Anerkennung einer Berufskrankheit
Bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule
Multifaktorielle Ätiologie
Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung
Aktueller Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Verursachung von Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch berufliche
bedingte körperliche Belastungen
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur
Berufskrankheitenverordnung (
BKV - im folgenden BK 2108) und die Gewährung von Leistungen.
Der am 00.00.1948 geborene Kläger war nach der Ausbildung zum Schlosser und der Bundeswehrzeit von 1970 bis 1987 als Schlossergeselle
und anschließend als Schlossermeister und selbständiger Unternehmer berufstätig. Nach seinen Angaben hat er die wirbelsäulenbelastende
Tätigkeit bis Oktober 2010 ausgeübt. Er beantragte sodann bei der Beklagten die Anerkennung einer Berufskrankheit nach den
Ziffern 2108 und 2109. In dem von der Beklagten durchgeführten Ermittlungsverfahren zur Arbeitsplatzexposition führte der
Diplom-Wirtschaftsingenieur M von der Fachstelle Ergonomie der Beklagten im Bericht vom 26.05.2010 aus, der Kläger habe während
seines Berufslebens in der Werkstatt Stahlbaukonstruktionen gefertigt und bei den Kunden eingesetzt. Es handele sich um Treppen,
Podeste, Geländer, Balkonanbauten, Bodenabweiser, Regale, Garagentore, Gitter, Tore usw. Sein Aufgabenbereich habe darin bestanden,
Material zum Fertigungsplatz heranzuschaffen, zu trennen, zu bohren und zu schleifen, auszurichten, zusammenzufügen und zu
heften, sowie die Schweiß- und Nachbearbeitung durchzuführen, gefertigte Werkstücke auf eine Kfz- oder Lkw-Ladefläche zu verladen
und Teile auf der Baustelle zu montieren. Dabei habe er Hebetätigkeiten bei verschiedenen Teilen ausgeführt, wie z. B. bei
Kopfplatten, Profilen, Blechen, Gitterrosten, Rohren usw. Die Anzahl der manuellen Lastenhandhabung sei unterschiedlich gewesen.
An manchen Tagen habe er 20 Teile je Schicht gehoben, an anderen Tagen überwiegend Heft- und Schweißarbeiten vorgenommen und
keine nennenswerten Hebetätigkeiten ausgeführt. Nennenswerte Lasten auf den Schultern im Sinne der BK 2109 habe der Kläger
nicht getragen. Die Berechnung nach dem Mainz-Dortmunder-Dosis-Modell habe eine Gesamtdosis von 13,2 MNh ergeben. Belastungen
im Sinne der BK 2109 sei der Kläger danach nicht ausgesetzt gewesen.
Sodann erstattete die Leitende Ärztin Dr. S N, C in C, ein Zusammenhangsgutachten und führte unter dem 25.10.2010 aus, aufgrund
des Verteilungsmusters der degenerativen Veränderung im Bereich der Wirbelsäule sei die Anerkennung der BK 2108 abzulehnen.
Klinisch ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine lumbale bandscheibenbedingte Erkrankung.
Mit Bescheid vom 07.12.2010 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung einer BK und die Gewährung von Entschädigungsleistungen
ab. Es liege weder eine BK nach Nr. 2108 noch nach der Nr. 2109 vor. Den dagegen vom Kläger eingelegten Widerspruch wies sie
mit Bescheid vom 12.05.2011 als unbegründet zurück.
Dagegen richtet sich die am 06.06.2011 erhobene Klage. Zu deren Begründung war der Kläger der Auffassung, dass bei ihm sowohl
eine BK 2108 als auch eine BK 2109 vorliege.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 07.12.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2011 zu verurteilen,
ihm Entschädigungsleistungen für eine Berufserkrankung nach der Ziffer 2108 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung zu bewilligen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich im Wesentlichen auf die Gründe des angefochtenen Bescheides bezogen.
