Anerkennung eines Wegeunfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung
Anforderungen an das Verlassen des geschützten Weges
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.
Die 1973 geborene und mit ihrer Familie in Schmallenberg (Ortsteil Felbecke), E-Straße 0, wohnende Klägerin war als Aushilfe
bei der K Handelsgruppe beschäftigt. Ihre Arbeitsstätte war der ca. 5 km von der Familienwohnung entfernt auf der Q-Straße
in Schmallenberg gelegene Supermarkt. Arbeitsbeginn am 24.06.2019 (Montag) war um 09:00 Uhr. Am Morgen dieses Tages verließ
die Klägerin die Familienwohnung und fuhr mit dem PKW auf der L737 zunächst in Richtung ihrer Arbeitsstätte. In der Ortschaft
Werpe wendete sie ihr Fahrzeug auf einem Hofgelände und fuhr zurück Richtung Felbecke. Kurz nach dem Wendemanöver geriet der
von ihr gesteuerte PKW aus ungeklärten Gründen nach rechts von der Fahrbahn ab und prallte gegen einen Straßenbaum. Die Klägerin
erlitt hierbei schwerste Verletzungen, u. a. ein Schädel-Hirn-Trauma mit hypoxischem Hirnschaden. Aufgrund der Hirnschäden
kann die Klägerin keine Angaben zum Geschehen machen. Nach den Feststellungen im Vermerk des Polizeihauptkommissars A vom
26.06.2019 war die Klägerin im Unfallzeitpunkt nicht angeschnallt. Die Untersuchung des Fahrzeugs ergab keine Hinweise auf
unfallursächliche Mängel (Gutachten des Dipl.-Ing. N, DEKRA Automobil GmbH vom 01.07.2019).
In dem von dem Ehemann der Klägerin unter dem 04.07.2019 unterzeichneten Fragebogen heißt es, dass die Klägerin von zu Hause
zur Arbeit gefahren sei, in Werpe gedreht habe und zurück nach Hause gefahren sei. Der Ehemann der Klägerin vermerkte, dass
die Klägerin den Weg zur Arbeit abgebrochen und wegen Unwohlsein nach Hause habe zurückkehren wollen. Am 28.06.2019 (richtig:
21.06.2019) nachmittags gegen 16 Uhr habe sie Kreislaufprobleme gehabt, ihr sei schwarz vor Augen geworden und sie sei umgefallen.
Mit Bescheid vom 09.07.2019 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalls vom 24.06.2019 als Arbeitsunfall und die Gewährung
von Entschädigungsleistungen ab. Zur Begründung führte er aus, dass die Klägerin im Unfallzeitpunkt auf der L737 nicht in
Richtung Arbeitsstätte, sondern in Richtung Wohnanschrift gefahren sei. Sie habe sich somit nicht auf dem direkten Weg zur
Arbeitsstätte, sondern auf einem Abweg befunden. Wohin sie sich zum Unfallzeitpunkt tatsächlich habe begeben wollen, könne
dahingestellt bleiben. Zum Zeitpunkt des Unfalls habe sie nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden,
Leistungen der Berufsgenossenschaft seien nicht zu erbringen.
Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch ließ die Klägerin über ihre Prozessbevollmächtigten geltend machen, dass sie bereits
am 21.06.2019 (die Angabe 28.06.2019 im Fragebogen sei ein Datumsfehler) an einem Unwohlsein mit Schwindel und Kreislaufproblemen
gelitten habe. Bereits am Freitagnachmittag sei ihr schwarz vor Augen geworden und sie sei deshalb einmal hingefallen. Entsprechendes
habe sich nochmals am 22.06.2019 auf der Arbeit wiederholt. Bei ihrer Tätigkeit sei ihr wiederum unwohl geworden. Sie habe
einen kleinen Zusammenbruch erlitten und habe zeitweise von der Kasse abgezogen werden müssen. Dies könnten ihre Arbeitskolleginnen
B und D bestätigen. Die Kollegin B habe sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Probleme schon am Samstagnachmittag von der Arbeit
nach Hause fahren wollen. Dies habe sie - die Klägerin - aber abgelehnt und ihre Arbeit bis zum Dienstschluss am Abend zu
Ende geführt. Ihrem Ehemann habe sie danach berichtet, dass ihr auf der Arbeit mehrfach etwas aus den Händen gefallen sei
und sie sich nicht habe konzentrieren können. Sie leide aufgrund eines früheren Ereignisses in Form eines unvorhergesehenen
Aufwachens aus einer Narkose unter einer Arztphobie und gehe daher nur äußerst ungern und mit Widerstreben zum Arzt. Auch
in den Diskussionen innerhalb der Familie nach den Vorfällen vom 21. und 22.06.2019 habe sie sich auf die Bitten des Ehemannes
und der Tochter, einen Arzt aufzusuchen, widerstrebend gezeigt, obwohl es ihr auch am Sonntag nicht besser gegangen sei und
sie weiter an den geschilderten Beschwerden gelitten habe. Mit einigem Überreden sei man übereingekommen, dass ihre Tochter
am Montag von der Schule fernbleibe, um gemeinsam mit ihr - der Klägerin - den Hausarzt aufzusuchen. Als ihr Ehemann am 24.06.2019
vor 7 Uhr das Haus verlassen habe, um zu seiner Arbeitsstelle zu fahren, habe sie sich wegen des angedachten Arztbesuches
bereits wieder sehr ablehnend gezeigt und mitgeteilt, doch zur Arbeit gehen zu wollen. Ihr Ehemann habe sie eindringlich darum
gebeten, zum Arzt zu fahren, und auch nochmals die Tochter gebeten, dafür zu sorgen und sie dabei zu unterstützen. Nachdem
ihr Ehemann zur Arbeit gefahren sei, sei dann zwischen ihr und ihrer Tochter wiederum eine Diskussion aufgekommen. Sie - die
Klägerin - habe sich dann in der Zeit zwischen 8:10 Uhr und 8:15 Uhr den Autoschlüssel genommen, um zur Arbeit zu fahren und
ihre Tochter alleine zu Hause zurückgelassen. Unmittelbar vor dem Unfallereignis habe der Landwirt S gesehen, wie sie auf
seinem Hofgelände ihr Auto gedreht habe, um dann in Richtung ihres Wohnortes zurückzufahren. Bei der Arbeit habe sie sich
nicht abgemeldet gehabt. Dies hätte sie jedoch getan, wenn sie zum Arzt hätte fahren wollen. Im Falle eines Arztbesuches hätte
sie auch nicht das Schlüsselbund für die Arbeit mitgenommen. Dieses habe sich aber in der Tasche der zum Unfallzeitpunkt getragenen
Hose befunden. Aus dem gesamten Ablauf und den geschilderten Umständen könne nur geschlossen werden, dass sie auf dem Weg
zur Arbeit gewesen sei, diesen Weg aber abgebrochen habe, um wieder zur Wohnung zu gelangen, da ihr so unwohl gewesen sei,
dass sie sich nicht im Stande gesehen habe, ihre Arbeitsleistung zu erbringen. Es handele sich somit um den Rückweg von der
Arbeitsstelle bzw. um einen gleichgestellten Weg, da es keinen Unterschied machen könne, ob sie erst die Arbeitsstätte erreiche,
ihr dann dort unwohl werde und sie von dort zurückkehre oder ob sie bereits auf dem Hinweg diesen abbreche und wieder den
Rückweg antrete. Dafür spreche auch die Tatsache, dass der Weg zu den Hausärzten Dres. C von ihrem Wohnort Schmallenberg-Felbecke
näher über die Ortschaft Schmallenberg-Wormbach als über die Ortschaft Schmallenberg-Werpe zu erreichen sei und dieser Weg
bei einem Besuch der Hausärzte auch jeweils genommen werde. Der Zeitpunkt des "offiziellen" Arbeitsbeginns um 9:00 Uhr stehe
der Annahme, dass sie sich auf dem Weg zur Arbeit befunden habe, nicht entgegen. Sie habe regelmäßig so frühzeitig wie auch
am 24.06.2019 die Fahrt zur Arbeitsstätte begonnen. Als Kassiererin dürfe sie nicht auf dem Parkdeck des Discounters oder
auf dem unmittelbar angrenzenden Parkplatz parken. Sie sei angehalten, weiter weg auf dem Parkplatz der Stadthalle bzw. des
Schwimmbades zu parken. Von dort aus habe sie den Fußweg zum Discounter zu nehmen. Vor Arbeitsbeginn müssten sich die Kassiererinnen
an der Obsttheke über die aktuellen Preise des Obstes erkundigen und eine diesbezügliche Liste unterschreiben. Danach gingen
sie zum Aufenthaltsraum, um die in den jeweiligen Spinden deponierte Arbeitskleidung, also die einheitlichen Blusen, anzuziehen.
