Versorgung nach dem Impfschadensrecht
Begriff des Impfschadens
Kausalität
Theorie der wesentlichen Bedingung
Anforderungen an den Beweismaßstab
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Rentenleistungen nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen
(IfSG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen Impfungen im Jahr 2001.
Die Klägerin kam in der 37. Schwangerschaftswoche am 00.00.1999 per sectio zur Welt. Nach vorherigen Impfungen durch die Kinderärztin
Dr. T2 wurde die Klägerin am 29.05.2001 durch den Kinderarzt Dr. L zum insgesamt vierten Mal mit einem Fünffach-Impfstoff
gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis, Haemophilus influenzae und Poliomyelitis sowie mit einem Einzel-Impfstoff gegen Hepatitis
B (Gen H-B-Vax K) geimpft. Ob und wann genau im Anschluss an diese Impfungen gesundheitliche Probleme entstanden, ist streitig.
In der Patientenkartei von Dr. L finden sich nach dem 29.05.2001 Einträge am 06.08.2001, 04.09.2001 und 12.09.2001 wegen Windeldermatitis,
wässrigem Durchfall und Husten. Anlässlich der U7 am 29.11.2001 wurde erstmals ein auffälliges Gangbild dokumentiert, das
seit drei Monaten bestehe. Anfang 2003 wurde erstmals der Verdacht einer statomotorischen Entwicklungsverzögerung geäußert.
2004 wurde u.a. nach molekulargenetischer Untersuchung eine hereditäre motorisch-sensible Neuropathie (HMSN) diagnostiziert.
In der Folge wurde die Klägerin auf Betreiben der Mutter der Klägerin von diversen Krankenhäusern behandelt, wobei neben der
HMSN zum Teil eine chronisch inflammtorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) diagnostiziert wurde, zum Teil nur als
Verdachtsdiagnose. Außerdem wurde eine colitis ulcerosa diagnostiziert. 2004 wurden bei einer Liquoruntersuchung oligoklonale
Banden festgestellt, in späteren Untersuchungen dagegen nicht mehr. Die Eiweißkonzentration im Liquor wurde wiederholt als
erhöht beschrieben. Im MRT der Wirbelsäule fanden sich wiederholt Auffälligkeiten bestimmter Nervenwurzeln. Die Ergebnisse
einer Muskelbiopsie wurden zum Teil dahin gedeutet, dass eine CIDP möglich sei, zum Teil dahin, dass eine CIDP unwahrscheinlich
sei. Die Wirksamkeit wiederholter Therapieversuche mit Immunglobulinen wurde von der Mutter der Klägerin regelmäßig als positiv
beschrieben. Die behandelnden Ärzte konnten eine Besserung durch diese Therapien dagegen nicht objektivieren.
Das Versorgungsamt E stellte 2004 einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen
mehrerer Merkzeichen fest, 2007 einen GdB von 90 und das Vorliegen der gesundheitlichen Vorausetzungen weiterer Merkzeichen.
2004 stellte die Klägerin einen ersten Antrag auf Leistungen nach dem IfSG. 14 Tage nach der Impfung am 29.05.2001 sei sie regelmäßig hingefallen. Das damals zuständige Versorgungsamt E lehnte den
Antrag nach Beiziehung von Behandlungsunterlagen und Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme der Ärztin für Innere
Medizin, Sozialmedizin, Dr. D mit Bescheid vom 12.08.2005 ab. Es liege sicher eine genetische Erkrankung vor. Von einer CIDP,
bei deren Vorliegen ein Zusammenhang mit einer Impfung in Frage komme, könne mangels Ansprechen der Klägerin auf eine Therapie
mit Immunglobulinen jedoch nicht ausgegangen werden. Nach erfolglosem Vorverfahren erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht
Dortmund (S 19 VJ 3/06). Das seinerzeit beklagte Land legte ein Gutachten nach Aktenlage des Arztes für Mikrobiologie und Kinder-/Jugendmedizin
Prof. Dr. T3 vor, der eine CIDP ebenfalls mangels Ansprechen auf eine Therapie mit Immunglobulinen für unwahrscheinlich hielt.
Die Klägerin nahm die Klage zurück.
