Tatbestand
Streitig ist die Verwerfung eines Widerspruchs als unzulässig.
Bei dem am 00.00.1996 geborenen Kläger, der an einem Sturge-Weber-Syndrom leidet, wurden mit Bescheid vom 19.12.1997 ein Grad
der Behinderung (GdB) von 80 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H (unter Berücksichtigung
des jugendl. Alters) seit dem 22.05.1997 festgestellt.
Mit Bescheid vom 18.07.2007 stellte das Versorgungsamt L wegen einer linksseitigen Halbseitenlähmung, Feuermal, Sehbehinderung
bei Sturge-Weber-Syndrom einen GdB von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens B fest, nachdem zuvor
durch Bescheid vom 23.01.2006 die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G festgestellt worden waren.
Durch Bescheid vom 19.12.2014 stellte die Beklagte nach Einholung eines augenärztlichen Gutachtens von Prof. Dr. C, der die
gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich RF bejahte und diejenigen für das Merkzeichen H verneinte, das
Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF fest. In diesem Bescheid erfolgten nach der Begründung
auch Ausführungen zu dem Ausweis: "Der Ausweis erhält folgende Einträge: GdB 100, Merkzeichen G, B, H, RF, gültig ab 18.02.2013
(Beginn-Datum der letzten aktuellen Feststellung), gültig bis 31.12.2015. Ich stelle Ihren Ausweis befristet aus, weil ich
dann überprüfen werde, ob sich die maßgebenden Voraussetzungen geändert haben."
Im Januar 2015 nahm die Beklagte eine Prüfung hinsichtlich der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs H
von Amts wegen vor und hob nach entsprechender Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 05.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 06.05.2015 den Bescheid vom 19.12.2014 hinsichtlich der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens
H auf. Das sich anschließende Klageverfahren vor dem Sozialgericht Aachen (S 12 SB 456/15) endete durch ein angenommenes Anerkenntnis, in dem die Beklagte sich verpflichtete, die angefochtenen Bescheide (Bescheid
vom 05.02.2015, Widerspruchsbescheid vom 06.05.2015) aufzuheben (Regelungsangebot der Beklagten vom 10.11.2015).
Durch Bescheid vom 04.12.2015 stellte die Beklagte in Ausführung des - zunächst wörtlich zitierten - Regelungsangebotes vom
10.11.2015 fest, "Ihr GdB beträgt weiterhin 100. Sie erfüllen weiterhin die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen
G, B, H, RF." Nach der Begründung erfolgten Ausführungen zum Ausweisinhalt - "Der Ausweis erhält folgende Eintragungen: -
den festgestellten Grad der Behinderung von 100, - die Merkzeichen G, B, H, RF, - den Gültigkeitsbeginn 18.02.2013" - und
zum Gültigkeitszeitraum - "Die Gültigkeit des Ausweises ist vom Monat der Ausstellung an bis Dezember 2016 befristet. Kurz
vor Ablauf dieser Frist werde ich von Amts wegen prüfen, ob sich die maßgebenden Voraussetzungen geändert haben" -. Mit dem
hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, der Bescheid entspreche nicht dem angenommenen Regelungsangebot,
denn er weiche hinsichtlich des Gültigkeitszeitraums des Schwerbehindertenausweises von dem Bescheid vom 19.12.2014 ab. Außerdem
widerspreche er dem kurzen Gültigkeitszeitraum des Ausweises. Er habe Anspruch auf eine unbefristete Verlängerung. Mit Widerspruchsbescheid
vom 11.01.2016 wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch als unzulässig zurück, da das Ergebnis des sozialgerichtlichen
Verfahrens zutreffend ausgeführt worden sei.
Am 09.02.2016 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Aachen erhoben und sein Begehren weiterverfolgt.
Der (anwaltlich vertretene) Kläger hat beantragt,
den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Münster vom 11.01.2016 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Durch Urteil vom 28.06.2016 hat das Sozialgericht den Widerspruchsbescheid vom 11.01.2016 aufgehoben. Die in der mündlichen
Verhandlung allein noch auf isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides gerichtete Klage sei zulässig und begründet. Dem
Kläger sei eine Sachentscheidung durch den Widerspruchsbescheid rechtswidrig verwehrt worden. In den Darlegungen zum Ausweis
und dessen Gültigkeitszeitraum im Bescheid vom 04.12.2015 sei eine verbindliche Regelung, mithin ein über den Ausführungsbescheid
hinausgehender Verwaltungsakt über die Erteilung eines befristeten Schwerbehindertenausweises zu erkennen. Da hinsichtlich
der Gültigkeitsdauer des Schwerbehindertenausweises ein Beurteilungsspielraum bestehe, sei auch nicht auszuschließen, dass
die Widerspruchsbehörde bei richtiger Verfahrensweise eine Entscheidung mit längerer Gültigkeitsdauer getroffen hätte. Trotz
der Begründetheit der Klage habe die Beklagte dem Kläger jedoch keine Kosten zu erstatten, da das bis zum Zeitpunkt der mündlichen
Verhandlung bestehende eigentliche Klagebegehren, gerichtet auf die Verpflichtung der Beklagten zur Ausstellung eines unbefristeten,
jedenfalls auf 5 Jahre befristeten Schwerbehindertenausweises zu keinem Zeitpunkt Erfolgsaussichten gehabt habe. Gegen die
Befristung habe das Gericht nichts zu erinnern, da die Beklagte sich im Rahmen des ihr insoweit zustehenden Beurteilungsspielraums
gehalten habe.