Das Sozialgericht hat ein orthopädisches Gutachten von Prof. Dr. X eingeholt. Im Gutachten vom 26.08.2011 ist er zur Beurteilung
gelangt, der Kläger habe aufgrund seiner bandscheibenbedingten Erkrankung seine bisherige Tätigkeit aufgeben müssen. Dieser
Zwang habe schon im Frühjahr 2010 bestanden. Die Wirbelkörper L 4 bis S 1 und dazwischenliegende Bandscheiben L4/5 und L5/S1
zeigten in der bildgebenden Diagnostik eine über das altersübliche Ausmaß hinausgehende Verschleißerscheinung. Die radiologisch
nachweisbaren Veränderungen an der LWS nähmen von oben nach unten ab. Zwar ließen sich auch arthrotisch bedingte Veränderungen
der HWS und BWS feststellen, die jedoch nicht über das altersübliche Ausmaß hinausgingen. Außerberufliche Faktoren für die
Entstehung der Bandscheibenerkrankung ließen sich nicht feststellen. Wenn man daher unterstelle, dass der Kläger langjährig
schwere Lasten getragen und gehoben habe, so sei ein Zusammenhang der Veränderungen der Bandscheiben L4/5 und L5/S1 wahrscheinlich.
Eine BK 2108 sei daher anzuerkennen. Eine BK nach Ziffer 2109 müsse aufgrund der fehlenden Belastungskonformität abgelehnt
werden. Die bandscheibendingte Erkrankung der LWS bedinge eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v. H.
In einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 17.11.2011 führte der Orthopäde Dr. G aus, das Gutachten von Prof. Dr. X sei
nicht verwertbar, da es an den für ein derartiges Gutachten zu fordernden methodischen Vorgaben fehle. Die medizinischen Voraussetzungen
der BK 2108 seien an bestimmte klinische und bildtechnisch-morphologische Voraussetzungen geknüpft, die im Einzelfall nachzuweisen
bzw. zuzuordnen seien. Die Voraussetzungen nach der B-Konstellation der Medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten
Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule (Konsensempfehlungen) seien nicht erfüllt. Insbesondere lägen die Zusatzkriterien
zur Konstellation B 2 nicht vor. Dem ist Prof. Dr. X in einer Stellungnahme vom 27.02.2012 entgegengetreten. Er vertrat weiterhin
die Auffassung, dass eine BK nach der Ziffer 2108 gegeben sei, wenn man das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen
unterstelle.
Zu dieser Stellungnahme hat die Beklagte erneut eine weitere Stellungnahme des Orthopäden Dr. G vom 20.04.2012 vorgelegt.
Die medizinischen Voraussetzungen einer BK 2108 lägen seiner Auffassung nach eindeutig nicht vor. Gegen den Zusammenhang spreche
auch die bei der Diskussion zum ursächlichen Zusammenhang zu berücksichtigende Gesamtbelastungsdosis. Abschließend hat Prof.
Dr. X in seiner Stellungnahme vom 20.06.2012 ausgeführt, in der Tat werde der Richtwert für Männer mit der Gesamtbelastungsdosis
12,5 x 106 MNh nicht erreicht. Damit falle die allerwichtigste Voraussetzung zur Anerkennung der berufsbedingten Bandscheibenerkrankung
beim Kläger weg. Darüber habe man sich jedoch bei der Begutachtung hinweggesetzt, da hypothetisch von dem Vorliegen der arbeitstechnischen
Voraussetzungen ausgegangen worden sei.
Mit Urteil vom 26.09.2012 hat das Sozialgericht Gelsenkirchen der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger
unter Anerkennung der BK 2108 Entschädigungsleistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Auf die Entscheidungsgründe
des Urteils wird Bezug genommen.
