Vergütung stationärer Krankenhausbehandlungen in der gesetzlichen Krankenversicherung nach Fallpauschalen
Anforderungen an die Kodierung einer Beatmungsbehandlung im Rahmen der intensivmedizinischen Versorgung im Hinblick auf den
Eintritt einer Entwöhnung
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Krankenhausvergütung in Höhe von 34.019,38 €.
Die bei der Beklagten krankenversicherte, 1947 geborene A K (Versicherte) wurde in der Zeit vom 23.01.2014 bis 29.01.2014
und vom 07.02.2014 bis 12.05.2014 stationär im Vertragskrankenhaus (Braunfels, Hessen) der Klägerin mit Sitz in Bonn behandelt.
Die Aufnahme erfolgte zur stationären neurologischen Frührehabilitation nach Teilresektion eines Meningeoms. Aufgrund einer
nach Beginn der Frührehabilitation im weiteren Verlauf eingetretenen pulmonalen Erschöpfung im Rahmen einer Aspirations-Pneumonie
wurde die Versicherte am 29.01.2014 in des F Krankenhaus Gießen verlegt, wo am 03.02.2014 eine Tracheostomie durchgeführt
und sie fortan über Trachealkanüle im CPAP-Modus beatmet wurde. Am 07.02.2014, 11:30 Uhr erfolgte die Rückverlegung ins klägerische
Krankenhaus, wo die Versicherte mit Unterbrechungen bis zum 03.04.2014 weiter invasiv mittels CPAP via Tracheostoma beatmet
wurde. An eine Beatmungspause bis zum 08.04.2014, 12:00 Uhr schloss sich eine fünfstündige Beatmungsphase bis 17:30 Uhr an.
Anschließend atmete die Versicherte bis zum 11.04.2014, 00:15 Uhr erneut spontan ohne Atemunterstützung. Hieran schlossen
sich wiederum Phasen der intermittierenden invasiven Beatmung mittels CPAP via Trachealkanüle in täglich schwankendem Umfang
zwischen knapp 4 Stunden und gut 16 Stunden an, wobei die Versicherte seit dem 05.05.2014 überwiegend 24 Stunden am Stück
beatmet wurde. Die Entlassung in die häusliche Pflege erfolgte am 12.05.2014 bei fortwährender Atemunterstützung im CPAP/ASB
Modus.
Mit Rechnung vom 22.05.2014 forderte die Klägerin unter Zugrundelegung der DRG A06B (Beatmung > 1799 Stunden mit komplexer
OR-Prozedur oder Polytrauma, ohne hochkomplexen Eingriff, ohne intensivmedizinische Komplexbehandlung > 3920 / 3680 Aufwandspunkte
oder ohne komplexe OR-Prozedur, ohne Polytrauma) eine Vergütung in Höhe von insgesamt 145.672,55 €. Die Beklagte beglich die
Forderung am 29.07.2014 zunächst vollständig und leitete eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung
(MDK) hinsichtlich der Anzahl der kodierten Beatmungsstunden und der Hauptdiagnose ein. Dieser kam in seinem Gutachten vom
19.12.2014 zu dem Ergebnis, dass anhand der vorliegenden Unterlagen die Hauptdiagnose von R90.0 auf D32.9 und auch Nebendiagnosen
teilweise zu ändern seien. Zudem sei die kodierte Beatmungsdauer nicht gänzlich, sondern nur im Umfang von 1767 Stunden medizinisch
nachvollziehbar. Abzurechnen sei DRG A07D (Beatmung > 999 Stunden ohne komplexe OR-Prozedur, ohne Polytrauma, Alter > 15 Jahre,
ohne intensivmedizinische Komplexbehandlung > 2352 / 2208 Aufwandspunkte, mit komplexer Diagnose).
Daraufhin bat die Beklagte mit Schreiben vom 12.01.2015 unter Verweis auf das Ergebnis der Begutachtung um Rechnungskorrektur.