Am 29.03.2007 stellte die Klägerin unter Vorlage diverser Behandlungsunterlagen und eines Schreibens des Paul-Ehrlich-Institutes
(PEI) einen Überprüfungsantrag nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Das Versorgungsamt E zog Behandlungsunterlagen bei und holte eine versorgungsärztliche Stellungnahme der Sozialmedizinerin
Dr. C ein. Der zwischenzeitlich im Rahmen der Kommunalisierung der Versorgungsverwaltung zuständig gewordene Beklagte lehnte
den Antrag mit Bescheid vom 01.08.2008 ab. Die Klägerin legte am 04.09.2008 Widerspruch ein, den der Beklagte nach Einholung
einer weiteren Stellungnahme von Dr. C mit Widerspruchsbescheid vom 31.10.2008, abgesandt am 03.11.2008, zurückwies.
Die Klägerin hat am 02.12.2008 Klage am Sozialgericht Dortmund erhoben und diverse Behandlungsunterlagen vorgelegt. Das Sozialgericht
hat die Mutter der Klägerin persönlich angehört, die seinerzeit gültigen Impfempfehlungen und diverse Behandlungsunterlagen
beigezogen und von Amts wegen ein Sachverständigengutachten des ehemaligen Direktors der Landeskinderklinik O, Prof. Dr. L,
eingeholt. Dieser hat ausgeführt, er habe die Mutter der Klägerin ergänzend befragt. Sie habe unter anderem berichtet, kurz
nach der Impfung wiederholt bei Dr. L vorgesprochen zu haben. Sie sei dort aber abgewiesen worden. Aufgrund des Liquorbefundes,
des MRT-Befundes, des von der Mutter der Klägerin angegebenen schubweisen Krankheitsverlaufes und des spontanen und schnellen
Verlaufes sei von einer CIDP neben einer HMSN auszugehen. Unter Zugrundelegung der Angaben der Mutter der Klägerin sei eine
Verursachung der CIDP und der colitis ulcerosa, die häufig zusammen mit einer CIDP auftrete, durch die Impfung am 29.05.2001
wahrscheinlich, wobei als unmittelbare Impfkomplikation eine postvakzinale Encephalopathie anzunehmen sei. Der bioptische
Befund und der therapeutische Verlauf würden überbewertet. Dabei berichte die Mutter durchaus von Besserungen. Dass diese
nicht besonders ausgeprägt seien, liege an der fortschreitenden HMSN. Der Sachverständige hat zunächst einen Grad der Schädigungsfolgen
(GdS) von 70, dann von 80 befürwortet.
Für den Beklagten haben sich Dr. C und der Arzt für Kinder- und Jugendmedizin, der Leiter des Bereichs Neuropädiatrie am Universitätsklinikum
Münster, Prof. Dr. L2, nach Aktenlage geäußert. Dr. C hat ausgeführt, es sei nicht nachvollziehbar, dass trotz der von der
Mutter der Klägerin behaupteten Beschwerden kurz nach der Impfung keine entsprechenden ärztlichen Behandlungen dokumentiert
seien. Zum Teil heiße es in Behandlungsberichten, die Mutter der Klägerin habe Beschwerden ab März 2001 angegeben. Eine colitis
ulcerosa werde im Epidemiologischen Bulletin nicht als Impfkomplikation beschrieben. Auch bei einer HMSN bestünden im Liquor
und im MRT der Wirbelsäule Auffälligkeiten. Deswegen sei für die Abgrenzung der Therapieerfolg so wichtig, der hier aber nicht
belegt werden könne. Prof. Dr. L2 hat ausgeführt, der frühe und schwere Verlauf spreche gegen eine CIDP. Die Klinik passe
eher zu einer hereditären Erkrankung. Liquor- und MRT-Befund seien auch mit einer HMSN vereinbar. Oligoklonale Banden seien
nur einmalig dokumentiert worden. Ein therapeutischer Erfolg sei nicht dokumentiert, es sei vielmehr eine deutliche Progredienz
zu erkennen.
