Tatbestand
Die Beteiligten streiten über Kosten für eine Krankenhausbehandlung.
Die bei der Beklagten versicherte Frau N C (geb. am 00.00.1944) wurde in der Zeit vom 20.12.2011 bis 20.02.2012 im klägerischen
Krankenhaus stationär behandelt. Hierfür stellte die Klägerin der Beklagten am 28.02.2012 80.083,53 EUR in Rechnung. Sie berechnete
u.a. das Zusatzentgelt 84.07 (Gabe von Apharese-Thrombozytenkonzentraten).
Die Beklagte bezahlte den geforderten Betrag und leitete eine Überprüfung des Behandlungsfalles durch den Medizinischen Dienst
der Krankenversicherung (MDK) ein. Dieser gelangte am 21.05.2013 zu der Auffassung, dass die Abrechnung einschließlich der
Zusatzentgelte korrekt sei.
Mit Schreiben vom 27.10.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10.03.2015 - B 1 KR 2/15 R - nur in bestimmten Ausnahmefällen Apharese-Thrombozytenkonzentrate verabreicht werden könnten. Diese hätten aber im Falle
der Versicherten C nicht vorgelegen. Das entsprechend abgerechnete und bezahlte Zusatzentgelt werde daher verrechnet. In einem
Zahlungsavis vom 02.11.2015 verrechnete die Beklagte sodann einen Betrag in Höhe von 3.509,80 EUR mit anderen unstreitigen
Forderungen der Klägerin.
Die Klägerin hat am 06.01.2017 Klage erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass die Beklagte gegen das Aufrechnungsverbot
nach § 15 Abs. 4 Satz 2 des nordrhein-westfälischen Landesvertrags nach §
112 Abs.
2 Satz 1 Nr.
1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) verstoßen habe. Eine Beanstandung rechnerischer Art liege dem Rückforderungsanspruch, dessen sich die Beklagte berühme,
nicht zu Grunde, denn sie mache keinen Rechenfehler geltend, sondern bezweifele die Richtigkeit der Abrechnung der Behandlung,
greife also die sachliche Berechtigung der Höhe der geforderten und gezahlten Vergütung an. Hinsichtlich solcher Beanstandungen
sachlicher Art schließe der nordrhein-westfälische Landesvertrag eine Verrechnung aus. Im Übrigen stehe der Beklagten aus
dem Behandlungsfall C kein Erstattungsanspruch zu. Der MDK habe in einem Schreiben vom 21.05.2013 erklärt, dass ihre Abrechnung
vollständig korrekt gewesen sei.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.509,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
seit dem 03.11.2015 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf das Urteil des BSG vom 10.03.2015 - B 1 KR 2/15 R - hingewiesen. Die Verrechnung sei zulässig. Die Klägerin agiere zudem treuwidrig, da sie die Klage in Kenntnis der BSG-Rechtsprechung und ihres Schreibens vom 27.10.2015 erhoben habe. Sie hätte mit der Rechnungsstellung aufzeigen müssen, warum
die Gabe von Apharese-Thrombozytenkonzentraten angezeigt gewesen sei. Ohne diese Angabe sei die Rechnung fehlerhaft. Aufgrund
sachlich-rechnerischer Richtigstellung sei die Verrechnung in zulässiger Weise erfolgt.
Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die Beklagte durch Urteil vom 30.06.2017 antragsgemäß zur Zahlung verurteilt. Die dem Grunde nach unstreitigen
Vergütungsansprüche, gegen die die Beklagte im Zahlungsavis vom 02.11.2015 aufgerechnet habe, seien nicht dadurch erloschen,
dass die Beklagte wirksam mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung
der Versicherten N C analog §
387 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) die Aufrechnung erklärt habe. Denn die Aufrechnung sei gemäß § 15 Abs. 4 Satz 2 des nordrhein-westfälischen Landesvertrages unzulässig. Eine Beanstandung rechnerischer Art liege dem Rückforderungsanspruch
nicht zugrunde, denn die Beklagte mache keine Rechenfehler geltend, sondern vertrete die Auffassung, dass das Zusatzentgelt
84.07 (Gabe von Apharese-Thrombozytenkonzentraten) nicht habe kodiert werden dürfen. Sie greife damit die sachliche Berechtigung
der Höhe der geforderten und gezahlten Vergütung an. Hinsichtlich solcher Beanstandungen sachlicher Art schließe § 15 Abs.
4 Satz 2 des nordrhein-westfälischen Landesvertrages eine Verrechnung aus. Es handele sich auch nicht um eine Abrechnung,
die "auf vom Krankenhaus zu vertretenden unzutreffenden Angaben" im Sinne des § 15 Abs. 4 Satz 2 des Landesvertrages beruhe.
