Beitragsbemessung in der Kranken- und Pflegeversicherung
Beitragspflicht von Kapitalleistungen aus Direktversicherungen
Unerheblichkeit eines mehrjährigen zeitlichen Abstands und des vollständigen Verbrauchs bis zum Beginn des Rentenbezugs
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Beitragspflicht von Kapitalleistungen aus Direktversicherungen zur gesetzlichen Krankenversicherung.
Der 1953 geborene Kläger ist seit 01.02.2006 Mitglied der beklagten Krankenkasse, seit dem 01.01.2009 im Rahmen einer freiwilligen
Versicherung. Er bezieht seit dem 01.06.2016 eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung iHv zunächst monatlich 1.331,32
€ netto.
Während der Zeit seiner Beschäftigung als Versicherungskaufmann schloss die frühere Arbeitgeberin des Klägers als Versicherungsnehmerin
zu seinen Gunsten insgesamt sechs Lebensversicherungen als Direktversicherungen iS des
Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (
BetrAVG) bei der F Lebensversicherung AG (F) ab. Nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses des Klägers zum 31.12.2003 wurde dieser Versicherungsnehmer
der Lebensversicherungen, die ab diesem Zeitpunkt beitragsfrei gestellt waren.
Der Kläger war ab dem 01.01.2004 arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld (Alg) I. Er hatte zudem von seinem Arbeitgeber eine
Abfindung in Höhe von 169.000 € erhalten. Nach dem Ende des Alg I-Bezuges lebte der Kläger nach eigenen Angaben ua von der
Abfindung und von Einkünften aus verschiedenen Tätigkeiten.
Die sechs Kapitallebensversicherungen wurden iHv 8631,60 € zum Januar 2013, 59.554,01 € zum August 2013, 21.605,48 € sowie
1811,03 € zum Dezember 2013 und 2647,25 € zum Januar 2016 an den Kläger ausgezahlt.
Mit Bescheid vom 10.03.2016 setzte die Beklagte monatliche Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 01.06.2016
iHv von 400,05 € (344,43 € Krankenversicherungsbeitrag und 55,62 € Pflegeversicherungsbeitrag) auf der Grundlage eines monatlichen
Einkommens von 2139,31 € fest. Hierbei berücksichtigte sie erstmals die Leistungen aus den Direktversicherungen, nachdem zuvor
die Beitragsbemessung mangels - nach eigenen Angaben - eigener Einnahmen des Klägers nach der Mindestbeitragsbemessungsgrenze
erfolgte, da auch die rechnerische Verteilung der Auszahlungsbeträge der Direktversicherungen auf einen Zeitraum von 120 Monate
ein monatlich zu berücksichtigendes Einkommen unter der Mindestbeitragsbemessungsgrenze ergeben hatte.
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger ua geltend, er habe kein monatliches Einkommen von 2139,31 €. Seine
monatliche Rente betrage 1331,32 €. Die von der Beklagten für die Beitragserhebung berücksichtigten Kapitalleistungen habe
er zur Sicherung seines Lebensunterhalts verbraucht.
Mit Änderungsbescheid vom 20.04.2016 setzte die Beklagte die Beitragshöhe ab 01.06.2016 wegen eines weiteren monatlichen Einkommens
von 22,06 € aus der bis dahin nicht berücksichtigten Kapitalauszahlung aus der letzten Lebensversicherung (2647,25 € ausgezahlt
im Januar 2016) fest. Auf der Grundlage eines monatlichen Gesamteinkommens von 2161,37 € ergab sich ein Beitrag zur Kranken-
und Pflegeversicherung von 404,18 € monatlich (347,98 € Krankenversicherung und 56,20 € Pflegeversicherung).
Für Folgezeiträume ab dem 01.07.2016 ergingen unter dem 23.08.2016 und dem 04.01.2017 weitere Beitragsbescheide, gegen die
der Kläger jeweils Widerspruch einlegte. Die Widersprüche wurden durch Widerspruchsbescheid vom 12.09.2017 als unbegründet
zurückgewiesen.
Der Kläger hat am 10.10.2017 Klage zum Sozialgericht Köln (SG) erhoben und zur Begründung ausgeführt, die aus den Lebensversicherungen der betrieblichen Altersversorgung ausgezahlten
Kapitalleistungen seien nicht als Einkommen bei der Beitragsbemessung zu berücksichtigen, da sie verbraucht und nicht mehr
vorhanden seien. Die rechtliche Regelung in §
240 SGB Fünftes Buch des Sozialgesetzbuches (
SGB V) gehe davon aus, dass Gelder noch vorhanden seien und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Versicherten steigerten.
Im Klageverfahren haben sich die Beteiligten darauf geeinigt, den Rechtsstreit auf die Überprüfung der Krankenversicherungsbeiträge
in den Beitragsbescheiden vom 10.03.2016 und 20.04.2016 zu beschränken. Die Beklagte hat sich verpflichtet, die Folgebescheide
und die Beiträge für die Pflegeversicherung im Falle eines Erfolgs der Klage entsprechend dem Ausgang des Rechtsstreits anzupassen.