Ausweislich eines Zahlungsavis vom 16.01.2015 verrechnete sie die gezahlte Vergütung mit anderen, unstreitigen Forderungen
der Klägerin betreffend Behandlungsfälle aus den Jahren 2013 und 2014 und zahlte dieser für den Behandlungsfall der Versicherten
K einen Betrag in Höhe von 111.653,17 € aus. Die Klägerin stimmte mit Schreiben vom 29.01.2015 der Änderung der Hauptdiagnose
zu, hielt jedoch an der Kodierung von 1916 Beatmungsstunden fest.
Der erneut eingeschaltete MDK kam in seinem Gutachten vom 27.04.2016 zu dem Ergebnis, dass nach Auswertung der ergänzend vorgelegten
Unterlagen lediglich 1775 Beatmungsstunden nachvollzogen werden könnten. Die Beatmung habe am 07.02.2014, 14:00 Uhr begonnen,
das Weaning sei am 03.04.2014, 15:00 Uhr beendet gewesen, so dass sich 1321 Beatmungsstunden ergäben. Nach Ende des Weanings
am 03.04.2014, 15:00 Uhr habe eine stabile respiratorische Situation ohne Beatmung bis zum 08.04.2014, 13:00 Uhr vorgelegen.
Bei der anschließend durchgeführten CPAP-Beatmung außerhalb der Entwöhnungsphase handele es sich um eine diskontinuierliche
Beatmung, bei der nach den Deutschen Kodierrichtlinien - DKR - (2014) nur die tatsächlichen Beatmungszeiten angerechnet werden
könnten. Ab dem 05.05.2014, 18:00 Uhr sei wieder durchgehend beatmet worden. Die Beklagte informierte die Klägerin hierüber
und teilte mit, dass sie den bereits gezahlten Vergütungsbetrag intern verrechnet und den unstrittigen Rechnungsbetrag zeitgleich
angewiesen habe.
Die Klägerin hielt in der Folgezeit an ihrer Auffassung fest. Es habe im Fall der Versicherten trotz der 36 Stunden überschreitenden
Beatmungspause keine stabile respiratorische Situation vorgelegen. Der erste Entwöhnungsversuch müsse als gescheitert angesehen
werden. Die am 08.04.2014 erneut aufgenommene maschinelle Beatmung habe der primären Stabilisierung der Patientin mit dem
Ziel gedient, - nach Reduktion der bronchialen Sekretbildung, Rückbildung der klinisch dringend zu vermutenden Atelektasen
und Verbesserung der Kraft der Atemmuskulatur - eine anhaltend stabile Situation herzustellen, um eine dauerhafte Unabhängigkeit
vom Respirator zu erwirken. Der Zeitraum vom 08.04.2014 bis 05.05.2014 sei daher als erneute Entwöhnungsphase anzusehen, zumal
es nach den DKR (2014) mehrere Entwöhnungsversuche geben könne. Die Gesamtbeatmungsdauer betrage 1916 Stunden, so dass es
bei DRG A06B bleibe.