Gegen das ihr am 11.07.2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20.07.2016 Berufung eingelegt und vorgetragen, durch den
Bescheid vom 04.12.2015 sei lediglich das Anerkenntnis aus dem vorangegangenen sozialgerichtlichen Verfahren ausgeführt worden.
Bei der Befristung des Ausweises bis Dezember 2016 handele es sich nicht um einen eigenständigen Verwaltungsakt. Der Ausweis
diene entsprechend seiner gesetzlichen Zweckbestimmung gemäß §
69 Abs.
5 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (
SGB IX) lediglich zum Nachweis. Der Kläger sei zurzeit im Besitz eines Schwerbehindertenausweises mit der Gültigkeitsdauer bis Dezember
2016 und auf einen entsprechenden Antrag werde ihm ein neuer Schwerbehindertenausweis ausgestellt.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 28.06.2016 zu ändern und die Klage abzuweisen sowie die Anschlussberufung des Klägers
zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt seinem schriftsätzlichen Vorbringen zufolge sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen und im Wege der Anschlussberufung das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 28.06.2016 zu ändern
und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2016 zu verurteilen,
ihm den Schwerbehindertenausweis unbefristet, hilfsweise für 5 Jahre auszustellen.
Der Kläger hat gegen das ihm am 12.07.2016 zugestellte Urteil am 15.08.2016 Anschlussberufung erhoben und vorgetragen, er
habe zumindest Anspruch auf Verlängerung des Schwerbehindertenausweises um 5 Jahre. Da bei ihm eine wesentliche Änderung der
gesundheitlichen Verhältnisse in der Zukunft nicht zu erwarten sei, stehe ihm sogar ein unbefristeter Schwerbehindertenausweis
zu. Der angefochtene Bescheid enthalte mehrere Regelungen und zwar nicht nur zur Ausführung des Anerkenntnisses, sondern auch
zur Verlängerung des Schwerbehindertenausweises. Sein Begehren sei stets auf die Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises
gerichtet gewesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Verwaltungsakte
der Beklagten sowie der Akten des Verfahrens S 18 SB 113/16 ER (Sozialgericht Aachen) und S 12 SB 456/15 (Sozialgericht Aachen) verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der Beratung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden
erklärt haben, §
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) .
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat den Widerspruchsbescheid vom 11.01.2016 zu Unrecht
aufgehoben. Der Widerspruchsbescheid vom 11.01.2016 ist vielmehr rechtmäßig, denn der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid
vom 04.12.2015 war unzulässig. Die Anschlussberufung des Klägers ist unzulässig.
Die Städteregion Aachen ist richtige Beklagte (vergleiche hierzu BSG, Urteil vom 06.10.2011, B 9 SB 7/10 R ).
Die Klage des Klägers gegen den Widerspruchsbescheid vom 11.01.2016 ist unbegründet. Insbesondere enthält der Widerspruchsbescheid
entgegen der Ansicht des Sozialgerichts keine eigenständige selbstständige Beschwer, indem er den Widerspruch des Klägers
als unzulässig zurückwies und keine Sachentscheidung traf.
Der Kläger wendet sich mit seinem in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht gestellten Antrag mit der Anfechtungsklage
allein gegen den Widerspruchsbescheid. Da der Kläger hier durch einen Prozessbevollmächtigten rechtskundig vertreten war und
der Antrag ausweislich der Sitzungsniederschrift nach eingehender Erörterung der Sach- und Rechtslage gestellt wurde, ist
davon auszugehen, dass die ursprünglich in der Klageschrift angekündigte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen den Bescheid
vom 04.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2016 nicht aufrechterhalten wurde. Nur der Vollständigkeit
halber wird darauf hingewiesen, dass die nachfolgenden Ausführungen zur Unzulässigkeit des Widerspruchs in gleicher Weise
auch für die ursprünglich angekündigte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage Gültigkeit haben.
Gemäß §
78 Abs.
1 S. 1
SGG sind vor Erhebung der Anfechtungsklage Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen.
Dies bedeutet, dass ein Widerspruch ebenso wie die Anfechtungsklage gemäß §
54 Abs.
1 S. 1
SGG nur zulässig ist, sofern er sich gegen einen Verwaltungsakt richtet. Ein Verwaltungsakt ist nach § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem
Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Solange eine Regelung
in diesem Sinne nicht getroffen ist, ist ein Widerspruch nicht zulässig.