Das SG hat mit Urteil vom 12.02.2020 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es sei unstreitig, dass es sich bei den
Kapitalleistungen um Auszahlungen aus Lebensversicherungen der betrieblichen Altersversorgung handele. Die Kapitalbeträge
beruhten ausschließlich auf Beitragszahlungen in Zeiten, in denen der Kläger in einem Arbeitsverhältnis gestanden und nicht
er, sondern sein Arbeitgeber Versicherungsnehmer gewesen sei. Versicherungsnehmer sei der Kläger erst ab dem 01.01.2004 geworden.
Ab dann seien diese Lebensversicherungen jedoch beitragsfrei gewesen. Bei den Kapitalauszahlungen handele es sich um nicht
regelmäßig wiederkehrende Leistungen im Sinne von §
229 Abs
1 S 3
SGB V, die als Versorgungsbezüge der Beitragspflicht unterlägen. Versorgungsbezüge seien bei freiwillig versicherten Rentnern nach
§
238a SGB V der Beitragsbemessung zugrunde zu legen. Gemäß §
229 Abs
1 S 3
SGB V gelte ein Einhundertzwanzigstel des als nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung gezahlten Betrages als monatlicher Zahlbetrag
der Versorgungsbezüge, längstens für 120 Monate. Eine solche Aufteilung habe die Beklagte rechnerisch zutreffend vorgenommen.
Dass der Kläger seinem Vortrag zufolge die ausgezahlten Kapitalleistungen zwischenzeitlich verbraucht hat, sei nicht entscheidungserheblich.
Es komme nicht darauf an, ob der Zahlbetrag für den Gesamtzeitraum der 120 Monate - noch - vorhanden sei. Das Gesetz sehe
insoweit keine Einschränkungen vor. Verfügungen des originär Berechtigten über den Zahlbetrag beeinflussten die Beitragspflicht
grundsätzlich nicht (Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 10.10.2017, B 12 KR 1/16 R, - BSGE 124, 188-195, SozR 4-2500 § 240 Nr 33). Eine Gesetzeslücke bei Verbrauch der ausgezahlten Kapitalleistung bestehe nicht. Eine Umgehung
der Beitragspflicht der Kapitalleistung durch schnellen Verbrauch des Geldes sei ausgeschlossen. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
des freiwilligen Mitglieds sei für die Beitragsbemessung nur relevant hinsichtlich sonstiger Einnahmen. Dies folge eindeutig
aus der Gesetzesformulierung in §
238a 2. HS
SGB V. Die Vorschrift lege die Reihenfolge fest, wie Einnahmearten bei freiwillig versicherten Rentnern der Beitragsbemessung zugrunde
zu legen seien. Nach der Aufzählung von Rente, Versorgungsbezügen und Arbeitseinkommen seien zuletzt "die sonstigen Einnahmen,
die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds bestimmen (§ 240 Abs 1) bis zur Beitragsbemessungsgrenze
zugrunde" zu legen. Somit sei nur bei den sonstigen Einnahmen, die nicht Rente, Versorgungsbezüge oder Arbeitseinkommen seien,
die Auswirkung auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit maßgeblich.
Der Kläger hat gegen das ihm am 25.02.2020 zugestellte Urteil am 11.03.2020 Berufung eingelegt, zu deren Begründung er unter
Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens insbesondere ausführt, das Zweite Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) verlange des Verbrauch des Vermögens, welches bei ihm die Kapitalbetriebsrente gewesen sei. Es müsse, insbesondere im Hinblick
auf Art
3 Abs
1 des
Grundgesetzes (
GG) einen Unterschied machen, ob das Kapital zum Lebensunterhalt verwendet worden oder hiervon Luxusausgaben getätigt worden
seien. Im Übrigen sei er in der Zeit, in der er die Versicherungssummen angespart habe, privat versichert gewesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 12.02.2020 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 10.03.2016
in der Fassung des Bescheides vom 20.04.2016 und in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2017 zu verurteilen, festzustellen,
dass die Auszahlungen aus Kapitalleistungen bzw Direktversicherungen aus den sechs Lebensversicherungen der F Lebensversicherung
nicht der Beitragspflicht zur Krankenversicherung unterliegen und dementsprechend den Beitrag hierzu für Juni 2016 neu festzusetzen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin anstelle des Senats - §
155 Abs
3 und
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) - einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten
der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die, auch auf die Feststellung der Rechtmäßigkeit der Verbeitragung der Kapitalleistungen aus den Direktversicherungen bei
der F insgesamt gerichtete, zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte hat die dem Kläger in der Zeit von 2013 bis 2016 gezahlten Kapitalleistungen
aus den als Direktversicherungen abgeschlossenen Lebensversicherungen im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben der Beitragspflicht
unterworfen.
Zu entscheiden ist über die Rechtmäßigkeit nur der Bescheide vom 10.03.2016 und 20.04.2016 und nur (noch) insoweit, als sie
die Beitragspflicht der streitgegenständlichen Kapitalleistungen zur gesetzlichen Krankenversicherung feststellen. Die Beteiligten
haben insbesondere hinsichtlich der Beitragspflicht zur gesetzlichen Pflegeversicherung eine anderweitige Regelung getroffen.