Danach begebe sie sich zum Kassenbüro, um sich den persönlichen Kasseneinsatz mit der Ausgabe von Kleingeld zu holen, bevor
sie zur Kasse ginge. Dieser gesamte Ablauf vom Zeitpunkt des Parkens des PKWs bis zum Erscheinen an der Kasse selbst benötige
schätzungsweise 20 bis 25 Minuten. Darüber hinaus sei es auch so, dass sie immer eher überpünktlich, d. h. regelmäßig 10 Minuten
vor dem Arbeitsbeginn an der Kasse gewesen sei. Dies könnten ihre Arbeitskolleginnen bestätigen.
Die Beklagte zog anschließend die Polizeiakten bei und holte eine Auskunft des Landwirts S ein. Dieser gab an, dass das Unfallfahrzeug
vor dem Unfall auf seinem Hof unauffällig gewendet habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2019 wies die Beklagte den Widerspruch
der Klägerin zurück. Sie blieb bei ihrer Auffassung, dass die Klägerin sich im Unfallzeitpunkt auf einem unversicherten Abweg
befunden habe.
Die Klägerin hat am 02.01.2020 beim Sozialgericht Dortmund Klage erhoben, auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren Bezug
genommen und gemeint, dass sie sich auf dem Heimweg von der Arbeit nach Hause befunden habe und deshalb keine Umkehr auf dem
Hinweg zur Arbeit und auch keine Abkehr vom versicherten Weg vorgelegen habe. Für das Wenden auf dem Weg zur Arbeit gebe es
keinen anderen nachvollziehbaren Grund als denjenigen, dass sie trotz ihres zunächst entgegenstehenden Willens die Arbeit
wegen ihrer gesundheitlichen Einschränkungen doch nicht habe aufnehmen können.
Die Beklagte ist auf ihrem Standpunkt verblieben.
Mit dem im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergangenen Urteil vom 20.11.2020 hat das Sozialgericht
die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen die ihrem Prozessbevollmächtigten am 03.12.2020 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 21.12.2020 Berufung eingelegt.
Sie trägt vor, das Sozialgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass es sich um einen nicht versicherten Richtungswechsel auf
dem Hinweg zur Arbeit gehandelt habe. Vielmehr handele es sich in richtlinienkonformer Auslegung um den Rückweg von der Arbeitsstätte.
Im Sinne des Schutzes der sozialen Rechte des Arbeitnehmers könne kein Unterschied gemacht werden, ob die Arbeitsstätte zuvor
erreicht worden sei oder aber der Rückweg nach Hause bereits vor Erreichen der Arbeitsstätte wieder angetreten werde. Abgrenzungskriterium
könne allein sein, ob eigenwirtschaftliche Interessen verfolgt würden. Wenn der Versicherte allerdings die Arbeit abbreche
oder erst gar nicht aufnehme und zurückkehre, so handele es sich nicht um eigenwirtschaftliche Interessen, sondern um einen
Unfall, der sich auf einem mit der unfallversicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg ereigne. Der Weg stehe dann in einem
rechtlich wesentlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20.11.2020 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.07.2019
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2019 zu verurteilen, den Unfall vom 24.06.2019 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten
der Beklagten Bezug genommen. Ihr wesentlicher Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Das Sozialgericht hat die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, mit der die Klägerin die Aufhebung der
angefochtenen Bescheide und Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung des Ereignisses vom 24.06.2019 als Arbeitsunfall begehrt,
zu Recht abgewiesen, weil sie unbegründet ist. Die Beklagte hat es mit den angefochtenen Bescheiden zutreffend abgelehnt,
das Ereignis vom 24.06.2019 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Denn bei diesem Ereignis handelt es sich nicht um einen Arbeitsunfall.
Nach §
8 Abs.
1 S. 1
SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach §
8 Abs.
1 S. 2
SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.
Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist
(innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem
Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten
objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität) (ständige Rechtsprechung des BSG; vgl. Urteil vom 05.07.2016 - B 2 U 16/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 58; Urteil vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 55; Urteil vom 26.06.2014 - B 2 U 4/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 52).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Auch wenn davon auszugehen ist, dass die Verrichtung der grundsätzlich als
Beschäftigte nach §
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Klägerin unmittelbar vor dem Ereignis, nämlich das ungebremste Steuern
ihres Fahrzeugs auf den neben der Fahrbahn verlaufenden Grünstreifen, zu dem Aufprall gegen den Straßenbaum und damit zu einem
von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis und dieses Ereignis bei der Klägerin zu schwersten Körperschäden geführt hat,
so fehlt es aber an dem notwendigen sachlichen Zusammenhang zwischen dem Steuern des Fahrzeugs und der versicherten Tätigkeit
der Klägerin als Beschäftigte der K Handelsgruppe. Denn es ist nicht mehr aufzuklären, ob diese Verrichtung in einem sachlichen
Zusammenhang mit dem hier allein als versicherte Tätigkeit in Betracht kommenden Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach
oder von dem Ort der Tätigkeit stand.
Zu den in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Tätigkeiten zählt gemäß §
8 Abs.
2 Nr.
1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der nach den §§
2,
3 oder 6
SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Zum Unfallzeitpunkt legte
die Klägerin aber keinen solchen durch die Wegeunfallversicherung des §
8 Abs.
2 Nr.
1 SGB VII geschützten Weg zurück.
Die Klägerin befand sich unmittelbar vor dem Ereignis nicht auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstätte. Zwar kann aufgrund der zeitlichen
Gegebenheiten und des Mitführens des Spindschlüssels davon ausgegangen werden, dass die Klägerin die Fahrt am Morgen des 24.06.2019
antrat, um zu ihrer Arbeitsstätte zu gelangen und sie sich bis zum Wenden in der Ortschaft Werpe auf der L737 mit der Handlungstendenz
fortbewegte, den Ort ihrer versicherten Tätigkeit zu erreichen. Den direkten Weg zur Arbeitsstätte hat die Klägerin allerdings
verlassen, als sie in der Ortschaft Werpe wendete und sich in die von dem ursprünglichen Ziel - der Arbeitsstätte - entgegengesetzte
Richtung fortbewegte. Wenn der Versicherte sich nicht mehr auf direktem Weg in Richtung seiner Arbeitsstätte bewegt, sondern
in entgegengesetzter Richtung von diesem Ziel fort, befindet er sich auf einem sogenannten Abweg. Wird ein solcher Abweg bei
einer mehr als geringfügigen Unterbrechung des direkten Weges zurückgelegt, besteht, sobald der direkte Weg verlassen und
der Abweg begonnen wird, kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Erst wenn sich der Versicherte wieder
auf dem direkten Weg befindet und der Abweg beendet ist, besteht erneut Versicherungsschutz (BSG, Urteil vom 20.12.2016 - B 2 U 16/50 R juris; BSG, Urteil vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 55 m. w. N.).
Die Klägerin befand sich nach dem Wendemanöver unmittelbar vor dem Unfall nicht auf dem üblicherweise zurückgelegten direkten
Weg von ihrer Wohnung zu ihrer Arbeitsstätte. Den Weg zur Arbeitsstätte unterbrach sie, als sie auf der L737 wendete und sich
in die zur Arbeitsstätte entgegengesetzte Richtung bewegte. Die L737 befuhr sie auch unmittelbar vor dem Unfall noch in der
von der Arbeitsstätte wegführenden Richtung. Die Unterbrechung des direkten versicherten Weges zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
war auch mehr als geringfügig.
Umstände, die ausnahmsweise den Versicherungsschutz der Wegeunfallversicherung auch auf einem solchen Abweg begründen könnten,
sind nicht feststellbar. Nicht jedes Abweichen vom direkten Weg führt zu einer Lösung des inneren Zusammenhangs mit der versicherten
Tätigkeit und damit zum Verlust des Versicherungsschutzes in der Wegeunfallversicherung. Versicherungsschutz kann ausnahmsweise
auch auf einem Abweg bestehen, wenn dieser im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.1998 - B 2 U 4/97 R - SozR 3-2200 § 550 Nr. 17). Der Versicherungsschutz bleibt z. B. erhalten, wenn der Versicherte irrtümlich von dem direkten
Weg aus Gründen abweicht, die ihrerseits mit dem Zurücklegen des versicherten Weges, insbesondere seiner Beschaffenheit, in
Zusammenhang stehen (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.1998 - B 2 U 4/97 R - SozR 3-2200 § 550 Nr. 17; BSG vom 18.04.2000 - B 2 U 7/99 R - HVBG-Info 2000, 1846; BSG vom 12.06.1990 - 2 RU 58/89 - HV-Info 1990, 2064). Für die Annahme, dass die Umkehr auf dem Weg zur Arbeitsstätte auf der Beschaffenheit der zurückzulegenden Wegstrecke beruhte,
ergeben sich hier nicht die geringsten Anhaltspunkte.
Die Klägerin befand sich im Zeitpunkt des Unfalls auch nicht auf einem versicherten Weg von dem Ort der Tätigkeit. Dies ist
zwar nicht bereits deshalb zu verneinen, weil sie den Ort der Tätigkeit nie erreicht hatte. Versicherungsschutz besteht vielmehr
auch, wenn der Ort der Tätigkeit gar nicht erreicht wird, weil sich im Gesundheitszustand des Versicherten Umstände gezeigt
haben, welche die Umkehr erforderlich machten (Bayerisches LSG, Urteil vom 12.07.2001 - L 17 U 305/00 mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 28.06.1991 - 2 RU 70/90, Urteil vom 12.06.1990 - 2 RU 57/89 und Urteil vom 11.08.1988 - 2 RU 80/87) oder dienstliche Umstände für die Umkehr maßgeblich sind (vgl. BSG, Urteil vom 25.01.1977 - 2 RU 99/75). Kein Versicherungsschutz besteht hingegen, wenn der Versicherte auf dem Weg zum Ort der Tätigkeit aus eigenwirtschaftlichen
Gründen umkehrt (BSG, Urteil vom 25.01.1977 - 2 RU 57/75). Ob der Versicherungsschutz bei einer wegen gesundheitlicher Probleme erfolgten Umkehr auf Umstände beschränkt ist, die
plötzlich und unvorhergesehen auf dem Weg zur Arbeit auftreten, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn dass die Umkehr
der Klägerin auf dem Weg zur Arbeitsstätte überhaupt auf Umständen in ihrem Gesundheitszustand beruhte, welche die Umkehr
erforderlich machten, lässt sich nicht im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, feststellen.
Es lässt sich ebenfalls nicht feststellen, dass die Klägerin aus dienstlichen Gründen oder endgültig ohne Aufnahme ihrer Tätigkeit
nach Hause zurückkehren wollte.
Aus welchen Gründen die Klägerin kurz vor dem Unfall ihr Fahrzeug gewendet und sich damit auf der L737 in Richtung Felbecke
fortbewegt hat, ist nämlich nicht mehr aufklärbar. Die Klägerin selbst kann zu ihren Beweggründen für die Umkehr aufgrund
der bei dem Unfall erlittenen Hirnschäden keine Angaben machen. Das maßgeblich auf den Angaben des Ehemannes der Klägerin
beruhende Vorbringen im Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren lässt, auch wenn man es als richtig unterstellt und gleichzeitig
den Beweisschwierigkeiten der Klägerin Rechnung trägt, nicht den sicheren Schluss zu, dass sich im Gesundheitszustand der
Klägerin auf der Fahrt Richtung Arbeitsstätte Umstände gezeigt haben, welche die Umkehr erforderlich machten und die Klägerin
bewogen haben, ihr Fahrzeug zu wenden und in Richtung Felbecke zurückzufahren.
Zwar können Eigentümlichkeiten eines Sachverhaltes in besonders gelagerten Einzelfällen Anlass sein, an den Beweis verminderte
Anforderungen zu stellen. Der Unfallversicherungsträger oder das Gericht können dann schon aufgrund weniger tatsächlicher
Anhaltspunkte von einem bestimmten Geschehensablauf oder einer bestimmten Tatsache überzeugt sein. Dies bezieht sich aber
nur auf die zu würdigenden Tatsachen und schließt nicht die Befugnis ein, das Beweismaß zu verringern (vgl. BSG, Urteil vom 06.10.2020 - B 2 U 9/19 R, juris RdNr. 29; Urteil vom 07.09.2004 - B 2 U 25/03 R, juris RdNr. 17; Urteil vom 18.04.2000 - B 2 U 7/99 R, juris RdNr. 29).