Denn aus dem Wortlaut und Regelungskonzept des Landesvertrages sei zu schließen, dass lediglich bei ausschließlich formalen
Fehlern in der Abrechnung eine Verrechnung zulässig sein solle, also etwa bei Rechenfehlern oder bei nachweislich unzutreffenden
Angaben des Krankenhauses. Das erfasse nicht die Abrechnung des hier streitigen Zusatzentgelts 84.07, weil die Klägerin die
Fehlerhaftigkeit dieser Kodierung bestreite. Zudem lege der systematische Zusammenhang zwischen Satz 1 und Satz 2 des § 15
Abs. 4 des Landesvertrages nahe, dass eine Verrechnung immer unzulässig sei, wenn die Beanstandung sachlicher Natur sei. Anhaltspunkte
für ein treuwidriges Verhalten der Klägerin lägen nicht vor. Vielmehr hätte die Beklagte nach Bekanntwerden des BSG-Urteils vom 10.03.2015 selbst auf Erstattung des aus ihrer Sicht überzahlten Betrages klagen können. Dann hätte jedenfalls
die Unzulässigkeit der Aufrechnung dem Anspruch nicht entgegengestanden.
Gegen das ihr am 24.07.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte gleichentags Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie
an, sie habe eine nach dem Landesvertrag zulässige Aufrechnung vorgenommen. Die Behandlung der Versicherten mit Apherese-Thrombozytenkonzentraten
sei nicht wirtschaftlich gewesen. Die Klägerin habe mit Rechnungsstellung aufzeigen müssen, warum ausnahmsweise Apherese-Thrombozytenkonzentrate
angezeigt gewesen seien. Ohne diese Angabe leide die Rechnung an einem formellen Fehler, der nach Landesvertrag zur Aufrechnung
berechtige.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 30.06.2017 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat kann die Berufung durch Beschluss zurückweisen, da die Berufsrichter sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche
Verhandlung nicht für erforderlich halten. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden (§
153 Abs.
4 Satz 1 und
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)).
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das SG hat der Klage mit zutreffender Begründung stattgegeben. Denn die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung von 3.509,80 EUR nebst
Zinsen in geltend gemachter Höhe. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die Entscheidungsgründe des
angefochtenen Urteils, denen er sich nach eigener Prüfung anschließt (§
153 Abs.
2 SGG), und führt ergänzend aus:
Die Beklagte durfte aufgrund des in §
15 Abs.
4 Satz 2 des Vertrages nach §
112 Abs.
2 Nr.
1 SGB V vom 06.12.1996 vereinbarten Verrechnungsverbots nicht gegen den Zahlungsanspruch der Klägerin aufrechnen. Das SG hat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen zutreffend herausgestellt,
dass der bereits am 08.04.2003 gekündigte, aber aufgrund Vereinbarung der Vertragspartner bis zu einer weiterhin nicht erfolgten
Neuregelung weiter anzuwendende und auch für Krankenkassen außerhalb Nordrhein-Westfalens geltende Landesvertrag in § 15 Abs.
4 Satz 2 eine Aufrechnung nur in bestimmten Fällen zulässt (Senat, Urteil vom 18.12.2013 - L 11 KR 378/12 -; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 06.12.2016 - L 1 KR 358/15 -; vom 24.05.2012 - L 16 KR 8/09 - und vom 03.06.2003 - L 5 KR 205/02 -). §
112 Abs.
2 Satz 1 Nr.
1 b)
SGB V ermächtigt ausdrücklich zur Vereinbarung von Regelungen auch über die Abrechnung von Entgelten. Dies schließt die Möglichkeit
von Vereinbarungen über die Zulässigkeit und Grenzen von Aufrechnungen mit ein (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 06.12.2016
- L 1 KR 358/15 -).
Das Aufrechnungsverbot des § 15 Abs. 4 Satz 2 des Landesvertrages ist hier einschlägig, denn die Beklagte hat den von ihr
geltend gemachten Erstattungsanspruch darauf gestützt, dass nach der Rechtsprechung des BSG nur in bestimmten Ausnahmefällen Apharese-Thrombozytenkonzentrate verabreicht werden dürften, die aber im Fall der Versicherten
N C nicht vorgelegen hätten. Damit hat sie die Abrechnung in sachlicher Hinsicht, namentlich in Bezug auf die Einhaltung des
Wirtschaftlichkeitsgebots, beanstandet. Ein Fall des § 15 Abs. 4 Satz 2 des Landesvertrages lag demgegenüber nicht vor.