Diese Bescheide sind rechtmäßig. Zur Begründung wird im Wesentlichen auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen
und insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen - §
152 Abs
2 SGG -.
Nach §
240 Abs
1 und Abs
2 SGB V wird die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung einheitlich durch den Spitzenverband
Bund der Krankenkassen geregelt; dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt und bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mindestens die Einnahmen
des freiwilligen Mitglieds herangezogen werden, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung
zugrunde zu legen sind. Diesem Regelungsauftrag ist der Spitzenverband Bund der Krankenkassen durch den Erlass der "Einheitlichen
Grundsätze zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer Mitgliedergruppen
sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge" (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler)
nachgekommen. Gemäß § 2 Abs 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler werden die Beiträge nach den beitragspflichtigen Einnahmen
des Mitglieds bemessen, wobei die Beitragsbemessung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds zu berücksichtigen
hat. Als beitragspflichtige Einnahmen sind ua der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge zugrunde zu legen, § 3 Abs 1 S 1 Beitragsverfahrensgrundsätze
Selbstzahler. Um einen beitragspflichtigen Versorgungsbezug im Sinne dieser Regelung handelt es sich bei den von der F gezahlten
Kapitalleistungen aus den Lebensversicherungen, wie das SG im angefochtenen Urteil bereits zutreffend dargelegt hat. Die Versicherungen dienten auch der Altersversorgung des Klägers,
da sie frühestens im Jahr der Vollendung seines 60. Lebensjahres in Anspruch genommen werden konnten. Die Zahlungen auf die
Lebensversicherung sind von der Arbeitgeberin in ihrer damaligen Stellung als Versicherungsnehmerin erbracht worden.
Die Beklagte hat gemäß §
229 Abs
1 S 3
SGB V auch zutreffend 1/120 der Kapitalleistungen für die Dauer von zehn Jahren der Beitragspflicht ab dem jeweiligen Auszahlungszeitpunkt
unterworfen. Damit ist der Kläger iü bereits dadurch begünstigt, dass für die Zeit bis 31.05.2016 keine Beiträge auf die Kapitalleistungen
erhoben wurden und sie damit, jedenfalls soweit sie bereits 2013 ausgezahlt wurden, also zum größten Teil, für weniger als
zehn Jahre verbeitragt werden.
Entgegen der Auffassung des Klägers wird der Versorgungszweck der Altersvorsorge nicht dadurch in Frage gestellt, dass bis
zu seinem regulären Renteneintritt noch bis zu 3 Jahre, 5 Monate ab Auszahlung der Kapitalzahlung liegen. Der bei Abschluss
der Direktversicherungsverträge bestehende Zweck der Altersversorgung wird hierdurch nicht nachträglich wieder beseitigt.
Soweit der Kläger behauptet, die Kapitalleistungen vollständig zur Sicherung seines Lebensunterhalts in der Zeit von Januar
2013 bis zum Beginn des Rentenbezugs, dem Juni 2016, verbraucht zu haben, schließt dies, als wahr unterstellt, deren Berücksichtigung
als beitragspflichtigen Versorgungsbezug nicht aus. Verfügungen des originär Berechtigten über den Zahlbetrag beeinflussen
die Beitragspflicht grundsätzlich nicht (st Rspr des BSG, vgl ua Urteil vom 16. Dezember 2015 - B 12 KR 19/14 R -, SozR 4-2500 § 226 Nr 2, Rn 18 mwN). Dass die Kapitalleistungen unter bestimmten Voraussetzungen zum zu berücksichtigenden
Vermögen iS des § 12 SGB II gehören und dort nicht abgesetzt werden können, stellt möglicherweise ein Problem der Systematik des SGB II dar, kann jedoch nicht dazu führen, dass die vom Gesetzgeber im Rahmen des
SGB V ausdrücklich gewollte Verbeitragung hierdurch ausgehebelt wird.
Dass der Kläger in der Zeit, in der die Versicherungssummen für die Direktversicherungen angespart wurden, privat krankenversichert
war, ist für die Beitragsbemessung unerheblich.
Schließlich ist auch kein Verstoß gegen Art
3 GG erkennbar, zumal die Verbeitragung von Kapitalzahlungen der betrieblichen Altersversorgung nach hRspr nicht gegen Verfassungsrecht
verstößt (ua Entscheidungen des BSG vom 12.11.2008, B 12 KR 6/08 R, B 12 KR 9/08 R und B 12 KR 10/08 R, jeweils mwN; zuletzt Urteile vom 30.03.2011, B 12 KR 24/09 R und 16/10 R, und vom 25.04.2012, B 12 KR 26/10 R, aaO und des BverfG Beschlüsse vom 04.04.2008, 1 BvR 1924/07 und vom 06.09.2010, 1 BvR 739/08, SozR 4-2500 § 229 Nr 10).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Anlass zur Zulassung der Revision besteht nicht, da die Voraussetzungen gemäß §
160 Abs
2 SGG nicht erfüllt sind. Der Senat folgt ausdrücklich der Rechtsprechung des BSG.