Die Klägerin hat am 16.09.2016 Klage zum Sozialgericht Köln erhoben. Die Versicherte sei insgesamt 1916 Stunden im Sinne der
DKR (2014) maschinell beatmet worden. Der Begriff der Entwöhnung von der künstlichen Beatmung sei in den DKR nicht definiert,
sie sei aber mit Beginn dieser Beatmung anzunehmen. Es sei in der medizinischen Wissenschaft keine Beatmungsform bekannt,
welche eine Gewöhnung gänzlich verhindern könnte. Allerdings sei der Begriff der Gewöhnung im Rahmen der Beatmungsmedizin
bis zu einer entsprechenden Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 19.12.2017 - B 1 KR 18/17 R) nicht verwendet worden und komme auch in den DKR nicht vor. Im vorliegenden Fall habe eine Abhängigkeit vom Beatmungsgerät
bestanden, von welcher die Versicherte habe entwöhnt werden müssen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 34.019,38 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
seit dem 20.01.2015 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat an ihrer Auffassung festgehalten. Nachdem die Versicherte im Zeitraum vom 03.04.2014 bis 08.04.2014 - also mehr als
36 Stunden ohne jegliche Atemunterstützung spontan geatmet habe, sei das Weaning gemäß DKR abgeschlossen gewesen. Ab dem 08.04.2014
bis zum 05.05.2014 sei eine diskontinuierliche CPAP-Beatmung erfolgt, also nicht eine solche mit Weaning, so dass hier auch
nur die tatsächlichen Zeiten an der Maschine als Beatmung gezählt werden dürften. Der Entscheidung des BSG vom 19.12.2017 - B 1 KR 18/17 R - sei zu entnehmen, dass NIV-CPAP keine invasive Beatmung, sondern nur eine Atemunterstützung sei. Eine Gewöhnung an Beatmung
im DRG-Sinne setze aber eine invasive Beatmung voraus. Damit gebe es bei reiner CPAP ohne vorherige maschinelle Beatmung kein
Weaning. Anzurechnen seien deshalb nur die Stunden "an der Maschine". Da der vorherige Beatmungszyklus am 03.04.2014 beendet
gewesen sei, sei für die Prüfung der Beatmungsstunden zwischen dem 08.04. und dem 05.05.2014 von einem neuen Beatmungszyklus
auszugehen. In diesem Beatmungszyklus habe es keine vorherige invasive maschinelle Beatmung gegeben, die zu einer Gewöhnung
mit dann erforderlicher Entwöhnung geführt hätte. Erst ab 05.05.2014 18:00 Uhr sei mit einer erneuten, nun kontinuierlichen
Beatmung bis zur Entlassung begonnen worden.
Das Sozialgericht hat ein Sachverständigengutachten des Facharztes für Innere Medizin Dr. C eingeholt. Dieser hat in seinem
Gutachten vom 25.11.2017 ausgeführt, dass insgesamt (sogar) 2.063 Beatmungsstunden abrechenbar seien. Bezüglich der ab dem
11.04.2014 durchgeführten maschinellen Beatmung seien die beatmungsfreien Intervalle mit in die Gesamtbeatmungszeit einzubeziehen,
da trotz etlicher Versuche einer Beendigung der maschinellen Beatmung eine stabile respiratorische Situation überhaupt nicht
- auch nicht im Zeitraum vom 03.04.2014 bis 08.04.2014 - habe erreicht werden können. Die Abrechnung der Klägerin sei korrekt.
Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 21.11.2018 stattgegeben und sich dabei vollumfänglich den Ausführungen des
Sachverständigen angeschlossen.
Gegen das ihr am 15.02.2019 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 13.03.2019, zu deren Begründung
sie ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 21.11.2018 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Wie der gerichtliche Sachverständige dargelegt habe, handele
es sich auch bei der zweiten Beatmungsphase zweifellos um ein Weaning. An keiner Stelle sei der DKR (2014) zu entnehmen, dass
ein weiteres Weaning ausgeschlossen sei. Vielmehr enthalte die DKR (2014) selbst den Hinweis darauf, dass es mehrere Versuche
der Entwöhnung von der Beatmung geben könne. Auch nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 17.12.2019 - B 1 KR 19/19 R) müsse für die Annahme einer Entwöhnung keine solche auf "0" erfolgen. Die Versicherte sei vorliegend auch nach dem 08.04.2014
bis zur Entlassung mittels CPAP über Trachealkanüle invasiv beatmet worden. Durch die Beatmungspause zwischen dem 03.04. und
dem 08.04.2014 sei gerade keine stabile respiratorische Situation eingetreten. Es sei absurd, bezüglich der im Anschluss an
eine solche Zählpause wieder erforderlich werdenden Beatmung erneut eine Gewöhnung zu fordern.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Patientenakte der Versicherten
sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht der als
echten Leistungsklage im Sinne des §
54 Abs.
5 SGG statthaften Klage stattgegeben, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf (weitere) Krankenhausvergütung in Höhe von 34.019,38
€ nebst Zinsen.