An einer solchen Regelung fehlt es bei dem Bescheid vom 04.12.2015. Denn er führt lediglich das in dem Gerichtsverfahren S 12 SB 456/15 angenommene Anerkenntnis aus. Widersprüche bzw. Klagen gegen Bescheide sind unzulässig, soweit diese lediglich angenommene
Anerkenntnisse, geschlossene Vergleiche oder Gerichtsentscheidungen ausführen, ohne selbst eine Regelung über den bereits
in dem Anerkenntnis, Vergleich oder Urteil erfolgten Entscheidungsgegenstand hinaus zu treffen (vergleiche BSG, Beschluss vom 18.09.2003, B 9 V 82/02 B ). Denn die Rechtslage wurde bereits durch das angenommene Anerkenntnis, den geschlossenen Vergleich oder das Urteil gestaltet.
Der Ausführungsbescheid vollzieht diese Rechtsgestaltung lediglich nach.
Der Bescheid vom 04.12.2015 ist ein Ausführungsbescheid in diesem Sinne. Maßgeblich sind die von den Beteiligten in dem Verfahren
S 12 SB 456/15 abgegebenen Erklärungen. Hierbei handelte es sich um Prozesserklärungen, deren Inhalt nach den Grundsätzen des §
133 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) auszulegen ist. Die Beklagte hat mit dem Bescheid vom 04.12.2015, wie sie zu Beginn des Bescheides auch ausdrücklich dargelegt
hat, das Anerkenntnis aus dem Verfahren S 12 SB 456/15 ausgeführt, in welchem der Bescheid vom 05.02.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2015 aufgehoben wurde,
mithin - wovon der Kläger auch selbst ausgeht - die Rechtslage entsprechend dem bestandskräftigen Bescheid vom 19.12.2014
wiederhergestellt werden sollte. Mit dem Ausführungsbescheid vom 04.12.2015 hat die Beklagte zunächst den Wortlaut des Anerkenntnisses
wiederholt und sodann zutreffend die Rechtsstellung des Klägers entsprechend dem Bescheid vom 19.12.2014 zusammenfassend dargestellt.
Auch der Bescheid vom 19.12.2014 enthielt Ausführungen zur Gültigkeit des Schwerbehindertenausweises für ledig ein Jahr. Inhaltlich
gleichlautende Ausführungen enthält nunmehr auch der Bescheid vom 04.12.2015. Weitergehende, über das Anerkenntnis hinausgehende
Regelungen lassen sich dem Ausführungsbescheid somit nicht entnehmen. Damit fehlt es dem Bescheid vom 04.12.2015 an einer
Regelung und der Widerspruch ist mithin unzulässig.
Die vom Kläger nach Ablauf der Berufungsfrist erhobene Anschlussberufung ist unzulässig.
Der Kläger hat am 15.08.2016 gegen das ihm am 12.07.2016 zugestellte Urteil Anschlussberufung eingelegt. Die unselbstständige
Anschlussberufung iSv §
202 SGG iVm §
524 Zivilprozessordnung (
ZPO) ist nicht eigentlich ein Rechtsmittel, sondern nur ein angriffsweise wirkender Antrag, mit dem sich der Gegner (hier: der
Kläger) innerhalb des Rechtsmittels des Berufungsklägers (hier: der Beklagten) an dieses Rechtsmittel anschließt. Sie bietet
die Möglichkeit, die vom Berufungskläger angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts auch zu seinen, des sich Anschließenden,
Gunsten ändern zu lassen ( BSG, Urteil vom 23.06.1998, B 4 RA 33/97 R ). Mit ihr können aber nicht Teile des sozialgerichtlichen Urteils zur Prüfung des Berufungsgerichts gestellt werden, die
von der Berufung - hier der Beklagten - nicht erfasst werden (vgl. BSG, Urteil vom 13.10.1992, 4 RA 40/91 zur vergleichbaren Situation der Anschlussrevision). Für die Zulässigkeit der unselbständigen Anschlussberufung ist deshalb
erforderlich, dass die selbständige Berufung des Gegners (hier: der Beklagten) zulässig ist, und die Anschlussberufung den
gleichen prozessualen Anspruch betrifft. Hieran fehlt es.
Die Berufung der Beklagten betraf allein die Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2016 durch das Sozialgericht.
Der Kläger begehrt demgegenüber mit der Anschlussberufung die Ausstellung eines unbefristeten, hilfsweise für 5 Jahre befristeten
Schwerbehindertenausweises. Dieses Begehren hält sich nicht mehr im Rahmen des durch die Berufung der Beklagten vorgezeichneten
Streitgegenstandes.
Nur der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass die Anschlussberufung auch in der Sache ohne Erfolgsaussicht
ist. Wie oben dargelegt, kann eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen den Bescheid vom 04.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 11.01.2016 mangels Zulässigkeit keinen Erfolg haben. Im Übrigen hat das Sozialgericht in den Entscheidungsgründen im Rahmen
der Kostenentscheidung auch gut begründet dargestellt, aus welchem Grunde die Verurteilung zur Ausstellung eines unbefristeten
bzw. auf 5 Jahre befristeten Schwerbehindertenausweises derzeit nicht in Betracht kommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG .
Anlass zur Zulassung der Revision besteht nicht, da die Voraussetzungen gemäß §
160 Abs.
2 SGG nicht erfüllt sind.