Gegen das am 19.10.2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 08.11.2012 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung führt sie
aus, die Kriterien einer belastungskonformen Bandscheibenschädigung der Konstellation B2 oder B4 der Konsensempfehlungen zur
Zusammenhangsbegutachtung lägen nicht vor. Beim Kläger liege zwar eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule
vor. Es bestehe eine Höhenminderung der Bandscheiben L4/5 und L5/S1. Eine Begleitspondylose liege nicht vor. Bei der Konstellation
B2 werde der Zusammenhang zwischen der beruflichen Belastung und der bandscheibenbedingten Erkrankung nur dann als wahrscheinlich
angesehen, wenn mindestens eines der in der betreffenden Konstellation genannten Zusatzkriterien erfüllt ist. Das Zusatzkriterium
"besonders intensive Belastung" liege aufgrund der niedrigen MDD- Gesamtdosis nicht vor. Das Zusatzkriterium "hohe Belastungsspitzen"
sei nicht erfüllt, da, wie sich aus der Berechnung des Präventionsdienstes vom 26.05.2010 ergebe, nicht die Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes
durch Belastungsspitzen ab 6 kN erreicht werde. Auch das Zusatzkriterium "Black Disc im MRT in mindestens zwei angrenzenden
Segmenten" sei nicht erfüllt, da sich die beim Kläger vorliegenden Black Discs nicht in den angrenzenden Segmenten befänden,
also keine zusätzlichen Bandscheiben betroffen sein. Für das somit vorliegende Schadensbild nach der Konstellation B3 der
Konsensempfehlungen hätten die Autoren der Arbeitsgruppe keinen Konsens erzielen können. Es sei damit zwar ein Zusammenhang
nicht stets zu verneinen, es bedürfe jedoch einer individuellen Beurteilung und Würdigung des Einzelfalls. Die Konstellation
B3 entspreche der häufigsten Manifestationsform eigenständiger Bandscheibenerkrankungen von innerer Ursache an der LWS. Weder
aus der Lokalisation noch aus der Art des Befundes beschreibe der Sachverständige Prof. Dr. X Besonderheiten, die hier im
Einzelfall zu Gunsten eines Kausalzusammenhanges mit der Versichertentätigkeit sprechen würden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 26.09.2012 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
hilfsweise, ein ergänzendes Gutachten zu der Frage einzuholen, ob aufgrund der beruflichen Tätigkeit des Klägers bereits ab
14 Jahren und aufgrund der damit verbundenen besonderen Belastung in der Wachstumsphase hier von einer berufsbedingten Erkrankung
auszugehen ist, unabhängig von den Richtlinien, die nach Auffassung des Klägers insoweit unvollständig sind.
Der Kläger nimmt auf das angefochtene Urteil Bezug und ist der Auffassung, die Konsensrichtlinien seien lediglich eine Orientierungshilfe.
Sie seien bezüglich seiner besonderen Befundkonstellation veraltet. Bei seinen beruflichen Belastungen handele es sich um
derart schwere Arbeit, dass die Konsensrichtlinien hierauf schlechterdings in ihrer Verallgemeinerung nicht zutreffend seien.
Sämtliche Sachverständige hätten das "Dortmunder Modell" falsch berechnet. Bei der Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit müsse
berücksichtigt werden, dass er in den letzten 15 Jahren nicht mehr körperlich gearbeitet habe, sondern als vormaliger Geschäftsführer
hauptsächlich Bürotätigkeiten ausgeübt habe. Dieser Zeitraum müsse daher ausgeklammert werden bei der Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit.
Hätte man dies zu Grunde gelegt, so würde sich nicht lediglich eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ergeben, dass die Erkrankung
beruflich verursacht sei. Der Wert der Belastung wäre dann höher ausgefallen mit der Folge, dass auch eine Erwerbsunfähigkeit
mit großer Wahrscheinlichkeit vorliege. Die Beklagte habe den entsprechenden Wert der körperlichen Belastung offensichtlich
einseitig festgelegt. Unter Zugrundelegung des zutreffenden Wertes unter Berücksichtigung des Dortmunder Modells wären sämtliche
Gutachter zu der Auffassung gelangt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststehe, dass sein Leiden berufsbedingt sei.
Außerdem sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass in seiner Generation eine Ausbildung nicht erst mit dem sechzehnten
Lebensjahr stattfand sondern bereits mit dem vierzehnten Lebensjahr. Bei einem Jugendlichen von 14 Jahren seien die Knochen
noch nicht ausgereift. Dies spreche gerade dafür, dass in der Wachstumsphase der Ursprung der späteren körperlichen Beeinträchtigungen
vorlag. Entgegen der Ausführungen des Sachverständigen Dr. N liege darüber hinaus eine Beeinträchtigung der Wirbelsäule vor,
was augenfällig werde aufgrund der vorausgegangenen Behandlungen in diesem Bereich.
Der Senat hat von Amts wegen ein Gutachten des Sachverständigen Dr. W eingeholt. Im Gutachten vom 28.04.2016 führt der Sachverständige
zusammenfassend aus, beim Kläger lägen im Bereich der Lendenwirbelsäule degenerative bandscheibenbedingte Veränderungen mit
Zeichen eines lokalen Lumbalsyndroms vor. Es handele sich um eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne der BK 2108. Die
Voraussetzungen für eines der Zusatzkriterien der Konstellation B2 seien aber nicht erfüllt. Das Schadensbild sei am ehesten
in der Konstellation B3 einzuordnen. Das Schadensbild selbst lasse keine Rückschlüsse auf eine berufliche Ursache zu. Nicht
zuletzt im Hinblick auf die relativ niedrige Gesamtbelastungsdosis ergebe sich vorbehaltlich einer abschließenden rechtlichen
Würdigung kein Überwiegen der Anzahl und Bedeutung der Pro-Argumente.
