Leistungen nach dem OEG i.V.m. dem BVG
Tatbestand
Die am 00.00.1963 geborene Klägerin lebt in L in einem von der Stadt für Obdachlose angemieteten Hotel. 2005 wurde bei ihr
ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt. Dem lagen die Bewertung eines Augenleidens mit einem Einzel-GdB von 30
und eines degenerativen Wirbelsäulenleidens mit einem Einzel-GdB von 10 zugrunde.
Am 14.06.2017 beantragte die Klägerin beim Beklagten Leistungen nach dem
OEG. Im April 2016 und am 09.05.2017 habe ein anderer Bewohner des Hotels, Herr N, sie bedroht und beleidigt. Im Jahr 2002 sei
sie von einer Frau X ins Gesicht geschlagen worden. Sie leide unter Schmerzen insbesondere im Bereich der Wirbelsäule.
Der Beklagte zog die Verwaltungsakten der Stadt L zum GdB sowie Akten der Staatsanwaltschaft L bei und lehnte den Antrag mit
Bescheid vom 04.07.2017 ab. Die mutmaßliche Tat vom 09.05.2017 sei keine vorsätzlich rechtswidrige Gewalttat im Sinne des
OEG. Die Klägerin legte am 13.07.2017 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.08.2017 zurückwies.
Die Klägerin hat am 11.09.2017 Klage beim Sozialgericht Köln erhoben. Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des Arztes
für Innere Medizin Dr. C eingeholt und die Klage nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 06.02.2018
abgewiesen. Die mutmaßliche Tat vom 09.05.2017 sei keine vorsätzlich rechtswidrige Gewalttat im Sinne des
OEG.
Die Klägerin hat gegen den ihr am 01.03.2018 zugegangenen Gerichtsbescheid am 22.03.2018 Berufung eingelegt.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 06.02.2018 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom
04.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.08.2017 zu verurteilen, ihr Rentenleistungen nach dem
OEG i.V.m dem BVG nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 30 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, nach Auskunft der Staatsanwaltschaft L seien Unterlagen über eine Strafanzeige gegen Frau X zwischenzeitlich
vernichtet worden. Mit dem angefochtenen Bescheid sei der Antrag insgesamt abgelehnt worden.
Der Senat hat die Verwaltungsakten der Stadt L zum GdB beigezogen und die Berufung mit Beschluss vom 02.04.2018 gemäß §
153 Abs.
5 SGG auf den Berichterstatter übertragen. Der Berichterstatter hat mit Beschluss vom 08.05.2018 einen Antrag der Klägerin auf
Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt und die Klägerin am 09.05.2018 zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 25.05.2018
geladen. Die Ladung ist der Klägerin am 14.05.2018 zugestellt worden. Die Klägerin hat mit Schreiben vom 18.05.2018 mitgeteilt,
sie sei aus gesundheitlichen und finanziellen Gründen nicht in der Lage, zum Termin zu erscheinen und angefragt, ob auch nach
Aktenlage entschieden werden könne. Daraufhin hat der Berichterstatter die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Klägerin
aufgehoben. Im Termin zur mündlichen Verhandlung ist für die Beteiligten niemand erschienen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Akten der Beklagten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte gemäß §
126 SGG in Abwesenheit der nicht erschienenen Beteiligten aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden (vgl. hierzu Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl. 2017, §
126 Rn 4). Die Beteiligten haben mit der Ladung den Hinweis erhalten, dass im Falle ihres Ausbleibens nach Lage der Akten entschieden
werden kann.