Es ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass die Klägerin aufgrund stationärer Behandlungen anderer Versicherter der
Beklagten zunächst Anspruch auf die abgerechnete Vergütung weiterer 34.019,38 € hatte; eine nähere Prüfung des Senats erübrigt
sich insoweit (vgl. etwa BSG, Urteil vom 30.07.2019 - B 1 KR 31/18 R -, Rn. 9, juris; Urteil vom 17.12.2013 - B 1 KR 57/12 R -, Rn. 8, juris jeweils m.w.N.).
Diese Vergütungsansprüche sind durch Erfüllung infolge der von der Beklagten erklärten gemäß §
69 Abs.
1 Satz 3
SGB V i.V.m. §
387 BGB möglichen Aufrechnung erloschen, weil dieser ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch in entsprechender Höhe aus dem
Behandlungsfall der Versicherten K als Gegenforderung zustand und das Aufrechnungsverbot des Sicherstellungsvertrags NW mangels
dessen Anwendbarkeit der Aufrechnungserklärung nicht entgegensteht. Dem vorliegend aufgrund des Standorts des klägerischen
Krankenhauses in Hessen zur Anwendung kommende hessische Sicherstellungsvertrag nach §
112 SGB V ist ein solches Verbot fremd.
Auf letzteren Vertrag ist abzustellen, obwohl die Klägerin ihren Sitz in Nordrhein-Westfalen hat. Maßgeblich ist jedoch nicht
dieser, sondern der Ort, an dem das Krankenhaus betrieben wird. Dies folgt zum einen aus dem Wortlaut der Bestimmung des §
112 Abs.
2 S. 2
SGB V, wonach die Verträge für die Krankenkassen und die zugelassenen Krankenhäuser unmittelbar verbindlich sind. Damit stellt
das Gesetz ausd
rücklich auf die Krankenhäuser im jeweiligen Land ab. Dies entspricht auch der Rechtsprechung zum Zulassungsverfahren des
OVG für das Land Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 05.10.2010 - 13 A 2070/09 - Rn. 44, juris), wonach auf der zweiten Stufe der Zulassung gegenüber dem einzelnen Krankenhaus festgestellt wird, ob es
in den Krankenhausplan aufgenommen wird. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt ist daher die jeweilige Bedarfslage im Einsatzgebiet
des Krankenhauses unabhängig vom Sitz des Krankenhausträgers. Dies deckt sich mit der Rechtsprechung des BSG bezüglich des Umfangs der Zulassung sowie des Anspruchs auf Ermächtigungen gemäß §
120 SGB V (vgl. BSG, Urteil vom 29.06.2011 - B 6 KA 34/10 R -, SozR 4-2500 § 119 Nr. 1). Schließlich fände bei gegenteiliger Betrachtung bei ausländischem Sitz des Krankenhausträgers
überhaupt kein Sicherstellungsvertrag Anwendung.
Aufgrund des Behandlungsfalls K hatte die Klägerin gegen die Beklagte keinen (weiteren) Vergütungsanspruch in der hier streitigen
Höhe. Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit Inanspruchnahme
der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes (§
109 Abs.
4 Satz 3
SGB V), wenn die Versorgung - wie vorliegend der Fall - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von §
39 Abs.
1 Satz 2
SGB V erforderlich ist (BSG, Urteil vom 08.09.2009 - B 1 KR 11/09 R -, Rn. 11, juris m.w.N.).