Nachdem das Gutachten mit Verfügung vom 06.06.2016 übersandt worden war und der Kläger zunächst mit Schriftsatz vom 21.06.2016
dazu Stellung genommen hatte, hat er mit Schriftsatz vom 05.07.2016 gegen den Sachverständigen Dr. W einen Befangenheitsantrag
gestellt, der mit Beschluss des Senats vom 15.08.2016 zurückgewiesen wurde.
Auf Antrag des Klägers gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) hat das Gericht sodann ein Gutachten des Sachverständigen Dr. N eingeholt. Im Gutachten vom 09.05.2017 ist der Sachverständige
zu der Beurteilung gelangt, der Kläger habe von 1963 bis 2010 im Stahlbau gearbeitet und schwere Lasten gehoben und getragen.
Er erfülle daher die arbeitstechnischen Voraussetzungen für das Vorliegen einer BK 2108. Beim Kläger lägen chronisch rezidivierende
Lumboischialgien rechts, eine höhergradige Diskusdegeneration L4/L5 und L5/S1, eine Osteochondrose L4/L5 und L5/S1, Bandscheibenprotrusionen
L4/L5 und L5/S1 und eine Spondylarthrose L4 - S 1 vor. Da eine Schädigung in den Etagen L4/L5 und L5/S1 vorliege, komme eine
Einstufung in die Gruppe B der Konsensempfehlungen zu Stande. Eine Chondrose Grad II oder höher liege in beiden Etagen vor.
Daher erfolge keine Einstufung in die Konstellation B1. Eine Einstufung in die Befundkonstellation B2 komme nicht in Betracht,
weil keines der Zusatzkriterien vorliege. Damit erfolge die Zuordnung zur Konstellation B3. Für diesen Fall habe die Arbeitsgruppe
keine Empfehlung für das Vorliegen der Berufskrankheit vorgenommen. Das radiologische Gesamtbild hinsichtlich der vorhandenen
Anzeichen der Bandscheibenerkrankung spreche nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit für eine bandscheibenbedingte Erkrankung
aufgrund der beruflichen Verursachung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten
der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Der Kläger hat weder Anspruch auf Anerkennung einer BK 2108 noch auf
Gewährung von Leistungen wegen dieser BK.
Nach dem Tatbestand der BK 2108 muss ein Versicherter aufgrund einer versicherten Tätigkeit langjährig schwere Lasten gehoben
und getragen bzw. in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet haben. Durch die spezifischen der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden
besonderen Einwirkungen, deren Vorliegen nach dem sogenannten Mainz-Dortmunder-Dosismodell (- MDD - vgl. BSG, Urteil vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R) zu ermitteln ist, muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule entstanden sein und noch bestehen. Zwischen
der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen muss ein sachlicher Zusammenhang und zwischen diesen Einwirkungen
und der Erkrankung muss ein (wesentlicher) Ursachenzusammenhang bestehen.
Der Versicherte muss darüber hinaus gezwungen gewesen sein, alle gefährdenden Tätigkeiten aufzugeben. Als Folge dieses Zwangs
muss die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, liegt eine BK 2108
nicht vor (BSG Urteil vom 30.10.2007- B 2 U 4/06 R; Urteil vom 18.11.2008 - B 2 U 14/08 R-).
Im Falle des Klägers sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Annahme einer BK 2108 als erfüllt anzusehen. Die
Beklagte hat beim Kläger eine Gesamtbelastungsdosis von 13,2 MNh festgestellt. Damit wird die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen
Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh und damit der untere Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach
gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der
LWS ausgeschlossen ist, überschritten (vgl. BSG, Urteil vom 30.10.2007, B 2 U 4/06 R, BSGE 99, 162; Urteil vom 18.11.2008, B 2 U 14/07 R). Würde man allerdings die Angaben des Klägers im Schriftsatz vom 17.10.2017 zugrunde legen, wonach er in den letzten 15
Jahren nicht mehr körperlich gearbeitet hat, so würde die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis
von 25 MNh deutlich unterschritten. Damit würde bereits eine Grundvoraussetzung für die Anerkennung der BK entfallen.
Der Kläger leidet auch an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Dies alleine begründet aber noch nicht
die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines wesentlichen Kausalzusammenhangs zwischen beruflichen Belastungen und bandscheibenbedingter
Erkrankung, da in der medizinischen Wissenschaft anerkannt ist, dass Bandscheibenschäden, insbesondere der unteren Lendenwirbelsäule,
in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen. Sie sind von multifaktorieller Ätiologie. Da solche
Bandscheibenerkrankungen auch in Bevölkerungsgruppen vorkommen, die während ihres Arbeitslebens keiner schweren körperlichen
Belastung ausgesetzt waren, hat die medizinische Wissenschaft im Hinblick auf die Schwierigkeiten bei der Beurteilung des
Ursachenzusammenhangs im Rahmen der BK 2108 weitere Kriterien erarbeitet, die zumindest in ihrer Gesamtschau für oder gegen
eine berufliche Verursachung sprechen. Diese sind niedergelegt in den medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten
Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, die als sogenannte Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung auf Anregung
der vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe, der fast alle
namhaften mit der BK 2108 befassten Wissenschaftler angehören, zusammengestellt wurden. Der Senat geht davon aus, dass diese
Konsensempfehlungen nach wie vor den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Verursachung von Erkrankungen
der Lendenwirbelsäule durch körperliche berufliche Belastungen darstellen (vgl. hierzu auch: BSG, Urteil vom 23.04.2015 - B 2 U 20/14 R) und es zur Gewährleistung einer gleichen und gerechten Behandlung aller Versicherten im Geltungsbereich des
SGB VII nach wie vor als sachgerecht und geboten erscheint, dass Gutachter, Sachverständige und Gerichte diese Konsensempfehlungen
ihrer Beurteilung weiter zugrunde legen (vergl. insoweit auch LSG NRW, Urteile vom 05.02.2013, L 15 U 188/09 und vom 15.08.2017, L 15 U 806/16).
Ein wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen der beim Kläger vorliegenden bandscheibenbedingter Erkrankung der Lendenwirbelsäule
und den in der BK 2108 genannten Belastungen, denen er im Laufe seines Berufslebens ausgesetzt war, lässt sich nicht mit der
notwendigen Wahrscheinlichkeit annehmen. Bei dem Kläger liegt nach der übereinstimmenden Beurteilung aller gutachtlich gehörten
Ärzte ein Schaden im unteren Bereich der Lendenwirbelsäule vor, der seiner Ausprägung nach einer der B-Konstellationen der
Konsensempfehlungen zuzuordnen ist. Da eine Begleitspondylose im Sinne der Konsensempfehlungen nach der einhelligen Meinung
der gutachtlich gehörten Ärzte nicht gegeben ist, scheidet die Konstellation B1 von vornherein aus. Der bei dem Kläger vorliegende
Befund ist auch nicht unter die Konstellation B2 einzuordnen, weil keines der dort genannten Zusatzkriterien erfüllt ist.
Beim Kläger liegen nach den insoweit übereinstimmenden Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. X, Dr.
W und Dr. N an der Lendenwirbelsäule in den Segmenten L4/5 und L5/S1 altersüberschreitende Veränderungen im Sinne der Konsensempfehlungen
vor. Der Sachverständige Dr. W hat in diesen beiden Segmenten aufgrund der Kernspintomographie von Januar 20016 eine drittgradige
Chondrose im Segment L4/L5 und eine zweitgradige Chondrose im Segment L5/S1 festgestellt. Der bisegmentale altersüberschreitende
Befund bei L4/5 erfüllt jedoch nicht das Kriterium "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben". Dieses Kriterium
liegt erst bei einer mindestens dreisegmentalen Schädigung vor (Urteile des Senats vom 15.11.2016 - L 15 U 525/14 und 09.05.2017 - L 15 U 273/15; Hessisches LSG, Urteil vom 27.03.2012 - L 3 U 81/11; Bayerisches LSG, Urteil vom 20.08.2009 - L 2 U 330/07, a. A. Sächsisches
LSG, Urteil vom 29.01.2014 - L 6 U 111/11; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 11.07.2013 -L 6 U 59/11). Denn in den Konsensempfehlungen heißt es bei den allgemeinen Ausführungen zur Zusammenhangsbeurteilung, die den speziellen
Darlegungen zur Zusammenhangsbeurteilung bei typischen Fallkonstellationen vorangestellt sind, dass bei Erfüllung der Grundvoraussetzungen
eine Betonung der Bandscheibenschäden an den drei unteren Segmenten eher für einen Zusammenhang mit der beruflichen Belastung
spricht. Für die Zuordnung zu einer der B-Konstellationen ist sodann Voraussetzung, dass die bandscheibenbedingte Erkrankung
L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft. Diese Konzeption lässt nicht den Schluss zu, dass bereits bei einem bisegmentalen Schaden in
L4/L5 und L5/S1 die Voraussetzungen der Konstellation B2 erfüllt sind.
Eine dreisegmentale Schädigung lässt sich hier auch nicht aufgrund magnetresonanztomographischer Begleitbefunde in anderen
Segmenten ("black discs") annehmen. Das Zusatzkriterium zur Konstellation B2: "Black Disc im MRT in mindestens zwei angrenzenden
Segmenten" ist nicht erfüllt, da sich die beim Kläger vorliegenden Black Discs nicht in den angrenzenden Segmenten befinden,
sondern in den durch die bandscheibenbedingte Erkrankung betroffenen Segmenten. Es sind also keine zusätzlichen Bandscheiben
betroffen. Dies verkennt der Sachverständige Prof. Dr. X, der das Zusatzkriterium aufgrund der Veränderungen in den Segmenten
L4/L5 und L5/S1 als erfüllt ansieht. Der Sachverständige Dr. W weist zu Recht darauf hin, dass zumindest der Anfangsbefund
einer Black Disc-Veränderung auch im angrenzenden Segment L3/L4 vorliegen müsste. Dies ist jedoch nicht der Fall und wird
auch von Prof. Dr. X nicht so beschrieben.
Auch das zweite Zusatzkriterium der Konstellation B2 der Konsensempfehlungen ist nicht gegeben. Dabei kann offenbleiben, ob
der Kläger in weniger als 10 Jahren die hälftige MDD-Dosis für Männer i. H. v. 12,5 MNh erreicht hat, den Orientierungswert
für Männer nach dem MDD i. H. v. 25 MNh hat er in weniger als 10 Jahren jedenfalls nicht erreicht. Eine besonders intensive
Belastung im Sinne des zweiten Zusatzkriteriums ist aber bei Unterschreiten der MDD-Dosis von 25 MNh nicht gegeben (ebenso
LSG Bayern, Urteile vom 31.01.2013 - L 17 U 244/06 - und 22.05.2014 - L 18 U 384/10; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.01.2012 - L 2 U 24/09 ZVW -; LSG NRW Urteile vom 12.08.2016 - L 4 U 678/15 - und vom 15.11.2016 - L 15 U 525/14 -; a. A. LSG Sachsen, Urteil vom 29.01.2014 - L 6 U 111/11 -). Ein genereller wissenschaftlicher Erfahrungssatz, dass für die bei der Befundkonstellation B2, zweites Zusatzkriterium
erforderliche besonders intensive Belastung bei Männern das Erreichen einer unter 25 MNh liegenden Dosis, insbesondere schon
der hälftigen MDD-Dosis, nämlich ein Wert von 12,5 MNh genügt, lässt sich den Konsensempfehlungen, die weiterhin den aktuellen
wissenschaftlichen Erkenntnisstand abbilden (BSG, Urteile vom 23.04.2015 B 2 U 6/13 R, B 2 U 10/14 R und B 2 U 20/14 R), nicht entnehmen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Konsensempfehlungen im Jahr 2005 gab es keinen anderen allgemein
anerkannten "Richtwert" für die Lebensdosis als den des MDD mit 25 MNh (bei Männern). Der in den Konsensempfehlungen niedergelegte
Konsens zur Konstellation B2 konnte sich daher bezüglich des zweiten Zusatzkriteriums naturgemäß nur auf den MDD-Orientierungswert
von 25 MNh beziehen (so auch LSG NRW, Urteil vom 12.08.2016 - L 4 U 678/15 -). Soweit sich in späteren Jahren Autoren der Konsensempfehlungen zu der Frage, ob die vom Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - vorgenommene Modifizierung der vom MDD vorgegebenen Orientierungswerte auch auf die Interpretation der Zusatzkriterien
zu beziehen ist, kontrovers geäußert haben, wird damit der einmal gebildete wissenschaftliche Erkenntnisstand, dass eine besonders
intensive Belastung im Sinne des zweiten Zusatzkriteriums der Konstellation B2 bei Erreichen des MDD-Richtwertes für die Lebensdosis
von 25 MNh bei Männern in weniger als 10 Jahren anzunehmen ist, nicht erschüttert. Denn einzelne Gegenstimmen sind nicht geeignet,
einen einmal gebildeten und sich in schriftlichen Beurteilungskriterien manifestierenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand
zu erschüttern, solange nicht die daran beteiligten Autoren in ihrer Mehrheit diesen Konsens in wesentlichen Punkten aufkündigen
oder eine (zumindest teilweise) personell anders zusammengesetzte große Mehrheit von mit dieser Materie befassten Fachwissenschaftlern
diesem Konsens entgegentritt (BSG, Urteile vom 23.04.2015, - B 2 U 6/13 R - und - B 2 U 10/14 R -). Davon ist (zumindest bisher) nicht auszugehen.
Auch das dritte Zusatzkriterium der Konstellation B2, nämlich ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen,
ist hier nicht anzunehmen. Nach den Konsensempfehlungen ist hierfür ein Anhaltspunkt das Erreichen der Hälfte des Tagesdosis-Richtwertes
durch hohe Belastungsspitzen, nämlich bei Männern ab 6 KN (6000 N). 6000 N werden nur bei der Manipulation ganz erheblicher
Lasten erreicht. Das ist etwa beim beidhändigen Heben einer Last von 56 kg der Fall (s. hierzu MDD, Teil 2 Anlage: F = 1800
N + 75 N/kg x 56 = 6,0 x 1000 N). Das beidseitige Umsetzen erfordert noch eine deutlich schwerere Last. Dass bei dem Kläger
diese beispielhaft aufgezählten Belastungen in relevantem Umfang angefallen sind, lässt sich nach den Feststellungen des Präventionsdienstes
der Beklagten, gegen die der Kläger keine konkreten Einwendungen erhoben hat, nicht annehmen.
Infolgedessen ist Dr. W zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass hier die Konstellation B 3 der Konsensempfehlungen anzunehmen
ist. Der fehlende Konsens in der Arbeitsgruppe bei dieser Konstellation bedeutet nicht, dass damit eine Anerkennung des Ursachenzusammenhangs
im Einzelfall unmöglich wäre. Entscheidend ist vielmehr, ob individuelle, dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand
entsprechende Umstände vorliegen, die im konkreten Einzelfall den Ursachenzusammenhang hinreichend wahrscheinlich erscheinen
lassen (BSG, Urteil vom 23.04.2015 - B 2 U 6/13 R m. w. N.). Das ist hier nicht der Fall. Ein nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft anerkannter Erfahrungssatz,
wonach eine Befundkonstellation, wie sie bei dem Kläger gegeben ist (bisegmentale Bandscheibenschädigung bei L4/5 und L5/S1),
ohne Begleitspondylose und ohne die Zusatzkriterien der Konstellation B2 durch die in der BK 2108 genannten Einwirkungen verursacht
werden kann, lässt sich nicht feststellen. Für die Existenz eines entsprechenden Erfahrungssatzes ergeben sich weder aus den
Ausführungen des Sachverständigen Dr. W, der in Kenntnis der konkreten, individuellen Umstände den streitigen Kausalzusammenhang
verneint, noch aus den Darlegungen der Sachverständigen Prof. Dr. X und Dr. N irgendwelche Anhaltspunkte; ein solcher Erfahrungssatz
ist dem Senat auch ansonsten nicht bekannt.
Da es bereits an den Voraussetzungen für die Anerkennung der BK 2108 fehlt, besteht auch kein Anspruch auf Leistungen der
gesetzlichen Unfallversicherung.
Der Senat sah sich nicht gedrängt, dem Hilfsantrag des Klägers zu entsprechen. Ein Erfahrungssatz, wonach aufgrund der beruflichen
Tätigkeit des Klägers bereits ab dem 14. Lebensjahr und aufgrund der damit verbundenen besonderen Belastung in der Wachstumsphase
von einer berufsbedingten Erkrankung auszugehen sein könnte, existiert nicht. Die Sachverständigen Dr. W und Dr. N, auf deren
Beurteilungen der Senat seine Entscheidung stützt, haben das Lebensalter des Klägers beim Berufseinstieg und den Ablauf seines
Berufslebens seinen Angaben entsprechend berücksichtigt.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) liegen nicht vor.