Aufgrund der an den Tagen vor dem Unfall bestehenden gesundheitlichen Beschwerden der Klägerin sowie ihrem Verhalten und sonstigen
Umständen am Unfalltag ist es zwar denkbar, dass bei der Klägerin auch am Morgen des 24.06.2019 auf der Fahrt in Richtung
Arbeitsstätte wieder stärkere Kreislaufbeschwerden aufgetreten sind und diese Beschwerden die Klägerin zur Umkehr veranlasst
haben. Der Senat kann sich aber nicht davon überzeugen, dass ein solcher Geschehensablauf tatsächlich vorgelegen hat. Es ist
nämlich ebenso gut denkbar, dass die Klägerin auf der Fahrt in Richtung Arbeitsstätte Gewissensbisse überkommen haben, weil
sie sich nicht an die mit ihrem Ehemann und der Tochter getroffene Übereinkunft, morgens zunächst zusammen mit ihrer Tochter,
die extra von der Schule zu Hause bleiben wollte, zum Arzt zu fahren, gehalten hat, und sie daher nach Hause zurückkehren
wollte, um zusammen mit ihrer Tochter doch noch einen Arzt aufzusuchen. Dem steht die fehlende Benachrichtigung des Arbeitgebers
nicht entgegen, denn diese hätte die Klägerin ohne den Unfall auch noch rechtzeitig von zu Hause aus vornehmen können. Denkbar
ist auch, dass die Klägerin nur noch einmal mit ihrer Tochter reden wollte, um anschließend doch wieder zur Arbeit zu fahren.
Ebenso ist es denkbar, dass sich die Klägerin entgegen ihrer ursprünglichen Absicht doch noch dazu durchgerungen hat, direkt
zum Arzt zu fahren. Schließlich kann auch in Anbetracht der Tatsache, dass die Klägerin nicht angeschnallt war, eine Selbsttötungsabsicht
nicht ausgeschlossen werden.
Bei diesen ernsthaft in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten hätte die Klägerin aber trotz der Benutzung der üblichen Wegstrecke
vom Ort der Tätigkeit zum Wohnort (vgl. hierzu zuletzt BSG, Urteil vom 06.10.2020 - B 2 U 9/19 R, juris RdNr. 28 m. w. N.) nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden, weil die Rückkehr in diesem
Fall aus eigenwirtschaftlichen, nicht mit ihrer Tätigkeit zusammenhängenden Gründen erfolgt wäre. Denn auch eine Verrichtung,
die allgemein zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit dient, wie z. B. eine ärztliche Behandlung, gehört grundsätzlich
zum unversicherten persönlichen Lebensbereich. Dass die Maßnahme mittelbar auch der Erhaltung oder Wiederherstellung der Arbeitskraft
dient, ist dabei unerheblich (BSG, Urteil vom 18.03.1957 - 2 RU 17/96 - SozR 3-2200 § 550 Nr. 16; Urteil v. 26.06.2001 - B 2 U 30/00 R - SozR 3-2200 § 548 Nr. 43; Urteil vom 07.09.2004 - B 2 U 35/03 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 6).
Die Nichterweislichkeit der für das Wendemanöver und die Fortbewegung in die der Arbeitsstätte entgegengesetzten Fahrtrichtung
maßgebenden Umstände geht nach den Grundsätzen der "objektiven" Beweislastverteilung zu Lasten der Klägerin. Den Nachteil
aus der tatsächlichen Unaufklärbarkeit anspruchsbegründender Tatsachen hat nach den Regeln der objektiven Beweislast der sich
auf deren Vorliegen berufende Versicherte zu tragen. Dies gilt auch, wenn nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten
die Nichterweislichkeit - wie hier - darauf beruht, dass der Versicherte keine Erinnerung an das zu dem Unfall führende Geschehen
hat (vgl. BSG vom 20.12.2016 - B 2 U 16/15 R juris RdNr. 23 f.; BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 55).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) liegen nicht vor.