Rechtsgrundlage der von der Klägerin geltend gemachten und von der Beklagten gezahlten Vergütung sind §
109 Abs.
4 Satz 3
SGB V i.V.m. § 7 Satz 1 KHEntgG und § 17b KHG, die Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2014 und die von den Vertragsparteien auf Bundesebene
getroffene Vereinbarung zu den DKR für das Jahr 2014. Die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet sich im Wesentlichen
nach der mithilfe einer zertifizierten Software (Grouper) ermittelten DRG. Für die Zuordnung eines Behandlungsfalles zu einer
DRG sind maßgebliche Kriterien die Hauptdiagnose, die Nebendiagnosen, eventuell den Behandlungsverlauf wesentlich beeinflussende
Komplikationen, die im Krankenhaus durchgeführten Prozeduren sowie weitere Faktoren (Alter, Geschlecht etc.). Die Diagnosen
werden mit einem Code gemäß dem vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), das seit dem
26.05.2020 zum Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gehört, im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit
herausgegebenen ICD-10 verschlüsselt. Die Prozeduren werden nach dem ebenfalls vom DIMDI, bzw. BfArM herausgegebenen OPS kodiert.
Aus diesen Codes wird dann zusammen mit den weiteren für den Behandlungsfall maßgeblichen Faktoren unter Verwendung eines
Groupers die entsprechende DRG ermittelt (sogenannte Groupierung), anhand derer die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung
errechnet wird (ausführlich dazu BSG, Urteil vom 08.11.2011 - B 1 KR 8/11 R -, BSGE 109, 236).
Die Voraussetzungen für die Kodierung der Anzahl der Beatmungsstunden ergeben sich dabei allein aus der DKR (2014) 1001l.
Danach ist maschinelle Beatmung ("künstliche Beatmung") ein Vorgang, bei dem Gase mittels einer mechanischen Vorrichtung in
die Lunge bewegt werden. Die Atmung wird unterstützt durch das Verstärken oder Ersetzen der eigenen Atemleistung des Patienten.
Bei der künstlichen Beatmung ist der Patient in der Regel intubiert oder tracheotomiert - wie vorliegend die Versicherte im
gesamten Zeitraum vom 03.02.2014 jedenfalls bis zur Entlassung aus der stationären Behandlung am 12.05.2014 - und wird fortlaufend
beatmet.
Vergütungsregelungen für die routinemäßige Abwicklung in zahlreichen Behandlungsfällen sind streng nach ihrem Wortlaut und
den dazu vereinbarten Anwendungsregeln zu handhaben; dabei gibt es grundsätzlich keinen Raum für weitere Bewertungen und Abwägungen.
Ergeben sich bei der Abrechnung Wertungswidersprüche und sonstige Ungereimtheiten, haben es die zuständigen Stellen durch
Änderung des Fallpauschalenkatalogs, der OPS-Codes und der DKR in der Hand, für die Zukunft Abhilfe zu schaffen. Eine systematische
Interpretation der Vorschriften kann lediglich im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden Bestimmungen
des Regelungswerks erfolgen, um mit ihrer Hilfe den Wortlaut der Leistungslegende klarzustellen (ständige Rechtsprechung,
vgl. BSG SozR 3-5565 § 14 Nr. 2; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 11 RdNr. 18). Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes (§ 17b Abs. 2 Satz 1 KHG) und damit "lernendes" System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie
die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (BSG, Urteil vom 08.11.2011 - B 1 KR 8/11 R -, Rn. 27, juris m.w.N.).
Die Berechnung der Dauer der Beatmung beginnt nach DKR (2014) 1001l im Falle der Tracheotomie - wie vorliegend - zu dem Zeitpunkt,
an dem die maschinelle Beatmung einsetzt. Ausweislich der Patientenakte war dies bei der Versicherten nach Rückverlegung aus
dem F Krankenhaus Gießen in das klägerische Krankenhaus ab dem 07.02.2014, 11:30 Uhr der Fall.
Die Berechnung der Dauer der Beatmung endet mit der Beendigung der Beatmung nach einer Periode der Entwöhnung. Die Dauer der
Entwöhnung wird insgesamt (inklusive beatmungsfreier Intervalle während der jeweiligen Entwöhnung) bei der Berechnung der
Beatmungsdauer eines Patienten hinzugezählt. Es kann mehrere Versuche geben, den Patienten vom Beatmungsgerät zu entwöhnen.
Das Ende der Entwöhnung kann nur retrospektiv nach Eintreten einer stabilen respiratorischen Situation festgestellt werden.