Nachdem der Beklagte einen vom Sozialgericht vorgeschlagenen Vergleich rechtzeitig widerrufen hat, hat das Sozialgericht mit
Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden und den Beklagten mit Urteil vom 14.06.2013 antragsgemäß
zur Anerkennung einer CIDP als Impfschaden aufgrund der Impfung vom 29.05.2001und zur Gewährung von Versorgung nach einem
GdS von 50 verurteilt.
2009 hat die Klägerin den Kinderarzt Dr. L wegen nicht indizierter Hepatitis B-Impfung beim Landgericht E auf Schmerzensgeld
verklagt (4 O 132/09). Das Landgericht hat ein Sachverständigengutachten des Facharztes für Kinder- und Jugendmedizin Dr. L1 eingeholt, der die
Impfung als indiziert angesehen und mangels Ansprechen der Klägerin auf eine immunmodulatorische Therapie die Diagnose CIDP
verworfen hat. Einige der für eine CIDP angeführten Befunde träten auch bei einer HMSN auf. Die im MRT zu beobachtenden Nervenverdickungen
sprächen für einen Krankheitsbeginn noch vor der Geburt. Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 09.06.2011 abgewiesen.
Die Klägerin hat Berufung beim Oberlandesgericht Hamm eingelegt (3 U 139/11), das ein Sachverständigengutachten des ehemaligen Direktors der Kinderklinik des Universitätskrankenhauses I, Prof. em.
Dr. T1 eingeholt hat. Dieser hat ausgeführt, es liege ein konstant progredienter Verlauf vor, der nie therapeutisch beeinflussbar
gewesen sei. Die Mutter der Klägerin habe ihm erstmalig von einer Auffälligkeit bereits bei der ersten Vorsorgeuntersuchung
berichtet, nämlich von nach innen gestellten Füßen. Der beschriebene fulminante Beginn sei für eine Autoimmunreaktion unwahrscheinlich,
zumal wenn sich das Bild vorübergehend wieder gebessert habe. Der Verlauf sei nur scheinbar schubförmig. Es handele sich vielmehr
um einen progredienten, treppenförmigen Verlauf. Die Literatur ließe im Fall einer CIDP ein gutes Ansprechen auf Therapie
erwarten. Eine CIDP sei unwahrscheinlich. Es fänden sich auch keine sog. ADEM-Herde, die im Zusammenhang mit einer Makrophagischen
Myofasciitis (MMF) bzw. dem sog. ASIA-Syndrom stehen könnten. 2011 hat die Klägerin die Berufung zurückgenommen.
Der Beklagte hat gegen das ihm am 03.07.2013 zugestellte Urteil des Sozialgerichts am 09.07.2013 Berufung eingelegt. Die Angaben
der Mutter der Klägerin seien in vielerlei Hinsicht zweifelhaft. Ein Ansprechen auf eine immunmodulatorische Therapie sei
nicht belegt. Dass immer wieder die (Verdachts-) Diagnose einer CIDP gestellt werde, könne der Unsicherheit der behandelnden
Ärzte geschuldet sein oder der Finanzierung erneuter Therapieversuche dienen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 14.06.2013 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise Dr. I nochmals anzuhören.
Die Klägerin trägt vor, ihre Mutter habe den Krankheitsverlauf konsistent geschildert. Diese habe mehrfach bei Dr. L vorgesprochen,
sei aber überwiegend abgewimmelt worden. Sie hat aktuelle Behandlungsunterlagen, Ausdrucke eines Kalenders und ein Schreiben
ihrer Großmutter vorgelegt. Der Kalender betreffe das Jahr 2001 und sei zufällig wieder aufgetaucht. Daraus ergäben sich ihre
häufigen Kontaktaufnahmen mit der Kinderarztpraxis.
Der Senat hat die Mutter der Klägerin angehört und deren damaligen Ehemann T X, Dr. L und dessen damalige Arzthelferin C als
Zeugen vernommen. Der Senat hat außerdem diverse Behandlungsunterlagen, die Akten der Stadt E zum GdB und die Gerichtsakten
des Landgerichts E 4 0 132/09 = OLG Hamm 3 U 139/11 beigezogen sowie von Amts wegen ein Sachverständigengutachten der Leitenden Ärztin des Bereichs Neuropädiatrie, Entwicklungsneurologie
und Sozialpädiatrie des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums F, Prof. Dr. T und auf Antrag der
Klägerin ein Sachverständigengutachten nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) des Arztes Dr. I eingeholt.