Eine Verlegung oder Vertagung war nicht erforderlich. Das Schreiben der Klägerin vom 18.05.2018 stellte bereits keinen Verlegungsantrag
dar. Dies ergibt sich insbesondere aus der in diesem Schreiben formulierten Frage der Klägerin, warum sie denn persönlich
erscheinen müsse und ob nicht nach Aktenlage entschieden werden könne. Einem Verlegungsantrag hätte auch nicht entsprochen
werden müssen, da ein wichtiger Grund im Sinne von §
202 Satz 1
SGG i.V.m. §
227 Abs.
1 Satz 2
ZPO von der Klägerin nicht glaubhaft gemacht worden ist. Im Hinblick auf die Kosten einer Anfahrt zum Termin ist die Klägerin
im Übrigen mit der Ladung darauf hingewiesen worden, dass von Seiten des Gerichts hierfür Mittel zur Verfügung gestellt werden
können.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Streitgegenstand ist der Bescheid des Beklagten vom 04.07.2017, mit dem Versorgung nach dem
OEG wegen einer mutmaßlichen Tat des Herrn N am 09.05.2017 abgelehnt worden ist. Diese mutmaßliche Tat stellt einen eigenständigen
Schädigungskomplex dar (vgl. zur Bedeutung von Schädigungshandlungen für den Streitgegenstand BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R, juris Rn 20 und Urteil vom 18.05.2006 - B 9a V 2/05 R, juris Rn 17 f.). Entgegen der Darstellung der Beklagten ist der Regelungsgehalt dieses Bescheides wegen der ausdrücklichen
Bezugnahme allein auf die mutmaßliche Tat am 09.05.2017 in der Begründung des Bescheides auf diese beschränkt (vgl. zur Heranziehung
der Bescheidbegründung bei der Auslegung Engelmann, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 33 Rn 9 m.w.N.). Entsprechend konnte das Sozialgericht in der Sache nur über Leistungen wegen dieser Tat entscheiden.
Der auslegungsbedürftige Vortrag der Klägerin ist dahingehend zu verstehen, dass sie Rentenleistungen wegen der vorgenannten
mutmaßlichen Tat begehrt. Ein allgemein auf Versorgung gerichteter Antrag wäre unzulässig (vgl. zur Notwendigkeit der Präzisierung
des Leistungsbegehrens BSG, Urteil vom 02.10.2008 - B 9 VG 2/07 R, juris Rn 12). Eine Einbeziehung der von der Klägerin ebenfalls angeführten mutmaßlichen Taten in 2002 und 2016 in ihren
Berufungsantrag wäre nicht in ihrem Sinne. Denn mangels vorheriger Entscheidung des Beklagten und des Sozialgerichts wäre
eine entsprechend geänderte Klage bzw. die Berufung unzulässig (vgl. zur Notwendigkeit der Zulässigkeit einer geänderten Klage
Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl. 2017, § 99 Rn 13a; zur instanziellen Zuständigkeit BSG, Urteil vom 23.04.2015 - B 5 RE 23/14 R, juris Rn 12).
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da diese zulässig, aber unbegründet ist. Die Klägerin ist durch die angefochtenen
Bescheide nicht im Sinne von §
54 Abs.
2 Satz 1
SGG beschwert, da diese rechtmäßig sind. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rentenleistungen nach dem
OEG nach §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG i.V.m. §§ 9 Abs. 1 Nr. 3, 31 Abs. 1 Satz 1 BVG wegen der mutmaßlichen Tat des Herrn N am 09.05.2017.
Gemäß §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG erhält derjenige, der im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines
vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr
eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung
in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes.
Die mutmaßliche Tat des Herrn N am 09.05.20127 ist bereits nach der Schilderung der Klägerin keine Gewalttat im Sinne des
OEG. Bei den Beleidigungen und dem als bedrohlich empfundenen Verhalten kam es nach den Schilderungen der Klägerin nicht zu einer
körperlichen Einwirkung, die nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aber Voraussetzung einer vorsätzlich,
rechtswidrigen Gewalttat im Sinne des
OEG ist (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R).
Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass auch die mutmaßliche weitere Tat des Herrn N im April 2016 nach den Schilderungen
der Klägerin keine vorsätzlich, rechtswidrige Gewalttat im Sinne des
OEG ist und dass ein dauerhafter und erst recht ein rentenberechtigender Gesundheitsschaden infolge der mutmaßlichen Tat durch
Frau X im Jahr 2002 nach Auswertung der Verwaltungsakten der Stadt L zum GdB und des Befundberichtes von Dr. C nicht ersichtlich
ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Anlass, die Revision nach §
160 Abs.
2 SGG zuzulassen, besteht nicht.