Die so ermittelten Lohndifferenzen seien zu verbeitragen. Die zu wenig gezahlten Beiträge würden nunmehr
nachgefordert. Einige Arbeitnehmer seien zudem ohne Anmeldung zur Sozialversicherung beschäftigt gewesen. Die für diese Arbeitnehmer
ermittelten Stunden seien mit dem jeweiligen Mindestlohn multipliziert und sodann der Sozialversicherungs- und Beitragspflicht
unterworfen worden. In anderen Fällen seien Arbeitnehmer unter dem Mantel der Geringfügigkeit beschäftigt gewesen, tatsächlich
hätten sie jedoch mehr Arbeitsstunden geleistet. Die den jeweiligen Arbeitnehmern zuzuordnenden Stunden seien ebenfalls wieder
mit dem Mindestlohn multipliziert worden. Hierdurch sei es in einigen Fällen zur Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenzen
gekommen, sodass Sozialversicherungs- und Beitragspflicht entstanden sei. Die Zusammenstellung der zu wenig Zeiten Beiträge
sei der beigefügten Anlage "Berechnungen der Beiträge" zu entnehmen.
Gegen den Bescheid legte die Antragstellerin am 15.11.2012 ohne weitere Begründung Widerspruch ein. Ihr Antrag auf Akteneinsicht
wurde unter Hinweis auf das noch laufende Strafverfahren abgelehnt.
Sodann hat die Antragstellerin am 25.1.2013 bei dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Aus dem Bescheid vom 31.10.2012 sei nicht nachvollziehbar zu entnehmen,
welcher Verstoß ihr in welchem Umfang vorgeworfen werde. Es werde zwar auf einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag verwiesen,
aber in keiner Weise dargelegt, welche Tätigkeiten die einzelnen Mitarbeiter durchgeführt hätten. Auch sei nicht erkennbar,
von welchem Stundenlohn ausgegangen werde und welcher Tarifvertrag für welchen Zeitraum einschlägig sei. Der Bescheid sei
daher zu unbestimmt. Es sei nicht möglich zu erkennen, wie sich der Erstattungsbeitrag zusammensetze. Außerdem sei sie finanziell
nicht in der Lage, die geforderten Beiträge zu zahlen. Ein entsprechendes Guthaben sei nicht vorhanden.
Die Antragsgegnerin ist dem Begehren entgegengetreten. Der Bescheid sei ausreichend bestimmt. Die Berechnung der Beitragsforderung
bzw. der Säumniszuschläge ergebe sich aus den ausführlichen Anlagen zum Bescheid, die sie noch ergänzend erläutert hat.
Mit Beschluss vom 19.7.2013 hat das SG den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs abgelehnt. Nach summarischer Prüfung spreche nicht mehr
für als gegen den Erfolg des Rechtmittels. Es sei nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin zur Berechnung der Beiträge
auf die nach den im Zeitraum einschlägigen Lohntarifverträgen für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen
geschuldeten und nicht auf die tatsächlich geleisteten Löhne abgestellt habe. Im Beitragsrecht gelte das Entstehungsprinzip.
Die Tarifverträge seien im konkreten Fall anwendbar. Der Bescheid sei überdies auch hinreichend bestimmt, da sich die geltend
gemachte Forderung aus den detaillierten Anlagen zum Bescheid ergebe. Überdies sei eine unbillige Härte nicht ausreichend
glaubhaft gemacht.
Gegen den ihr am 25.7.2013 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 30.7.2013 unter Bezug auf das bisherige Vorbringen
Beschwerde eingelegt. Im Übrigen handele es sich um eine Überraschungsentscheidung. Die zuständige Kammer habe noch im Rahmen
eines Erörterungstermins darauf hingewiesen, dass sie den Bescheid für zu unbestimmt halte. Sie, die Antragstellerin, rege
einen Erörterungstermin an. Der Bevollmächtigte der Antragstellerin legt ferner an ihn gerichtete angebliche Schreiben des
Geschäftsführers der Klägerin vor, in denen dieser unter anderem Einstufungen der Ermittlungsbehörden hinsichtlich der Tätigkeit
von Mitarbeitern der Antragstellerin zum Bereich Revier- und Interventionsdienste, eine fehlende Gegenrechnung der bereits
geleisteten Pauschalbeiträge für geringfügig Beschäftigte und die Anwendung der Lohntarifverträge für das Wach- und Sicherheitsgewerbe
in Nordrhein-Westfalen für Mitarbeiter, die lediglich Aushilfshausmeistertätigkeiten ausgeführt hätten, rügt. Für den Mitarbeiter
I sei überdies arbeitsvertraglich ein Stundenlohn über der Lohngruppe 2.0.11. vereinbart gewesen.
Die Antragsgegnerin ist dem entgegengetreten. Sie hält den angefochtenen Beschluss des SG Düsseldorf für zutreffend.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet.
Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Wie das SG zutreffend feststellt hat, hat die Antragsgegnerin bei der Berechnung der Beiträge die Antragsgegnerin zu Recht nicht auf
das gezahlte, sondern auf das geschuldete Arbeitsentgelt abgestellt. Nach §
22 Abs.
1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IV) entsteht der Beitragsanspruch, sobald seine im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen.
Der Anspruch auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag entsteht dabei, wenn der Arbeitsentgeltanspruch entstanden ist, selbst
wenn der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt nicht oder erst später zahlt. Insoweit folgt das Sozialversicherungsrecht - anders
als das Steuerrecht - nicht dem Zufluss-, sondern dem sogenannten Entstehungsprinzip (BSG, Urteil v. 3.6.2009, B 12 R 12/07 R, SozR 4-2400 § 43a Nr. 5, Urteil v. 26.1.2005, B 12 KR 3/04 R, SozR 4-2400 § 14 Nr. 7; zur Verfassungsmäßigkeit des Entstehungsprinzips BVerfG, Beschluss v. 11.9.2008, 1 BvR 2007/05, SozR-2400 § 22 Nr. 3).
Zu Recht hat sodann die Antragsgegnerin zur Bestimmung der Höhe der Entgeltansprüche auf die (mit Einschränkungen) für den
Prüfzeitraum für allgemeinverbindlich erklärten Lohntarifverträge (Lohn-TV) für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen
abgestellt. Dabei handelt es sich um den Lohn-TV v. 9.3.2007, gültig vom 1.5.2007 bis zum 30.4.2008, mit Einschränkungen allgemeinverbindlich
für denselben Zeitraum (Allgemeinverbindlicherklärung [AVE] des Ministeriums für Arbeit Gesundheit und Soziales [MAGS] v.
22.10.2007, BAnz. Nr. 213, 8021); den Lohn-TV v. 17.4.2008 vom 1.5.2008 bis zum 30.4.2009, mit Einschränkungen allgemeinverbindlich
für denselben Zeitraum (AVE d. MAGS v. 4.11.2008, BAnz. Nr. 183, 43068) und den Lohn-TV v. 11.5.2009, gültig vom 1.5.2009
bis 30.6.2011, mit Einschränkungen allgemeinverbindlich für denselben Zeitraum (AVE d. MAGS v. 21.10.2009, BAnz. Nr. 174,
3930).
Ohne Bedenken erfassen die vorgenannten Tarifverträge über die entsprechenden AVEen die hier zu beurteilenden Beschäftigungsverhältnisse
in räumlicher, fachlicher und persönlicher Hinsicht. Es gibt insbesondere keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der
Antragstellerin nicht um ein Unternehmen des Bewachungs- und Sicherheitsgewerbes handelt. In persönlicher Hinsicht gelten
die Tarifverträge dabei für alle in diesem Unternehmen tätigen gewerblichen Arbeitnehmer und damit grundsätzlich auch für
solche, die keine eigentlichen Bewachungs- und Sicherheitsaufgaben wahrnehmen, wie zum Beispiel Arbeitnehmer, die Aushilfshausmeistertätigkeiten
ausführen. Zwar nehmen die AVEen einzelne Gruppen von Arbeitnehmern aus. Es ist jedoch nicht ersichtlich und von der Antragstellerin
nicht konkret vorgetragen worden, hinsichtlich welcher ihrer Mitarbeiter diese Ausnahmen aus welchen Gründen eingreifen sollen.
Dahingehende Feststellungen müssen vielmehr dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Das gilt insbesondere, soweit der
Geschäftsführer E in seinem Schreiben vom 26.8.2013 ausführt, seine Mitarbeiter seien nicht dem Bereich "Revier- und Interventionsdienste"
sondern dem der Tätigkeitskategorie "Separatwachdienst/Objektschutz" zuzuordnen. Die Lohngruppen dieses Bereiches sind gerade
für allgemeinverbindlich erklärt. Auf die dortige unterste Lohngruppe 2.0.11. hat die Antragsgegnerin zur Beitragsberechnung
des zu Grunde gelegten Lohndifferenzen abgestellt. Soweit des Weiteren durch Vorlage einer E-Mail des Geschäftsführers E die
Veranlagung eines Mitarbeiters namens I moniert wird, ist dies für den Senat nicht nachzuvollziehen. Für diesen Mitarbeiter
werden im angefochtenen Bescheid keine Beiträge nachgefordert. Der Name des Mitarbeiters ist in den Berechnungsanlagen nicht
zu finden.