Prof. Dr. T hat ausgeführt, die Beurteilung der Muskelbiopsie im Referenzlabor in B spreche gegen eine CIDP. Oligoklonale
Banden seien nur einmal dokumentiert, in zwei Folgeuntersuchungen dagegen nicht. Es liege kein schubförmiger, sondern ein
chronisch progredienter Verlauf mit Plateauphasen vor. Die verschiedenen Therapieversuche hätten keine objektive Besserung
ergeben. Schon vor der Impfung seien Auffälligkeiten dokumentiert. Arbeiten aus 2011 und 2015 zeigten, dass hereditäre Erkrankungen
frühzeitig aufträten und schwere Verläufe zeigten. Der Liquorbefund sei ebenso wenig wie der radiologische Befund beweisend
für eine CIDP. Diese ließe zudem bei der Nervenleitungsmessung einen sogenannten Leitungsblock erwarten, während hier Leitungsverzögerungen
gemessen worden seien. Auch die aktuellen Befundunterlagen belegten keine Besserung unter Behandlung und sprächen auch sonst
nicht für eine CIDP. Soweit eine vorübergehende Besserung der Lungenfunktion beschrieben werde, sei diese nicht maßgeblich.
Auch eine Kann-Versorgung komme nicht in Betracht.
Dr. I hat ausgeführt, die CIDP sei durch MRT- und Liquorbefund, Ansprechen auf Behandlung und den schubweisen Verlauf bewiesen.
Es bestehe ein plausibler zeitlicher Zusammenhang zur 4. Hepatitis B-Impfung. Aufgrund der in dem Impfstoff enthaltenen Zusatzstoffe
Quecksilber und Aluminium könne es zu einem sog. ASIA-Syndrom und sodann zur CIDP gekommen sein. CIDP und colitis ulcerosa
seien mit Wahrscheinlichkeit als Impfschäden anzusehen, ggf. unter dem Gesichtspunkt der Kann-Versorgung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakte des
Beklagten, der Verwaltungsakte der Stadt E zum GdB, der Gerichtsakte des Sozialgerichts Dortmund S 19 VJ 3/06 und der Gerichtsakte des Landgerichts E 4 0 132/09 = OLG Hamm 3 U 139/11 Bezug genommen, deren jeweiliger wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet.
Nach Auflösung der Landesversorgungsverwaltung und Übertragung der Zuständigkeit für das soziale Entschädigungsrecht auf die
Landschaftsverbände mit § 4 Abs. 1 des als Art. 1 des Zweiten Gesetzes zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen
vom 30.10.2007 erlassenen Gesetzes zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen
ist der örtlich zuständige Landschaftsverband Westfalen-Lippe richtiger Beklagter (vgl. zur Rechtmäßigkeit dieser Aufgabenübertragung
BSG, Urteil vom 23.04.2009 - B 9 VG 1/08 R, Rn 24).
Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben, da diese zwar zulässig, aber unbegründet ist. Die Klägerin ist durch
die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von §
54 Abs.
2 Satz 1
SGG beschwert, da diese rechtmäßig sind. Sie hat keinen Anspruch auf Zahlung von Rentenleistungen nach § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG i.V.m. §§ 9 Abs. 1 Nr. 3, 31 Abs. 1 Satz 1 BVG, wobei zugunsten der Klägerin unterstellt wird, dass es ihr von Anfang an um Rentenleistungen gegangen ist (vgl. zur Erforderlichkeit
der Spezifizierung eines Versorgungsbegehrens BSG, Urteil vom 02.10.2008 - B 9 VG 2/07 R, [...] Rn 12).
Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG erhält, wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die von einer zuständigen
Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach
der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der
Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Gemäß § 2 Nr. 11 IfSG ist Impfschaden die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden
gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung.
Der Anspruch setzt demnach eine unter den Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfolgte Schutzimpfung, den Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also
eine Impfkomplikation, sowie eine - dauerhafte - gesundheitliche Schädigung, also einen Impfschaden, voraus. Zwischen den
jeweiligen Anspruchsmerkmalen muss ein Ursachenzusammenhang bestehen. Maßstab dafür ist die im sozialen Entschädigungsrecht
allgemein geltende Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung. Danach ist aus der Fülle aller Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen
Sinne diejenige Ursache rechtlich erheblich, die bei wertender Betrachtung wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg
bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägen ihres
verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist.