Eine stabile respiratorische Situation liegt vor, wenn ein Patient über einen längeren Zeitraum vollständig und ohne maschinelle
Unterstützung spontan atmet. Dieser Zeitraum wird wie folgt definiert: Für Patienten, die (inklusive Entwöhnung) mehr als
7 Tage beatmet wurden: 36 Stunden. Für die Berechnung der Beatmungsdauer gilt als Ende der Entwöhnung dann das Ende der letzten
maschinellen Unterstützung der Atmung.
Nach Wortlaut und Regelungssystem der DKR (2014) 1001l sind Spontanatmungsstunden nur dann als Beatmungsstunden mitzuzählen,
wenn der Wechsel von Beatmung und Spontanatmung in einer Phase der Entwöhnung erfolgt. Diese Phase ist durch das Ziel geprägt,
den Patienten vom Beatmungsgerät zu entwöhnen. Schon begrifflich setzt eine Entwöhnung eine zuvor erfolgte Gewöhnung an die
maschinelle Beatmung voraus (BSG, Beschluss vom 14.10.2019 - B 1 KR 85/18 B -, Rn. 7, juris m.w.N.). Die Berücksichtigungsfähigkeit von Spontanatmungsstunden während einer Periode der Entwöhnung von
der maschinellen Beatmung hängt nicht davon ab, dass die Beatmung des Patienten nach einer Periode der Entwöhnung erfolgreich
beendet wird (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2019 - B 1 KR 19/19 R -, Rn. 14, juris).
Es ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass in der Zeit ab Rückverlegung ins klägerische Krankenhaus am 07.02.2014
- nach der die Versicherte zunächst über 12 Tage hinweg 24 Stunden täglich (dauer-)beatmet wurde, woran sich eine Phase der
Entwöhnung anschloss - bis zu der mehrtägigen Beatmungspause ab dem 03.04.2014 auch die Beatmungspausen miteinzuberechnen
und mithin für diese Beatmungsphase 1321 Beatmungsstunden zugrunde zu legen waren.
Am 03.04.2014, 13:00 Uhr - dies ergibt sich aus dem maßgeblichen Beatmungsprotokoll - war die (erste) Entwöhnung beendet.
Bei der (inklusive Entwöhnung) mehr als 7 Tage beatmeten Versicherten fand bis zum 08.04.2014, 12:00 Uhr - mithin länger als
36 Stunden - keine maschinelle Beatmung statt. In diesem Zeitraum war somit nach dem eindeutigen und allein maßgeblichen Wortlaut
der DKR (2014) 1001l eine stabile respiratorische Situation eingetreten, weshalb der Senat den Ausführungen des gerichtlichen
Sachverständigen insofern nicht folgt. Dass eine solche in der Folgezeit - wie der gerichtliche Sachverständige weiter ausführt
- möglicherweise nicht mehr vorlag, vermag nichts daran zu ändern, dass die Entwöhnung vom Respirator zunächst am 03.04.2014
mit der Folge beendet war, dass nur im Falle erneuter Ge- und Entwöhnung sämtliche Beatmungsstunden berücksichtigungsfähig
waren. Daran fehlt es jedoch.
Hinsichtlich der fünfeinhalbstündigen Beatmungsphase am 08.04.2014 von 12:00 bis 17:30 Uhr ist dies offenkundig, weil erst
erneut ab dem 11.04.2014, 0:15 Uhr bis zur Entlassung der Versicherten am 12.05.2014 12:30 Uhr eine intermittierende weitere
invasive Beatmung stattgefunden hat. Auch bezüglich dieses letzten Zeitraums sind nur die tatsächlichen Beatmungsstunden berücksichtigungsfähig,
was zu der von der Beklagten angenommenen DRG A07D führt. Die letztgenannte Beatmungsphase stellte keine Periode der Entwöhnung
vom Respirator dar.