3. Der angefochtene Bescheid ist auch ausreichend bestimmt i.S.v. § 33 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Das Bestimmtheitserfordernis bezieht sich auf die mit dem jeweiligen Bescheid getroffene Regelung, also den Verfügungssatz
des Verwaltungsaktes (BSG, Urteil v. 23.2.1989, 11/7 RAr 103/87, SozR 1500 § 55 Nr. 35; BSG, Urteil v. 9.12.2004, B 6 KA 44/03 R, BSGE 94, 50; Engelmann in: von Wulffen, SGB X, § 33 Rdnr. 3; Pattar in jurisPK-SGB X, § 33 Rdnr. 10). Insoweit ist dem angefochtenen Bescheid - wie von § 28p Abs. 1 Satz 5
SGB IV gefordert - unzweideutig zu entnehmen, für welche Zeiträume und welche Mitarbeiter Sozialversicherungsbeiträge in welcher
Höhe von der Antragstellerin nachzuzahlen sind. Wenn die Antragstellerin demgegenüber moniert, dass die Berechnung der Beiträge
für sie nicht nachvollziehbar sei, rügt sie der Sache nach nicht die mangelnde Bestimmtheit des Bescheides, sondern eine unzureichende
Begründung (§ 35 Abs. 1 SGB X). Insoweit reicht es jedoch, wenn der Adressat des Bescheides in die Lage versetzt wird, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen
bzw. zu verteidigen. Die Verwaltung darf sich deshalb auf die Angabe der maßgebend tragenden Erwägungen beschränken (vgl.
Engelmann a.a.O. § 35 Rdnr. 5 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt der angefochtene Bescheid, weil sich die Berechnung der
Beiträge für die einzelnen Mitarbeiter für die Antragstellerin hinreichend erkennbar aus den als Anlage beigefügten Tabellen
ergibt. Anhand dieser Informationen wird die Antragstellerin in die Lage versetzt, für jeden einzelnen Mitarbeiter die Berechnung
der Beiträge für jeden einzelnen Monat im Detail zu überprüfen. Dieser Berechnung ist die Antragstellerin im Übrigen nicht
substantiiert entgegengetreten.
4. Mit der Rüge einer angeblichen Überraschungsentscheidung hat die Antragstellerin schon deshalb keinen Erfolg, weil sie
im Beschwerdeverfahren ausreichend Gelegenheit zu rechtlichem Gehör hatte.
5. Im vorliegenden Verfahren kann der Senat auch dahinstehen lassen, ob die Antragsgegnerin der Antragstellerin im Verwaltungsverfahren
bisher zu Recht die Einsicht in die Verwaltungsakten verweigert hat. Denn es ist nicht erkennbar, inwieweit die Antragstellerin
hierdurch in der Wahrnehmung ihrer Rechte beeinträchtigt worden sein könnte. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes hätte
es genügt, einen Sachverhalt glaubhaft zu machen, der den von der Antragsgegnerin behaupteten Beitragsanspruch überwiegend
unwahrscheinlich macht. Der tatsächliche Sachverhalt ist der Antragstellerin jedoch auch ohne Akteneinsicht bekannt.
6. Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass die Vollziehung des Bescheides für die Antragstellerin eine unbillige
Härte bedeuten würde. Allein die mit der Zahlung auf eine Beitragsforderung für die Antragstellerin verbundenen wirtschaftlichen
Konsequenzen führen nicht zu einer solchen Härte, da sie lediglich Ausfluss der Erfüllung gesetzlich auferlegter Pflichten
ist. Aus demselben Grund begründet auch die Höhe einer Beitragsforderung allein keine unbillige Härte. Darüber hinausgehende
nicht oder nur schwer wiedergutzumachende Nachteile durch eine Zahlung hat die Antragstellerin nicht substantiiert dargelegt.
Hierzu reicht die pauschale Behauptung nicht aus, die ihr zur Verfügung stehenden Mittel genügten nicht zur Begleichung der
Forderung. Im Übrigen müsste das Interesse der Antragstellerin am Schutz vor der Forderung auch das Interesse der Antragsgegnerin
an der aktuellen Einziehung der Forderung überwiegen. Das Interesse der Antragsgegnerin an einer zeitnahen Durchsetzbarkeit
der Beitragsforderung wird aber gerade dann hoch sein, wenn behauptet wird, dass Zahlungsunfähigkeit drohe. Gerade in einer
solchen Situation ist die Antragsgegnerin gehalten, die Beiträge rasch einzutreiben, um die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherung
sicherzustellen. Eine beachtliche Härte in diesem Sinne ist also regelmäßig nur dann denkbar, wenn es dem Beitragsschuldner
gelingt darzustellen, dass das Beitreiben der Forderung aktuell die Zerstörung seiner Existenzgrundlage zu Folge hätte, die
Durchsetzbarkeit der Forderung bei einem Abwarten der Hauptsache aber zumindest nicht weiter gefährdet wäre als zur Zeit.
Hierzu hat die Antragstellerin indessen nichts vorgetragen.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §
154 Abs.
2 Verwaltungsgerichtsordnung. Hinsichtlich der Festsetzung des Streitwertes wird auf die Ausführungen des SG Bezug genommen
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).