Die Impfung und sowohl die als Impfkomplikation in Betracht kommende als auch die dauerhafte Gesundheitsstörung müssen mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - im sogenannten Vollbeweis - feststehen. Allein für die zwischen diesen Merkmalen
erforderlichen Ursachenzusammenhänge reicht der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit aus, § 61 Satz 1 IfSG. Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn mehr Umstände für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit reicht
nicht aus (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VJ 1/10 R, [...] Rn 36 ff.).
Alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, sind auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt
neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten. Hierzu konnten die AHP herangezogen werden, die
als antizipierte Sachverständigengutachten angesehen wurden. Seit den AHP 2008, die mittlerweile durch die Anlage zu § 2 der
Versorgungsmedizinverordnung (Versorgungsmedizinische Grundsätze - VMG) ersetzt wurden, sind darin aber keine detaillierten
Angaben zu Impfkomplikationen mehr enthalten. Im Zusammenhang mit der Streichung der betreffenden Teile der AHP wurde darauf
hingewiesen, dass die beim Robert-Koch-Institut (RKI) eingerichtete STIKO Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion
und einer über das übliche Ausmaß der Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden) entwickelt. Die
Arbeitsergebnisse der STIKO werden im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht und stellen den jeweiligen aktuellen Stand
der Wissenschaft dar (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VJ 1/10 R, [...] Rn 39 ff.).
Die vierte Impfung mit dem Fünffachimpfstoff war seinerzeit eine öffentlich empfohlene Impfung i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG, was sich aus den damaligen Impfempfehlungen des RKI (vgl. Epidemiologisches Bulletin Nr. 2 vom 14.01.2000, S. 10, Abb. 1,
Fußnote 1 und Nr. 28 vom 13.07.2001, S. 204) in Verbindung mit den aktenkundigen Erlassen des damaligen Ministeriums für Arbeit,
Gesundheit und Soziales des Landes NRW ergibt, die auf diese Empfehlungen Bezug genommen haben. Ob dies auch für die vierte
Impfung gegen Hepatitis B gilt, die nach einhelliger Auffassung der hierzu befragten Ärzte durchaus indiziert war, kann dahinstehen.
Jedenfalls ist weder ein Primärschaden erwiesen, noch eine Schädigungsfolge. Es ist zum einen nicht erwiesen, dass die Klägerin
im zeitlichen Zusammenhang mit der streitigen Impfung an einer unüblichen Impfreaktion litt. Zum anderen ist das Vorliegen
einer grundsätzlich als Schädigungsfolge in Betracht kommenden CIDP nicht erwiesen.
Soweit die Klägerin im Zusammenhang mit der streitigen Impfung vermehrt geschrien haben, quengelig gewesen sein und es im
Bereich der Einstichstelle zu einer Rötung und/oder Schwellung gekommen sein sollte, wären dies übliche Lokal- und Allgemeinreaktionen
des Körpers und keine unüblichen Impfreaktionen (vgl. Epidemiologisches Bulletin Nr. 25 vom 22.06.2007, S. 213, 217 f.), worauf
auch Prof. Dr. L hingewiesen hat.
Die weitergehenden Behauptungen der Mutter der Klägerin, diese habe nach ein bis zwei Wochen - die Mutter der Klägerin hat
insofern unterschiedliche Angaben gemacht - nicht mehr laufen und sprechen können, reichen für einen Vollbeweis nicht aus.
Das gilt umso mehr, als die Mutter der Klägerin am Verfahrensausgang ein erkennbares Interesse hat und ausweislich verschiedener
ärztlicher Berichte fest vom Vorliegen eines Impfschadens überzeugt ist. Ihre Angaben werden zwar von ihrem damaligen Ehemann,
dem Zeugen X und dem Schreiben der Großmutter der Klägerin gestützt. Auch bei diesen Personen besteht aber ein erkennbares
Interesse am Verfahrensausgang. Der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen X steht darüber hinaus entgegen, dass er laut der
Mutter der Klägerin mehrere Sachverhalte bei seiner Aussage durcheinander brachte und geistig behindert ist. Die erst zuletzt
vorgelegten Computerausdrucke, die den damaligen Kalender der Mutter der Klägerin darstellen sollen, enthalten überwiegend
nur schwer zuordbare Abkürzungen und sind auf ihre Authentizität nicht überprüfbar. Es ist weiterhin nicht nachvollziehbar,
dass die Klägerin massive Ausfälle gezeigt haben soll, dies vom behandelnden Kinderarzt vollständig ignoriert worden sein
sollte und die Mutter der Klägerin keinen anderen Arzt konsultiert haben sollte. Die Mutter der Klägerin hatte schon vor der
streitigen Impfung einmal den Kinderarzt gewechselt. Auch im weiteren Verlauf hat sie in auffälliger Häufigkeit die Behandler
gewechselt. Es ist daher nicht überzeugend, wenn sie behauptet, sie habe seinerzeit nicht den Arzt gewechselt aus Sorge, ihr
werde der erneute Wechsel vorgehalten. Diesem Vorwurf hätte sie im Übrigen bei akuten Beschwerden durch das Aufsuchen der
Notaufnahme eines Krankenhauses entgehen können. Gegen die Richtigkeit der Angaben der Mutter der Klägerin spricht zudem die
Behandlungsdokumentation des Zeugen Dr. L. Aus dieser Dokumentation ergibt sich, dass die Mutter der Klägerin Dr. L nach der
streitgegenständlichen Impfung erstmals am 06.08.2001 wegen Windeldermatitis aufsuchte. Es ist nicht erkennbar, dass diese
Dokumentation unvollständig oder sonst unzutreffend ist. Sowohl der Zeuge Dr. L, als auch seine damalige Sprechstundenhilfe,
die Zeugin C, haben nachvollziehbar geschildert, dass niemals Patienten abgewiesen und alle erfolgten Besuche stets entsprechend
dokumentiert worden seien. Die Zeugin C hat überzeugend darauf hingewiesen, dass ihr selbst die medizinische Kompetenz gefehlt
habe, um Patienten abzuweisen. Der Zeuge Dr. L hat hinsichtlich der Dokumentation überzeugend auf sein Abrechnungsinteresse
hingewiesen. Dabei hätte er im vorliegenden Verfahren mit abweichenden Angaben nicht zwingend eine erneute Schadensersatzklage
der Klägerin befürchten müssen, da es im damaligen Verfahren nicht entscheidend auf diese Fragen ankam.
Eine Erkrankung, die als unmittelbare Folge der streitigen Impfung eine spätere CIDP ausgelöst haben könnte, ist nicht erwiesen.
Soweit ein solches Bindeglied überhaupt diskutiert wird, werden von Prof. Dr. L eine Encephalopathie und von Dr. I das sogenannte
ASIA-Syndrom angeführt. In beiden Fällen handelt es sich jedoch um bloße Vermutungen, wie die Sachverständigen letztlich auch
selbst darlegen. Gegen ein ASIA-Syndrom spricht entsprechend den Ausführungen von Prof. em. Dr. T1 zudem das Fehlen entsprechender
Herdbefunde im MRT.
Darüber hinaus ist nicht bewiesen, dass die Klägerin an einer CIDP leidet. Prof. Dr. T hat in ihrem Gutachten nebst ergänzenden
Stellungnahmen eingehend und überzeugend dargelegt, dass das Vorliegen einer CIDP nach Anamnese, klinischem Verlauf und fehlender
objektivierbarer Besserung unter Cortison- und Immunglobulinbehandlung nicht erwiesen ist.
Oligoklonale Banden waren nur bei einer Untersuchung nachweisbar, bei zwei späteren nicht. Liquor- und MRT-Befund sind nach
den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. T, Prof. Dr. L2 und Dr. L1 auch mit der bei der Klägerin nachweislich bestehenden
HMSN vereinbar. Dr. L1 beurteilt die im MRT erkennbaren Nervenverdickungen und deren Folgen sogar dahingehend, dass sie für
eine vorgeburtliche Schädigung sprächen. Prof. Dr. T weist darauf hin, dass neurophysiologische Untersuchungen der Klägerin
die für eine CIDP typischen Leitungsblöcke nicht gezeigt hätten. Der gesamte Krankheitsverlauf stellt sich entsprechend den
Ausführungen von Prof. Dr. T und Prof. em. Dr. T1 als chronisch progredient mit zwischenzeitlichen Plateauphasen dar, die
nicht zuletzt durch die kindliche Entwicklung erklärbar sind. Ein für eine CIDP typischer schubweiser Verlauf liegt gerade
nicht vor. Prof. Dr. L und Dr. I haben diese Argumente nicht entkräftet. Sie haben einen schubweisen Verlauf lediglich behauptet,
ohne ihn mit hinreichenden Befunden belegen zu können. Das Ergebnis der Muskelbiopsie sprach nach der Befundung durch die
RWTH Aachen ebenfalls gegen eine CIDP. Dies wurde zwar von Behandlern der Universitätsklinik Freiburg anders gesehen. Prof.
Dr. T weist aber darauf hin, dass es sich bei dem Labor in Aachen um das Referenzlabor für neuromuskuläre Erkrankungen handelt,
was der dortigen Meinung ein größeres Gewicht gibt.
Von besonderem Gewicht ist außerdem das fehlende Ansprechen auf eine Therapie mit Immunglobulinen. Die Klägerin behauptet
zwar eine Besserung unter entsprechender Therapie. Eine solche Besserung konnte aber nie objektiviert werden. Der ständige
Wechsel der behandelnden Ärzte, die Nichteinhaltung von Kontrollterminen und das nur selektive Vorlegen früherer Behandlungsunterlagen
durch die Mutter der Klägerin haben eine Objektivierung des Behandlungserfolges erschwert. Die über die Jahre mögliche Gesamtbetrachtung
des Erkrankungsverlaufes, der trotz wiederholter Immunglobulintherapien eine Verschlechterung und keine Besserung zeigt, spricht
deutlich gegen deren Wirksamkeit. Es finden sich zudem in diversen Berichten deutliche Hinweise der Behandler auf ein dezidiertes
Behandlungsverlangen der Mutter der Klägerin und eine Distanzierung von deren Beurteilung des Behandlungsverlaufes. Es ist
durchaus plausibel, dass die bis zuletzt in den Behandlungsberichten auftauchende Diagnose einer CIDP bzw. eines entsprechenden
Verdachts nicht nur diagnostischen Schwierigkeiten und selektiven Angaben Mutter der Klägerin, sondern entsprechend den Überlegungen
von Dr. C auch der Ermöglichung weiterer kostenintensiver Therapieversuche geschuldet ist.
Soweit Prof. Dr. L meint, der Aspekt des Therapieerfolgs werde überbewertet und das fehlende Ansprechen auf eine Therapie
sei durch die HMSN erklärbar, ist dieser Einschätzung nicht zu folgen, denn sie steht im Widerspruch zu der von Prof. Dr.
L2, Prof. em. Dr. T1 und Prof. Dr. T mit Bezug auf aktuelle Literatur vertretenen Auffassung, im Fall einer CIDP sei ein deutliches
Ansprechen auf eine entsprechende Therapie zu erwarten. Zum anderen bedeutete die Auffassung von Prof. Dr. L im Ergebnis,
dass ausschlaggebend für das aktuelle Krankheitsbild die HMSN wäre, was selbst bei Annahme einer CIDP gegen einen auf diese
gründenden Leistungsanspruch spräche.
Die nach Auffassung sämtlicher Sachverständigen und behandelnden Ärzte nachweislich bestehende HMSN ist nicht durch die Impfung
verursacht worden. Laut Prof. Dr. L wird ein äußerer Manifestationsfaktor für eine HMSN nicht diskutiert. Auch Prof. Dr. I
hat einen ursächlichen Zusammenhang verneint. Prof. Dr. T hat eine Beteiligung der Impfung bei der Auslösung von Symptomen
zwar nicht kategorisch ausgeschlossen, einen wahrscheinlichen Zusammenhang aber verneint und war sich sicher, dass sich das
Krankheitsbild mit und ohne Impfbeteiligung im Wesentlichen identisch entwickelt hätte (vgl. hierzu Teil C Nr. 1d und Nr.
3d der Versorgungsmedizinischen Grundsätze - VMG).
Eine colitis ulcerosa wird nach den zutreffenden Ausführungen von Dr. C im Epidemiologischen Bulletin nicht als mögliche Impffolge
erwähnt. Ein Zusammenhang mit der streitigen Impfung ist unwahrscheinlich. Dies kann aber letztlich dahinstehen, da der erstinstanzliche
Klageantrag und das Urteil des Sozialgerichts Dortmund ausdrücklich nur noch auf die Anerkennung einer CIDP gerichtet gewesen
sind, so dass der Streitgegenstand des vom Beklagten angestrengten Berufungsverfahrens auf letztere beschränkt ist.
Eine Kann-Versorgung kommt nicht in Betracht, da es hier nicht um Ungewissheiten in der Wissenschaft über Ursachenzusammenhänge
geht, sondern Ungewissheiten im Sachverhalt vorliegen (vgl. hierzu Teil C Nr. 4c VMG).
Der Senat durfte sich bei seiner Entscheidungsfindung auch auf die im zivilgerichtlichen Verfahren zwischen der Klägerin und
dem Zeugen Dr. L eingeholten Sachverständigengutachten von Prof. em. Dr. T1 und Dr. L1 stützen, jedoch lediglich im Wege des
Urkundsbeweises (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl. 2014, §
103 Rn 11d und 11e; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl. 2014, §
128 Rn 8b; BVerwG, Beschluss vom 31.07.1985 - 9 B 71/85, [...] Rn 2; BSG, Urteil vom 21.10.1998 - B 9 VG 6/97 R, [...] Rn 13; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.11.2012 - L 2 U 71/11, [...] Rn 26; BGH, Urteil vom 12.07.2013 - V ZR 85/12, [...] Rn 7). Unabhängig davon kommt es auf diese Gutachten nicht entscheidend an, da auch allein aus dem Gutachten von Prof.
Dr. T überzeugend folgt, dass eine CIDP nicht erwiesen und ein Zusammenhang von Impfung und HMSN unwahrscheinlich ist.
Der Überzeugungskraft des Gutachtens von Prof. Dr. T steht nicht entgegen, dass diese die Klägerin einmalig 2007 behandelt
hat, nach Rücksprache mit den in E behandelnden Ärzten seinerzeit keine Indikation für eine weitere Immunglobulin-Therapie
sah und im Entlassungsbrief vom 24.05.2007 Schwierigkeiten im Umgang mit der Mutter der Klägerin schilderte. Eine der Klägerin
gegenüber ablehnende Haltung ist diesem Brief nicht zu entnehmen. Im Gegenteil zeigen die Rücksprache mit Vorbehandlern und
der ausdrückliche Vorschlag einer Wiedervorstellung das damalige Bemühen um die Klägerin. Außerdem spricht gerade die Kenntnis
des Falls aus der Perspektive eines Behandlers ebenso wie der Umstand, dass Prof. Dr. T Präsidentin der Gesellschaft für Neuropädiatrie
e.V. ist, für ihre besondere Fachkompetenz.
Zu weiteren Ermittlungen entsprechend dem Hilfsbeweisantrag besteht kein Anlass. Der Sachverhalt ist durch die vorliegenden
Gutachten hinreichend geklärt. Die Klägerin hat auch keinen weiteren Aufklärungs- und Ermittlungsbedarf aufgezeigt. Eine erneute
Befragung oder eine Ladung des Sachverständigen Dr. I waren nicht erforderlich. Weder hat die Klägerin konkrete Fragen an
den Sachverständigen formuliert (vgl. hierzu Keller, a.a.O., § 118 Rn 12d, 12f), noch erläuterungsbedürftige Punkte benannt,
noch sind zwischenzeitlich neue relevante Tatsachen zutage getreten, zu denen sich der Sachverständige noch nicht hätte äußern
können. Dem nach §
109 SGG gehörten Sachverständigen muss nicht das letzte Wort verbleiben (Keller, a.a.O., § 109 Rn 10b).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Anlass, die Revision nach §
160 Abs.
2 SGG zuzulassen, besteht nicht.