Ausgehend von dem Wortlaut des § 15 Abs. 4 des Landesvertrages
"Beanstandungen rechnerischer oder sachlicher Art können auch nach Bezahlung der Rechnung geltend gemacht werden. Bei Beanstandungen
rechnerischer Art sowie nach Rücknahme der Kostenzusage und, falls eine Abrechnung auf vom Krankenhaus zu vertretenden unzutreffenden
Angaben beruht, können überzahlte Beträge verrechnet werden."
hätte, da die Alternativen "Beanstandung rechnerischer Art" und "Rücknahme der Kostenzusage" nicht in Betracht kommen, eine
Verrechnung allein dann erfolgen können, wenn die Abrechnung der Klägerin auf von ihr zu vertretenen unzutreffenden Angaben
beruhen würde. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Klägerin hat nur die nach ihrer Auffassung für die erbrachten Leistungen
einschlägige Fallpauschalennummer, Zusatzentgelte und den Rechnungsbetrag angegeben. Diese Angaben spiegeln lediglich eine
auf einer Subsumtion eines umfassenden Lebenssachverhalts beruhende Wertung wieder, nämlich dass die erbrachten Behandlungsleistungen
den Vorgaben der Fallpauschalennummer und Zusatzentgelte entsprechen. Die Frage, ob diese Wertung zutreffend ist, macht die
Bekanntgabe des Wertungsprozesses durch Zuordnung einer Fallpauschalennummer oder eines Zusatzentgelts nicht zu einer "unzutreffenden
Angabe" i.S.d. § 15 Abs. 4 des Landesvertrages wie z.B. die Angabe einer falschen Verweildauer, eines falschen Befundes oder
einer nicht durchgeführten Behandlungsmaßnahme (s. z.B. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.09.2011 - L 16 KR 212/08 -). Selbst wenn man die Auffassung der Beklagten, dass vorliegend bereits in der Abrechnung für die Versicherte N C die Angabe
des Grundes für die Gabe von Apharese-Thrombozytenkonzentraten fehlte, als zutreffend unterstellt, beruht die Abrechnung nicht
auf vom Krankenhaus zu vertretenden unzutreffenden Angaben. Das Fehlen einer Angabe ist nicht mit einer unzutreffenden Angabe
gleichzusetzen. Im letztgenannten Fall provoziert das rechnungstellende Krankenhaus aktiv einen Irrtum beim Rechnungsempfänger,
weshalb diesem nach Zahlung eines überhöhten Betrags der erleichterte Weg der Rückforderung durch Aufrechnung zustehen soll.
Gänzlich fehlende, aber für den Eintritt der Fälligkeit erforderliche Angaben (vgl. BSG, Urteil vom 14.10.2014 - B 1 KR 26/13 R -) führen den Rechnungsempfänger hingegen nicht in die Irre. Er kann selbst erkennen, dass Angaben nicht gemacht wurden und
daher wegen fehlender Fälligkeit die Zahlung verweigern. Auf eine (erleichterte) Rückforderung ist er gar nicht erst angewiesen.
Eine andere Beurteilung der Vorgaben des Landesvertrages würde die vertraglichen Regelungen des § 15 Abs. 4 Satz 2 des Landesvertrages
konterkarieren. Diese wären dann nämlich schon deshalb überflüssig, weil ansonsten entgegen dem Willen der Vertragsparteien
in allen denkbaren Fällen eine Verrechnung möglich wäre. Insbesondere könnte ohne Einschränkung bei jedem Streit über die
sachliche Berechtigung des Vergütungsanspruchs eine Verrechnung erklärt werden, weil der Geltendmachung eines Vergütungsanspruchs
regelmäßig auch eine Wertung des Krankenhauses zugrunde liegt. Gerade dies sollte u.a. im Hinblick auf die sonst bestehende
Liquiditätsgefährdung des Krankenhauses vermieden werden; eine Verrechnung sollte nur in geregelten Ausnahmefällen möglich
sein (vgl. dazu Senat, Urteil vom 18.12.2013 - L 11 KR 378/12 -; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 03.06.2003 - L 5 KR 205/02 -).
Der von der Klägerin geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich aus § 15 Abs. 1 Satz 4 des Landesvertrages i.V.m. § 1 Diskontsatzüberleitungsgesetz
(vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.09.2011 - L 16 KR 212/08 -; BSG, Urteil vom 10.03.2015 - B 1 KR 3/15 R -). Danach kann das Krankenhaus bei Überschreitung des Zahlungsziels (15 Tage nach Eingang der Rechnung, § 15 Abs.1 Satz 1 Landesvertrag) nach Maßgabe der §§
284,
285,
288 Abs.
1 BGB Verzugszinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins der Europäischen Zentralbank ab dem auf den Fälligkeitstag
folgenden Tag verlangen.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Abs.
2 SGG).