Ein Krankenhaus kann nur dann, wenn sich der Patient an die maschinelle Beatmung gewöhnt hat und dadurch seine Fähigkeit eingeschränkt
ist, vollständig und ohne maschinelle Unterstützung spontan atmen zu können, eine Methode der Entwöhnung einsetzen; nur dann
wird der Patient im Sinne der DKR 1001l entwöhnt (vgl. BSG, Beschluss vom 14.10.2019 - B 1 KR 85/18 B, Rn. 7, juris m.w.N.). Ferner muss die Behandlung durch das Krankenhaus gerade darauf ausgerichtet sein eine Methode der
Entwöhnung anzuwenden, also ein methodisch geleitetes Vorgehen zur Beseitigung der Gewöhnung an die maschinelle Beatmung (vgl.
BSG, Urteil vom 19.12.2017 - B 1 KR 18/17 R -, Rn. 16, juris).
Hinsichtlich der am 11.04.2014, 00:15 Uhr begonnen Beatmungsphase kann der Senat dahinstehen lassen, ob und ggf. wann eine
(erneute) Gewöhnung der Versicherten an die maschinelle Beatmung eingetreten ist. Jedenfalls lässt sich nicht feststellen,
dass die weitere Behandlung im Sinne eines methodischen Vorgehens durch das Ziel geprägt war, die Versicherte von dem Beatmungsgerät
zu entwöhnen.
Weder in der Patientenakte manifestiert sich ein solches Ziel noch legen es die Gesamtumstände nahe. Das Ziel der Entwöhnung
kann insbesondere nicht deshalb unterstellt werden, weil in den in der Patientenakte enthaltenen Kurvenblättern ab dem 12.04.2014
auf einen Weaningplan vom 09.04.2014 Bezug genommen wird. An diesem Tag wurde die Versicherte nicht maschinell beatmet und
die Entwöhnung war wie bereits dargelegt abgeschlossen, so dass sich schon nicht erklärt, warum überhaupt ein Weaningplan
erstellt wurde. Zudem geht aus der Patientenakte hervor, dass bereits am 15.04.2014 ein Gespräch mit einem Intensivpflegedienst
in Bezug auf eine "beatmete häusliche Pflege" stattgefunden hat und damit eine weitere Beatmungspflichtigkeit der Versicherten
angenommen wurde. Dass die Prognose der Langzeitbeatmungspflichtigkeit bereits deutlich vor der Entlassung der Versicherten
aus der stationären Behandlung gestellt wurde, ist zudem dem Entlassungsbericht vom 12.05.2014 zu entnehmen. Darüber hinaus
spiegeln die tatsächlichen Beatmungszeiten seit dem 11.04.2014 nicht die Absicht einer Entwöhnung wieder, denn eine kontinuierliche
Herabsetzung der Beatmung lässt sich der Patientenakte nicht entnehmen. Vielmehr schwankten die täglichen Beatmungsstunden
z.T. stark - in der Regel fand jedenfalls abends, nachts und in den Morgenstunden eine maschinelle Beatmung statt - und pendelten
sich ab dem 05.05.2014 wieder auf dem Niveau der Dauerbeatmung ein. Ein Ziehen der Trachealkanüle stand zu keinem Zeitpunkt
zur Diskussion.
Es kommt vorliegend hinsichtlich der Beatmungsphase ab dem 11.04.2014 nicht darauf an, dass es nach DKR (2014) 1001l mehrere
Versuche der Entwöhnung geben kann und nach der Rechtsprechung des BSG eine Entwöhnung nicht erfolgreich sein muss. Zum einen lag hier nach DKR (2014) 1001l definitionsgemäß eine zwischenzeitlich
abgeschlossene Entwöhnung vor und zum anderen muss stets eine Entwöhnung vom Respirator das Behandlungsziel sein, was vorliegend
nicht feststellbar ist.
Mangels Zahlungsanspruchs der Klägerin scheidet auch der geltend gemachte Zinsanspruch aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG in Verbindung mit §
154 Abs.
1 VwGO.
Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs.
2 SGG), sind nicht gegeben.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §
197a SGG in Verbindung mit §§ 63, 52 Abs. 3, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG.