Tatbestand
Der Kläger begehrt Entschädigung wegen Staatshaftung nach §
198 Gerichtsverfassungsgesetz (
GVG). Er macht eine unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens S 45 (40) R 163/09 Sozialgericht (SG) Düsseldorf geltend.
Der Kläger war Geschäftsführer der Reifen I GmbH (Klägerin im Ausgangsverfahren). Diese wandte sich mit ihrer am 24.09.2009
vor dem SG Düsseldorf erhobenen Klage gegen die Verpflichtung zur Nachzahlung von Beiträgen zur Sozialversicherung in Höhe
von 27.129,50 EUR. Der Klageerhebung schloss sich ein Austausch von Schriftsätzen der Beteiligten an. Mit Schreiben vom 24.02.2010
wies das SG die Beklagte darauf hin, dass die Klage nach derzeitigem Stand insoweit Erfolgsaussichten habe, als sie zu weiteren Ermittlungen
an sie zurückverwiesen werden könne, und setzte eine Frist zur Stellungnahme bis zum 15.03.2010. Nach erneutem Schriftwechsel
der Beteiligten übersandte das SG am 19.05.2010 die Erwiderung der Klägerin an die Beklagte zur Kenntnis. Die Mitteilung der Klägerin vom 23.07.2010, dass
das Strafverfahren eingestellt worden sei, erhielt die Beklagte zur Kenntnis und freigestellten Stellungnahme. Sodann teilte
das SG der Klägerin mit Schreiben vom 30.09.2010 mit, dass die Zahlung der Geldauflage als Eingeständnis gewertet werden könne.
Es schloss sich wiederum ein Schriftwechsel der Beteiligten an, der damit endete, dass das SG den Beteiligten den Eingang der bei der Staatsanwaltschaft angeforderten Akten mit Verfügung vom 01.12.2011 mitteilte und
die Streitsache zum Erörterungstermin verfügte. Auf eine Sachstandsanfrage der Klägerin vom 22.06.2011 teilte das SG mit, dass der Zeitpunkt der Entscheidung nicht vorausgesagt werden könne und zahlreiche ältere Verfahren anhängig seien.
Mit Schreiben vom 08.09.2011 bat das SG die Beteiligten um weitere Angaben und forderte einen Handelsregisterauszug an. Am 04.10.2010 veranlasste das SG die Übersendung der Antwort der Klägerin an die Beklagte. Im Dezember 2012 übersandte das SG Ablichtungen aus den Akten der Staatsanwaltschaft an die Beklagte mit der Bitte um Auswertung binnen sechs Wochen. Am 30.01.2012
erinnerte es die Beklagte, zudem schloss sich ein Schriftwechsel zwischen den Beteiligten an. Am 30.04.2012 veranlasste das
SG die Übersendung von Kopien aus der Akte der Staatsanwaltschaft an die Klägerin und bat um Stellungnahme. Die Verfügung wurde
am 02.05.2012 ausgeführt. Am 04.06.2012 übersandte die Klägerin ihre Stellungnahme und rügte die Verzögerung des Verfahrens.
Dieses Schreiben beantwortete das SG mit Schreiben vom 13.06.2012 und forderte zugleich Akten vom Hauptzollamt L an. Am 27.06.2012 übersandte das SG die Akten an die Klägerin, erinnerte mit Verfügung vom 26.07.2012 an deren Rücksendung und fragte am 09.08.2012 bei der Klägerin
nach, ob eine ergänzende Stellungnahme beabsichtigt sei. Im Oktober richtete es zwei Sachstandsanfragen an die Klägerin. Am
06.11.2012 ging eine Stellungnahme der Klägerin ein. Nach Erwiderung der Beklagten vom 20.11.2012 forderte das SG die Klägerin am 21.11.2012 zur weiteren Stellungnahme und Vorlage näher bezeichneter Unterlagen auf. Es erinnerte die Klägerin
am 27.12.2012. Nach weiterem Schriftwechsel vom 11.01.2013, 06.02.2013 und 26.03.2013 rügte die Klägerin am 26.03.2013 erneut
die überlange Dauer des Verfahrens. Das SG teilte mit, die Anberaumung eines Erörterungstermins sei für den 13.05.2015 avisiert, und bat beide Beteiligte um die Benennung
von Zeugen. Es schloss sich ein weiterer Schriftwechsel an. Am 06.05.2013 lud das SG die Streitsache zum Erörterungstermin am 26.08.2015. Am 31.05.2013 stellte die Klägerin den Antrag, den Kammervorsitzenden
als befangen abzulehnen. Der Antrag wurde mit Beschluss vom 20.06.2013 als unzulässig "zurückgewiesen". Am 09.08.2013 stellte
die Klägerin erneut einen Befangenheitsantrag, der mit Beschluss vom 22.08.2013 "zurückgewiesen" wurde. Im Nachgang zum Erörterungstermin
vom 26.08.2013 schloss sich ein Schriftwechsel der Beteiligten an, der mit der Beklagten am 03.12.2013 zur Kenntnis übersandtem
Schriftsatz der Klägerin endete. Am 13.03.2014 erhob die Klägerin erneut eine Verzögerungsrüge. Am 07.04.2014 entschied das
SG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zu Gunsten der Klägerin (im Ausgangsverfahren).
Am 07.10.2014 hat der Kläger eine Entschädigungsklage (§
198 GVG) vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf erhoben, die dieses mit Beschluss vom 20.10.2014 an das Landessozialgericht (LSG)
Nordrhein-Westfalen verwiesen hat. Zur Begründung trägt der Kläger vor, das sozialgerichtliche Verfahren sei um 4,5 Jahre
verzögert gewesen. Die Rechtslage sei dem SG seit Februar 2010 bekannt gewesen, so dass bereits im April 2010 eine abschließende Entscheidung hätte getroffen werden können
und sich im Gerichtsverfahren eine Verzögerung von vier Jahren ergebe. Eine Umsetzung der gerichtlichen Erkenntnis von Anfang
des Jahres 2010 sei nicht erfolgt. Weder sei der Klage stattgeben worden, damit die seinerzeitige Beklagte die offensichtlich
fehlenden Ermittlungen habe nachholen können, noch habe das SG zeitnah eine entsprechende Beweisaufnahme veranlasst. Auch die Bearbeitungsweise des Vorverfahrens durch die Beklagte sei
für die Entschädigungsklage von Bedeutung. Eine entsprechende Regelung gebe es mit §
199 GVG für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und das Steuerstrafverfahren. Auch im hier zu entscheidenden Fall sei die Eingriffsintensität
hoch, weil die Verwaltungsbehörde befugt gewesen sei, einen vollstreckbaren Titel zu schaffen. Zudem sei nach der Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auch das verwaltungsgerichtliche Vorverfahren in die Berechnung der maßgeblichen
Verfahrensdauer einzubeziehen. Vorliegend sei im Verwaltungsverfahren eine Verzögerung von einem halben Jahr festzustellen.
Infolge der Belastung durch die gegen ihn geführten Verfahren sei der Kläger ab Anfang September 2009 in psychiatrischer Behandlung
gewesen. Für immaterielle Schäden mache er einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 5.400,00 EUR geltend. Zudem begehre er
21.770,08 EUR für materielle Schäden. Dieser Betrag setze sich zusammen aus den Arztrechnungen über insgesamt 4.814,44 EUR,
der Zahlung zwecks Einstellung des Strafverfahrens in Höhe von 15.000.00 EUR und den Kosten seiner Verteidigung im Strafverfahren
in Höhe von 1.965,36 EUR. Eine Verzögerungsrüge habe auch vor dem Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen
Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) erhoben werden können und sei tatsächlich erfolgt. Daher
sei die Erhebung einer weiteren Rüge unverzüglich nach deren Inkrafttreten nicht mehr erforderlich gewesen.
Auf den Hinweis des Senats, dass Klägerin des Ausgangsverfahrens die I GmbH und nicht der Kläger letzterer als seinerzeitiger
Geschäftsführer der das Ausgangsverfahren betreibenden GmbH nicht Verfahrensbeteiligter i.S.d. §
69 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) gewesen sei, hat der Kläger erklärt, dass keine Benennung einer anderen Person als Kläger erfolge. Die Verfahrensbeteiligung
des gesetzlichen Vertreters einer juristischen Person sei unzweifelhaft gegeben. Die GmbH als juristische Person bedürfe zwingend
der gesetzlichen Vertretung durch ihren Geschäftsführer. Dieser sei nach § 35 Abs. 1 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) bei allen Rechtshandlungen im gerichtlichen Ausgangsverfahren für die GmbH tätig gewesen und sei dementsprechend am gesamten
Verfahren auch beteiligt. Er habe seine Rechtsstellung auch nicht willkürlich gewählt. Seine Beteiligung folge aus den gesetzlichen
Vorgaben. Irrelevant sei, dass auch juristische Personen eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer einklagen können.
Der Kläger beantragt,
das beklagte Land zu verurteilten, an ihn wegen unangemessener Dauer des Verfahrens Sozialgericht Düsseldorf - S 45 (40) R
163/09 - eine Entschädigung in Höhe von 27.170,80 EUR zu zahlen.
Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es macht geltend, der Kläger habe erst am 04.06.2012 und damit nicht unverzüglich im Sinne des Art. 23 ÜGG nach Inkrafttreten
des ÜGG eine Verzögerungsrüge erhoben. Die Sachstandsanfrage vom 20.06.2011 könne nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG) und des erkennenden Senats schon deswegen nicht als wirksame Verzögerungsrüge gewertet werden, weil sie bereits vor Inkrafttreten
des ÜGG gestellt worden sei. Auch sei das Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren nicht Teil des Gerichtsverfahrens. Eine unangemessene
Verfahrensdauer für die maßgebliche Zeit ab dem 04.06.2012 sei nicht zu erkennen. Allein die Reifen I GmbH sei Verfahrensbeteiligte
des Ausgangsverfahrens gewesen. Diese werde von ihrem Geschäftsführer vertreten (§ 35 GmbHG). Auch juristische Personen könnten eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer beanspruchen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Akte
S 45 (40) R 163/09 SG Düsseldorf Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Dem Kläger steht kein Entschädigungsanspruch zu. Nach §
198 Abs.
1 Satz 1
GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil
erleidet. Verfahrensbeteiligter des Ausgangsverfahrens ist nach §
198 Abs.
6 Nr.
2 GVG jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger der öffentlichen
Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren
beteiligt sind. Erfasst wird hiernach jede Person, die nach der jeweiligen Prozessordnung kraft eigenen Rechts gestaltend
auf den Prozessgegenstand einwirken kann. Hierzu zählen auch juristische Personen (Frehse, Die Kompensation der verlorenen
Zeit, 1. Auflage, 2017, S. 710; Röhl in jurisPK-
SGG, 1. Auflage, 2017, §
198 GVG Rn. 19 mit Hinweis auf BT-Drs. 17/3802, S. 22).
Beteiligter des sozialgerichtlichen Ausgangsverfahrens sind nach §
69 SGG der (dortige) Kläger, Beklagte und Beigeladene. Nur diese können Verfahrensbeteiligte i.S.d. §
198 Abs.
1 Satz 1
GVG sein (Frehse, a.a.O., S. 718). Abgestellt wird auf die formale Funktion im Verfahren. Kläger ist derjenige, der mit der Klage
Rechtsschutz durch die staatlichen Gerichte begehrt.
Hier war der Kläger formal nicht Beteiligter des Ausgangsverfahrens. Er konnte auf den Prozess nicht aus eigenem Recht einwirken,
sondern allenfalls in Wahrnehmung der Rechte der dortigen Klägerin als deren Geschäftsführer nach § 35 GmbHG. Er hatte nicht die formale Stellung eines Verfahrensbeteiligten.
Die Stellung als gesetzlicher Vertreter der Klägerin des Ausgangsverfahrens ist für einen Entschädigungsanspruch nicht ausreichend.
§
198 Abs.
6 Nr.
2 GVG verwendet - genauso wie die Gesetzesbegründung - mit Blick auf die jeweiligen Prozessordnungen ausdrücklich die Termini technici
"Partei" und "Beteiligte" (Frehse, a.a.O., S. 716 zum Nebenintervenient). Der Entschädigungsanspruch ist ausdrücklich auf
die Verfahrensbeteiligten begrenzt. Nicht jeder, der meint, durch die Verfahrensdauer einen Nachteil erlitten zu haben, hat
einen Entschädigungsanspruch. Es besteht auch keine Notwendigkeit, über den Wortlaut hinaus dem gesetzlichen Vertreter einen
Entschädigungsanspruch zuzubilligen. Zum einen steht der Klägerin des Ausgangsverfahrens (bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen)
selbst ein Entschädigungsanspruch nach §
198 GVG zu. Würde zusätzlich dem gesetzlichen Vertreter ein Entschädigungsanspruch zuerkannt, würde dies im Fall von Klagen Minderjähriger
oder juristischer Personen entgegen dem Gesetzeswortlaut immer zu einer Doppelung der Entschädigungsansprüche führen. Dafür
besteht kein Anlass. Haftungsgrund ist die Verletzung des in Art.
19 Abs.
4 und 20 Abs.
3 Grundgesetz sowie Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention verankerten Rechts der Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit. Dieses
Recht steht allein den (formal) Verfahrensbeteiligten, vorliegend der GmbH und nicht dem Kläger als deren gesetzlicher Vertreter,
zu.
Zum anderen kann in der Person des gesetzlichen Vertreters während des Ausgangsverfahrens jederzeit ein Wechsel eintreten
(ggf. ohne dass dies dem Ausgangsgericht (sofort) bekannt wird). In diesen Fällen müsste für einen Entschädigungsanspruch
zusätzlich festgestellt werden, ob die unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens die Zeit betrifft, in der der Kläger des
Entschädigungsverfahrens gesetzlicher Vertreter einer Partei des Ausgangsverfahrens gewesen ist. Das ist angesichts der Tatsache,
dass die Gesamtdauer entschädigungsrelevant ist und entstandene Verzögerungen zu einem anderen Zeitpunkt des Verfahrens wieder
kompensiert werden können, unmöglich.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Abs.
2 SGG).